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Kurzfrist-Kapitän. In Kopenhagen wird Thomas Hitzlsperger, hier mit Bundestrainer Joachim Löw (links), die deutsche Nationalmannschaft aufs Feld führen.

© ddp

Vor Testspiel: Wer ist hier der Boss?

Die Kapitäns-Diskussion entfacht weiter Unruhe in der Nationalmannschaft – obwohl beide Amtsanwärter beim Test in Dänemark gar nicht dabei sind.

Beim ersten Auftritt nach seiner Vertragsverlängerung mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) war Joachim Löw wieder so souverän, wie er sich acht Wochen lang vor und während der WM präsentiert hatte. Vor dem Abflug der deutschen Nationalmannschaft zu dem in der Bundesliga ungeliebten Test gegen Dänemark gab der 50-Jährige zu, dass die B-Elf „Schwierigkeiten haben wird, ein so reibungsloses und homogenes Offensivspiel wie bei der WM zu absolvieren“. Tim Wiese soll 90 Minuten im Kopenhagener Parken-Stadion das Tor hüten, davor werden zehn Feldspieler stehen, die wohl nie mehr in dieser Zusammensetzung ein DFB-Team bilden werden. „Das wird keine eingespielte Mannschaft sein“, sagte Löw. Die aktuell interessanteste Frage, den schwelenden Kapitänskonflikt, schob er danach bewusst beiseite.

Dass Rückkehrer Thomas Hitzlsperger die Rolle des Interimskapitäns beim ersten Saisonspiel einnehmen wird, passt Löw in den Kram, denn er setzt auf Zeit. Eine Antwort auf die brenzlige „K-Frage“ blieb er schuldig. Das Zögern ist Taktik. Er sieht noch keinen Anlass, sich in der Öffentlichkeit klar zu positionieren. Wer von den um die Chefposition streitenden Profis, Michael Ballack und Philipp Lahm, künftig die Kapitänsfunktion ausfüllt, wird erst vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen Belgien in Brüssel am 3. September entschieden. „Das Thema ist für die Öffentlichkeit wichtiger als für mich. Ich weiß, dass man mit dem Thema ernsthaft umgehen muss“, sagte Löw. „Ich will erst mal mit den Beteiligten sprechen.“ In Kopenhagen geht das nicht, denn Ballack fehlt wie Lahm und 16 weitere WM-Spieler. Es ist nicht seine frühere Scheu davor, Konflikte mit kompromissloser Autorität zu lösen, die Löw die Angelegenheit zunächst einfach aussitzen lässt. Er weiß offenbar genau, warum er so vorgeht.

„Ich habe nach der WM gesagt, ich nehme mir die Ruhe, in den Wochen danach alles zu analysieren und werde überlegen, wie es konzeptionell weitergehen soll für die nächsten zwei Jahre oder vielleicht drei oder vier Jahre“, erklärte Löw gestern. Dies könnte ein Anzeichen sein, dass der hingehaltene Platzhirsch Ballack beim Zwist um die Führungsfunktion die schlechteren Karten hat. Schließlich wurde die WM zum Nachweis, dass die Nationalelf nicht nur ohne den aussortierten Torsten Frings funktioniert, sondern dass auch ein Ballack ersetzbar ist.

Inzwischen betont Löw, dass er von Lahms Vorstoß vor dem WM-Halbfinale, das Kapitänsamt dauerhaft zu übernehmen, Kenntnis hatte. „Ich war über das Zitat und den Inhalt seiner Aussagen informiert“, sagte er. Dass er den absehbaren Konflikt entstehen ließ, interpretieren Leverkusener Vertraute von Ballack als Hinweis, dass Löw bewusst eine Schwächung des langjährigen Kapitäns in Kauf nahm.

Die Situation ähnelt der angespannten Lage nach der EM 2008, als vor dem ersten Saisonspiel gegen Belgien in Nürnberg ein schwerer Streit um Ballack und Frings entbrannte. Ballack war damals wegen einer Verbalattacke im Anschluss an das EM-Finale gegen Oliver Bierhoff in Ungnade gefallen. Dieser Streit zog sich bis ins Frühjahr 2009 hinein und wurde nur mühsam geglättet. Nun herrscht im Umfeld des DFB-Teams trotz des Turniererfolgs bei der Weltmeisterschaft in Südafrika wieder Unruhe, die sich wohl so schnell nicht legen wird.

Gregor Derichs

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