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Tour de Trance. Die bisherigen Wahlkampfanstrengungen von CDU-Mann Guido Wolf verliefen glücklos.

© Marijan Murat/dpa

Baden-Württembergs CDU-Kandidat Guido Wolf: Der einsame Wolf

Ein Zufall hat sie aus der Regierung gesprengt, nun droht Baden-Württembergs Union das ganz große Debakel. Mit einem Kandidaten, der sich gegen Angela Merkel stellt.

Von Robert Birnbaum

Peter Schneider hört bald auf, aber die Wut kriegt er immer noch. „Es gibt keinen normalen Wahlkampf mehr“, schimpft Schneider. 15 Jahre lang hat er den Wahlkreis Biberach im Stuttgarter Landtag für die CDU vertreten, nun ist Schluss, altershalber. Aber wie soll einer in Ruhe in Rente gehen, jetzt! Vor fünf Jahren hat der Atomreaktor von Fukushima die CDU in Baden-Württemberg aus der Regierung gesprengt und den Grünen an die Macht. Und heute zieht dieser Winfried Kretschmann übers Ländle und betet für die Flüchtlingskanzlerin!

„Das ist der schwächste Ministerpräsident seit Langem“, beschwört Schneider in der guten Stube der Brauerei-Gaststätte von Bad Schussenried einen kleinen Mann mit Knubbelgesicht und großer Brille, „das müss’mer nur endlich mal sagen! Vollgas!“ Guido Wolf schaut in sein Bierglas. Wenn es doch bloß so einfach wäre!

Dabei schien es genauso einfach, als der Landtagspräsident Wolf sich 2014 völlig überraschend in einer Urabstimmung gegen den Landeschef Thomas Strobl als CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl durchsetzte. Die CDU hat in Baden-Württemberg immer regiert, bis auf jetzt. Aber der Grüne Kretschmann verdankt sein Ministerpräsidentenamt einem historischen Zufall. „Noch- mal explodiert in Fukushima kein Atomkraftwerk“, spottete noch vor Jahresfrist ein Christdemokrat. Er ahnte nicht, dass es für die CDU noch dicker kommen würde. Dass ihr diesmal kein Absturz droht, sondern die Demütigung. Und dass in christdemokratischen Hinterzimmern der Satz zu hören sein würde: „Die Merkel muss weg!“

Am Sonntagnachmittag sitzt der Kandidat Wolf in der Mehrzweckhalle von Öpfingen und schwätzt mit den Honoratioren, so weit das eben geht bei dem Krach, den die „Kapelle Wahnsinn“ verbreitet. Öpfingen liegt an der Donau knapp vor Bayern. Vor 35 Jahren haben ein paar reiselustige Öpfinger aus München ein Starkbierfest importiert. Der Pfarrer hat getobt über die Schändung der Fastenzeit. Aber die Zeiten ändern sich. Wolf lässt sich auch eine Halbe geben. Er weiß nicht, dass das dunkle Gebräu „Triumphator“ heißt.

Nichts könnte weniger zu ihm passen. Wolf war Bürgermeister und Landrat, verfasst volkstümliche Gedichte und wirbt auf einem Wahlplakat mit dem Spruch: „Nah bei den Menschen“. Das stimmt so weit auch. In Öpfingen zieht er gut zwei Stunden von Tisch zu Tisch, obwohl er kaum einen kennt und die Kapelle schon die Instrumente einpackt. „Hocketse-Politik“ nennen sie das in Schwaben, Stimmensammeln beim geselligen Beisammensein. So hat sich Wolf damals die Mehrheit in der CDU erhockt.

Viele Schwarze finden Kretschmann toll

Heute steht da aber zum Beispiel der Mann von der örtlichen Blaskapelle, der erzählt, dass das hier ja eine schwarze Ecke sei, katholisch, eigentlich, „bisher“. Nur zum Beispiel seine Frau, die sei halt ein bisschen unpolitisch. Vom Denken her eine Schwarze, was Familie angeht und Schule und so. Nur, sagt der Mann: "Die findet den Kretschmann toll."

Und dann wäre da noch der örtliche Abgeordnete zu erwähnen, der berichtet, dass er bei seinen Wahlveranstaltungen viel über die Landespolitik rede, „aber hinterher kommt immer das andere Thema“. Die Flüchtlinge. Und die Merkel.

Was Kretschmann angeht, ist die Geschichte schnell erzählt. Im Grunde reicht sein Fernsehspot. Er zeigt in einer alten Werkstatt den Landesvater mit Schürze als Meister Eder, wie er mit ehrwürdigem Holzwerkzeug sorgsam und präzise ein Brett bearbeitet. Man meint den Holzstaub zu riechen und den Leim und hört vom Schaffen von etwas, das bleibt. Dann tritt der Handwerker aus dem Werkstatttor, jetzt in Anzug und grün-weiß gestreiftem Schlips. „Mein Name ist Winfried Kretschmann, und ich bin Ihr Ministerpräsident“ sagt er, steigt in den Dienstwagen und entschwindet.

Die Wiedergeburt von Erwin Teufel in Grün?

Bruder im Geiste. Winfried Kretschmann lobt Angela Merkels Flüchtlingspolitik. Das Bild zeigt die beiden bei einem Sommerfest in Berlin.
Bruder im Geiste. Winfried Kretschmann lobt Angela Merkels Flüchtlingspolitik. Das Bild zeigt die beiden bei einem Sommerfest in Berlin.

© Wolfgang Kumm/dpa

In Berlin sind alterfahrene CDU-Wahlkampfmanager vor Ehrfurcht fast in die Knie gegangen vor der schlichten Raffinesse dieser politischen Heimatmesse. Zumal sie ja nicht funktionieren würde, wenn nicht sehr viele Wähler in Baden-Württemberg den ersten grünen Regierungschef der Republik genau so sehen würden. „Kretschmann ist die Wiedergeburt von Erwin Teufel in Grün“, sagt einer aus der CDU-Spitze. Teufel, muss man wissen, ist nach wie vor der Maßstab, an dem man die CDU im Ländle misst. Der war zu seiner Regierungszeit ein sehr eigenwilliger Konservativer, der der Moderne misstraute, sie aber nicht verachtete.

Kretschmann hat viel davon, besonders das Eigenwillige. Seine eigenen Truppen knirschen mit den Zähnen, wenn er der großen Koalition gerade erst wieder Hilfe im Bundesrat in Aussicht stellt bei dem Plan, die Magreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Aber noch der alternativste Fundi weiß: Die 30 Prozent in den Umfragen – mehr als bei der Fukushima-Wahl vor fünf Jahren –, das sind Kretschmanns Prozente.

Ein paar lachen über seinen Witz

Ein Triumphator müsste her gegen so einen. Oder wenigstens ein Erwin Teufel. Am Sonntagabend steht aber der Kandidat Wolf im Schussenrieder „Bierkrugstadel“ am Rednerpult, Guido hier mit langem „u“ gesprochen: Guu-ido. Unten sitzen fast 500 CDU-Anhänger an rustikalen Bänken. Links von der Bühne hängt ein halber Steinbock an der Wand, rechts ein ganzer Auerhahn, ausgestopft natürlich. Wolf sagt, dass Kretschmann ein Fall für den Verbraucherschutz sei, weil in seiner praktischen Politik nicht drin sei, was draufstehe. „Winfried Kretschmann ist ein Grüner, der schwarz redet, ohne rot zu werden“, ruft er. Ein paar lachen über den Wortwitz. Der hat nur einen kleinen Nachteil: Er stimmt. Genau deswegen findet die Frau des Musikers ja den Kretschmann so toll.

Nun könnte es die Christlich-Demokratische Union in ihrem Stammland in normalen Zeiten sogar mit so einem aufnehmen, der sie auf seinen Plakaten sanft verhöhnt mit dem Spruch „Regieren ist eine Stilfrage“. Aber Peter Schneider, der Mann aus dem Wahlkreis Biberach, hat recht: Es gibt keinen normalen Wahlkampf mehr. Da mag Wolf noch so oft die Wählerschaft beschwören: „Am 13. März geht es um die Verkehrspolitik von Baden-Württemberg“ und „... um die Bildungspolitik“, „... um die Wirtschaftspolitik“.

Ja, auch, sicher doch. Aber zum Schluss ist da immer das andere Thema. Die Flüchtlinge. Und die Merkel.

Zwei Wahlkämpfe in einem

Noch nie hat es die CDU derart gebeutelt und zerrissen. Im Grunde gibt es zwei CDU-Wahlkämpfe in Baden-Württemberg. Der eine, offizielle, Wolf’sche behandelt vorrangig die Landespolitik. Der andere behandelt das Flüchtlingsthema. Er findet weniger in den Sälen statt als daheim und in den Hinterzimmern. Dort fallen im besseren Fall Sätze, die anfangen mit „Ich finde ja auch, dass wir Menschen aus Kriegsgebieten Schutz bieten müssen“, gefolgt von einem „aber“: nicht so viele, nicht in so kurzer Zeit. Im übleren Fall fällt, wie gesagt, der Satz: „Die Merkel muss weg.“ Der kommt inzwischen auch CDU-Funktionsträgern in den Sinn. Nicht nur die Wählerschaft, auch die CDU selbst ist tief zersplittert in Merkel-Getreue sowie Seehoferaner und alles dazwischen.

Im übelsten Fall braucht es gar keine Sätze mehr. Die "Alternative für Deutschland" strebt auch in Baden-Württemberg ins Zweistellige. Sie muss dafür weiter nichts machen als da zu sein. Um zusätzlich Wählern den Absprung zu erleichtern, hat die AfD ihren Landeschef. Jörg Meuthen ist der letzte Professor, der aus der einstigen Professorenpartei des Bernd Lucke an der AfD-Spitze übrig geblieben ist. Über Kollegen aus dem Osten, die auf Flüchtlingskinder schießen lassen würden, rümpft er die Nase. Mit eigenen Kandidaten, die auf ihrer Facebook-Seite auch schon mal den „Auftakt zur Vernichtung des Deutschen Volkes“ herbeifantasieren, hat der Professor dagegen kein Problem.

Sein "Plan A2" wurde zum Dokument der Nervosität

Tour de Trance. Die bisherigen Wahlkampfanstrengungen von CDU-Mann Guido Wolf verliefen glücklos.
Tour de Trance. Die bisherigen Wahlkampfanstrengungen von CDU-Mann Guido Wolf verliefen glücklos.

© Marijan Murat/dpa

Man kann sich im Ernst fragen, ob es überhaupt einen Weg gibt für die Ländle-CDU, die stete, stille Abwanderung zu den Rechtspopulisten zu stoppen. So wie es Wolf versucht hat, klappt es jedenfalls nicht. Er hat sich von Julia Klöckner aus Rheinland-Pfalz dazu bringen lassen, ihren „Plan A2“ zu unterstützen. Die „gemeinsame Erklärung“ der zwei Spitzenkandidaten endete als Rohrkrepierer. Der Zeitpunkt war falsch – kurz nach dem ergebnislosen EU-Gipfel und mitten hinein in den nächsten Absturz in den Umfragen, jetzt auf 30 Prozent. Statt zweifelnde Distanz zu Merkel anzudeuten, wurde das Papier zum Dokument der Nervosität.

Das Vorgehen war doppelt falsch. Das CDU-Präsidium wusste von nichts, auch die Baden-Württemberger darin nicht, obwohl kurz vorher eine Schaltkonferenz stattfand, an der Klöckner wie Wolf teilnahmen. Es war nicht der erste Alleingang Wolfs. Manche sagen, der ganze Mann sei ein Alleingang. Man wird darauf zurückkommen, wenn es am Wahlabend schiefgeht. Volker Kauder hat das Duo dann öffentlich zurückgepfiffen. Ausgerechnet Kauder. Der Unionsfraktionschef unterhält in Tuttlingen unter der Adresse „Hauptbahnhof 1“ mit Wolf ein gemeinsames Wahlkreisbüro.

Ein bisschen seehofern

Der Kandidat hat von „A2“ seither nicht mehr geredet. Im „Bierkrugstadel“ in Schussenried bleibt es dem neuen Landtagskandidaten Thomas Dörflinger vorbehalten, ein bisschen zu seehofern: alles richtig an Angela Merkels Flüchtlingspolitik, aber wenn sich die europäischen Regierungschefs nicht einigen können? „Dann werden wir handeln müssen“, sagt Dörflinger. Im Publikum nicken etliche.

Wolf sagt dann nur, dass es natürlich nicht geht, dass in diesem Jahr wieder eine Million Flüchtlinge kommen, belässt es aber bei einem Appell: „Wir sollten uns auch an dieser Stelle nicht auseinanderdividieren lassen.“ Er weiß, dass gleich Angela Merkel bei Anne Will auf dem Sofa sitzen wird, und er weiß auch, was da auf ihn zukommt. Die CDU-Chefin pflegt eine rege Telefontätigkeit, besonders an den Sonntagen vor den Sitzungen der CDU-Spitze. Sie wird keinen Millimeter nachgeben. Sie wird keinem einen Hauch von Hoffnung geben, der von einem Plan B träumt, der diesem Albtraum von einem Wahlkampf ein Ende machen könnte. Sie wird sich nicht mal von diesem Kretschmann das Stalking verbitten, wonach er jeden Tag für die Kanzlerin bete, auf dass sie ihren Flüchtlingskurs durchhalte. Obwohl der Wolf doch im Landesvorstand gesagt hat, dass er Merkel dazu auffordern werde.

Dabei könnte Merkel ja wenigstens für ihn beten. Wenn das hilft, überholt ihn der Kretschmann vielleicht doch nicht noch auf den letzten Metern. Wenn es sehr hilft, langt es nach dem 13. März vielleicht sogar grade so zum Ministerpräsidenten in einer komplizierten Koalition mit einer grausam dezimierten SPD und einer auferstandenen FDP. Wenn es aber nicht hilft, dann, sagen sie im Ländle, wird der verzweifelte Satz aus den Hinterzimmern so laut werden, dass man ihn auch draußen hören kann: „Die Merkel muss weg!“

Nur wird die Merkel ja wahrscheinlich auch darauf wieder nicht hören wollen.

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