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Rias Kammerchor

© Matthias Heyde

Der RIAS-Kammerchor beim Musikfest Berlin: Zischiger, als die Polizei erlaubt

Ein einzigartig heiteres Konzert: der RIAS-Kammerchor und das Ensemble Musikfabrik unter der Leitung von James Wood beim Musikfest Berlin.

Märsche, Reime, Hochzeiten und obendrein noch Weihnachten. Wer am Samstagabend in den philharmonischen Kammermusiksaal geht, zum Konzert des RIAS-Kammerchores und des Ensembles Musikfabrik unter James Wood, erlebt nicht nur ein überlanges Musikfest-Konzert mit recht wunderlichen Stücken, sondern auch noch zwei Pausen, in denen man sich im Publikum vorkommt wie kurz vor der Bescherung: Oben im Saal wird mächtig umgebaut, gleich dürfen wir wieder rein.

Überhaupt erinnert einiges an diesem Abend an Kinderzeiten, vor allem wohl daran, dass man die Erwachsenen nicht immer versteht. Denn Leos Janáčeks 1910 entstandene Kindervers-Miniaturen „Ríkadla“ singt der RIAS-Chor ebenso im tschechischen Original wie Igor Strawinskys Kantate „Les Noces“, die eigentlich den Titel „Svadebka“ trägt, das ist russisch für „Bauernhochzeit“.

Was sich von diesen Kompositionen jenseits der vielen Zischlaute des Tschechischen und Russischen übermittelt, durch die sich der Chor mit großem Engagement durcharbeitet, mitunter schneller und zischiger als die Polizei erlaubt, ist in den „Ríkadla“ der klar geschnittene musikalische Satz und die gerade Vierhebigkeit der Trochäen, die die so hübsch aus den Fugen geratende Welt mit Ziegen im Teich oder Frauen in Suppentöpfen zu stützen scheinen. Und bei der „Svadebka“, die in der rekonstruierten Fassung von 1919 gespielt wird, versteht sich die kollektive Übererregung der Hochzeitsgesellschaft von selbst, hergestellt durch das ständige Band der chorischen Deklamation und die nie versiegenden Schläge aus dem Arsenal von Pianola, Cymbalom und Perkussion, unterfüttert vom Harmonium und massiv gesteigert durch die Falsetto-Einwürfe von Andreas Fischer (meistens jedoch: Bass) und die schiere Potenz, die Anu Komsi in der Sopran-Partie zeigt, alles gebend, allezeit prominent zu hören.

Dazwischen aber gibt es Ausflüge zu Mauricio Kagels Spezialanfertigungen lateinischer Requiems-Verse und zu seinen „Verborgenen Reimen“ von 2006/07, die mit Dada, Glossolalie und anderweitigem Un-Sinn aufwarten, Stichwort „cold cream ice cream patronyme“. Und natürlich zu seinen instrumentalen, meisterhaft fehlerhaften „Märschen um den Sieg zu verfehlen“, ein einziges Nicht-aus-dem-Quark-Kommen und Vom-Kontrafagott-nach-unten- gezogen-Werden, fehlt eigentlich nur noch Rocko Schamoni am Wasserhahn, wie jüngst in dem Mockumentary „Fraktus“.

Die Schlagzeuger des Abends jedenfalls, Dirk Rothbrust und Thomas Meixner, haben durchweg große Auftritte und sind top in Form; dass Rothbrust der Trommelschlägel splittert, am Ende der Märsche, ist sozusagen das perfekte Ergebnis dieses Darbietungsteils. So bleibt, nachdem der letzte Publikumsjubel über dieses einzigartig heitere Konzert verklungen ist, nur ein ganz bisschen Sorge, dass Onkel Hans-Christoph (Rademann, der Chefdirigent des Chores), auch nicht zuviel schimpft darüber, dass sein Spitzenensemble nach diesem Bell- und Lautsing- Abend wohl etwas Zeit brauchen wird, um in die gewohnte Superfeinabstimmung zu finden.

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