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Michael Müller kann auch mal finster dreinblicken.

© imago/ZUMA Press

Berlins Regierender Bürgermeister: Müller entdeckt in Australien seine neue Härte

Er gilt als schüchtern. Doch bei seiner letzten Reise als Bundesratspräsident tritt Berlins Regierender Michael Müller so selbstbewusst auf wie selten.

Auf dem Weg zum Bus biegt Michael Müller plötzlich ab. Querfeldein über die Wiese, durch einen Park – ein Schrecken für all jene, die die Logistik im Blick haben. Schließlich haben sie seine Delegation gerade die Straße hoch geschickt. Erleichterung, als der Generalkonsul Entwarnung gibt: übers Grün ist ebenfalls okay.

Auch, wenn Berlins Regierender vielen im Vergleich zu anderen Politikern als zurückhaltend, manchem sogar als schüchtern gilt: Am anderen Ende der Welt sagt er gerne mal, wo es lang geht. Hier, wo er – noch ein letztes Mal – als Herr Bundesratspräsident auftritt. Australien ist das Ziel seiner letzten großen Reise in diesem Amt, das er im November 2017 angetreten hat, und demnächst an Daniel Günther in Kiel weitergeben muss.

Er nennt es „einen Glücksfall, das Jahr gehabt zu haben“. Ist doch mancher zehn Jahre lang Ministerpräsident und kommt trotzdem nie in den Genuss des zwischen allen 16 Ländern rotierenden Vorsitzes. Müller hat dieses Privileg ausgekostet. Wenn Frank-Walter Steinmeier im Urlaub war, kamen Fahrer mit Akten und Urkunden am Roten Rathaus vorgefahren. Michael Müller unterschrieb.

Den Bundespräsidenten zu vertreten: offenbar eine tolle Erfahrung, für die er gerne seine Ferien abstimmte. Selbst von den Bundesratssitzungen, die viele trocken finden, kann Berlins Regierender schwärmen. Nicht zuletzt die Auslandsreisen hat er unermüdlich mit Handyfotos festgehalten: Den Haag. Jordanien. Jetzt der Schlussakkord.

Respekt in Australien

Im Luftwaffen-Airbus „Theodor Heuss“ auf dem Weg nach Sydney begrüßt die Crew ihn stets über Lautsprecher mit „Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident“. Dass da mal plötzlich ein „Bundespräsident“ draus wird – auch okay. In Brisbane spricht der deutsche Honorarkonsul, Michael Rosemann, seinen Gast meist einfach mit „Herr Präsident“ an. Der Respekt, der ihm unterwegs entgegen gebracht wird, tut Müller gut.

Es hat ihm gefallen, so nah an der Bundespolitik zu sein. Die Sitzungen der Länderkammer zu leiten, sich als Chef die Freiheit zu nehmen, auch mal ein Thema zu setzen und darüber zu Sitzungsbeginn zu reden: Ein bisschen fühlt er sich dann vielleicht wie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Auch dieses Amt wird ihm in Australien mehrfach zugeschrieben. Das solidarische Grundeinkommen, das er zu Beginn seiner Ratspräsidentschaft in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel angestoßen hatte, machte plötzlich in der Bundes-SPD Furore. Mittlerweile stellt er im Auftrag der Partei Überlegungen zur Zukunft des Wohnens an.

Im Nordwesten Sydneys lässt die „Barangaroo Delivery Authority“-Behörde am Hafen ein neues Stadtviertel bauen. Der Ausblick direkt am Wasser ist spektakulär. Mit verglasten Wolkenkratzern, Restaurants, Einkaufsmöglichkeiten und einem riesigen öffentlichen Park. Die Reichen zahlen für das öffentliche Grün, so das kurz gefasste Konzept des Viertels, das die australischen Planer stolz ihrem Gast aus Berlin zeigen – der wollte sich am anderen Ende der Welt unbedingt auch über Stadtplanung informieren. Ist Wohnen doch nicht zuletzt in Berlin ein wichtiges Thema. Eines, an dem er gemessen wird.

Ein Zimmer, eine Million australische Dollar – 615.000 Euro –, so einfach geht die Rechnung. 14 Millionen australische Dollar kostet ein Apartment zum Wasser. Michael Müller staunt. „Da gibt es keinen einzigen sozialen Anspruch, keine einzige bezahlbare Wohnung“, wird er später kopfschüttelnd sagen. „All das, um einen Park abzubezahlen?“ Doch zunächst lässt er sich nichts anmerken, geht zielstrebig weiter durch das Barangaroo-Viertel, das nach einer berühmten Aborigine-Frau benannt ist. Die Zeremonie mit einem Altvorderen der Ureinwohner vor einer Anlegestelle absolviert er freundlich lächelnd.

Der Ruf von Berlin

Der einzige Aborigine in Barangaroo jenseits der Gebetsfolklore ist Clarence Slockee. Der Mann mit den wallenden Locken ist für den Besucherservice zuständig, passt etwa auf, dass die deutsche Gruppe ordentlich die Zebrastreifen überquert. Unter den Architekten und Investoren im Viertel seien keine Ureinwohner, erklärt Slockee. „Wir sind am unteren Ende der Futterkette“, konstatiert er und wird dann noch grundsätzlicher: „Demokratie ist eine traurige Sache.“ Man wähle, aber danach sei es mit dem Einfluss auf das, was mit den Steuern passiere, nicht weit her.

Müller will sich nicht ärgern, diese Reise, seine letzten Tage im Amt selbst von dem Beben aus Bayern nicht verderben lassen. Auch wenn das schlechte Ergebnis der Wahl die Aufmerksamkeit des Berliner SPD-Landesvorsitzenden ausgerechnet an jenem Montagmorgen fordert, für den die meisten Gespräche in der Hauptstadt Canberra geplant sind.

Doch politische Gespräche stehen ohnehin nicht im Vordergrund der Reise. Nach 16 Jahren ist er der erste Bundesratspräsident, der Australien besucht. Damals war es sein Vorgänger Klaus Wowereit. Der hat mit seiner lockeren und oft unkonventionellen Art viele Down Under überrascht. Unermüdlich warb er 2002 für Berlin als die aufregendste Stadt der Welt, wo alle hinkommen müssten. Werben muss Müller nicht mehr.

Vergangenes Jahr hat der echte Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, Australien beehrt. Dabei wogen die Themen weit schwerer: Es ging um die Flüchtlingskrise, den Welthandel, die Eskapaden eines Donald Trump. Im Beisein von Michael Müller immerhin werden drei Vereinbarungen unterzeichnet, die die Zusammenarbeit mit australischen Partnern in der Gesundheit, der universitären Zusammenarbeit und der Technologieförderung besonders mit Blick auf die Digitalisierung in neue Bahnen lenken soll. Er geht davon aus, dass sich die Reise für Berlin kräftig auszahlen wird.

Ein anderer Müller

In Brisbane wollen seine Leute ihm und der Botschafterin Anna Prinz angesichts des Regens den Fußweg zur Fähre ersparen. Müller guckt kurz in die Runde, erklärt „es sind doch genug Schirme da“ und ist schon unterwegs. In der kreisrunden „Daten-Arena“ der Universität von Queensland raunzt er zwei Mitarbeiterinnen an: „Warum muss ich jetzt schon gehen? Wegen einem dummen Mittagessen? Wollen die mir zeigen, wie sie die Pommes machen?“

Müller hat Spaß daran, mit seinem Sohn Max durch Virtual-Reality-Brillen das Modell des neuen Uni-Gebäudes in 3D bis ins Detail anzugucken – oder die Datenauswertungen von Schiffen aus Google-Earth auf einer Landkarte. Der Anschlusstermin scheint ihm egal.

Der Michael Müller am anderen Ende der Welt, „Herr Präsident“: ein anderer als der Müller in Berlin? Botschafterin Anna Prinz jedenfalls macht ihren Empfang zum absoluten Wohlfühlabend. Müller habe 25 Jahre seines Lebens der SPD gewidmet, um das Leben besser zu machen. Politiker kriegten nie ein Danke, sagt Prinz – hier sorgt sie dafür.

Der Müller und das Meer.
Der Müller und das Meer.

© Ingrid Müller

Manches will bei Müllers letzter Reise als großer Mann der Bundesländer nicht so recht zu dem Bild passen, das die Gastgeber von ihrem Land zeichnen – modern, erfolgreich, offen. Alle sind überaus gastfreundlich und viele wunderbare Selbstvermarkter präsentieren aufwendige Powerpointvorführungen. Doch die Antworten auf Fragen bleiben oft schwammig. Als der Chef des Victor Chang Herzzentrums in Sydney den Gast fragt, was ihn denn besonders interessiert, kommt Müller der Bitte nach. Doch der Institutsdirektor fährt anschließend einfach stolz lächelnd seine vorbereitete Präsentation ab.

Modellregion für Digital Health

Welche Wohltat ist dagegen die Führung von Inken Martin ins Labor mit den Zebrafischen. Sie kann ihre Forschung eindrucksvoll an den lebenden Fischen erklären. Fische haben ein dem Menschen ziemlich ähnliches Herz, und so können an den durchsichtigen Babyfischen Herzkrankheiten und die Wirkung von Arzneien erforscht werden: jede halbe Stunde ein neues Medikament. Mit dem neuen universitären Herzzentrum, das in Berlin geplant wird, soll bald zusammengearbeitet werden. Müller ist begeistert.

Nicht zuletzt, weil die Menschen in dem riesigen Land weit verstreut leben, aber dennoch medizinisch versorgt werden müssen, sind die Australier auch bei der Digitalisierung in der Gesundheit schon weit voran. Berlin will Modellregion für Digital Health werden und da sollen auch Charité, Vivantes und Private enger kooperieren. Mit dem australischen Queensland haben sich die Berliner jetzt das Land als Partner ausgesucht, in dem bis 2030 die gesündesten Menschen der Welt leben sollen.

Das kann sich ein Besucher, der ständig auf Frittiertes und Burger stößt, zwar erst einmal kaum vorstellen. Aber Müller ist sich sicher, dass mit den Kooperationserklärungen, die seine Delegation in Australien vereinbart hat, ein verlässliches Fundament für eine gewinnbringende Zusammenarbeit geschaffen ist.

Am Ende des Rundgangs in Sydneys neuem Vorzeigeviertel Barangaroo führen die Planer Michael Müller noch zu dem Eukalyptusbaum, den Bundespräsident Steinmeier im vergangenen Jahr gepflanzt hat. „Den halten wir besser mal fest“, sagt Müller scherzend angesichts des scharfen Windes, der an dem jungen Baum zerrt. Dann wünscht sich der Fotograf noch ein Abschlussfoto mit der Delegation vor der imposanten Kulisse der Harbour Bridge.

Die Sonne kommt noch einmal heraus – und Müllers Gruppe steht in Steinmeiers Schatten.

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