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Hört bloß auf! Bundestrainer Joachim Löw war nicht einverstanden mit den Pfiffen des Nürnberger Publikums. Überhaupt wird das Nationalteam in der Zuschauergunst mit anderen Maßstäben gemessen als eine normale Vereinsmannschaft. Foto: dpa

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Nach der WM-Quali gegen Kasachstan: Der DFB-Elf muss man alles zutrauen

Der jüngste Auftritt gegen Kasachstan hat es wieder gezeigt: Der deutschen Nationalelf ist weiterhin alles zuzutrauen – selbst oder besonders bei klaren Führungen.

Das Amt des kasachischen Nationaltrainers erfordert ein hohes Maß an Leidensfähigkeit. Man könnte mal bei Bernd Storck nachfragen, der die zentralasiatischen Fußballer zwischen Januar 2009 und Oktober 2010 trainiert hat. Aber Storck will zu Kasachstan generell nichts mehr sagen, obwohl er eine Menge zu erzählen hätte. Sein Nachfolger hingegen, der Tscheche Miroslav Beranek, hat sich einen gesunden Optimismus bisher noch bewahrt. In der Nachbetrachtung des WM-Qualifikationsspiels gegen Deutschland sprach er den Satz: „Das vierte Tor hat das Spiel entschieden.“ Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Beranek beim Stand von 1:3 offensichtlich noch an die Wende geglaubt hat. Als Marco Reus dann das vierte Tor zum 4:1-Endstand erzielte, waren offiziell noch 51 Sekunden zu spielen. Zwei Treffer gegen Deutschland in 51 Sekunden – warum eigentlich nicht?

Seitdem die Deutschen vor einem knappen halben Jahr einen 4:0-Vorsprung gegen Schweden noch verspielten, ist ihnen alles zuzutrauen – auch wenn dieses 4:4 den unmittelbar Beteiligten als einmaliger Ausrutscher gilt. Nach den beiden Spielen gegen Kasachstan innerhalb von nur vier Tagen ist es jedoch fraglich, ob sich diese These tatsächlich halten lässt; oder ob nicht vielleicht Schweden in das Erbgut dieser unglaublich begabten Mannschaft eingewebt ist. In guten Momenten kann sich die Künstlerkolonie namens Nationalmannschaft an ihren eigenen Fähigkeiten berauschen – in den schlechten aber verliert sie sich in sich selbst. So wie am Dienstag in Nürnberg in der zweiten Halbzeit.

Gut zehn Minuten vor dem Ende, beim Stand von 3:1, erwischte eine Volleyabnahme von Waleri Korobkin den Außenpfosten des deutschen Tores. Man wollte sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn die Kasachen in dieser Szene den Anschlusstreffer erzielt hätten. Ob er sich ein wenig an Schweden erinnert gefühlt habe, wurde Bundestrainer Joachim Löw nach dem Spiel gefragt. „Nee“, antwortete er, „weil Kasachstan nicht das nach vorne bringen kann, was die Schweden bringen.“

Es machte die Sache nicht unbedingt besser: Selbst gegen die Nummer 139 der Welt, die nur darauf aus war, möglichst wenig Gegentore zu kassieren, selbst nach einem 3:0-Vorsprung zur Pause ließen die Deutschen noch latente Zweifel an ihrem Sieg aufkommen. Eine einzige unvorhergesehene Wendung, in diesem Fall der Fehler von Torhüter Manuel Neuer vor dem 1:3, vermag diese Mannschaft immer noch in arge Selbstzweifel zu stürzen.

Der Spannungsabfall war schon im Hinspiel zu beobachten

Nach den drei Länderspielen dieses Jahres drängt sich der Eindruck auf, dass es den Deutschen leichter fällt, gegen starke Nationen wie beim 2:1 in Frankreich einen Rückstand aufzuholen, als gegen deutlich unterlegene Gegner einen Vorsprung zu verwalten. „Vielleicht schleicht sich dann eine innere Zufriedenheit ein, ein gewisser Leichtsinn und kollektive Nachlässigkeit“, sagte Ilkay Gündogan. Der Spannungsabfall gegen die Kasachen war schon in Astana (3:0) zu beobachten gewesen – und vom Bundestrainer kritisiert worden. Nach dem Rückspiel nun klagte Löw: „Die Konzentration, das Permanent-im-Spiel-Sein, die Passgenauigkeit, die haben etwas nachgelassen, absolut.“

Gerade im Vergleich zur ersten Hälfte fiel der Kontrast deutlich aus. Wie gut sie es können, hatten die Deutschen ja vor der Pause bewiesen, als sie dynamisch spielten, direkt und, wie Löw das nennt, seriös. Innerhalb von acht Minuten schoss die Nationalmannschaft ihren 3:0-Vorsprung heraus, hinzu kamen bis zum Ende sechs Pfosten- und Lattentreffer. „Da gab es in der Vergangenheit schon größere Probleme, gegen solche Gegner 1:0 in Führung zu gehen“, fand Kapitän Philipp Lahm. „Diese Mannschaft schafft es, in der ersten Halbzeit alles klar zu machen. Darüber müssen wir reden.“ Nicht über die Versäumnisse der zweiten Halbzeit.

Man muss zur Ehrenrettung der Nationalmannschaft erwähnen, dass sie mit anderen Maßstäben gemessen wird als eine normale Vereinsmannschaft. Wenn die Bayern exakt das gleiche Spiel gegen, sagen wir, Greuther Fürth gespielt hätten, wären sie anschließend für ihre unglaubliche Cleverness gelobt worden. Bei der Nationalmannschaft hingegen leitet das Publikum aus der Tatsache, dass in ihr die besten Fußballer des Landes versammelt sind, einen Anspruch auf permanente Bespaßung ab. Dieses Bedürfnis ist in der Vergangenheit schon weit weniger befriedigt worden. Aber seit Schweden kann man das Spektakel eben nicht mehr unschuldig genießen, weil in jedem Hackentrick der Keim des Untergangs zu stecken scheint. Ach was, sagt Philipp Lahm. „In den entscheidenden Spielen wird die Mannschaft wieder da sein.“ Wieso eigentlich: wieder?

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