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Anne Westwards sitzt in der Landschaft am Ala Bel Pass in Kirgisistan.

© Anne Westwards

Fernreise mit dem Fahrrad: Abenteuer Seidenstraße

Die Berlinerin Anne Westwards fuhr ein Jahr lang mit dem Rad durch Zentralasien. Im Interview berichtet sie von ihren Reise-Erlebnissen

Es war ihr erstes großes Fahrradabenteuer, und das ist sie gleich richtig angegangen: Die Berlinerin Anne Westwards fuhr mit dem Fahrrad in drei Etappen entlang der Seidenstraße durch Zentralasien - allein durch Kirgistan und Usbekistan, durch den Iran und die Emirate, durch die Mongolei und Pakistan. Aus dem ursprünglich geplanten Monat plus x wurde über ein Jahr. Ihre Reiseerlebnisse hat die ehemalige Leistungssportlerin, die außerdem gerade in Informatik promoviert, in einem Blog festgehalten.

In deinem Reiseblog hast du geschrieben, das sei deine erste längere Radtour gewesen.

Es war meine erste Radtour, die länger als einen Tag dauerte.

Was hat dich gepackt, dass du so eine lange Tour praktisch aus dem Stand machen wolltest?

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, vor der großen Tour erst einmal probeweise von Berlin nach Kopenhagen zu radeln. Ich habe mir ein Rad bauen lassen, es dauert, bis man die ganze Ausrüstung beschafft hat. Doch dann wurde die Zeit knapp. Weil die Pässe im Pamir-Gebirge nur kurze Zeit im Jahr frei sind, stand ich vor der Wahl: entweder eine Probetour machen und die große Tour ein Jahr verschieben oder ich springe jetzt in die Vollen. Dann war ich da und merkte, ich gehe darin völlig auf - ich war noch nie in meinem Leben so glücklich.

Wann setzte das Glücksgefühl ein?

In den ersten paar Tagen, sobald ich in der Einsamkeit und in der Natur war. Ich bin in Kirgistan losgefahren. Nach Bischkek, der Hauptstadt, kommen nur noch ein paar Dörfer, und dann bist du auf der Hochebene, wo du nur noch Nomaden und Pferdeherden und die Weite triffst. In dem Moment, als ich die Landschaft dort gesehen habe, war ich für die Welt des Büroalltags und der Schreibtische verloren. Vor der Tour dachte ich mir, ich fahre einen Monat lang, und wenn es richtig gut läuft, drei. Am Ende war ich etwas über ein Jahr unterwegs.

Hast du andere Radler getroffen?

Ich bin meistens in die falsche Richtung gefahren, nämlich gegen den Wind. Ich wusste das vorher nicht. Am Anfang kam mir jeden zweiten Tag noch ein Radfahrer entgegen. Die meisten fahren im April oder Mai in Europa los und sind dann irgendwann im Spätsommer im Pamir. Mir kamen also am Anfang noch ein paar entgegen, aber dann ebbte es ab. Irgendwann ist der Schwung durch. In anderen Ländern sind kaum Radfahrer unterwegs. Die Radfahrer, die ich in der Mongolei getroffen habe, konnte man an einer Hand abzählen, in Pakistan waren es drei.

In einem Blog-Eintrag schreibst du: Du hattest dir keine Regeln gesetzt. Was meinst du damit?

Viele Männer und auch einige Frauen, die solche Touren machen, setzen sich bestimmte sportliche Ziele. Etwa, dass sie am Tag mindestens 100 Kilometer fahren. Das sind legitime Ziele. Aber ich habe mein Leben mit Leistungssport und Disziplin verbracht. Deswegen wollte ich alle Regeln mal loslassen und sagte mir: Ich muss gar nichts! Die einzige Regel, die ich für mich hatte, lautete: Staying alive, sane and out of prison - überleben, gesund bleiben und nicht ins Gefängnis kommen. Meine wichtigen Eckpunkte waren: Wie lange geht mein Visum? Wie weit reicht mein Wasser? Wann kommt der Schnee? Aber eben nicht: Habe ich mein Pensum geschafft?

Mit der Fahrt durch das Pamir-Gebirge hattest du dir früh einen Wunsch erfüllt. Warum bist du immer weiter gefahren?

Ich wollte diese Erfahrung machen, lange allein zu sein, und sehen, wie es ist, wenn man tagelang keine Menschen trifft. Das hat man in der Stadt ja nie, und für mich war es eine Art Meditation. Nach dem Pamir kam der erste Absturz: In Usbekistan war es nasskalt, der erste Schnee kam, und da waren ganz viele Touristen.

An dem Punkt hätten viele gesagt: Es reicht, ich fahr nach Hause!

Und ich dachte: Mensch, es muss doch noch tollere Länder geben, in denen ich mich wohler fühle! Solange ich noch Geld hatte, bin ich weitergefahren. Dann saß ich am Kaspischen Meer, wo es nicht weiterging, und habe mich entschieden, die Reise im Iran fortzusetzen.

Hattest du Bedenken, im Iran allein als Frau unterwegs zu sein?

Ich hatte viele Bedenken. Ich überlegte eine Woche lang, ob ich mir das zutraue. Meine Freundin in Teheran hatte mich schon ein bisschen vorbereitet. Ich hatte zum Beispiel völlig unterschätzt, wie es sich anfühlt, Hijab tragen zu müssen. Ich hatte immer das Gefühl, ich ersticke, wenn ich ständig den Druck am Hals spüre. Auf dem Fahrrad ist so ein Kopftuch extrem unpraktisch. Wenn ein Lkw vorbeifährt, fliegt dir das Ding ins Gesicht und du siehst nichts, während du neben so einem Mehrfachtonner fährst. Zudem musst du die Beine bis zu den Knien mit etwas Weiterem bedeckt haben. Ich habe dann beschlossen, teilweise als Mann zu reisen. Ich hatte eine Mütze auf, einen Schal um - es war ja Winter - ich hatte meine Skihandschuhe an und eine dicke Jacke. Ich sah aus wie ein Bär. Außerdem bin ich so groß, dass die meisten Leute ohnehin dachten, ich könne nur ein Mann sein. Damit kam ich gut durch. Vor Städten habe ich immer angehalten, mein Kopftuch aufgezogen und bin dann als Frau in die Städte rein.

Hast du unterwegs mal daran gedacht, abzubrechen?

Später, in der Mongolei, habe ich ernsthaft daran gedacht. Es war physisch sehr schwierig, die Distanzen waren groß und oft musste ich durch tiefen Sand fahren. Ich war spät in der Saison dran, die Moskitos flogen in großen Schwärmen. Ich sah aus wie ein Imker, mit Hut und allem. Wenn ich ins Zelt wollte, bin ich erst ein paar Mal drum herumgelaufen und dann schnell mit einem Hechtsprung hinein, um sie abzuschütteln. Ich konnte wegen der Moskitos nur Regenkleidung tragen, und bei 40 Grad schwitzt man wahnsinnig. Wasser war knapp. Man spielt schon mit seinem Leben. Es ist wichtig, gut vorbereitet zu sein. Und die Mongolei war das einzige Land, in dem ich mit den Menschen Probleme hatte. Also mit Männern. Ich hatte jeden zweiten Tag einen Nomaden vorm Zelt stehen, der Sex haben wollte und das sehr lautstark geäußert hat.

Wie hast du dich in solchen Situationen verhalten?

Ich habe mich vor ihnen aufgebaut, Drohgebärden gemacht und sie angebrüllt in allen Sprachen, die ich beherrsche. Das hat immer gewirkt. Mir hat später ein Mongole erklärt, dass selbst im Geschäftsleben die Kommunikation sehr rau ist und man sich bei Zahlungsverzug mitunter verbal harsch bedroht. Es war ein Kulturclash, den man auch erklären kann: Als Touristin ist man gewohnt, freundlich zu sein und zu lächeln. Ich kam gerade aus dem Oman, wo man sehr freundlich ist, viele Höflichkeitsfloskeln benutzt und die Hand oft aufs Herz legt. Unter Nomaden hingegen wird das als Zeichen der Schwäche ausgelegt. Laut zu werden und sich aufzuplustern wirkt dann - aber es zieht unglaublich viel Energie, wenn man das jeden zweiten Abend tun muss. Vor allem will man ja eigentlich gar nicht unfreundlich sein.

Du hast einen sehr offenen Blog-Eintrag über dieses Thema geschrieben.

Bei Reisen möchte man gern von Sonnenschein und Regenbogen und allem Schönen berichten. In der Vorbereitung hatte ich auch nur solche Berichte gefunden. Die Realität war für mich in diesem einen Land ganz anders, als ich es erwartet hatte. Ich hätte es lieber gehabt, vorher zu wissen, worauf ich mich einlasse. Ich entschied mich, über solche Sachen zu schreiben, auch wenn ich gerne positiver berichtet hätte - das war ja bei allen anderen Ländern auch der Fall. Einfach, damit Menschen auch eine andere Sicht bekommen und für sich entscheiden können: Gehe ich vielleicht mit Freunden auf so eine Radtour? Oder nehme ich zum Beispiel zwei männliche Freunde mit?

Hattest du unterwegs Angst, dass dir das Rad geklaut wird?

Ich habe einmal einen Bergbauern auf seinem Esel getroffen, der mich ausgelacht hat. Während ich mühsam treten musste, lief sein Esel nämlich von selbst. In Gegenden, wo ein Fahrrad als schlechter Ersatz für einen Esel gilt, käme niemand auf die Idee, eins zu klauen. Es gibt dort auch, anders als in Berlin, keinen Markt, auf dem man es verkaufen könnte.

Hat sich dein Menschenbild auf dieser Tour verändert?

Ich habe unglaublich viel Gastfreundschaft erfahren, ich hätte nie gedacht, dass Menschen so gut sein können. Es sind oft die Ärmsten, die am großzügigsten sind. Und ich habe gelernt, dass man seiner Intuition vertrauen kann. Ich finde es manchmal hilfreich, wenn man die Sprache nicht spricht, weil das einen darin schult, Nonverbales zu beobachten. Man lernt die Familie kennen und sieht, wer das Sagen hat - die Großmutter oder der Großvater? Oder doch der älteste Sohn?

Hat sich dein Bauchgefühl je nach Land angepasst?

Ja, aber mit dem Fahrrad ist man langsam unterwegs. Wenn man sich einer Landesgrenze nähert, ist die Bevölkerung schon ein bisschen durchmischter, weil zum Beispiel Händler auf beiden Seiten leben. Die Kultur ändert sich so langsam, dass man sich anpassen kann, und das Bauchgefühl passt sich mit an.

Würdest du die gleiche Tour im Campingbus machen?

Definitiv nicht. Fahrrad und ich alleine - da geht mein Herz auf!

Dieser Text stammt aus dem Magazin "Tagesspiegel Radfahren 2018/19". Die neue Ausgabe 2019/2020 finden Sie hier im Shop.

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