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Seit fünf Jahren schon trainiert er die deutsche Nationalelf: Joachim Löw. Es ist eine Erfolgsgeschichte. Was macht er anders als alle anderen?

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Fußball-Nationalmannschaft: Bundestrainer Löw – eine Bilanz

Joachim Löw fügt im deutschen Fußball alles gewinnbringend zusammen. Eine Bilanz des Bundestrainers nach fünf Jahren Amtszeit.

An einem bemerkenswerten Abend gelang auch Joachim Löw noch eine bemerkenswerte Aktion. Es war kurz vor Schluss, als Mario Götze ein Tor erzielte, das nicht viele Spieler in dieser Form erzielen können. Der Ball flog in Brusthöhe an den österreichischen Fünfmeterraum, Götze stieg in die Höhe, legte in der Luft einen Zwischenschritt ein und chippte den Ball mit dem Außenrist ins Tor. So sieht Technik in Vollendung aus. Joachim Löw saß in diesem Moment auf einem Gestänge hinter seiner Trainerbank, er machte einen sehr entspannten Eindruck, und während das Volk aufsprang, um das kleine Kunstwerk zum 6:2-Endstand für die Nationalmannschaft zu bejubeln, blieb der Bundestrainer einfach sitzen. Es sah fast so aus, als hielte Löw selbst derart anspruchsvolle Übungen inzwischen für irgendwie selbstverständlich.

Das Spiel gegen Österreich wirkte wie eine Leistungsschau der aktuellen Möglichkeiten, über die die deutsche Nationalmannschaft verfügt. Sie kombinierte flüssig, wirkte spielfreudig, und doch erschöpfte sich ihre Lust nicht in kunstvollen Kringeln – nie verloren die Deutschen das eigentliche Ziel aus den Augen. „Wir waren frisch und dynamisch – und haben die Österreicher 90 Minuten nicht atmen lassen“, sagte der Bundestrainer.

Das EM-Qualifikationsspiel war für Löw die Rückkehr an den Ort, an dem alles begonnen hat. In der Arena Auf Schalke hat er die Nationalmannschaft nach der WM 2006 zum ersten Mal alleinverantwortlich betreut. Deutschland gewann 3:0 gegen Schweden, in der Viererkette verteidigte Jens Nowotny, Malik Fathi gab sein Länderspieldebüt, und im Mittelfeld ersetzte Tim Borowski Michael Ballack. Erst fünf Jahre ist das her, doch die Namen klingen wie aus ferner Zeit. „Damals haben wir auch ein klasse Spiel gemacht“, sagt Löw über sein Debüt. „Aber die Möglichkeiten heute sind größer. In der Breite sind wir ganz anders besetzt.“

Keiner seiner Vorgänger kann einen besseren Punkteschnitt vorweisen

70 Länderspiele hat Löw jetzt als Bundestrainer hinter sich, 49 davon hat er gewonnen. Einen besseren Punkteschnitt kann keiner seiner neun Vorgänger vorweisen. Aber es sind nicht nur die Zahlen, die für das Wirken des 51 Jahre alten Südbadeners sprechen. Löw hat dem deutschen Fußball wieder Struktur und Kultur gegeben nach Jahren des Zufalls und der Rumpeligkeit. „Wir haben uns fußballerisch enorm entwickelt“, sagt er. Sein Team spielt nicht nur erfolgreichen, sondern wieder richtig mitreißenden Fußball, der für andere Nationen längst stilbildend ist. Das Vorbild Spanien, das Original sozusagen, an dem Löws Mannschaft zuletzt zweimal deutlich gescheitert ist, scheint nicht mehr weit weg zu sein.

Die Deutschen haben nach der rauschhaften Weltmeisterschaft vor einem Jahr noch einmal einen Sprung nach vorne gemacht. „Bei der WM waren wir sehr auf schnelles Umschalten ausgerichtet“, sagt Thomas Müller. „Da haben wir uns noch schwer getan, selbst das Spiel zu machen.“ Gegen die Österreicher, die sich an guten Tagen durchaus als unangenehmer Gegner erweisen können, war von solchen Schwierigkeiten nichts zu spüren. Den Deutschen gelang im achten EM-Qualifikationsspiel der achte Sieg, die Teilnahme an der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine ist damit bereits zwei Spieltage vor Schluss perfekt. Aber die Teilnahme allein reicht den Deutschen nicht mehr. Sie wollen das Turnier gewinnen. Mit Auftritten wie gegen Österreich geraten sie immer mehr in die Rolle des großen Favoriten. Ob seine Mannschaft nun die beste Europas sei, wurde Löw am Freitag gefragt. „Das würde ich nicht sagen“, antwortete er. „Aber wir haben eine sehr gute Mannschaft.“

Löw hat den deutschen Fußball taktisch und technisch in die Moderne geholt und dort etabliert. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Joachim Löw und Hans-Dieter Flick feiern das 6:2 gegen Österreich.
Joachim Löw und Hans-Dieter Flick feiern das 6:2 gegen Österreich.

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Dafür ist er naturgemäß nicht allein verantwortlich. Die Reform der Nachwuchsausbildung, die dem deutschen Fußball einen ganz anderen Fundus an perfekt ausgebildeten Spielern beschert hat, wurde weit vor Löws Zeit beschlossen. Sein Verdienst ist es, dass er alles zu einem großen Ganzen gewinnbringend zusammenfügt. Löw hat den deutschen Fußball taktisch und technisch in die Moderne geholt und dort etabliert, seine Mannschaft wächst in der Breite und Spitze gleichermaßen. „Wir sind super besetzt“, sagt Innenverteidiger Per Mertesacker. „So eine Luxussituation habe ich noch nie erlebt.“

Die Europameisterschaft 2008 war für den Bundestrainer ein Schlüsselmoment in dieser erfreulichen Entwicklung. Als Verfechter des schönen Spiels hat er sein erstes großes Turnier in leitender Funktion als große Enttäuschung empfunden. Die Mannschaft schaffte es zwar bis ins Finale, aber sie quälte sich regelrecht durch das Turnier, fand nie die Leichtigkeit, die ihm vorschwebt. „Es war nicht genügend, was wir fußballerisch gezeigt haben“, sagt Löw. Aus dieser Erfahrung zog er die richtigen Schlüsse: Der Bundestrainer erhöhte den Konkurrenzkampf, indem er junge und hungrige Spieler in die Mannschaft einbaute, und auch der Anspruch an die fußballerische Qualität wurde noch einmal deutlich erhöht. Löw spricht von einem ständigen Prozess, die Ergebnisse aber sind längst zu sehen.

Der Kader wirkt homogen, die Spielphilosophie hat sich verstetigt: Agieren statt reagieren, flaches, vertikales, temporeiches Spiel nach vorn, eine hohe Ballzirkulation – diese Spielweise hat Löw durchregiert. Die Qualität in allen Mannschaftsteilen ist ausgesprochen hoch und gleich mehrfach abgesichert. Auf manchen Positionen weiß der Bundestrainer gar nicht, wie er das Überangebot moderieren soll. In den Tagen vor dem Spiel gegen Österreich sah sich Löw immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob Mesut Özil und Mario Götze denn überhaupt zusammenspielen können. Was für eine Verschwendung, einen dieser beiden begnadeten Fußballer auf der Bank sitzen zu lassen. Gegen Österreich musste Götze, der neue Liebling des Publikums, dann tatsächlich bis kurz vor Schluss draußen bleiben. „Der Konkurrenzkampf treibt die Spieler an, die Spannung hochzuhalten“, sagt Löw. „Wenn man irgendwas gewinnen will, dann braucht man das.“

Irgendwas gewinnen – das ist das, was Löw noch fehlt, um als Bundestrainer in die Ruhmeshalle des deutschen Fußballs aufgenommen zu werden. Seine aktuelle Mannschaft besitzt die Reife, die Kraft und die Klasse, um dieses Ziel schon bei der EM im kommenden Jahr zu erreichen, ganz unabhängig vom Gegner. Ihre Fähigkeiten haben die Deutschen bei der WM 2010 mehr als nur angedeutet, als sie erst England und dann Argentinien regelrecht auseinander nahmen. Nur im Halbfinale gegen Spanien schreckte die Mannschaft noch einmal vor der Stärke des Gegners zurück und verfiel in alte Muster. Das soll ihr im nächsten Jahr nicht mehr passieren. Nach den Eindrücken aus den jüngsten Spielen besteht dazu auch kein Anlass.

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