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Viel Raum, kaum Zeit. In der Regel wird die Erdatmosphäre nur von Objekten von mehr als 100 Metern Durchmesser überwunden, statistisch geschieht das alle 5000 Jahre.

© Simulation: Marc Ward/Getty Images/Stocktrek Images

Asteroiden mit Kurs auf die Erde: Wie Forscher das Armageddon verhindern wollen

21.000 Felsbrocken umschwirren die Erde gefährlich nah. Ein einziger von ihnen kann die Kraft einer Atombombe entwickeln. Forscher lernen nun sie abzulenken.

In den Himmel zu blicken, heißt, schwarz zu sehen. Schwärzer als schwarz. Denn leerer Raum hat keine Farbe. Und das ist der Weltraum vor allem: „Ein ziemlich leerer Ort“, wie Astrophysiker Holger Sierks sagt, ein kleiner Mann mit feinen Gesichtszügen, der leise spricht, beinahe flüstert, so dass er schon ein paar Meter weiter nicht mehr zu hören ist. Aber sein Wirkungskreis ist ungeheuer groß. 16 Millionen Kilometer wird eine von ihm mitentwickelte Weltraumsonde zurücklegen in dem riesigen Nichts von unendlicher Tiefe, in dem vereinzelt Materie einander umkreist, weil Kreise zu ziehen eben ist, was Partikel tun im Schwerkraftkarussell der Galaxien.

So weit so gut. Aber dann:

Bang!

Ein lauter Knall, wie er 2013 die Bewohner der russischen Millionenstadt Tscheljabinsk aufschreckte. Ein Meteorit von 19 Metern Durchmesser hatte sich durch die Atmosphäre gebrannt, war in 30 Kilometern Höhe mit der 40-fachen Wucht der Hiroshima-Bombe zerplatzt, so dass die Druckwelle noch 30 Kilometer entfernt Fenster zerspringen und Dächer einstürzen ließ. 1500 Menschen wurden verletzt. Der materielle Schaden belief sich auf 30 Millionen Dollar. Das gleißende Licht des Feuerballs wurde in den Morgenstunden des 15. Februar von Dutzenden Kameras aufgezeichnet, so dass sich die Bahn sehr gut rekonstruieren ließ. Ein Bruchstück des Asteroiden wurde später aus einem zugefrorenen See gehoben. Es wog 600 Kilogramm.

Der Meteoritensturz von Tscheljabinsk erinnerte die Welt an eine alte, vergessene Gefahr. Und er warf Fragen danach auf, was uns umgibt. Was wäre wenn? Und natürlich auch: Kann man so etwas aufhalten?

Die Gruppe von Wissenschaftlern, die darauf eine Antwort weiß, ist ziemlich klein. Nicht mehr als hundert Leute dürfte sie umfassen, schätzt ein Eingeweihter. Denn ballistische Experimente im XXL-Format stehen im Ranking wissenschaftlicher Prioritäten selten ganz oben. Das hat die Liste der nicht finanzierten „Planetary Defence“-Missionen besonders lang werden lassen.

270 Millionen Euro Steuergeld für das Bild eines Kraters

Holger Sierks vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung ist einer von den Wenigen. Bei einem Treffen Ende November in Göttingen erwartet er gespannt eine Entscheidung des Ministerrats der europäischen Raumfahrtbehörde Esa. Er hofft, dass endlich Geld für eine planetare Verteidigungsmission bewilligt wird, die im Jahr 2016 abgelehnt worden war. Geplant ist, eine Sonde namens Hera im Jahr 2024 zu dem Doppelasteroiden Didymos zu schicken. Der kleinere der beiden Körper, Didymoon genannt, wird zuvor von der Nasa beschossen worden sein. Hera soll die Einschlagstelle anschließend vermessen. Mit anderen Worten: Die Esa soll 270 Millionen Euro für das Foto eines 16 Millionen Kilometer entfernten Kraters locker machen?

Die Frage, ob sich der ganze Aufwand lohnt, darf man Holger Sierks nicht stellen. Neben der Tür zu seinem Büro im Max-Planck-Institut hängt eine verschwommene, großformatige Nahaufnahme eines Kometen, grauer Fels und grauer Staub, die von der Rosetta-Sonde zur Erde gefunkt wurde, 20 Meter über dem Boden, kurz bevor sie selbst darauf zerschellte. Das Foto markiert den letzten Moment der Rosetta-Mission, bei der es erstmals gelang, einen 700 Millionen Kilometer entfernten Kleinkörper anzusteuern und ein Landemodul auf ihm abzusetzen. Man habe sich bislang, sagt Sierks, auf die Beschaffenheit von Kometen und Asteroiden konzentriert. Als nächstes werde man sich um ihr Verhalten kümmern.

In dieser "Suppe" aus Asteroiden rotiert die Erde um das von der Sonne leergesaugte Zentrum. Erst modernen Observationsmethoden ist zu verdanken, dass man in den zurückliegenden 20 Jahren ein halbwegs vollständiges Bild von der Erdumgebung gewonnen hat.
In dieser "Suppe" aus Asteroiden rotiert die Erde um das von der Sonne leergesaugte Zentrum. Erst modernen Observationsmethoden ist zu verdanken, dass man in den zurückliegenden 20 Jahren ein halbwegs vollständiges Bild von der Erdumgebung gewonnen hat.

© Scott Manley

Aus diesem Grund war Sierks Mitte November nach Berlin gereist. Im Gepäck stoßfest gelagert eine der Kameras, die sein Institut in staubfreien Labors zusammensetzt und testet. Sein Ziel: das Berliner Naturkundemuseum, wo er das hochsensible Auge einer kleinen Schar von Fachjournalisten präsentierte. Während Schulkassen durch die Dinosaurier-Halle wuselten und sich animierte Filme über die Entstehung des Universums ansahen, lag ein Stockwerk darüber eine Ahnung von Unheil und Schicksal in der Luft. In einer Videobotschaft, die an eine Leinwand am Ende des Saals projiziert wurde, sagte der englische Rockstar und Astrophysiker Brian May den schönen Satz, dass der Mensch die erste Spezies sei, die ihren Untergang verhindern könne – anders als die Saurier.

Im Jahr 2018 kamen 73 Objekte der Erde näher als der Mond. Fünf verglühten in der Atmosphäre mit der Energie von mindestens einer Kilotonne, was einem Zehntel der Hiroshima-Bombe entspricht. In der Regel wird die Atmosphäre nur von Objekten mit einem Durchmesser von mehr als 100 Metern überwunden, was statistisch alle 5000 Jahre geschieht. Asteroiden mit mehr als 500 Metern schlagen einmal in 300 000 Jahren auf. Und dann gibt es die Killer.

Pech für die Dinos, Glück für uns

Ein solcher traf die Erde vor 66 Millionen Jahren auf der Nordspitze der mexikanischen Yukatán-Halbinsel und hinterließ ein Loch von 180 Kilometer Durchmesser, den Chicxulub-Krater, der heute zur Hälfte von Wasser bedeckt ist. Die Energie des Aufpralls und die Mengen an Staub, Asche und CO2 waren so groß, dass sämtliche Lebewesen von mehr als Hamstergröße in der sich anschließenden kurzen Frostperiode starben. Die Uhr der Evolution wurde zurückgestellt. Pech für die Dinos. Glück für uns.

Von den Dinos unterscheiden sich die Menschen auch dadurch, in dem Bewusstsein zu leben, dass sie sterben werden – aber nicht alle auf einmal. Was den Schriftsteller T. C. Boyle zu der Frage veranlasst: „Wenn man Chicxulub ins Spiel bringt, das nächste Chicxulub, das Chicxulub, das niederdonnern könnte, um alles und jeden auszulöschen, während deine Augen noch diese Zeilen lesen – wo lässt das uns?“

Bang!

Einen lauten Knall hörte auch Frau Nageswaran am 2. Januar 2007, als die ältere Dame gerade an der Hintertür des Hauses stand, das ihr Sohn Srini Nageswaran bewohnt. Es war halb fünf Uhr nachmittags an diesem Wintertag in Freehold, New Jersey, und Frau Nageswaran dachte, dass es sich bei dem Geräusch um einen verirrten Feuerwerkskörper von einer Geburtstagsfeier in der Nachbarschaft handeln musste. So erzählte sie es später dem Schriftsteller Ian Frazier für dessen „New Yorker“-Reportage „On Impact“. Ihr Sohn, ein IT-Berater, habe zur selben Zeit im Keller des Hauses gearbeitet. Er hatte den Knall nicht gehört.

Nach dem Abendessen, das die Familie gemeinsam einnahm, ohne dass Frau Nageswaran den Knall erwähnenswert gefunden hätte, ging Srini hinauf ins Badezimmer. Als er die Tür öffnete, bot sich ihm ein merkwürdiges Bild. In der Decke über dem Waschbecken klaffte ein faustgroßes Loch, durch das er den Nachthimmel sehen konnte. Überall lagen Splitter von Dachschindeln sowie Fetzen der Isolierung herum. Und auf dem Fußboden fand sich ein schwarz schimmernder Metallklumpen, der noch eine Kachel zertrümmert hatte und ungewöhnlich schwer wirkte gemessen an seiner Größe von zehn Zentimetern.

In seinen Vorträgen zeigt Holger Sierks gerne eine Weltkarte, er ruft sie jetzt auf seinem Computer auf. Sie zeigt die Erdtreffer zwischen 1992 und 2013, und er fragt lächelnd: „Wo würden Sie leben wollen?“ Als würde, es sich aussuchen zu können, einen Unterschied machen. Das Streumuster ist zu gleichmäßig verteilt, als dass es einen Ort gäbe, der sicherer wäre als ein anderer. Die für den Mond charakteristische Kraterlandschaft würde sich auch auf der Erde abzeichnen, wenn ihr Atmosphärenschild nicht alles fortgesetzt zerfließen ließe.

Eine Nasa-Karte der Erdtreffer zwischen 1994 und 2013. Das Streumuster ist so gleichmäßig, das Einschläge überall auf der Welt zu erwarten sind. Die Größe der Punkte zeigt die Menge an freigesetzter Energie an. Gelb sind die Einschläge bei Tag, blau die bei Nacht.
Eine Nasa-Karte der Erdtreffer zwischen 1994 und 2013. Das Streumuster ist so gleichmäßig, das Einschläge überall auf der Welt zu erwarten sind. Die Größe der Punkte zeigt die Menge an freigesetzter Energie an. Gelb sind die Einschläge bei Tag, blau die bei Nacht.

© NASA

Bislang kennen Sierks und seine Kollegen etwa 21000 Near Earth Objects, so genannte NEO’s. Die Rate an Entdeckungen hat in den vergangenen 20 Jahren rapide zugenommen. Sierks meint, dass man heute etwa die Hälfte dessen kenne, was wirklich da draußen umherschwirrt, von den großen Körpern meint man weit über 90 Prozent zu kennen. Sein Bildschirmschoner erinnert ihn ständig daran. Darauf rotiert die Erde durch eine „Suppe“, so Sierks, aus winzigen Teilchen, die an einen Mückenschwarm in der Sommerhitze erinnern. „Überall, wo viele Körper sind, kollidieren sie“, sagt er.

Sierks hatte diesem physikalischen Gesetz zunächst wenig Beachtung geschenkt. Doch eines Tages zeigte ihm ein Kollege durch das Teleskop einen Erdbahnkreuzer. Zu sehen, wie der Brocken mit hoher Geschwindigkeit durch das Blickfeld marschierte, beeindruckte Sierks zutiefst. „Ein aufrüttelndes Erlebnis“ war das für den Kernphysiker. Es ließ ihn sich ausmalen, was geschehen würde, träfe so etwas die Erde. „Das Zeug ist da.“

Ein Risiko von fünf Prozent

Vor wenigen Wochen ist Sierks’ erster Enkel geboren. Das freut ihn natürlich. Aber er erzählt, dass das Kind nach Berechnungen der Nasa im Laufe seines Lebens mit einer Wahrscheinlichkeit von fünf Prozent den Einschlag eines Hundert-Meter-Asteroiden erleben werde, und er fragt: „Würden Sie eine Autofahrt antreten, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls fünf Prozent beträgt?“

Bang!

Für die Frage, was dann passiert, ist Kai Wünnemann der richtige Ansprechpartner. Denn er kennt sich mit Kratern aus. Dass seine Frau gelegentlich über ihn sage, „mein Mann macht dasselbe wie Bruce Willis“, hält er für einen Scherz, wie er lachend auf dem Weg durch die schattigen Flure und Hintertreppen des Naturkundemuseums erzählt. Wünnemann, 50 Jahre alt, Duisburger, rundes Gesicht mit Dreitagebart, hat hier sein Arbeitszimmer, wo er sich mit den Folgen von Meteoriteneinschlägen beschäftigt und ist jetzt redlich bemüht, nicht wie ein Actionheld zu klingen.

Was nicht ganz leicht ist. Wünnemann redet von Atomraketen, Druckwellen und Tsunamis so selbstverständlich wie über eine Differenzialgleichung. Er hat all die Szenarien durchgerechnet und am Computer simuliert, auf die sich Hollywoodfilme wie „Armageddon“ oder „Deep Impact“ beziehen. Aber was wirklich dazugehört, einen Killerkometen aufzuhalten, weiß auch Wünnemann nicht. Er hat eine ungefähre Vorstellung. Etwa, dass eine Ramme besser geeignet wäre als eine Explosion. Dass Ablenken effektiver ist als Aufspalten.

Kraterstimmung. Der Berliner Geophysiker Kai Wünnemann.
Kraterstimmung. Der Berliner Geophysiker Kai Wünnemann.

© Doris Spiekermann-Klaas

Wollen Sie Weltraumbillard spielen, Herr Wünnemann?

„Wir brauchen das Hera-Experiment nicht“, sagt er, „um herauszufinden, dass wir einen Körper aus der Bahn stoßen können. Davon gehe ich aus. Wir wüssten nur gerne, wie er genau das macht, was wir wollen.“

Beinahe seine ganze Karriere schon fiebert der Geophysiker der Möglichkeit entgegen, einen künstlichen Krater im All untersuchen zu können. Einmal war er schon nahe dran. Er hatte einige Jahre zuvor seinen Doktor gemacht, als er 2005 in den USA der Deep-Impact-Mission beiwohnte. Damals sollte Material aus dem Inneren eines Kometen herausgebrochen werden, indem man ein Hindernis in dessen Bahn legte. Die beim Aufprall frei werdenden Teilchen gaben Aufschluss über die Urmaterie, die in diesen Staubfängern aus den Anfangstagen des Sonnensystems durchs All saust. Dass man mit einer solchen Methode auch Einfluss auf die Flugbahn nehmen könnte, spielte damals noch keine Rolle.

Ein letzter verzweifelter Akt

Man hätte es auch gar nicht in Erfahrung bringen können. Wünnemann hatte im Vorfeld an einer Simulation des Vorgangs gearbeitet und die mögliche Kratergröße berechnet. Doch im Moment der Kollision mit dem Impaktor raste die Sonde so schnell an dem Kometen vorbei, dass man den Krater nie zu Gesicht bekam. Erst Jahre später entstand ein Bild aus großer Distanz, so dass der Krater die Größe eines Bildpixels besaß.

Beim Anblick eines Kraters stelle sich eine einfache Frage: Wie groß war das Ding, das ihn erzeugt hat? „Klingt trivial“, sagt Wünnemann, „ist aber nicht einfach zu beantworten.“

So könnte es ausgesehen haben, als vor 66 Millionen Jahren ein 14 Kilometer großer Asteroid dem Fortbestand der Dinosaurier ein Ende setzte. Da er eine Karbonplatte traf, war der Ausstoß an Kohlendioxid ungewöhnlich groß, was eine kurze Frostperiode zur Folge hatte.
So könnte es ausgesehen haben, als vor 66 Millionen Jahren ein 14 Kilometer großer Asteroid dem Fortbestand der Dinosaurier ein Ende setzte. Da er eine Karbonplatte traf, war der Ausstoß an Kohlendioxid ungewöhnlich groß, was eine kurze Frostperiode zur Folge hatte.

© picture-alliance/ dpa, Illustration: Don Davis

Krater waren den Menschen lange ein Rätsel. Bis ins späte 19. Jahrhundert konnten sich Naturforscher nicht vorstellen, dass etwas von außerhalb der Erde solche Formationen erzeugen könnte. Die Kraterlandschaft des Mondes führte man deshalb auf zerplatzte Blasen, auf Gezeiten oder vulkanische Aktivität zurück.

Dabei war die Existenz von Meteoriten durchaus bekannt. Im Selben Jahr, in dem Columbus einen neuen Kontinent entdeckt hatte, entdeckten die Bewohner von Ensisheim in einem Weizenfeld einen Stein, der da nicht hingehörte. Er war unter lautem Getöse über den Himmel gezogen, was ihm den Namen „Donnerstein“ gab.

Man legte ihn in Ketten und schleifte ihn „dreyg zentner schwär“ zur Kirche des Ortes, wo das Böse, das von ihm ausging, gebannt sein würde. Erklären konnte man sich die Herkunft des Steins lange nicht. Es hieß, dass sich der Stein in einer Wolke gebildet haben und abgeregnet sein musste. Dann hieß es, dass solche Steine von Vulkanen ausgespuckt würden. Auch hoch im Kurs: durch Blitzeinschlag verkohlte Vögel.

Einen anderen Weg beschritt Alfred Wegener. Der Wetterkundler, Geologe und Polarforscher, der vor allem für seine Theorie der Plattentektonik berühmt werden sollte, entkam im Ersten Weltkrieg nur knapp dem Bombenhagel der Flandernfront. Schwer verwundet wurde er zum Heereswetteramt versetzt. Als er von dem Niedergang eines Meteoriten bei Schwalmstädt in Nordhessen erfuhr, machte er sich auf den Weg dorthin, um Zeugen zu befragen. Anhand ihrer Aussagen berechnete er die mögliche Flugbahn. Tatsächlich wurde der Meteorit wenig später nicht weit vom prognostizierten Zielgebiet gefunden. Wegeners Vorhersagen über Gewicht und Größe erwiesen sich als weitgehend korrekt.

Schockwellen im Gestein

Fasziniert von dem Fund mischte sich Wegener daraufhin in die Mond-Debatte ein und machte sich für die „Aufsturzhypothese“ stark. Er stellte eines der ersten Experimente dazu an, indem er Zementpulver auf einen Löffel häufte und schwungvoll auf eine Zementpulver-Oberfläche schmiss. Vielleicht konnte nur einer den Schlüssel erkennen, der das Bombardement der Westfront miterlebt hatte: Die entstehenden Krater glichen exakt den Verwerfungen, die durchs Teleskop auf dem Mond zu sehen waren. Wegeners Artikel über die morphologischen Eigenschaften der Mondkrater war ein wichtiger Baustein zur Meteoritentheorie.

Wünnemann häuft heute kein Zementpulver mehr auf einen Löffel. Denn Meteoritenkrater, so viel weiß man, sind auch das Produkt von Schockwellen, wie sie beim Durchbrechen der Schallmauer entstehen. Mit irdischen Mitteln sind solche Kräfte nicht herzustellen. Die Geschwindigkeit der heranfliegenden Objekte, auf Tempo gebracht im großen Schwungrad der Himmelsmechanik, ist so hoch, dass Gestein schneller verdichtet wird, als es entweichen kann. Die Folge: Es verdampft. Vor allem der Meteorit selbst geht in einer glühenden Wolke auf. So sprengte der Eisenmeteorit, der vor 50 000 Jahren den Barringer-Krater im heutigen Arizona erzeugte, ein Loch des 27-fachen Umfangs von seinem eigenen aus dem Erdreich.

Der Barringer-Krater in Arizona, USA, ist mit 50.000 Jahren eines der jüngsten Zeugnisse eines Meteoriteneinschlags.
Der Barringer-Krater in Arizona, USA, ist mit 50.000 Jahren eines der jüngsten Zeugnisse eines Meteoriteneinschlags.

© imago images/Ardea

„Das gleiche Experiment, das auf der Erde einen Krater von einem halben Meter hinterlässt, kann auf einem Asteroiden das 100- bis 200-fache an Fläche umwälzen. Um den Impuls in die Tiefe eines Asteroiden zu tragen, muss deshalb mehr Aufwand betrieben werden. Hinzu kommt, dass Asteroiden teilweise so porös sind, dass hineinzuschießen nur Hohlräume verdichten und die Stoßenergie verpuffen lassen würde. Einen solchen ,Schwamm’ durch einen Stoßimpuls ablenken zu wollen, wäre wenig effektiv.“

Über diese Balance von Auftriebskraft und Festigkeit wüsste Wünnemann gerne mehr, sagt er. Deshalb ist die Vermessung eines künstlichen Kraters unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit so wichtig. Material verhalte sich bei der geringen Anziehungskraft von Kleinkörpern „sehr merkwürdig“.

Einer, der sich seit Jahrzehnten ernste Gedanken über geeignete Abwehrmaßnahmen macht, ist Alan Harris vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Obwohl mittlerweile im Ruhestand, arbeitet er als Berater. Zuletzt hat er das NEO-Shield-Projekt geleitet, das Fachleute aus unterschiedlichen Forschungsgruppen zusammenführte. Er sagt, dass die Größe von Asteroiden auch über die Methode entscheide, mit der man ihn unschädlich mache. Bis zu etwa 500 Meter Größe ließe er sich wohl durch einen Impaktor vom Kurs stoßen. Bis 1000 Meter Größe würden wahrscheinlich nukleare Sprengsätze notwendig sein. Bei Körpern von mehr als einem Kilometer Durchmesser „haben wir Probleme“, sagt Harris. Nicht nur seien sie groß und schwer, sie würden auch mit 50 000 Stundenkilometern heranrauschen. „Wir könnten es mit mehreren Nuklearsprengköpfen gestaffelt versuchen, aber ich bin nicht sehr optimistisch.“

Allerdings, sagt Harris, würden die Menschen Jahrzehnte wenn nicht Jahrhunderte vor einem Aufprall gewarnt sein. Denn weil Objekte sich nunmal in Kreisen fortbewegten, gingen einem Treffer meistens nahe Vorbeiflüge voraus. Im Jahr 2029 wird der Asteroid Apophis so dicht an der Erde vorbeifliegen, dass man ihn mit seinen 300 Meter Durchmesser sehr gut mit bloßen Auge erkennen kann. Und 70 Jahre später ist er wieder da. Für den "Weltuntergangsasteroiden" Bennu ist das Meeting auf 2135 terminiert. 2880 könnte ein Asteroid mit der Kennung 1950 DA vor der amerikanischen Ostküste ins Meer stürzen. Man habe also Zeit, sagt Harris, sich zu wappnen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Die NEO-Shield-Gruppe hat auch nach minimalinvasiven Eingriffsmöglichkeiten gesucht. Eine Idee ist im Falle von kleineren Körpern, die Asteroidenoberfläche mit einem Lasterstrahl punktuell zum Kochen zu bringen, so dass der Dampfstrahl wie eine Steuerdüse wirkt. Ähnlich könnten Ionenstrahlen wirken. Dabei würden über einen längeren Zeitraum kleine Kräfte wirken. „Vielleicht ist das besser als ein großer Knall, nach dem man nichts mehr machen kann.“

Feuer und Schwefel

Während der Praktiker so spricht, fasziniert den Theoretiker Wünnemann hoch oben über den Dinosaurierskeletten die kosmische Dimension der Katastrophe. Kollisionen seien „das dominierende Ereignis unseres Sonnensystems“, sagt er. Ohne den Zusammenprall mit einem anderen Körper, groß wie der Mars, wäre der Mond nicht aus der Erde herausgebrochen worden. Und dass Sauerstoff in Form von Eiskristallen auf den Planeten gelangte, dürfte sich ebenfalls dem Einschlag eines Fremdkörpers verdanken. Einschläge haben irdisches Leben gesät, sagt Wünnemann, „aber sie vernichten es auch“.

Erinnerungen an diesen kosmischen Zusammenhang finden sich in der Zivilisationsgeschichte an zentraler Stelle. So könnte sich der Untergang Gomorrhas, dieser biblischen Stadt der Sünde, auf einen Meteoritenfall beziehen, verkappt überliefert als göttliches Strafgericht: „Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen vom Himmel“ (Genesis 19.25). Tatsächlich stießen Archäologen 2018 am Toten Meer auf Spuren einer thermischen Explosion, die Keramikscherben glasiert hatte, was Temperaturen von 4000 Grad erforderlich macht. Auf einer Fläche von 500 Quadratkilometern wurde sämtliches Leben auf der Stelle ausgelöscht. Bis zu 65.000 Menschen könnten umgekommen sein.

Im Neuen Testament sind es Engel („die Klarheit des Herrn leuchtete um sie“) sowie der Stern von Bethlehem, die vom Himmel niederfahren. Dabei wurde vielleicht nur ein Komet oder Meteorit erblickt. Und die Kaaba in Mekka, die wichtigste Pilgerstätte des Islam, hat als mystischen Bezugspunkt den Schwarzen Stein, der aus Bruchstücken eines Meteoriten bestehen soll. Wissenschaftlich untersucht wurde das nie.

Das Ding, das vom Himmel fiel

Familie Nageswaran aus Freehold, New Jersey, war sich sicher, nur knapp einem Unglück entkommen zu sein, als der Metallklumpen ihr Dach durchschlagen hatte. Gutachten von Metallurgen und Geologen der Rutgers University wurden eingeholt, Experten der US-Luftfahrtbehörde versicherten, dass es sich nicht um ein im Flugzeugbau verwendetes Teil handeln würde, und so wurde es im geologischen Museum der Universität ausgestellt. Dort war es eine große Attraktion. Doch als ihn Wissenschaftler des American Museum of Natural History drei Monate später unter ein Elektronenmikroskop legten, fanden sie nichts von dem, was ein Eisenmeteorit enthalten müsste. Stattdessen: Komponenten eines hochwertigen, rostfreien Chromstahls. Das Ding, was immer es war, mochte vom Himmel gefallen sein, aber von jenseits davon kam es nicht.

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