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Ganz Deutschland war im Sommer 1989 im Lambada-Fieber

© IMAGO

25 Jahre "Lambada": Der geklaute Sommerhit

Nur ein paar Töne, da ahnte er: Dieses Lied könnte ein Hit werden. Und was für einer. Vor 25 Jahren eroberte „Lambada“ die Charts in Europa. Es wurde zu einem der größten Plagiatsfälle der Musikgeschichte. Ein Besuch bei den Erfindern in Bolivien.

Die Melodie hat er noch immer im Ohr. Gonzalo Hermosa, ein stattlicher Mann im bolivianischen Poncho, legt den Kopf in den Nacken und dreht ihn selig lächelnd in einer Acht zum Rhythmus. „Es war Anfang der 80er Jahre, wir produzierten gerade ein Album, und uns fehlte nur noch ein Lied“, sagt er. Am zehnten Aufnahmetag, als schon fast alles fertig war, saß sein jüngerer Bruder Ulises im Studio, stimmte seine Gitarre, summte etwas vor sich hin, dann rief er: „Hör dir das mal an!“ Gonzalo Hermosa, der Chef der Band, und seine Musiker mussten nur ein paar Akkorde hören. „Wir wussten sofort, dass das ein Hit werden könnte.“

Und was für einer. Die Brüder Hermosa hatten an jenem Tag in dem bolivianischen Studio ein Lied aufgenommen, das bis heute auf der ganzen Welt gespielt wird: Lambada. Vor 25 Jahren eroberte das Stück die europäischen Hitlisten, im September erreichte der Sommerhit in Deutschland die Spitze der Charts und hielt sich dort für zehn Wochen. Weltweit verkaufte sich der Tonträger um die sechs Millionen Mal. Zehn Wochen war das Lied auf Platz eins in Österreich, 14 Wochen in der Schweiz.

Den Ruhm erntete die französische Gruppe Kaoma

Den Ruhm haben aber nie die Brüder Hermosa und ihre Band Los Kjarkas geerntet, sondern die französische Gruppe Kaoma. Der Sommerhit Lambada wurde zu einem der größten Plagiatsfälle der Musikgeschichte. „Die hatten uns das Lied einfach geklaut“, sagt Gonzalo Hermosa.Er sitzt in seinem Aufnahmestudio im Norden von Cochabamba, einer 700 000-Einwohnerstadt mit dünner Höhenluft im Zentrum Boliviens. Damals konnten er und sein mittlerweile verstorbener Bruder Ulises es nicht fassen. Heute ist Gonzalo Hermosa 63, das Alter habe ihn ruhiger und geduldiger gemacht, sagt er. Das verändere auch die Sicht auf die Dinge. „Auf der ganzen Welt wurde die Melodie gespielt. Das ist schon unglaublich, oder?“, sagt Gonzalo Hermosa und sieht dabei stolz und traurig zugleich aus.

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Als in Europa die ersten Tänzer zu Lambada die Hüften kreisen ließen, waren die Los Kjarkas gerade in Bolivien auf Tournee. Durch einen Anruf erfuhren sie von dem Diebstahl. „Es hieß, sie hätten ‚Llorando se fue’ neuaufgelegt, mit geändertem Text und einem anderen Namen als Autor.“ War das die Möglichkeit? Niemand hatte Gonzalo Hermosa oder seinen Bruder gefragt, ob die Melodie verwendet werden dürfe. „Wir hatten das Stück ja nie rechtlich geschützt. So ein System hat es hier nicht gegeben.“ In Bolivien, einem der ärmsten Länder Lateinamerikas, wusste schließlich jeder, dass „Llorando se fue“, das übersetzt so viel heißt wie: „weinend ging sie davon“, das Werk der Kjarkas war.

Auch die europäischen Produzenten von Kaoma, der Grieche Jean Georgakarakos und der Franzose Olivier Lorsac, wussten das wohl. In den 80er Jahren erlebte die westliche Musikbranche einen kräftigen Aufschwung, der noch junge Privatsender MTV verhalf Rock- und Popstars zu ungeahntem Ruhm, Tonträger verkauften sich noch wie geschnitten Brot und das Geschäft entwickelte sich zu einem globalen Megabusiness. Auf der Suche nach neuen Hits waren die beiden Geschäftsmänner nach Südamerika gereist.

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Sie suchten in Südamerika nach einem heißen Rhythmus

Ein heißer Rhythmus sollte her, den man auf dem Alten Kontinent noch nicht kannte, eingängig, perfekt für die Radiostationen. In Brasilien stießen die Produzenten auf junge Menschen, die etwas tanzten, das sie Lambada nannten. Bei dem Tanz bewegten Mann und Frau ihre Hüften eng, schwungvoll und lasziv. Dazu schien eine eindringliche Melodie von Panflöten zu passen, die die beiden Produzenten in Bolivien aufgeschnappt hatten. Aus dem Original „Llorando se fue“, das acht Jahre zuvor in Bolivien ein großer Erfolg gewesen war, mischten Georgakarakos und Lorsac eine poppigere, schnellere Version und vermarkteten sie als den Song zur neuesten Tanzentdeckung unter Palmen.

Taxifahrern muss man die Adresse gar nicht sagen, „zu den Kjarkas“ genügt

Gonzalo Hermosa wurde mit den Los Kjarkas in Bolivien berühmt
Gonzalo Hermosa wurde mit den Los Kjarkas berühmt

© Javier Sauras

In Deutschland brach das Lambadafieber aus. Zweimal Platin bekam Kaoma, Lambada gehört zu den zehn am meisten verkauften Singles der deutschen Geschichte. Tanzschulen warben mit Kursen für den neuen Tanz, die Deutschen wurden zu Möchtegernbrasilianern. Der Videoclip, der im Fernsehen rauf- und runtergespielt wurde, zeigte nach damaligen Standards fast anrüchig tanzende Paare vor einer Cocktailbar an einem makellosen Strand.

Beim ersten Hinhören wirkt Lambada wie eine perfekte Kopie des Originals, das Gonzalo Hermosa mit Kopfstimme sang. Auch das brasilianische Akkordeon, das die Grundmelodie spielt, unterscheidet sich kaum von der Panflöte, die die Hermosas eingesetzt hatten. Auf Konzerten der Kjarkas, bei denen die Sänger meist in traditionellen Trachten auftreten, wird „Llorando se fue“ bis heute am Ende jedes Konzertes gespielt, manchmal dann noch mal als Zugabe. Die heimischen Zeitungen haben die sechs Herren schon als „Herzensbrecher ihrer Nation“ bezeichnet, weil sie mit ihrer verführerischen Weise jeden Bolivianer erobern – das Beste aber immer erst zum Schluss bringen.

Eigentlich ist die Melodie traurig

„Eigentlich ist die Melodie traurig“, sagt Gonzales Hermosa. Lambada klingt in seinen Ohren wie eine billige Imitation, die durch den Fleischwolf eines Pop-Produzenten gedreht wurde. Sein Gesicht sieht jetzt so aus, wie das Lied im Original klingt. „In unserem Lied geht es nicht um Geld. Es geht um Liebe.“ Ein mildes Lächeln, ein langer ernster Blick. Dann muss er lachen.

Das Studio der Kjarkas im eher wohlhabenden Nordteil von Cochabamba ist auch für junge Musiker eine Anlaufstelle. Taxifahrern muss man die Adresse gar nicht sagen, die Angabe „zu den Kjarkas“ genügt zur Orientierung. Vor dem zweigeschossigen, eher unauffälligen Häuschen steht eine Gruppe Männer, fast alle tragen Gitarren über der Schulter. Drinnen spielen Kinder, auch Freunde und Bekannte der Bandmitglieder sind da. An den Wänden des Studios hängen die erfolgreichsten Platten der Band, aber protzig eingerichtet ist das Haus nicht, eher einladend und wohnlich.

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Auch gegen Led Zeppelin läuft ein Rechtstreit

Der Lambada-Coup war nicht der einzige Plagiatsfall der Musikgeschichte, aber es gab nicht viele dieser Größenordnung. „Stairway to Heaven“, das wohl berühmteste Lied der Rockband Led Zeppelin von 1971, soll in Teilen kopiert sein. Gerade wieder läuft gegen Led Zeppelin ein Rechtsstreit. Auch Oasis, die Rolling Stones, Madonna, die Black Eyed Peas und Johnny Cash wurden des Plagiats überführt. Im Hiphop werden oft Vorwürfe erhoben, dass von den Werken anderer Interpreten Elemente geklaut und in Form sogenannter „Loops“ als immer wiederkehrende Schleifen neuer Lieder eingebaut werden. Der Rapper Bushido wurde vor einigen Jahren schuldig gesprochen, weil er bei einer französischen Band abgeguckt hatte.

Die Hermosa-Brüder reichten damals ebenfalls eine Klage ein, in Deutschland wendeten sie sich an die Gema, die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte. Als die Konten von Georgakarakos und Lorsac eingefroren werden mussten, war die Überraschung in Europa erst mal groß. „Das war einer der großen Fälle bei uns“, sagt Gaby Schilcher, die Pressesprecherin der Gesellschaft. „Wir hatten einen richtig dicken Ordner im Büro.“

Eine Grauzone: Wo hört Inspiration auf und wo fängt Betrug an?

Dass sich Künstler von anderen Künstlern beziehungsweise ihrem Schaffen anregen lassen, ist unvermeidlich. Aber wo hört Inspiration auf und wo fängt Betrug an? Diese Frage ist heute vermutlich noch schwieriger zu klären als je zuvor. „Bei den technischen Möglichkeiten ist das Kopieren viel einfacher geworden“, sagt Schilcher. Trotzdem ist die Zahl an Plagiatsvorwürfen in den vergangenen Jahren relativ konstant geblieben. „Es ist möglich, dass das Ganze heute einfach zu unüberschaubar geworden ist und deshalb nicht deutlich häufiger geklagt wird.“

Die Dunkelziffer ist hoch

Nur noch ein Bruchteil aller Kopien wird wirklich bei den Behörden angezeigt. „Wenn jeder Urheber klagen würde, hätten wir nur noch mit Klagen zu tun.“ Grundsätzlich bewegten sich die Schiedsstellen in einer Grauzone, denn gerade in der Popmusik sind die möglichen Tonfolgen begrenzt. „Es ist deshalb relativ leicht“, sagt Gaby Schilcher, die sich möglichst neutral äußern will, „eine Tonfolge zu komponieren, die es schon gab, ohne das zu wissen.“

Jährlich gehen bei der Gema rund eine Million Werke ein, weil Künstler diese rechtlich schützen lassen wollen. Um 330 Werke gibt es derzeit einen Rechtsstreit, der älteste Fall reicht zurück bis 1979. An Lambada erinnert sich im Haus heute noch fast jeder. „Wenn ein Lied die Top zehn der Charts erreicht, dann geht es schon um richtig viel Geld. Und Lambada hat sich ja sogar lange auf Platz eins gehalten“, sagt Gaby Schilcher. Allerdings sei der Lambada-Fall nicht nur wegen des hohen Streitwerts bemerkenswert gewesen, sondern auch durch seine rasche Klärung. „Der Fall war recht eindeutig.“

Die Bolivianer zogen zum Protest auf die Straße

Den Menschen in Südamerika ging es um mehr als nur Musik. Einmal mehr hatte sich die reiche Welt auf Kosten der armen bereichert. Schon vor 1825, als Bolivien sich von Spanien unabhängig erklärte, hatten die Kolonialisten bolivianische Rohstoffe für ihre heimische Wirtschaft gestohlen. Nach dem Zweiten Weltkrieg schöpften US-Konzerne diese Schätze ab. Internationale Organisationen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds sollten Bolivien in den 1990er Jahren nicht nur zur Privatisierung von Öl- und Gasversorgung drängen, sondern auch dazu, das Wasser des Landes internationalen Konzernen zu überlassen. Für das so oft ausgebeutete Bolivien ging es beim Lambada-Fall um die Ehre. Viele gingen mit den Fans der Kjarkas zum Protest auf die Straße.

Bei den Gerichtsterminen in Frankreich stellte sich schnell heraus, dass die Europäer, die die Autorenrechte zunächst gegen ein kleines Schmerzensgeld behalten wollten, nicht viel zur Verteidigung vorzubringen hatten. Selbst Loalva Braz, die Sängerin von Kaoma, wünschte den Brüdern vor dem Prozess Glück. Außergerichtlich einigten sich die Parteien schließlich auf einen Vergleich. Für jeden verkauften Tonträger mussten Georgakarakos und Lorsac die Hälfte der Gewinne an EMI, die Plattenfirma der Kjarkas, abtreten. Über Geldsummen haben alle Beteiligten Stillschweigen vereinbart.

Die Kjarkas sind Nationalhelden

Bolivianische Historiker teilen die Musikgeschichte ihres Landes oft in zwei Epochen auf: die Zeit vor den Kjarkas – und die seitdem. Wie kaum ein anderes Instrument steht die Panflöte heute für die Musik aus den Anden. Die Band schaffte es, diese Folklore mit populären Instrumenten wie der Gitarre zu vereinen, mit Gesang und romantischen Texten, so dass bolivianische Musik heute auch jenseits der Landesgrenzen gehört wird. In Bolivien kennt jedes Kind die Kjarkas. Seit vier Jahrzehnten produzieren sie Hits, die von allen Altersgruppen und sozialen Schichten gehört werden, sie sind beliebt bei Politikern, gehören zu den wichtigsten Prominenten der Nation. In Bolivien spielen sie „Lambada“ bis heute nicht im Radio, immer nur „Llorando se fue“. Es ist zum Bekenntnis an die eigene Nation geworden.

Ganz hat Gonzalo Hermosa den Schmerz auch nach 25 Jahren noch nicht verwunden. „Wir haben damals mit der Musik angefangen, um unsere Kultur in die Welt zu tragen“, sagt er. Was wäre gewesen, wenn sich nicht Lambada millionenfach verkauft hätte, sondern „Llorando se fue“? Die Musiker haben dieses Was-wäre-wenn-Spiel schon oft durchgespielt. Zwar geben sie mehr als 100 Konzerte im Jahr, manche auch im Ausland. Aber vielleicht ginge es dann heute nicht nach La Paz oder Santa Cruz, sondern nach Paris, London, Berlin und New York? „Kann schon sein“, sagt Gonzalo Hermosa. Dann steht er auf und nimmt eine Gitarre in die Hand, klimpert die alte Melodie. Schlecht sei sie bis heute nicht, murmelt er. Und: „Ja, sie hätte uns berühmter machen müssen.“ Nicht nur in Bolivien, sondern auf der ganzen Welt.

Mitarbeit: Michele Bertelli und Javier Sauras

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