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Bundestrainer Joachim Löw.

© dpa

Vor dem Länderspiel gegen Frankreich: Löw im romantischen Dilemma

Der deutsche Bundestrainer Joachim Löw muss im Jahr 2013 ohne große Highlights neue Reize setzen – und zwar bereits am Mittwochabend gegen Frankreich.

Ein Herr vom französischen Fernsehen stellte Joachim Löw eine knifflige Frage. Die große, alte und fußballerisch aufregendste Ausgabe der Equipe Tricolore, also jene, die Michel Platini durch die Achtziger führte, wird in Frankreich als die der „romantischen Verlierer“ betitelt; hoch veranlagt, und doch nicht in der Lage, wenigstens einen Titel gewonnen zu haben. Ob diese Bezeichnung auch auf die aktuelle deutsche Fußball-Nationalmannschaft zutreffe, wurde Löw gefragt.

Der Bundestrainer musste sich Zeit nehmen. Man merkte ihm an, dass ihm die Formulierung an und für sich gut gefiel, doch für seine Mannschaft würde er sie nicht durchgehen lassen können. „Wir sind die Nummer zwei der Welt“, hob Löw an, „wir waren bei den letzten vier Turnieren mindestens im Halbfinale. Und in Sachen Spielkultur haben wir eine enorme Entwicklung hinter uns.“

Der Bundestrainer, gerade 53 Jahre alt geworden, ahnte, dass er die Frage zwar wahrheitsgetreu, aber etwas unzureichend beantwortet hatte, auch für seinen Anspruch. Seine Mimik verriet, dass er gern weiter ausgeholt hätte. Dass er gern beschrieben hätte, wo die Mannschaft hergekommen ist, nämlich aus den Zeiten des Rumpelfußballs, und dass es der Mannschaft inzwischen gelingt, großen Fußballnationen spielerisch zu begegnen. Aber eben auch, dass es mit diesen wundervoll veranlagten Spielern noch nicht zum großen Wurf gelangt hat.

Löw merkte, dass sich die verführerische Frage gar nicht so einfach beantworten ließ. Und genau das ist Teil des Problems. Was fehlt seiner Mannschaft, die so verführerisch spielen aber auch chaotisch durcheinander geraten kann, zur Titelreife? Wo muss er als Trainer korrigierend eingreifen?

Löw sieht sich solchen Fragen seit dem enttäuschenden EM-Aus gegen Italien im vorigen Sommer und dem alarmierenden 4:4 gegen Schweden im vorigen Herbst immer öfter ausgesetzt. Ein dünnes 0:0 gegen die Niederlande im November konnte die Unruhe, die um die Nationalelf entstanden war, etwas beruhigen. Aber wenn es der deutschen Mannschaft heute Abend im Stade de France gegen Frankreich (21 Uhr, live in der ARD) nicht gelingt zu überzeugen, werden die Fragen an Schärfe zunehmen.

Warum Löw seine Mannschaft nach der EM 2012 kaum verändert hat

Der Bundestrainer muss dabei auf eine Handvoll Stammspieler wie Schweinsteiger, Götze, Reus und Klose verzichten. „Ich sehe das Spiel als einen echten Härtetest für uns an“, sagte Löw dennoch. Die Franzosen hätten nach einem 1:1 gegen Spanien und einem 2:1-Sieg über Italien wieder zu alter Stärke gefunden. „Wir müssen eine Topleistung abrufen, aber wir haben trotz der Absagen, über die man sich natürlich Gedanken macht, einen starken Kader beisammen.“

Ein bisschen steckt Löw samt seinem Team im Dilemma. Das vergangene Jahr war irgendwie unbefriedigend, und das neue, also 2013, hält – mal abgesehen von heute Abend – keine emotionalen Highlights parat. Im März stehen zwei WM-Qualifikationsspiele gegen Kasachstan an, nach dem Bundesligaabschluss folgt eine zehntägige US-Reise mit Spielen gegen die USA und Ecuador. Dort werden Löw höchstwahrscheinlich zahlreiche Stammspieler aus München und Dortmund fehlen, die entweder im DFB-Pokalfinale, im Finale der Champions League oder anderweitig bei ihren Vereinen gebunden sind, wie Mesut Özil und Sami Khedira von Real Madrid.

„Ich habe kein Problem damit, wenn da einige Spieler fehlen“, sagte Löw. So könnten sich andere Spieler in den Vordergrund spielen. „Wir wollen den Konkurrenzkampf schüren, um personelle Alternativen zu haben.“ Junge, interessante Spieler wie Sebastian Rode, Sebastian Jung oder Lewis Holtby werden das frühestens nach der U-21-EM sein, die im Juni in Israel stattfindet. Bis dahin sind die Nachwuchsspieler für Löw tabu.

Seit seiner Amtsübernahme nach der WM 2006 hat der Bundestrainer 30 Turnierspieler ausgemustert. Löw hat seine Mannschaft gerade nach Turnieren personell aufgefrischt. Doch nach der EM 2012 ist nicht so viel passiert. Das wiederum hat zwei Gründe. Die deutsche Mannschaft war schon die jüngste des Turniers. 14 der 23 Spieler waren nicht älter als 24.

Und doch muss Löw personelle Reize setzen. Mit Blick auf die WM 2014 muss sich der Bundestrainer fragen, welcher Spieler die Mannschaft voranbringt, wer mitschwimmt oder sie gar bremst. Dabei muss Löw auch Spieler hinterfragen, die zur Bonus-Generation zählen. Also Spieler wie Schweinsteiger, Klose, Podolski und Lahm, die die Löw-Ära geprägt und jeweils um die 100 Länderspiele absolviert haben. Denn zu viel Romantik kann sich auch Deutschland nicht leisten.

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