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Alan Gilbert

© Chris Lee

Berliner Philharmoniker beim Musikfest Berlin: Der steifbeinige Prinz

Lutosławski, Bartók, Janáček: Alan Gilbert, Chef des New York Philharmonic Orchestra, dirigiert bei den Berliner Philharmonikern ein Programm mit den drei das Musikfest prägenden Komponisten.

Es ist eine fantastische Welt, in die Bartók den Hörer mit seinem 1917 vollendeten Tanzspiel „Der holzgeschnitzte Prinz“ entführt. Die betörende Klarinette von Wenzel Fuchs gibt auf amorphem C-Dur-Grund den Ton vor (Wagners „Rheingold“ lässt grüßen), eine kapriziös-raffinierte Rattenfängerin. Alsbald spinnen die Streicher Goldfäden mit ihren Unisono-Kantilenen, das mit Celesta, Saxofon, Xylophon und Glockenspiel angereicherte große Orchester gerät in flirrende Ekstase, ergeht sich in innig-kindlichen Spielfiguren und grotesk verzerrten Volkstümlichkeiten. Das Tanzspiel als symphonische Dichtung, als märchenhaftes Vexierbild.

Ein kleiner Prinz buhlt im Feenwald um die Aufmerksamkeit der Prinzessin, indem er sich ein Ebenbild aus Holz erschafft. Aber erst als die beiden alle Eitelkeit abstreifen, ist die Macht der eifersüchtigen Fee gebrochen und sie finden zueinander. Bartók nutzt das Szenario von Béla Balázs, um ähnlich wie Strawinskys „Pulcinella“-Suite den Affekt ans ungelenk Mechanische zu knüpfen. Das Werk changiert zwischen Spielautomat, täppischem Puppentheater und mystischem Waldweben, es bordet schier über vor Clownerien, Metamorphosen, Verstellungskunstfertigkeiten.

All das ist beim Musikfest-Konzert mit den Berliner Philharmonikern unter Leitung von Alan Gilbert kaum zu hören. Von den Schelmereien der Partitur bleibt nur papierne Steifheit; dem konstant energischen Dirigat des New Yorkers fällt Bartóks Stop-Motion-Verfahren ebenso zum Opfer wie der Klangfarbenrausch und die Genauigkeit des Zusammenspiels. Verklapperte Anfänge, immergleiche Dynamik, fast wähnt man sich in einer Durchlaufprobe. Und sieht den Zauberwald vor lauter Bäumen nicht mehr.

Bei Witold Lutosławskis 4. Symphonie und Leoš Janáčeks selten gespieltem Violinkonzert-Fragment „Wanderung einer kleinen Seele“ vor der Pause sieht es nicht viel besser aus. Auch Lutosławski erlaubt sich ja die Rückkehr des Expressiven, wieder die lyrische Klarinette, die Unisono-Kantilenen, ein sich verzehrender Sehnsuchtston. Aber auch hier bleibt es bei monochromem Musizieren – mit Ausnahme vielleicht der nachzitternd träumerischen Reminiszenzen vor Beginn der Coda. Und das meist herbe Violinspiel Thomas Zehetmair fügt Janáčeks breit ausgepinselten kräftigen Farben ebenfalls keine neue Facette hinzu.

Ein angestrengter Abend.

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