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Offen und kundig. Berlins CDU-Vorsitzende Monika Grütters.

© Jörg Carstensen/dpa

Berlins CDU-Chefin: Die Bundestagswahl wird für Monika Grütters zur Prüfung

Berlins Kulturstaatsministerin Monika Grütters gilt bislang als durchsetzungsschwach. Die Stadt wird sie noch kennenlernen. Ein Porträt.

Intellektuelle Wendungen sind selten geworden in der Politik. Monika Grütters versucht eine – und gewinnt, wenn auch nur in kleinem Rahmen. Die Schroppsche Landkartenhandlung in Berlin-Charlottenburg wird 275 Jahre alt, die Staatsministerin ist zum Jubiläum ebenso geladen wie Michael Müller, der Regierende. Und sie beginnt, über den Kartografen Jed Martin zu sprechen und seine philosophische Erkenntnis, die Karte sei wichtiger als das Gelände.

Damit ist sie auch gleich beim Buch, denn Martin ist, wie Belesene wissen, nur eine literarische Figur aus Houellebecqs Roman „Karte und Gebiet“ – und so münden die Ausführungen der Kulturstaatsministerin elegant ins herzliche Lob der Arbeit von Regine Kiepert und ihren Mitarbeiterinnen.

Klar: Das mag die Idee eines gewieften Redenschreibers gewesen sein. Aber das nützt ja nichts, wenn sie nicht zum Redner passt, wenn sie aufgesetzt wirkt, statt, wie hier, aus eigener Erkenntnis geschöpft – so erst entsteht Resonanz im Publikum. Auch Michael Müller macht bei diesem Empfang nichts falsch, knüpft an seine Erfahrung als Drucker im Familienbetrieb an, plaudert unbefangen, fühlt sich erkennbar nicht unwohl. Aber es wird doch schon in dieser kurzen Szene ein Gefälle an Format erkennbar, das der Ministerin eines Tages nützen könnte; die durchgeistigten Bücherwürmer des alten Westens hat sie an diesem Tag ganz sicher auf ihrer Seite.

Zum Jagen getragen von Angela Merkel persönlich

Erst einmal ist Bundestagswahl. Ein Duell zwischen Grütters und Müller wird das schon deshalb nicht, weil Müller mit der Bundesebene nichts zu tun hat. Aber es ist trotzdem eine wichtige Prüfung für die Christdemokratin, die von ihrer Berliner Partei im Dezember 2016 mit letzter Kraft zur Chefin befördert wurde, nachdem alle Vorgänger von den Wählern abserviert oder in den notorischen Intrigen der Partei zerrieben worden waren.

Die vernichtende Wahlniederlage ihres Vorgängers Frank Henkel war der Ground Zero, auf dem Grütters nun alles von vorn aufbauen muss - zum Jagen getragen vermutlich von Angela Merkel persönlich, nachdem sie ähnlichen Avancen vorher immer in letzter Sekunde entkommen war. Doch sonst war da nun niemand mehr, alle verschlissen, alle verbraucht: Fiele sie nun weg, müsste die Berliner CDU auch zur nächsten Abgeordnetenhauswahl ohne Kopf antreten und ohne Hoffnung. Eine starke Position.

Es ist praktisch unmöglich, ein böses Wort über sie zu provozieren

Dabei ist sie offensichtlich alles andere als eine geborene Generalistin. Monika Grütters liebt Kultur, sie lebt von Kultur, und ihr Netzwerk verbindet sie mit anderen Kulturschaffenden ohne großes Nachdenken über Parteizugehörigkeiten. Dabei hilft ihr der Bundeshaushalt, aus dem sie als Verantwortliche eine hübsche Tranche in die Hauptstadtkultur lenken darf und dabei wenig falsch macht, zumal im Kontrast zu den Nebenkulturpolitikern der Koalition im Haushaltsausschuss des Bundestages, die ihr gern mit großer Geste dazwischenfunken. Es ist praktisch unmöglich, in der Szene ein böses Wort über die Ministerin zu provozieren, außer vielleicht bei jenen, die aktuell ihre Berufung Neil MacGregors zum Intendanten des Humboldt-Forums in- frage stellen oder seinerzeit Front gegen das umstrittene Kulturgut-Schutzgesetz gemacht hatten, ihre massivste Krise.

Möglicherweise sind ihr auch einige gram, die auf dezidierte Unterstützung beim großen Umbau der Volksbühne gehofft hatten. Doch ihre Gratulation mit Briefkopf zur posthumen Wahl der Volksbühne als „Theater des Jahres“ vor einer Woche fiel überdeutlich aus: „Diese Auszeichnung darf man getrost als Ohrfeige für die Berliner Kulturpolitik verstehen, die den Übergang von der Ära Castorf zu seinem Nachfolger bemerkenswert unsensibel gehandhabt hat.“

Ihren Wahlkreis hat sie nie gewonnen

Allerdings warten nun alle Insider darauf, ob sie sich wirklich weiter im Kulturkampf der Altvorderen gegen Chris Dercon, den Neuen an der Volksbühne, verschleißen will oder einen Ausstieg findet, der auf beiderseitige Gesichtswahrung hinausläuft, zumindest nach dem 24. September. Denn die Ohrfeige der Theater-Wahl traf natürlich vor allem Tim Renner, Wowereits jugendbewegten Kultur-Sachwalter, und sie wird Renner den Kampf um den Bundestags-Wahlkreis Charlottenburg nicht erleichtern.

Noch pikanter wäre zweifellos ein direktes Duell Grütters-Renner im Herzen des alten Westens gewesen, ein klassischer politischer Showdown. Doch sie ist verbunden mit ihrem längst angestammten Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf, den sie nie gewonnen hat, aber auch nie gewinnen musste, weil sie auf der Landesliste immer weit genug oben stand. Als neue Landesvorsitzende steht sie nun zum dritten Mal ganz oben. Die Zustimmung von 88,9 Prozent beim Landesparteitag im März darf als starkes, eben gerade nicht übertriebenes Votum gelten. Fürs Herz gab es noch stehende Ovationen hinzu; dagegen kamen auch jene Delegierte nicht an, die einen triftigen Grund sahen, ihr das Vertrauen zu verweigern.

Auf Marzahn lässt sie nichts kommen

Marzahn ist aber strategisch auch kein Nachteil. Der Zufall will es, dass dort gerade die IGA stattfindet, ein wichtiges Regionalereignis, das der Kandidatin reichlich Bühnenpräsenz mitten im Sommer schenkt. Perfekt: Im Juli lief dort das Kinder- und Jugendzirkusfestival, der Berliner Kinderzirkus Cabuwazi feierte 25-jähriges Bestehen, und die Festival-Schirmherrin und Ministerin Grütters traf sich mit der Wahlkreiskandidatin Grütters zum heiteren Selbstgespräch im diesmal ziemlich winzigen Sommerloch.

Aber bitte: Hier haben wir eine Ministerin, die entgegen ihrem Ruf nicht immer nur zwischen Arthouse-Kino und philharmonischer Avantgarde pendelt, sondern auch ein Herz fürs Bodennahe hat - die Botschaft dürfte angekommen sein. Und auf Marzahn lässt sie ohnehin nichts kommen, lobt bei jeder Gelegenheit das moderne Klinikum, die bürgerlichen Villen am Stadtrand, die dörfliche Beschaulichkeit, die von den Plattenbauten nicht überall eingerahmt und überragt wird. Und wenn nun auch diesmal wieder die unermüdliche Wahlkreisbesitzerin Petra Pau von der Linken siegt, dann ist das eben so, denn beide verstehen sich und kommen miteinander besser zurecht als Grütters mit den Leuten weiter rechts.

Sie kennt die Macht der Alteingesessenen

Offen und kundig. Berlins CDU-Vorsitzende Monika Grütters.
Offen und kundig. Berlins CDU-Vorsitzende Monika Grütters.

© Jörg Carstensen/dpa

Überhaupt ist es die Offenheit gegenüber anderen Lebensentwürfen und Lebensläufen, die Monika Grütters aus der Berliner Partei hervorhebt. Möglicherweise hat ihr dabei die Gnade der fernen Geburt geholfen, 1962 in Münster, weitab von den Warlords der Berliner Mauerlandschaft. Dort trat sie mit 16 in die Junge Union ein, was auf ein früh gefestigtes Weltbild schließen lässt, fern dem Zeitgeist der 68er. Abitur am bischöflichen Mariengymnasium Münster, dann Germanistikstudium in Münster und Bonn. 1990 heuerte sie, von der Wende angezogen, als Sprecherin beim Berliner Museum für Verkehr und Technik an, wurde später Sprecherin der Wissenschaftsverwaltung und der Bankgesellschaft - eine gute Basis für ihr bis heute kaum angekratztes Bild in der Presse.

Sie fiel aber damals auch dem CDU-Strippenzieher Klaus Landowsky auf. Er förderte Nachwuchstalente wie Frank Steffel und Peter Kurth, die nicht zwingend aus dem Berliner Sprengel kamen und der Selbstgefälligkeit der Partei ein wenig Weltläufigkeit entgegenzusetzen versprachen. Damit lagen sie automatisch über Kreuz mit den CDU-Bezirksfürsten, die ihre Verwurzelung im Kiez stets wie eine Monstranz vor sich her trugen. 1995 errang Grütters in Wilmersdorf ein Direktmandat fürs Abgeordnetenhaus, wurde aber vier Jahre später von einer konservativen Keulenriege wieder abgewählt und kennt seitdem die Macht der Alteingesessenen. Seit 2005 sitzt sie im Bundestag, lange den Berliner Parteiniederungen enthoben.

Im Streit um Tegel ist sie zwischen die Fronten geraten

Der Weg nach ganz oben in Berlin wurde deshalb auch erst frei, als sich Ingo Schmitt, Frank Henkel und Karl-Georg Wellmann, beispielsweise, selbst aus dem Rennen geschossen hatten und ohne autochthone Nachfolger dastanden. Monika Grütters hat dabei, soweit man weiß, nie mitgeschossen, was nicht unbedingt als Lob zu verstehen ist. Es trug ihr nämlich den zäh haftenden Ruf ein, für Spitzenämter nicht durchsetzungsfähig genug zu sein.

An dieser Front hat sie noch nachzuarbeiten, das zeigte sich im März, als es ihr nicht gelang, die Schlammschlacht zwischen Wellmann und Ex-Justizsenator Thomas Heilmann um den Zehlendorfer Wahlkreis rechtzeitig zu beenden - die Affäre um die gefälschten Stimmzettel wirkte wie ein frischer Aufguss uralter Intrigen und richtete neuen Schaden an. Und auch im Dauerstreit um den Flughafen Tegel ist Grütters offenbar zwischen die Fronten geraten und schafft es nicht, die unter dem Trommelfeuer der FDP umgekippte Partei zu einigen. „Wenn 83 Prozent der Meinung sind, man sollte sich dem Volksentscheid anschließen, tun wir das uneingeschränkt“, verkündete sie nach langem Schweigen, in deutlichem Gegensatz zur Kanzlerin, die bekanntlich nichts mit dem Weiterbetrieb im Sinn hat.

Dezent bis zur Unauffälligkeit

Aber bitte: „Die kann auch beißen“, hatte ihr Mentor Landowsky ihr einst attestiert, und diese Fähigkeit musste sie im vergangenen Dezember einsetzen, als sie den gern polternden Generalsekretär Kai Wegner absägen und durch ihren Vertrauten Stefan Evers ersetzen wollte. Eine Schlappe: Evers fiel vor dem von Funktionären dominierten Kleinen Parteitag im ersten Wahlgang durch, und Grütters, die im kleinen Kreis rhetorisch stärker wirkt als auf Parteitagspodien, sah sich zur Intervention gezwungen. Im zweiten Anlauf bekam Evers seine knappe Mehrheit, weil auch die Betonköpfe keine Alternative zur neuen Chefin und ihrem Getreuen sahen. Inzwischen sitzt auch er, vom Landesparteitag bestätigt, fest im Sattel. Und die tückische Verteilung der Listenplätze für den Bundestag ist gelaufen, überwiegend in Grütters' Sinn.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es auch im kommenden Bundestag eine Kulturstaatsministerin Grütters geben, zumindest aber eine einflussreiche Abgeordnete dieses Namens. Und dann richten sich die Augen auf die nicht mehr ganz ferne Berliner Wahl, für die in der CDU gegenwärtig weit und breit keine Alternative zur Landesvorsitzenden erkennbar ist. Es wird spannend sein, zu sehen, wie sich Grütters' Habitus über ihr angestammtes Biotop hinaus mit dem schrägen Teil Berlins verträgt. Immer Perlenkette, die Kleidung meist dezent bis zur Unauffälligkeit oder, ausnahmsweise, in Merkel-Rot, das ergraute Haar als Erkennungszeichen - auf Glamour ist sie so wenig aus wie Michael Müller.

Wir werden sie also noch kennenlernen in der Stadt, dazu gehört auch das notwendige Menscheln. Die Boulevardpresse hat sie bislang in Ruhe gelassen, hat pflichtschuldig apportiert, dass es da mal eine längere Beziehung mit dem ZDF-Moderator Theo Koll gab und eine weitere mit Marcel de Rycker, dem Deutschland-Chef von Peugeot - Ex wohl auch er. Monika Grütters tritt öffentlich stets allein auf, nur dem Amt verbunden und der Kultur. Alteingesessene erinnert das an Hanna-Renate Laurien, die hochgeschätzte Schulsenatorin der Diepgen-Jahre. Auch sie hatte immer ihre Probleme mit der Berliner Kiez-CDU.

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