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Schlimme Diagnose. Sami Khedira hat sich gegen Italien einen Kreuzbandriss zugezogen.

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Update

Sami Khedira erleidet Kreuzbandriss: Die Probleme im Mittelfeld der Nationalelf wachsen

Bastian Schweinsteiger, Ilkay Gündogan und jetzt Sami Khediras Kreuzbandriss: Rund acht Monate vor Beginn der Fußball-WM wächst die Not im Mittelfeld der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.

Philipp Lahm öffnete geschickt das Spiel. Ohne den Blick zu heben, sandte er den Ball aus dem Zentrum hinaus auf die Seite, flach, scharf und präzise, genau in den Lauf des rechten Außenverteidigers. Wobei: Es wäre der Lauf des rechten Außenverteidigers Philipp Lahm gewesen. Philipp Lahm aber spielte gegen Italien im defensiven Mittelfeld, und sein Statthalter Benedikt Höwedes blieb gut zehn Meter hinter dem perfekten Laufweg eines rechten Außenverteidigers zurück. Lahms flacher, scharfer und präziser Pass surrte unerreichbar ins Seitenaus.

In diesem Moment trat wieder einmal ein grundsätzliches Problem zutage, mit dem sich der deutsche Fußball jetzt schon seit ein paar Jahren herumschlagen muss: Philipp Lahm kann immer nur eine Position gleichzeitig besetzen. Wenn der Münchner früher als linker Außenverteidiger spielte, tat sich hinten rechts eine gefährliche Lücke auf. Wenn Lahm rechts verteidigte, fehlte Lahm links. Und wenn er wie am Freitag, beim 1:1 gegen die Italiener, im Mittelfeld aufläuft, offenbaren sich an den Enden der Viererkette gravierende Schwächen.

Joachim Löw nahm dieses Risiko bewusst in Kauf. „Nach den Verletzungen von Bastian Schweinsteiger und Ilkay Gündogan wollte ich auf dieser Position einen Spieler mit ein bisschen Erfahrung haben“, sagte der Bundestrainer. Gegen die taktisch meisterhaften Italiener wollte er die Qualität in der sensiblen Mitte stärken. „Ich habe gedacht, dass Lahm, Khedira und Kroos fußballerisch und taktisch ein Übergewicht im Mittelfeld bekommen. Das ist schon aufgegangen.“ Wenn aber alle dauerhaft fit seien, „dann werden wir Lahm auf rechts sehen“.

Zu diesem Zeitpunkt kannte Löw das ärztliche Bulletin noch nicht, das ihm am nächsten Morgen ein neues Problem bescherte. Sami Khedira, der dritte mögliche Sechser, hat sich am Freitag einen Kreuz- und Innenbandriss zugezogen. Beim Versuch Andrea Pirlo vom Ball zu trennen, verdrehte er sich das Knie. Khediras Ausfall hat die Wahrscheinlichkeit, dass Lahm erst einmal dauerhaft im Mittelfeld auflaufen muss, entscheidend erhöht. Für Sami Khedira wird es selbst im Hinblick auf die WM mehr als eng. Wenn er wie bei Kreuzbandrissen üblich ein halbes Jahr ausfällt, wäre er frühestens am Saisonende wieder einsatzfähig. „Er denkt immer positiv. Das wird ihm helfen“, sagte der Bundestrainer in einer ersten Reaktion auf die schockierende Nachricht, „deshalb bin ich optimistisch, dass er rechtzeitig bis zum Anpfiff der WM fit wird.“

Seriöse Prognosen sind derzeit kaum möglich, und schon deshalb sollte man die scheinbar endgültigen Festlegungen des Bundestrainers nicht allzu ernst nehmen. Löw hat auch schon mal gesagt, er werde nie von einem System mit zwei Stürmern abgehen. Genauso hat er per bundestrainerlichem Dekret verfügt, dass Mesut Özil nie in vorderster Linie auflaufen werde. Manchmal aber hält sich die Realität einfach nicht an seine Vorgaben. Und wer sagt denn, dass Schweinsteiger, Gündogan und/oder Khedira wirklich rechtzeitig vor der WM im kommenden Sommer dauerhaft fit werden? Gündogan fehlt mit mysteriösen Rückenbeschwerden jetzt schon seit Anfang der Saison, und Schweinsteiger hat sich erst vor wenigen Tagen einer Operation an seiner Problemzone Sprunggelenk unterziehen. Bei ihm wachsen die Zweifel an seiner körperlichen Leistungsfähigkeit quasi stündlich.

Probleme hat Löw auch im Sturm

Die Variante mit Lahm im defensiven Mittelfeld kann daher durchaus mehr gewesen sein als eine einmalige Sache, die speziell auf die italienische Herausforderung zugeschnitten war. Löw, der gerne in Wenn-dann-Strategien denkt, hat gegen einen Gegner von Format eine Option getestet, die auch für die Weltmeisterschaft in Frage kommt. Gerade in den kniffligen Spielen werden die Deutschen auf der Sechserposition einen Spieler von höchstem Format benötigen. Und wenn bei der WM in Brasilien weder Schweinsteiger, Khedira noch Gündogan dafür in Frage kommen, muss eben Philipp Lahm den Part übernehmen. „Für mich ist das kein Problem“, sagt er.

Khediras Ausfall wirft auch einen Plan über den Haufen, den Löw selbst vermutlich noch gar nicht gehabt hat. Lahm der Vielseitige würde im Zweifel bestimmt auch als falsche Neun aushelfen, der polyvalente Philipp kann das bestimmt. Im Sturm ist die Not des Bundestrainers ähnlich groß wie im Mittelfeld. Löw steht im Moment kein gelernter Angreifer zur Verfügung, eine kreative und tragfähige Lösung für dieses Problem hat er noch nicht gefunden. Es ist zwar noch ein paar Monate hin bis zur Weltmeisterschaft, doch schon jetzt beschleicht den Bundestrainer „ein kleines bisschen Sorge“, wenn er an seine verletzten Stürmer Miroslav Klose und Mario Gomez denkt. Klose hat 2013 nur vier Länderspiele bestritten; Gomez ist seit der EM 2012 lediglich in zwei Freundschaftsspielen zum Einsatz gekommen.

Aber alles, was in der Bundesliga an echten Stürmern nachwächst, überzeugt den Bundestrainer nicht. Auf der Suche nach möglichen Kandidaten landet man ziemlich schnell beim Stuttgarter Timo Werner, der gerade 17 und ein paar Bundesligaspiele alt ist. Der Hoffenheimer Kevin Volland wäre vielleicht noch eine Option. Einstweilen aber behilft sich Löw mit dem spanischen System ganz ohne Stürmer. Die Variante mit einem umgepolten Mittelfeldspieler, der sich gekonnt zwischen den Linien bewegt, mag in der Theorie zwar verführerisch sein. In der Praxis aber offenbarten sich gegen die Italiener wieder einmal ihre Schwächen. Mario Götze fand so gut wie gar nicht statt. Bei Mesut Özil war das vor einem Monat gegen die Iren kaum anders.

„Grundsätzlich sind wir nicht so oft in den Strafraum gekommen, wie wir wollten“, sagte Thomas Müller. Die Deutschen trafen mit Distanzschüssen zwar zweimal den Pfosten und einmal die Latte, im italienischen Strafraum kamen sie in 90 Minuten jedoch kein einziges Mal zum Abschluss. Das 1:0 durch Mats Hummels fiel nach einer Ecke; und die letzte Chance, als sich Marco Reus und Sven Bender gegenseitig umtraten, anstatt den Ball ins leere Tor zu schieben, datierte aus der Nachspielzeit.

Die Debatte ums richtige System wird den Bundestrainer vermutlich noch eine Zeit begleiten. Dabei gibt es eigentlich gar nichts zu debattieren. „Miro ist verletzt, Mario ist verletzt“, sagte Philipp Lahm, „so viele Optionen haben wir nicht.“

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