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Andere fallen ab. Gegen den HSV (hier mit Kacar) gefiel der Dortmunder Ilkay Gündogan als Ideen- und Passgeber.

© dapd

Vor dem Test gegen Brasilien: Ilkay Gündogan: Der Stellvertreter

Ilkay Gündogan erobert die Zentrale der Nationalmannschaft. Er vereint die Spielfreude des Südens mit der Disziplin des Nordens.

Ilkay Gündogan hat gleich am ersten Tag die Annehmlichkeiten kennengelernt, die eine Berufung in die Nationalmannschaft mit sich bringt. Am Montag gab es für die Nationalspieler ein neues Freizeitoutfit, aber Gündogan hätte sich auch ohne diese kleine Aufmerksamkeit reich beschenkt gefühlt. Vor zwei Wochen hat es von Seiten des Bundestrainers Joachim Löw eine erste telefonische Kontaktaufnahme gegeben, verbunden mit dem Hinweis, dass der Mittelfeldspieler von Borussia Dortmund demnächst mit einer Nominierung rechnen könne. Dass Löw aber schon eine Woche später erneut anrufen würde, „da habe ich selbst nicht mit gerechnet“, sagt Gündogan. Es sieht so aus, als würde die Länderspielkarriere des 20-Jährigen an diesem Mittwoch mit einem Duell gegen den fünfmaligen Weltmeister Brasilien beginnen. Von einer Ehre und einem Traum hat Gündogan nach der Nominierung gesprochen; und „dass ich gleich einen Klassiker kriege“, hat seine Freude noch erheblich gesteigert.

An aufregenden Erlebnissen besteht bei Gündogan im Moment kein Mangel. Im Frühjahr hat der 20-Jährige – quasi parallel zu seinem Hauptberuf als Fußballprofi – sein Abitur bestanden, anschließend ist er für vier Millionen Euro vom beschaulichen Mittelklasseverein 1. FC Nürnberg nach Dortmund gewechselt, und noch vor seinem ersten Bundesligaeinsatz für den Meister wurde Gündogan in die Nationalmannschaft berufen. Ein paar glückliche Umstände haben diese Beförderung, die ohnehin anstand, noch ein wenig beschleunigt. Weil der Bundestrainer für den Test gegen Brasilien auf die beiden Real-Spieler Khedira und Özil verzichtet, ergab sich kurzfristig eine Vakanz im Mittelfeld. Von seiner Veranlagung her könnte der Dortmunder sowohl für den defensiven Khedira als auch für den offensiven Özil den Stellvertreter geben.

Einstweilen ist es noch so etwas wie Gündogans Schicksal, als Stellvertreter geführt zu werden. In Dortmund ergeht es ihm ähnlich. Da soll er Nuri Sahin doubeln, der in der Meistersaison das Spiel des BVB strukturiert hat. „Nuri war eine herausragende Figur“, sagt Gündogan. „Aber ich bin nicht gekommen, um ihn zu kopieren.“ Zumal Sahins Wechsel zu Real Madrid noch gar nicht feststand, als die Dortmunder seinen vermeintlichen Nachfolger aus Nürnberg engagierten. Gündogan sollte nicht für Sahin spielen, sondern mit ihm.

„Ilkay ist ein technisch begabtes Talent mit hoher Spielintelligenz“, sagt Bundestrainer Löw über den mutmaßlich 47. Debütanten seit seinem Amtsantritt vor fünf Jahren. „Er ist ballsicher und spielt einen guten Pass.“ Am Freitag, beim Bundesligaauftakt gegen den HSV, war das vor dem 2:0 der Dortmunder nahezu perfekt zu beobachten. Gündogan spielte aus der Tiefe des Mittelfelds einen flachen, vertikalen Pass auf Mario Götze, wie ihn sich selbst der Flach-und-Vertikalpass-Liebhaber Löw nicht flacher und vertikaler wünschen könnte.

Ilkay Gündogan hat in seiner Jugend als Stürmer angefangen, später als Regisseur hinter den Spitzen gespielt – und ist nun unmittelbar vor der Abwehr gestrandet. „Überraschenderweise werde ich immer defensiver“, sagt er selbst. Aber so überraschend ist das gar nicht. Es ist eher so, dass Gündogans Versetzung in die rückwärtigen Gebiete dem aktuellen Trend des internationalen Fußballs folgt. Vor ein paar Jahren noch wurde das defensive Mittelfeld vornehmlich von geometrischen Spielern vermessen, Strategen für die große Linie wie dem Franzosen Patrick Vieira. Nach der WM 2006 waren auf einmal wieder Kämpfer wie Torsten Frings modern, und im Moment wird zumindest eine Hälfte der sogenannten Doppelsechs von wuseligen Technikern besetzt, die als Spielmacher aus der Tiefe agieren.

Bastian Schweinsteiger, der mal als kecker Dribbler angefangen hat, ist diesen Weg gegangen, auch Nuri Sahin, und für Lewis Holtby scheint Ralf Rangnick bei Schalke 04 eine ähnliche Rolle vorgesehen zu haben. Ilkay Gündogan sagt, dass er sich auf der Position sehr wohl fühle und dass er da auch gut reinpasse. Mag sein, dass das auch mit seiner Biografie zusammenhängt. Gündogan ist als Sohn türkischer Eltern in Gelsenkirchen geboren worden, sagt aber von sich, dass er „die deutsche Spielweise“ in sich trage. Als offensiver Sechser kann er beides vereinen: die Spielfreude des Südens mit der Disziplin des Nordens. „Da kommen viele Dinge zusammen“, sagt Ilkay Gündogan über die Anforderungen seiner Position. Bisher hatte es nicht den Anschein, dass er davon in irgendeiner Form überfordert gewesen wäre.

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