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Die meisten Ferienwohnungen Berlins befinden sich in Mitte, Kreuzberg und Neukölln. Am 1. Mai wurde das Zweckentfremdungsverbot erlassen – noch greift es nicht.

© Kai-Uwe Heinrich

Berlin: Ferienwohnungsverbot: Wenn das Heim weh tut

Volles Haus, ständig Lärm: Noch blüht das Geschäft mit den Ferienwohnungen. In zwei Jahren soll damit Schluss sein, dann greift das so genannte Zweckentfremdungsverbot. Wird das der Stadt gut tun?

Manchmal, wenn Maren Finke (Name geändert) in den vergangenen Monaten zu Hause in ihrem Bett lag, wünschte sie sich, Nachtdienst im Krankenhaus zu haben, so sehr sehnte sie sich nach ein bisschen Schlaf. Klar, in der Klinik gab es die Patienten, aber die hatten Probleme, die sie als Ärztin lösen konnte, und danach legte sie sich wieder hin. Den Touristen in ihrem Haus dagegen war nicht zu helfen. Sie bewegten sich nachts durch die Stockwerke, als gäbe es für maximale Lärmentwicklung einen Preis zu gewinnen. „Horror“, sagt Maren Finke, „einfach Horror.“

Maren Finke lebt gern in Berlin-Mitte, sie mag auch ihre Straße, in der im Sommer die Linden blühen. Wollte man die Gegend beschreiben, könnte man sagen: superzentral und superruhig. Oder: absolut still und doch mittendrin. Oder auch: eine Oase im Herzen Berlins. Im Internet finden sich viele solcher Sätze. Finkes Kiez ist voller Ferienwohnungen, so wie der Bezirk Mitte überhaupt. Die meisten der etwa 15000 Ferienwohnungen Berlins finden sich hier, allein in den Plattenbauten an der Wilhelmstraße sind es an die 250, andere Hochburgen sind Kreuzberg und Neukölln. Doch nicht mehr lang: Am 1. Mai wurde das Zweckentfremdungsverbot erlassen, in zwei Jahren soll es in Berlin keine Ferienwohnungen mehr geben. Damit will man der Knappheit von Wohnraum entgegenwirken. In New York trat ein ähnliches Gesetz vor drei Jahren in Kraft, als erste deutsche Stadt zog Hamburg 2013 nach. Aber wird das Gesetz Berlin gut tun? Oder sind die Ferienwohnungen vielleicht gar kein Übel, sondern ein Glück für die Stadt?

Die Besitzer der Wohnung nebenan kennt sie nicht

Das Paar, das eigentlich mal neben ihr wohnte, hat Maren Finke gar nicht kennengelernt, als sie vor zwei Jahren in ihre Wohnung zog. Die beiden seien nach Amerika gegangen, sagten die Leute im Haus. Dafür hatte Finke alle paar Tage neue Nachbarn. Eingeführt wurden sie meist von einem älteren Paar mit sächsischem Dialekt und durchdringendem Organ. Ihre Erklärungen, wie Kaffee- und Waschmaschine zu bedienen seien, hörte Finke so oft, dass sie bald das Gefühl hatte, die Gerätschaften in der Nachbarwohnung mit verbundenen Augen bedienen zu können. Den Gästen hätte sie vor allem eine genaue Wegbeschreibung von der Haus- bis zur Wohnungstür gewünscht. Immer wieder landeten sie in der Nacht nämlich vor Finkes Tür, klingelten Sturm oder versuchten aufzuschließen. „Am Anfang habe ich gedacht, das wären Einbrecher“, sagt Maren Finke. „Irgendwann wusste ich dann: Es sind die Touristen.“

Sie kommen zu zweit, zu viert, zu sechst

Manchmal waren sie aus Amerika, manchmal aus Dänemark und manchmal aus Spanien, mal kamen sie zu zweit, mal zu viert und mal zu sechst. Fast immer waren sie dem Alkohol nicht abgeneigt, kamen spät heim und feierten im Treppenhaus weiter, hinterließen auf dem Boden Zigarettenkippen und in den Fenstern eingeritzte Eurozeichen. Einmal traf Maren Finke das ältere Paar aus Sachsen mit zwei Amerikanern auf der Treppe – nur Freunde der eigentlichen Mieter, versicherte das Paar. „Is that true? Are you friends?“, fragte Finke die Touristen. Sie schüttelten die Köpfe. „Are you Dalia?“, fragten sie zurück. Danach setzte sich Finke an den Rechner und googelte. Irgendwann fand sie auf Airbnb, der Plattform für Ferienunterkünfte, ein Inserat – darin wurde ihre Nachbarwohnung von einer Dalia angepriesen, 130 Euro pro Nacht, 600 Euro pro Woche, 2000 Euro im Monat. Weit mehr als Maren Finke Miete zahlt.

Was die Mietwohnungen für die Hausgemeinschaften bedeuten

Nennenswerte Industrie hat Berlin kaum, dafür aber einen Ruf, mit dem sich Geld verdienen lässt. Seitdem die Stadt im Ausland so beliebt geworden ist, haben die Ferienwohnungen sich ausgebreitet. Selbst in Moabit sind sie angekommen. In der Birkenstraße gibt es ein Haus, von dem Nachbarn sagen, dass es dort nur noch Ferienwohnungen gibt. An der pinkfarbenen Tür stehen Namen wie Arne, Mozart und M&M. Und beim Quartiersmanagement Beusselstraße standen neulich die Touristen schon vor der Tür. Sie waren unzufrieden mit ihrer Ferienwohnung und der Gegend und dachten, eine Einrichtung, die irgendwas mit Management heißt, sei bestimmt zuständig für solche Beschwerden.

Seit Jahren zerfällt die Hausgemeinschaft

Das sind Geschichten, die Berliner ungern hören. Touristen, die sich als Nabel der Stadt begreifen. Auch Theo Kourtidis aus Kreuzberg hat so seine Probleme mit den Touristen. Er wohnt am Paul-Lincke-Ufer, um die Ecke ist ein Waschsalon, in dem die Maschinen Berta, Clara und Erna heißen, in seinem Haus beobachtet Kourtidis seit Jahren einen Zerfall der Gemeinschaft. Früher feierten er und die Nachbarn unter der großen Kastanie im Hof Feste und sahen oben auf der Dachterrasse den Film „Sin City“. Wenn Kourtidis heute unter der Kastanie sitzt, sieht er Leute vorbeilaufen, die er nicht kennt und wahrscheinlich auch nicht kennenlernen wird, weil sie bald schon wieder weg sind.

Mozart oder M&M steht auf den Klingelschildern. Häufig verstecken sich dahinter Ferienwohnungen für Touristen, die die Berliner Mietergemeinschaft für die Wohnungsnot mit verantwortlich macht
Koffer in Berlin. Mozart oder M&M steht auf den Klingelschildern. Häufig verstecken sich dahinter Ferienwohnungen für Touristen, die die Berliner Mietergemeinschaft für die Wohnungsnot mit verantwortlich macht

© Imago

Auf der Dachterrasse wurde vor kurzem ein Schild angebracht. Man solle die Bepflanzung nicht zerstören, steht da. Auf Englisch, damit es jeder Tourist versteht. Wem genau die Ferienwohnungen im Haus gehören, weiß Kourtidis nicht genau, er glaubt, dass auch Amerikaner und Italiener unter den Besitzern sind.

Berlin gilt als Sehnsuchtsort

In Zeiten der Finanzkrise ist Berlin für vermögende Ausländer zum Sehnsuchtsort geworden. Wo sonst kann man sein Geld so gut anlegen wie in einer Stadt, in der Immobilien immer noch vergleichsweise billig sind? Das gängige Modell sieht dabei so aus: Ab und zu kommt man selbst zu Besuch, den Rest der Zeit vermietet man an Touristen. Für wie viele Ferienwohnungen Berlins das gilt, darüber gibt es keine Zahlen, und doch ist in der öffentlichen Diskussion viel von ausländischen Investoren und Heuschrecken die Rede, die wie eine Plage über die Stadt gekommen sind.

Wie die Bezirke die Meldepflicht kontrollieren wollen

Gerade war der Mann, der eine Heuschrecke sein soll, beim Zahnarzt, er ist froh, dass es nicht weh getan hat, nun sitzt er in einem Café auf der Torstraße in Mitte. Der Mann heißt mit Vornamen Ronald, seinen Nachnamen will er nicht nennen. Zu oft schon galt er aufgrund der Tatsache, dass er Ferienwohnungen vermietet, als der Böse, dabei sprechen die sonstigen Fakten seines Lebens gegen die Schurkentheorie: Ronald ist 25 Jahre alt, studiert Sonderpädagogik und wohnt in einem Plattenbau am Rand von Pankow. Auf die Idee mit den Ferienwohnungen kam er, als er einen Weg suchte, sich sein Studium zu finanzieren. Er hatte erst Wirtschaft, dann Elektrotechnik begonnen, entschied sich dann für Sonderpädagogik und bekam dafür kein Bafög mehr. Bei einem Freund, der seine Wohnung tageweise vermietete, weil er schwer verliebt ständig bei seiner Freundin übernachtete, sah Ronald, wie gut das Geschäft funktioniert.

Also mietete er selbst eine Wohnung an, heruntergekommen, aber immerhin in Friedrichshain, tapezierte, strich und kaufte die Einrichtung von Doppelbett bis Toaster – Gesamtkosten: 6000 Euro. Zusammengespart hatte sich Ronald das Geld von seinem Job als Kassierer im Supermarkt. Es auszugeben hat sich gelohnt: Seit zwei Jahren vermietet Ronald die Wohnung über Airbnb an Touristen, alles ganz legal: Der Eigentümer ist einverstanden, und Steuern zahlt Ronald auch.

Rund 800 Euro verdient er pro Monat mit der Vermietung

Etwa 800 Euro verdient Ronald auf diese Weise, dafür arbeitet er 15 Stunden in der Woche, empfängt die Gäste zu allen Tages- und Nachtzeiten, putzt und macht die Wäsche. Gerade hat Ronald sein erstes Schulpraktikum absolviert, unterrichtet hat er Viertklässler in Lichtenberg, als Thema hatte er sich Plattenbauten ausgesucht, er bastelte sie in klein und aus Pappe mit den Kindern und erzählte ihnen dabei, dass die großen echten gebaut worden seien, um dem Wohnraummangel entgegenzuwirken.

Wohnraummangel. Das ist das Stichwort. Fühlt sich Ronald schuldig? Glaubt er, dass Berliner seinetwegen keine Wohnung finden? Ronald schüttelt den Kopf. Die Wohnung habe schon lange leer gestanden. Gerecht findet er das Verbot also nicht. Trotzdem hat er die Ferienwohnung nun beim Bezirksamt gemeldet. Das müssen, so steht es im Gesetz, alle Vermieter binnen drei Monaten tun.

Wer seine Wohnung nicht anmeldet, dem drohen 50 000 Euro Strafe

Ab Sommer werden dann 34 Mitarbeiter aus den Bezirksämtern versuchen, diejenigen ausfindig zu machen, die ihrer Meldepflicht nicht nachgekommen sind. Dabei gehen sie auch Hinweisen von Nachbarn nach. Den Eigentümern droht eine Strafe von bis zu 50 000 Euro. Ronald hat nun erst einmal zwei Jahre Ruhe. So lange dürfen die gemeldeten Ferienwohnungen weiterbestehen. Doch ganz fertig mit dem Studium wird Ronald wahrscheinlich erst in drei Jahren sein, und so lange, sagt er, würde er gern noch vermieten. „Meine Existenz hängt da dran.“

Etwa 900 Meter die Torstraße hinunter beklagt Saskia Höfler genau dasselbe, allerdings auf höherem Niveau – Höfler sitzt nicht in einem Café im Erdgeschoss, sondern in einem Dachgeschoss-Apartment mit zwei Terrassen, das sie im Auftrag eines Fotografen vermietet, der gerade in New York lebt. Saskia Höfler hat mal Schauspielerei studiert, als daraus nichts wurde, hat sie gekellnert und mit einer Freundin selbst gemachte Waffeln im Mauerpark verkauft. Einen Euro für jeden Touristen, das wär’s doch, sagte sie zur Freundin, als wieder einmal eine Reisegruppe an ihnen vorbeilief, und auch wenn das nur ein Scherz war: eines Tages beschlossen sie, mit ihrer Idee, an Touristen zu verdienen, ernst zu machen.

Aus der Idee ist eine Firma geworden

Die Wohnung eines Freundes in Prenzlauer Berg stand gerade leer, und Höfler fragte ihn, ob sie sie vermieten könnten. Inzwischen ist das zehn Jahre her und ihre Zwei-Frauen-Firma „Feels like home“ hat heute 200 Ferienwohnungen im Angebot, alle edel und schick. Das Geschäft, sagt Höfler, gehe gut, sie hätten es aber mühsam aufgebaut, und nun drohe ihnen durch das Zweckenfremdungsverbot in zwei Jahren das Aus: „Soll ich dann etwa wieder Kellnern gehen?“ Und überhaupt: „Die Ferienwohnungen helfen Berlin doch auch.“

Was Berlin an den Touristen verdient

Ähnlich argumentiert auch das Onlineportal Airbnb. In ihrer Deutschlandzentrale in Mitte haben sie neulich ein Brainstorming zur Hauptstadt gemacht. Was dabei herausgekommen ist, steht auf einer Tafel, die an der Wand lehnt: Hipster, Altbau, arm, aber sexy. Derzeit werden über Airbnb 10 000 Ferienunterkünfte in Berlin angeboten, bei den meisten, sagt Deutschlandchefin Karolina Schmidt, handle es sich aber um Zimmer in Privatwohnungen. Sie sind vom Verbot ausgenommen – es sei denn ihre Fläche macht mehr als 50 Prozent der gesamten Wohnung aus. Und dann verweist Schmidt noch auf eine Studie, die Airbnb veröffentlicht hat. Ihr zufolge haben die Airbnb-Touristen im Laufe eines Jahres 100 Millionen Euro in die Stadt gebracht – Geld, das in zentrumsfernen Gegenden landete, weil eben auch dort viele Unterkünfte sind, Geld, das Berliner benutzen konnten. Viele könnten ihre Miete nur noch zahlen, weil sie sich durch Airbnb etwas dazu verdienen könnten.

Muss Berlin dankbar sein?

Das klingt so, als müssten die Hauptstädter dankbar sein, doch seitdem die Berliner Mietergemeinschaft 2011 dazu aufgerufen hat, Probleme mit Ferienwohnungen zu melden, sind etliche Beschwerden eingegangen. Sie berichten über gestiegene Heizkosten und Einbrüche. In einer der letzten Nachrichten schrieb eine Frau aus der Sonnenburger Straße in Prenzlauer Berg, dass fast 80 Prozent ihres Hauses an Touristen vermietet seien. Auf Nachfrage sagt sie, eine oder zwei Ferienwohnungen würden sie nicht stören. Aber so viele? Sei das nicht auch ein Betrug an den Touristen, die auf der Suche nach einem Lebensgefühl seien, einen Kiez kennenlernen wollten und sich dann unter ihresgleichen wiederfänden?

Nicht weit von der Sonnenburger Straße, in der Prenzlauer Allee 220 gab es bis vor kurzem auch ein Dutzend Ferienwohnungen. Der Bezirk ging dagegen auf Grundlage des Baurechts vor, das Verwaltungsgericht gab ihm recht: Die Ferienwohnungen widersprächen dem Gebot der Rücksichtnahme. Pankows Stadtentwicklungs-Stadtrat Jens-Holger Kirchner sagt, er sei ein bisschen stolz auf diese Pionierleistung. Der Fall zeige aber auch, wie kompliziert es werde, das Zweckentfremdungsverbot durchzusetzen. Im Zweifel müsste alles vor Gericht ausgefochten werden, und da würden dann Handtücher und Bettbezüge gezählt, weil man ja nachweisen müsse, dass eine Ferienwohnung auch wirklich eine Ferienwohnung sei. Inzwischen ist der Fall vor dem Oberverwaltungsgericht. Bis die Wohnungen im Haus regulär vermietet werden können, wird also noch einige Zeit vergehen.

Bis 2016 herrscht ein Moratorium

Auch durch das Zweckentfremdungsverbot wird sich so schnell nichts ändern, da bis Mai 2016 ein Moratorium herrscht. Binnen dieser Zeit können diejenigen, die ihre Ferienwohnung weiter betreiben wollen, Anträge stellen. Genehmigt würden sie nur in Ausnahmefällen, sagt die Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung – was genau darunter zu verstehen ist, müssten die Bezirke entscheiden.

Manche Eigentümer, die besonders trickreich sein wollen, haben ihren Antrag bereits gestellt. Sie spekulieren darauf, dass die Ämter noch nicht genug Personal haben, um die 14-Wochen-Frist einzuhalten. Laut Gesetz muss jeder Antrag innerhalb dieser Zeit beantwortet sein, sonst gilt er als genehmigt. Allerdings greift diese Frist erst nach Ablauf der zwei Jahre, und bis dahin werden die Bezirke sich so aufgestellt haben, dass sie auch alle Gesuche bearbeiten können.

Sie zeigte die Nachbarn an

Maren Finke hat einen anderen Weg gewählt. Sie schickte in einer schlaflosen Nacht ihrer Hausverwaltung eine E-Mail mit einem Verweis auf das Wohnungsinserat, weil sie davon ausging, dass ihre Nachbarn bestimmt keine Erlaubnis zur Untervermietung hätten. Seitdem ist es nebenan still geworden. Ein bisschen, sagt Finke, habe sie sich wie ein Schwein gefühlt, jemanden so zu verpfeifen. Trotzdem freut sie sich darauf, dass sie vielleicht schon diesen Sommer richtige Nachbarn haben wird. Von denen sie sich mal Eier leihen kann und die sie, wenn sie ihnen auf der Treppe begegnet, ganz normale Sachen fragen kann – zum Beispiel wie es im Urlaub war.

Der Text erschien auf der Dritten Seite.

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