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Mittendrin statt nur dabei? Roman Weidenfeller (M.) im Torwarttraining mit den beiden anderen Nationaltorhütern René Adler (l.) und Manuel Neuer.

© Imago

Roman Weidenfellers spätes Debüt: Die Tüpfelchen auf dem Ü

Anders als früher gibt sich Roman Weidenfeller mittlerweile beim Thema Nationalmannschaft betont brav – Dortmunds Torhüter will nach seiner erstmaligen Berufung seine kleine WM-Chance nicht gefährden.

Es zählt zu den Paradoxien der Fußballbranche, dass die Lobbyisten aus der Bundesliga mit aller Macht versuchen, die Spieler ihrer Klubs in die Nationalmannschaft zu singen – und dieselben Lobbyisten dann, wenn sie erfolgreich waren, die Belastung ihrer Spieler durch die Nationalmannschaft beklagen.

Bei Roman Weidenfeller ist das erst einmal nicht zu erwarten, obwohl sein Klub Borussia Dortmund zuletzt als überaus weinerlich aufgefallen ist. Der Torhüter wird bei den beiden anstehenden Länderspielen definitiv nicht über Gebühr beansprucht. Am Freitag gegen Italien soll Manuel Neuer im Tor stehen, und was vier Tage später in Wembley passiert, ist noch offen. Vielleicht spielt Weidenfeller gegen England; vielleicht muss er sich mit René Adler abwechseln; vielleicht kommt er gar nicht zum Einsatz – falls seine Einladung vor allem dem Zweck dient, seine Sozialverträglichkeit zu überprüfen.

Der Dortmunder ist sich dessen durchaus bewusst. Bei seinem ersten Auftritt im Kreis des Nationalteams bemüht Weidenfeller lieber eine Floskel zu viel, als ein falsches Wort von sich zu geben. Er freue sich, die Luft bei der Nationalmannschaft zu atmen und sei offen für alles – was auch die Reservistenrolle einschließt. Schon die Nominierung hat Weidenfeller als I-Tüpfelchen auf seine Karriere empfunden. Was wäre dann erst das Länderspieldebüt? Zwei Tüpfelchen auf dem Ü?

Sollte Weidenfeller am Dienstag in London spielen, wäre er mit 33 Jahren bei seinem Debüt der älteste Nationaltorhüter der deutschen Fußballgeschichte. Das wirft einige Fragen auf: Was soll das? Und warum ausgerechnet jetzt, nachdem Bundestrainer Joachim Löw den Dortmunder jahrelang beharrlich ignoriert hat? Gibt es nicht genügend andere gute, vor allem jüngere Torhüter? Löws Sinneswandel mutet in der Tat seltsam an – zumal Weidenfeller nicht immer so besenreine Kommentare abgegeben hat wie gestern bei der Pressekonferenz der Nationalmannschaft. Fast schon legendär ist seine Aussage zu seinen Chancen bei Löw: „Vielleicht sollte ich mir einfach die Haare schneiden. Oder etwas zierlicher werden.“

Weidenfeller trägt seine Haare jetzt streng zurückgegelt; zierlicher ist, wenn man so will, zumindest sein Torwartspiel geworden, nicht mehr so kraftmeiernd, wie er es in Kaiserslautern bei Gerald Ehrmann gelernt hat. „Jeder sieht, dass Roman sein Torwartspiel umgestellt hat“, sagt Andreas Köpke, der Torwarttrainer der Nationalmannschaft. Zudem spiele Weidenfeller jetzt schon „lange Zeit auf ganz hohem Niveau“. Seine Nominierung sei nur die logische Konsequenz gewesen.

Die Fürsprecher des Dortmunders heben stets seine vorzüglichen Werte bei gehaltenen Bällen und vereitelten Großchancen hervor. Weidenfeller ist ein Sportschau-Torhüter – einer, der in Zusammenschnitten mit spektakulären Rettungstaten besonders gut zur Geltung kommt. In den schwer zu messenden Soft Skills wie Antizipation oder Strafraumbeherrschung weisen Manuel Neuer, Marc-André ter Stegen, Bernd Leno oder Ron-Robert Zieler jedoch deutliche Vorteile auf. Falls Weidenfeller in London zum Einsatz kommt, wäre er wohl Deutschlands letzter Nationaltorhüter, der schon gespielt hat, als Rückpässe noch mit der Hand aufgenommen werden durften. Die Spätfolgen sind bis heute zu sehen. Mit dem Fuß fehlt dem Dortmunder die Selbstverständlichkeit, die seine Konkurrenten auszeichnet. Und auch sein Gespür für den Raum ist deutlich geringer ausgeprägt.

Vermutlich soll der Champions-League-erprobte Weidenfeller gar nicht mit den jungen Wilden um die Position des dritten Torhüters bei der Weltmeisterschaft konkurrieren. Seine Nominierung erschließt sich eher mit Blick auf den Routinier René Adler, die designierte Nummer zwei. „Wir haben 2010 gesehen, wie schnell alles gehen kann“, sagt Andreas Köpke. Damals war Adler bereits offiziell zur Nummer eins bestimmt worden. Kurz vor der WM aber verletzte er sich. Doch es sind nicht nur latente Zweifel an Adlers körperlicher Robustheit, die Löw bewogen haben könnten, einen Plan B in Betracht zu ziehen; es sind auch Adlers sportliche Leistungen in dieser Saison. In zwölf Spielen hat er 29 Tore kassiert – mehr als jeder andere Torhüter der Bundesliga.

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