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Flüstern sich was.

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Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis: Die zwei Fragezeichen

Alexis Tsipras besucht heute erstmals offiziell Angela Merkel in Berlin. Der griechische Premierminister sowie Finanzminister Yanis Varoufakis bestimmen den Weg. Aber wer sind sie, und sind sie sich einig? Yannis Palaiologos von der griechischen Zeitung "Kathimerini" bringt sie uns in einem Doppelporträt näher.

Zwei Männer laufen fröhlich lachend über die Straße. Sie winken den Anwohnern zu, machen Witzchen, und es scheint so, als wären sie die besten Freunde. Und immer dabei, dicht an ihrer Seite: eine Kamera.

Alexis Tsipras, Griechenlands Premierminister, und sein Finanzminister Yanis Varoufakis treffen sich, gleich um die Ecke des Büros vom Premier, einfach mal so zum Spazierengehen – das soll die Botschaft sein. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Und die zwei wie immer ohne Krawatte, Tsipras mit offenem Jackett und Varoufakis in T-Shirt und Lederjacke, plauschen ganz spontan mit einem Bürger. Das ist kein Spaß. Es ist der ernsthafte Versuch, die Gerüchte darüber wegzulachen, dass es zwischen den beiden Top-Protagonisten der griechischen Regierung womöglich zum Zerwürfnis gekommen sei.

Am heutigen Montag wird Premier Alexis Tsipras in Berlin erwartet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihren Gast auch zu seiner Beziehung zum eigenen Finanzminister fragt – schließlich geht es um Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Stabilität. Das alles steht bei Tsipras’ Besuch auch auf der Agenda. Gesprochen wird offiziell über die Zukunft Griechenlands. Aber natürlich geht es auch darum, eine andere Beziehung zu klären: zwischen Deutschen und Griechen. Beziehungen, die auch jener Mann, Yanis Varoufakis, mit dem Tsipras unter Orangenbäumen wandelt, so stark belastet hat.

Syriza hat den Wählern viel versprochen

Nicht einmal zwei Monate ist die griechische Regierung jetzt alt, eine Koalition zwischen der linken Syriza-Partei – die bei der Wahl am 25. Januar fast die absolute Mehrheit geholt hätte – und den rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“. Sie hat einen mehr als holprigen Start hinter sich. Das liegt vor allem an den Folgen eines Versprechens: Denn seit den Wahlen 2012, als Syriza das erste Mal als führende Opposition auftrat, hat die Partei ihren Wählern zwei Dinge in Aussicht gestellt, was viele Kritiker bis heute für unmöglich halten – in der Eurozone zu bleiben, ohne die geforderten harten Sparauflagen zu erfüllen.

Auch in Griechenland hat niemand erwartet, dass die Verhandlungen leicht werden würden. Doch nun, nach zwei Gipfeln, vier Eurogruppentreffen, zahlreichen Staatsbesuchen von Premier und Finanzminister, steht die griechische Regierung mit dem Rücken zur Wand. Die Männer, die betont gut gelaunt durch den Athener Frühling spazieren, müssen ein Land ohne Geld und mit einem Bankensystem regieren, das nur durch europäische Notversorgung mühsam am Leben gehalten wird.

Die deutsch-griechischen Beziehungen haben dabei massiv gelitten: Beschuldigungen, Gegenbeschuldigungen, Drohungen, Reparationsforderungen, Debatten um Mittelfinger und angeblich gefälschte Videos. In den kommenden Wochen wird sich aber vor allem zeigen müssen, zu welchen Kompromissen die griechische Regierung bereit ist. Die beiden Männer an der Spitze, die das entscheiden, könnten in ihrer Art dabei unterschiedlicher kaum sein.

Wer ist Alexis Tsipras?

Alexis Tsipras wird im Juli 1974 in Athen geboren, wenige Tage nach dem Zusammenbruch der Militärjunta. Er stammt aus einem typischen Mittelklasse-Haushalt, wird aber früh Mitglied der Kommunistischen Jugend. Später studiert er an der angesehenen Technischen Universität von Athen Bauingenieurswesen und wird politisch immer stärker aktiv. Er wandelt ein lockeres linkes und progressives Bündnis in eine eigene Partei um, die sich „Synaspismos“ (Die Verbindung) nennt. Tsipras prägt die Partei stark, indem er sie für weiter gefasste linke Themen öffnet: Er streitet für Anti-Rassismus und Umweltschutz, statt immer nur für den Klassenkampf. Weggefährten, die ihn von damals kennen, beschreiben den Studenten Tsipras als aufgeschlossen, prinzipientreu, aber auch praktisch veranlagt und mit einem guten Gefühl dafür, aus welcher Richtung der politische Wind gerade bläst.

Einer dieser Weggefährten ist Andreas Karitzis. Der schwarzbärtige Politiker lehrt heute Philosophie in Athen und gehört zum Zentralkomitee von Syriza. „Er wirkte immer erwachsener als wir anderen“, sagt er. „Er hatte nie Zeit, endlos herumzutheoretisieren. Stattdessen hat er geschaut, was politisch möglich ist und das hat er versucht umzusetzen.“

Der Aufstieg des Alexis Tsipras.

Flüstern sich was.
Flüstern sich was.

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Tsipras steigt in seiner Partei schnell auf. 2006 wird er in ganz Griechenland bekannt, als er mit nur 34 Jahren als Bürgermeister für Athen kandidiert. Er gewinnt nicht, schlägt sich aber so gut, dass er mit diesem erfolgreichen Auftritt im Rücken 2008 zum Chef von Synaspismos gewählt wird – aus dieser wie anderen Gruppierungen wird wenig später das Bündnis Syriza. Nur zwei Jahre später trifft die Euro-Krise Griechenland und ganz Europa. Sie bietet dem ehrgeizigen, talentierten, jungen Linken die Möglichkeit, seine Partei vom Rand zum Mainstream zu führen.

Die Troika sollte verjagt werden

Er geht dabei geschickt und schonungslos vor. Er schürt das Feuer gegen die Austeritätspolitik, will die Troika verjagen und beschuldigt die beiden bis dahin führenden Parteien Pasok und Nea Dimokratia zum allgemeinen Elend beizutragen. Von weniger als fünf Prozent 2009 führt er die Partei auf 36 Prozent beim Wahlsieg im Januar.

Er musste sich, ganz anders als frühere Regierungen, für den Erfolg nie der politischen Mitte öffnen. Es war bisher auch nicht notwendig, weil die Begleitumstände seines Aufstiegs die Wirtschaftskrise und die Radikalisierung der Mittelklasse waren. Das Radikale war plötzlich Mainstream. Erst jetzt erlebt Tsipras in der Konfrontation mit den internationalen Geldgebern, wie es sich anfühlt, an eine strikte Position gebunden zu sein und feststellen zu müssen, dass die Realität Europas durch sehr viele unterschiedliche Ideen bestimmt wird.

Und dann ist da auch noch ein anderer Mann: Yanis Varoufakis. Sein Auftreten hat das Urteil über diese griechische Regierung besonders geprägt. Und so lautet eine Kernfrage, die außer den beiden selbst momentan niemand wirklich beantworten kann: Handeln sie abgesprochen oder laufen sie nur scheinbar im Gleichschritt?

Wer ist Yanis Varoufakis?

Yanis Varoufakis ist mehr als zehn Jahre älter als sein Regierungschef und hatte vor seiner Wahl zum Finanzminister noch nie einen politische Posten inne. Er wird 1961 als Sohn einer wohlhabenden Familie geboren und besucht eine Privatschule in den schicken nördlichen Vororten Athens. Varoufakis studiert in England und zieht anschließend nach Australien, wo er 1989 einen Lehrjob an der Universität von Sydney annimmt.

Hier trifft er auf Steven Keen, einen Mitstudenten, der später ein Buch gegen die Mainstream-Ökonomie schreiben wird und sich mit dem charismatischen Varoufakis anfreundet. „Seine rednerischen Fähigkeiten waren hervorragend – in Seminaren genauso wie auf Dinnerpartys“, sagt Keen heute. „Ich habe erwartet, sie würden ihm enorm helfen, wenn er eines Tages in die Politik gehen sollte.“ Doch Varoufakis bleibt elf Jahre in Australien und kehrt erst 2000 in seine Heimat zurück, um an der Universität von Athen zu lehren. Sein Förderer ist damals Yannis Stournaras, später sein Vorgänger im Amt als Finanzminister und heute der Chef der griechischen Zentralbank.

Wie für Alexis Tsipras bedeutet die Euro-Krise für Varoufakis den Durchbruch. Er arbeitet viel in den USA, wird als strikter Kritiker der Regierung berühmt. Eloquent, aggressiv und ausdrucksstark entwickelt er sein berühmt gewordenes Buch „Ein bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise“. Er behauptet darin, dass die Euro-Zonen-Chefs Griechenland und andere in Not geratene Länder nur deshalb zwingen, so zu tun, als seien sie noch zahlungsfähig, und sie harten Sparauflagen unterwerfen, damit sie so die Verluste der europäischen Banken verheimlichen können. Mit dieser These wird er der Liebling in Syriza-Kreisen.

Varoufakis kritisierte auch Syriza

Und das, obwohl auch Syriza zu dieser Zeit vor seiner Kritik nicht sicher ist. So schreibt er 2012 in seinem Blog – den er bis heute weiterführt: „Sollten wir uns vor Syrizas Linksradikalität fürchten? Ich würde sagen: Nein. Das Manifest ist das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben wurde.“ Obwohl es gut gemeint sei, führt Varoufakis weiter aus, sei das Programm voller Versprechen, die nicht eingehalten werden könnten. Das größte sei, „dass die Austeritätspolitik gestoppt werden kann“. Sein Rat: „Ignorieren Sie es.“

Trotz solcher Abfälligkeiten wird sein Verhältnis zu Tsipras in dieser Zeit immer enger. Mehrfach treffen sich beide auf Einladung des heutigen Staatsministers Alekos Flabouraris in dessen Sommerhaus auf der griechischen Insel Ägina. Auch Varoufakis und seine Frau haben dort ein Haus. Es entsteht eine Partnerschaft, ob es auch Freundschaft wurde, weiß man nicht. Der Parteichef schätzt den scharfzüngigen Ökonomen jedenfalls sehr und fragt ihn – noch bevor überhaupt klar ist, dass es zu Neuwahlen kommen wird – ob er nicht Finanzminister werden wolle.

Varoufakis sagt selbst, er habe gezögert. Studienfreund Keen erinnert sich, wie sie früher in Sydney über politisches Engagement diskutiert haben. „Er hat diese Aussicht damals gefürchtet“, sagt der australische Ökonom: „Er fürchtete, dass unsere Ideen falsch sein könnten oder bei der Umsetzung etwas durchrutschen könnte, das wir in unseren theoretischen Modellen nicht bedacht hatten und dann alles nicht so wirkt, wie wir uns das vorgestellt hatten.“ Doch Varoufakis entscheidet sich, diese Bedenken wegzuschieben und tritt an. Er wird mit mehr Stimmen als jeder andere Kandidat der Partei ins Parlament gewählt, sogar mit mehr Stimmen als Alexis Tsipras.

Und er wird Finanzminister.

Seit dieser Entscheidung ist das politische Schicksal dieser beiden Männer eng miteinander verwoben. Noch demonstrieren sie Einigkeit, trotz der harten Zeit, die sie haben. Das Manifest von Syriza – das Varoufakis 2012 selbst als unrealistisch bezeichnet hat – wird von den anderen EU-Staaten bisher komplett abgeblockt. Sogar die Länder, die Syriza zu Beginn nahestanden, sind von Varoufakis’ Verhalten befremdet. Tsipras selbst kritisiert seinen Finanzminister öffentlich nicht direkt, aber er ließ ihn schon auch wissen, ohne seinen Namen zu nennen: „Wir brauchen weniger Gerede und mehr Arbeit.“

„Tsipras sieht die Grenzen des Möglichen und die Nöte der Griechen“

Kyriakos Mitsotakis, ein ehemaliger Minister der konservativen Nea Dimokratia, attackiert vor allem die „ständigen Widersprüche“ Syrizas: „Ich bin mir nicht sicher, ob wir das eine Strategie nennen können.“ Syriza habe mit dem Kompromiss am 20. Februar „eine bemerkenswerte Rückkehr zu politischem Realismus hingelegt“. Doch der aggressive Ton gegenüber der EU sei geblieben. Auch von anderen Seiten des politischen Spektrums gibt es Kritik, es heißt, Syriza habe zu viele Zugeständnisse gemacht.

Viele betrachten Varoufakis als einen Teil des Problems. „Yanis’ Weigerung, sich diplomatischer auszudrücken, ist zwar ein Grund für seine Anziehungskraft, aber es hat ihm in den Verhandlungen geschadet“, sagt Studienfreund Keen. Mitsotakis formuliert es bissiger: „Er hat Bemerkenswertes geschafft: Alle seine Kollegen haben sich mit dem deutschen Finanzminister verbrüdert.“ Varoufakis’ Interviews stünden für zweifelhaftes Gespür und hätten wenig Substanz. Seine Haltung habe „griechische Interessen untergraben“.

Auch die Hoffnungen der eigenen Partei liegen nicht mehr so sehr bei Varoufakis. „Wenn es einer schaffen kann, Griechenland in der Eurozone zu halten und trotzdem den Niedergang der letzten fünf Jahre zu stoppen, dann Tsipras“, sagt Karitzis. „Er sieht die Grenzen des Möglichen und die Nöte der Griechen.“

Am heutigen Montag wird Alexis Tsipras mit Angela Merkel reden. Seinen Finanzminister, dem er in der griechischen Sonne so herzlich zugelacht hat, lässt er zu Hause.

Yannis Palaiologos ist Reporter der griechischen Zeitung „Kathimerini“ und Buchautor. Der Text wurde übersetzt und bearbeitet von Elisa Simantke.

Yannis Palaiologos

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