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Meghan Markle hat die Regeln des Königshauses hinter sich gelassen.

© Tolga Akmen/Getty

Ausbruch aus dem britischen Königshaus: Wie Meghan zeigte, was echte Macht ist

Das Versprechen unserer Zeit: Jeder darf seinen Weg selbst wählen. Deswegen haben Meghan und Harry jetzt keine Untertanen mehr – sondern Follower.

„Gibt es irgendjemanden in der königlichen Familie, der König oder Königin werden will? Ich glaube nicht“, sagte Prinz Harry vor gut zwei Jahren in einem „Newsweek“-Interview. Und plötzlich schien es so, als seien die Desillusioniertesten in Sachen Monarchie ausgerechnet in der königlichen Familie zu finden.

Seitdem Meghan und Harry am Mittwoch letzter Woche verkündet haben, dass sie nicht mehr in der ersten Reihe der Royals mitspielen und einen Großteil ihrer Zeit in Nordamerika verbringen wollen, werden sie behandelt, als wären der Duke und die Duchess zusammen durchgebrannt und hätten der Königin ihr Kind geklaut. Prompt wird Meghan von vielen als die Spalterin gesehen, die den Prinzen aus seiner Familie fräst, so dass ihm plötzlich wohler ist, wenn er den Atlantik zwischen sich und seiner Familie weiß. Aber ist dies wirklich nur eine weitere Variation von: böse Mädchen kommen überall hin?

Die Frau, schreibt der Philosoph Paul Virilio, ist zunächst des Mannes Vehikel. Das erste Gefährt, durch das der Mann schon auf die Welt kommt. Ein Transportwesen. Nach den Indizien sieht es nicht aus, als hätte Meghan Harry verhext, sondern als wäre sie im Gegenteil das Vehikel, mit dem er seine überhaupt nicht so geheimen Wünsche verwirklichen kann. Plötzlich sah man einen Prinzen, der schon ein Leben lang gesagt hatte, er wäre lieber nackt als in diesen Kleidern! 

Denn Harry wollte schon so lange jemand anders sein, dass schon niemand mehr weiß, dass er eigentlich Henry heißt. Jahrelang schwärmte er vom „ordinary life“, das ihm seine Mutter gezeigt habe, wenn sie mit ihm Obdachlose besuchte oder bei Freunden Geschirr wusch. Harry durfte dann abtrocknen. Wenn er morgen normal würde, hat er 2013 gesagt, würde er in Afrika leben als Safari Guide und Lesotho helfen. „Aber ich fühle mich anormal.“ 

Auch Populärkultur und das Leben der Celebrities haben Harry schon immer angezogen. 2012 riet er seiner Großmutter zu dem sensationellen Trailer mit Daniel Craig, alias James Bond, mit dem sie spektakulär die Olympischen Spiele 2012 eröffnete.

Warum interessiert uns das überhaupt, was gehen uns Harry und Meghan an? In einem überzeichneten Maßstab sehen wir den Umgang zweier Menschen mit Erwartungen. Wie sie sich dazu verhalten. Wie nur kann man die berechtigten Erwartungen von den Zumutungen trennen, und sich von letzteren befreien, damit das Leben vielleicht irgendwann das eigene werden kann? Wie schafft man es, das eigene Leben aus seinen Umständen herauszuschürfen und erwachsen zu werden?

Auf Instagram sind es schon 10,8 Millionen Abonnenten

Seit vergangenem Mittwoch sind die beiden so frei. Zu mir oder zu Dir? Das ist jetzt entschieden. Sein Beruf hat sie beide nicht froh gemacht – nun probieren sie ihren. Von nun an gibt es Follower statt Untertanen. Auf Instagram sind es schon 10,8 Millionen Abonnenten. Es sind vor allem Meghans Erfahrung, ihre Lebensgrundsätze und ihr Netzwerk, die über den Erfolg von Meghan und Harry in der Zukunft entscheiden.

Und schon wird Meghan mit Diana verglichen. Treibe nicht auch sie die Familie auseinander? Wird nicht auch sie von der Presse schlecht behandelt? Drohte nicht auch sie in den englischen Palästen unglücklich zu werden? Aber Diana, deren Leben 1997 an einem Pariser Betonpfeiler endete, taugt nicht als Blaupause: Anders als Diana war Meghan bei der Hochzeit keine 20-jährige Kindergärtnerin – die auch noch für diese Heirat Jungfrau hatte sein müssen – und der ihr Leben fortan einfach zustieß. Meghan war ein Profi mit Profil, geschieden, geformt durch die Konflikte in ihrer Familie und die Auswirkungen ihrer „mixed race“ auf ihren Alltag.

Die Duchess und der Duke of Sussex haben jetzt keine Untertanen mehr, sondern Follower.
Die Duchess und der Duke of Sussex haben jetzt keine Untertanen mehr, sondern Follower.

© Daniel Leal-Olivas/AFP

Anders als Diana nach ihrer Scheidung gehen die beiden nicht einfach isoliert, ihres Titels beraubt, in die Welt hinaus. Sie kommen mit einem Gegenentwurf für ihr Leben, der in unseren Zeiten der globalen Aufmerksamkeitsökonomie möglicherweise sogar erfolgreicher sein könnte als das Original: Die königliche Familie, auch „The Firm“ genannt, rechnet den touristischen Umsatz auf ihre Haben-Seite, die Besucherzahlen der Schlösser, die Umsätze der Krongüter. Die Erträge, wird argumentiert, übersteigen die Zuwendungen der Steuerzahler deutlich.

Der Marke „Sussex Royal“, die Harry und Meghan als Teil ihrer Unabhängigkeitserklärung haben schützen lassen, wird als internationaler Lifestyle-Unternehmung jedoch ein Vielfaches davon zugetraut, allein 500 Millionen Pfund im ersten Jahr. Weil sie von Anfang an global agieren und sich der Glanz der Marke aus altem Adel und frischem Hollywood auf alle möglichen Produktlinien erstrecken könnte.

Ein "Power-Paar" wie die Obamas?

Der „Economist“ zitiert eine Quelle, die Meghans „Suchvolumen“ im Netz drei Mal so hoch wie das von Popstar Beyoncé beziffert. Ihre zehn Millionen Instagram-Follower würden ihnen danach 34.000 Dollar für einen gesponsorten Post garantieren. Man traut ihnen zu, Mega-Prominente wie die Kardashians oder Kylie Jenner zu werden. Gar ein „Power-Paar“ wie die Obamas.

Es soll die gleiche Agentur namens „Article“ sein, die bis vor drei Jahren Meghans Lifestyle-Blog „The Tig“ betreut hat, die nun die neue Webseite für das Paar entwarf, die am Tag ihrer Ankündigung online ging. Markle hat sich durch eine Schulzeit gekämpft, in der sie mit ihrer uneindeutigen Menge von dunklen Pigmenten nirgendwo dazugehörte, und deshalb „Mitglied in allen Clubs“ wurde. Dafür hat man sie ausgelacht.

"Ein Fuß in der Tür reicht nicht – du musst ganz hinein"

Sie hat über die Schauspielerei verinnerlicht: „Ein Fuß in der Tür reicht nicht – du musst ganz hinein.“ Und seit sie in der Anwalts-Serie „Suits“ spielte, war sie prominent, hatte potente Freunde, plötzlich einen Film-Produzenten zum Ex und eine eigene Stimme. Sie unterstützte ein Schulprogramm, um Frauen zu ermutigen. Und sprach auf Einladung der UN über Geschlechtergerechtigkeit und moderne Formen der Sklaverei.

Die Queen ist der Souverän, den Rest der Familie macht das unsouverän.
Die Queen ist der Souverän, den Rest der Familie macht das unsouverän.

© Imago

Selbst nach den Sternen zu greifen und anderen dazu zu raten, die sich das noch nicht trauen, ist ihr Betriebsprogramm. Dazu kommt die verinnerlichte, sehr amerikanische Überzeugung, dass man, wenn man es nur stark genug wolle, der- oder diejenige werden könne, die man sein wolle. Harry in waiting muss das wie eine Erlösung erschienen sein. Warum nur sind nun alle so überrascht, dass sie selbst beherzigt, was sie predigt?

Soziale Mobilität? Für Harry schien das absurd

Dass nicht die Geburt den Werdegang vorbestimmen soll und jedem soziale Mobilität und im Prinzip allen die gleichen Chancen offenstehen müssten, wird seltsamerweise immer nur vom unteren Ende der sozialen Leiter aus gedacht – niemals von oben. Deshalb schien diese Maxime für Meghan, die aus einem normal zerrütteten Elternhaus kommt, mit ihrem ungelenken Film-Beleuchter als Vater und der gelenkigen Yoga-Lehrerin als Mutter, völlig einleuchtend. Für Harry schien sie absurd. Dabei gibt es, wenn man den Ruf nach sozialer Mobilität und Verfügungsmacht über sein Leben wirklich ernst nimmt, kein oben oder unten, sondern nur ein für den jeweiligen Menschen richtigen oder falschen Platz.

Mit ihrer Entscheidung, sich zurückzunehmen sind die beiden von Behandelten zu Handelnden geworden. Was ihnen vor allem jene übel nehmen, die sie um die neue Freiheit beneiden. Denn die gönnt man ihnen nicht. Aus dem Aufheulen der Palast-Korrespondenten („Who the hell do they think they are?“, twittert Fernsehmoderator Piers Morgan) spricht die Kränkung der zu Recht Verlassenen, die jetzt ihre Deutungshoheit über diese Leben, den privilegierten Zugriff auf diese Seelen verlieren. Was für ein Machtverlust! 

Harry und Meghan sind von Behandelten zu Handelnden geworden
Harry und Meghan sind von Behandelten zu Handelnden geworden

© Damir Sagolj/Reuters

Die Welt hat sich ja daran gewöhnt, ihren Neid gegenüber dem privilegierten Leben der Hochgeborenen mit der Gewissheit im Zaum zu halten, dass das Prinzenleben bekanntlich ein tumbes ist und die Paläste in Wahrheit Gefängnisse sind. Wie beruhigend, dass sie für ihre Privilegien wenigstens ein bisschen leiden müssen. „Drama mit der Schwägerin!“ Ach, die Armen!

Wobei der Großteil der Negativität von den Beobachtern hineingelesen wird, niemand spricht ja jemals wirklich mit ihnen. Das Newsportal „buzzfeed“ hat soeben in 20 Fällen belegt, wie Meghan in den gleichen Medien für ähnliche Dinge, für die Kate, ihre perfekte Schwägerin, gelobt wurde, verunglimpft wurde: Ihren schwangeren Bauch berühren, Avocado essen und einen Brautstrauß tragen – giftige Blumen darin! – war darunter.

Sieben Medien als Filter für alle anderen

Auf ihrer neuen Webseite sussexroyal.com erklären Harry und Meghan auch, dass sie sich vom so genannten „Rota-Prinzip“, an das alle Mitglieder des königlichen Haushalts gebunden sind und das den Zugang der Presse zu Informationen regelt, verabschieden wollen. Es verbietet etwa den Familienmitgliedern, selbst auf sozialen Medien Fotos von sich zu veröffentlichen, wenn nicht auch die Palastkorrespondenten zugleich die Bilder nutzen dürfen. Diese bekommen Informationen immer zuerst, die sie dann mit den anderen Medien teilen sollen.

Es sind genau sieben Medien, davon fünf Boulevardblätter, die den Filter für alle anderen darstellen. In der Tat ist es völlig unverständlich, warum Harry und Meghan die Deutungshoheit ausgerechnet dem gehässigsten Teil der Presse überlassen sollten.

Hautfarbene Strumpfhosen trug. Aufschrei!

Fragt sich nur, wer dann in Zukunft über Dinge wie diese berichten soll: Meghan, die kurz nach der Hochzeit bei einem Termin hautfarbene Strumpfhosen trug. Das Problem: Es war nicht ihre eigene Hautfarbe! Aufschrei! Sie wolle sich wohl zu einer Weißen machen? Sie versuche wohl, ihre Hautfarbe zu verleugnen? Derart Rassistisches wird in Zukunft wohl schneller als solches erkannt, wenn es nicht mehr die einzige Information bleibt, die geliefert wird.

Harry und Meghan wollen es selbst in Zukunft besser machen, auch großartiger vielleicht. Statt Hofberichterstattung mit Fokus auf Kleidern, Handtaschen und zwischenmenschlichen Dramen hat Meghan zum Beispiel selbst die September-Ausgabe der UK-Vogue mit entworfen, die jenseits der Mode einflussreiche Frauen porträtierte, auch Harry war schon probeweise Radio-Moderator für einen Tag. Wie alle Gegenwartsmenschen wollen sie nicht nur Empfänger, sondern Sender, wenn nicht gar die Produzenten ihrer eigenen Geschichte sein. Die meisten Menschen unterhalten dafür etwa einen Twitter-Account. Meghan und Harry haben Kontakt zu der einflussreichen US-Moderatorin Oprah Winfrey, mit der sie zuletzt eine Produktion zum Thema psychische Gesundheit gedreht haben.

Queen Elizabeth II. ist innerhalb ihrer Rolle und ihrer königlichen Familie in jahrzehntelanger Regentschaft über sich selbst hinausgewachsen. Sie darf das, denn sie ist der Souverän. Aber das macht zugleich alle anderen in der Familie unsouverän. Sie sollen die Queen unterstützen und sich dabei nicht danebenbenehmen. Sie dürfen nie wirklich frei tätig, sondern höchstens mildtätig werden. Außerhalb Englands scheint es völlig unbegründet, dass auch noch Nummer Sechs der Thronfolge mit Frau und Kind an den unerreichbaren Thron gekettet bleiben soll.

Prinz William (rechts) und Prinz Harry, hier neun und sieben Jahre alt, lernten schon früh, was ein royales Leben bedeutet.
Prinz William (rechts) und Prinz Harry, hier neun und sieben Jahre alt, lernten schon früh, was ein royales Leben bedeutet.

© Martin Keene/dpa

Bei Meghan ist von Anfang an sozialer Aufstiegswille spürbar, Ehrgeiz und Gerechtigkeitsempfinden. Bei Harry überwiegt die Sinnsuche. Seine Charities entwickelte er – wie Diana – aus seinen eigenen Problemen. Bei ihr waren das Bulimie und postnatale Depression, er hat die „Invictus Games“ gegründet, einen internationaler Sportwettkampf von Kriegsversehrten an Leib und Seele. Harry hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass auch er sich nach dem Tod seiner Mutter als Versehrten begreift, der eine kapitale Verletzung überstand.

Die Scheidung machte Diana finanziell unabhängig

Diana verlor nach der Scheidung ihren Titel, durfte aber ihre Wohnung im Kensington Palast und ein eigenes Büro behalten. Außerdem wurde sie durch die Scheidungsarrangements von 17 Millionen Pfund finanziell unabhängig, vermarktete fortan ihre Berühmtheit und steigerte sie sogar. Mit der neu gewonnenen Freiheit konnte sie auch politische Ziele verfolgen, die den Interessen der Regierung entgegen standen: Ihr Protest gegen die Verwendung von Landminen wäre früher nicht möglich gewesen. So aber hat sie tatsächlich erreicht, dass kurz nach ihrer Wanderung durch ein frisch geräumtes Minenfeld 122 Nationen den Einsatz von Landminen verboten haben. 2019 begab sich Harry nach Angola, auf das gleiche Minenfeld wie seine Mutter.

Möglich, dass das für Harry noch einige Überraschungen bereit hält. Jetzt, in der „transition period“, in der die Details ihres neuen Lebens verhandelt werden, hat es noch den Anschein, als hätten sie sich gegen Regeln entschieden und von den schlimmsten befreit. Aber das stimmt natürlich nicht nur, es gelten jetzt einfach nur andere Regeln. Die der globalen Aufmerksamkeitsökonomie.

Die Macht der globalen Prominenz wirkt durch Omnipräsenz

Die Anziehung einer royalen Begegnung speist sich ja aus ihrer Seltenheit und Exklusivität. Die Macht der globalen Prominenz wirkt durch Omnipräsenz: vermeintliche Nahbarkeit, Präsenz zu allen Zeiten, ständige Preisgabe von Persönlichem. Meghan hat Erfahrung damit, das Paar hat gute Berater und potente Freunde, aber es ist nicht klar, ob Harry weiß, dass er nun das Prinzip der Distanz gegen das der Nähe getauscht hat, in der Privates sich monetarisieren lässt.

Für Meghan hat sich in den ersten paar Tagen im neuen Leben nicht so viel geändert. Auch in ihrem transatlantischen Leben tritt sie morgens aus einem Haus eines befreundeten russischen Oligarchen, es ist der Palast des Profanen. Sie wird bei der Benutzung von Verkehrsmitteln fotografiert, am Mittwoch war das ein Wasserflugzeug, das sie nach Vancouver bringen sollte, wo sie für einen guten Zweck ein Frauenzentrum besuchte. Dafür hatte sie am Morgen, das rechneten die Beobachter akribisch nach, Stiefel im Wert von etwa 375 Euro angezogen. Der Flug habe 200 Euro gekostet.

Ihren Blog „The Tig“ beendete Meghan, da war sie noch eine Markle, mit den Worten an ihre Follower: „Keep laughing and taking risks, and keep being the change you wish to see in the world. Above all, don't ever forget your worth.“ Kurz: Traut Euch was, verändert etwas und vergesst niemals Euren Wert. Auf eine etwas verdrehte Weise gehören die 375 Euro für die Stiefel jetzt auch dazu.

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