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Einwanderweg. An der Arbeit des Bundesamtes gab es immer wieder Kritik. Der Grund dafür war bisher allerdings stets Überlastung.

© Daniel Karmann/dpa

Asylskandal in Bremen: Flucht und Ausflucht in der Bremer Außenstelle

Die neue Leiterin der Bremer Einwanderungsbehörde stößt auf Tausende manipulierte Asylverfahren. Sie macht Vorgesetzte darauf aufmerksam - und wird dann nach Bayern versetzt.

Viel will sie nicht sagen – das Dienstrecht gebietet es ihr, ein Verfahren läuft –, aber eines dann doch. „Mich muss man nicht schützen“, sagt Josefa Schmid. Sie meint damit ihre Versetzung nach Bayern nach nicht einmal einem halben Jahr als Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge – und die Begründung dafür.

Die Nürnberger Zentrale des Bundesamts erklärt den Rückweg der 44-jährigen Bayerin in die Heimat nämlich mit „Fürsorge“. Dass Schmid Bremen verlasse, sei nötig, „um die Beamtin, die Gegenstand öffentlicher Berichterstattung ist, zu schützen“.

Schmid, seit Langem in der Öffentlichkeit – unter anderem auch seit elf Jahren als ehrenamtliche Bürgermeisterin der kleinen Gemeinde Kollnburg im Bayerischen Wald –, klagt gegen ihre Versetzung, die sie als Strafmaßnahme versteht. Sie sei ihrer Arbeitgeberin eben „unangenehm“ geworden.

„Mindestens 3332 unzulässigerweise in Bremen bearbeitete Asylanträge“

Denn Gegenstand öffentlicher Berichterstattung, das war bisher vor allem das Amt in Bremen, an dessen Spitze Schmid zu Beginn des Jahres berufen wurde. In der letzten Aprilwoche wurde durch eine Recherche von NDR, Radio Bremen und „Süddeutscher Zeitung“ bekannt, dass dort in den Jahren vor Schmids Ankunft Asylbewerber durchgewinkt wurden, die von Rechts wegen gar kein Asyl hätten erhalten dürfen. Von 1200 Fällen war die Rede, in denen Anträge ohne ausreichende Grundlage positiv beschieden wurden. Verantwortlich dafür soll Schmids Vorgängerin gewesen sein, die schließlich vom Dienst suspendiert wurde.

Dass nun Schmid zum „Gegenstand öffentlicher Berichterstattung“ wurde, wie es ihre Oberen allgemein formulieren, hat wohl mit einem Bericht zu tun, den sie selbst vor ein paar Wochen verfasst hat, der aber erst in dieser Woche über ihre Behörde und das Bundesinnenministerium hinaus bekannt wurde. Darin legt die bayerische Beamtin in der Hansestadt zum bereits Bekannten noch eine Schippe drauf: Tatsächlich gehe es um „mindestens 3332 unzulässigerweise in Bremen bearbeitete Asylanträge“, das wäre, so schreibt sie, der „bisher größte Flüchtlingsskandal in der Bundesrepublik Deutschland“.

Hartnäckige Beamtin. Josefa Schmid auf einem Archivfoto.
Hartnäckige Beamtin. Josefa Schmid auf einem Archivfoto.

© dpa

Ein Rumäne wurde als Syrer anerkannt

Auf knapp hundert Seiten stellt sie dar, was in der Bremer Außenstelle nach ihren ersten Erkenntnissen jahrelang schief lief: Akten seien manipuliert, Zwischenchecks übersprungen worden, mit denen normalerweise den Aussagen und Identitäten von Asylbewerbern nachgegangen wird, Zuständigkeiten anderer EU-Länder ignoriert und auch in Verfahren sei entschieden worden, die in die Verantwortung anderer Bundesländer fielen. Dabei habe die damalige Außenstellenleiterin Ulrike B. gemeinsame Sache mit mehreren Anwälten gemacht, mindestens einer ihrer Mitarbeiter, der sie auf „merkwürdige Verfahrensabläufe“ aufmerksam machte, sei versetzt worden.

Erst im Oktober 2017 begann die Innenrevision des Bundesamts mit Ermittlungen gegen Ulrike B., im November stellte das Amt schließlich Strafanzeige gegen sie. Als Leiterin durfte sie schon seit 2016 nicht mehr arbeiten. Die dubiosen bis offensichtlich rechtswidrigen Fälle aus der Zeit unter Ulrike B. – einmal schaffte es ein Rumäne, als Syrer anerkannt zu werden – sind nach Auffassung von Nachfolgerin Schmid nur „die Spitze des Eisbergs“, heißt es in deren Bericht. Sie habe sich bisher nur mit den Jahren 2015 bis 2017 befassen können; es sei aber mit „großer Sicherheit“ davon auszugehen, dass der Skandal weiter in die Vergangenheit reiche.

Ist der Schutz in Wirklichkeit Selbstschutz?

Die Staatsanwaltschaft Bremen ermittelt gegen B., drei Rechtsanwälte und einen Dolmetscher wegen Fällen bis ins Jahr 2013 hinein, geht allerdings noch von der Größenordnung 1200 aus.

Brisanter womöglich als die Geschichte der Misswirtschaft in den Bremer Asylverfahren ist der Schluss von Schmids Bericht, der Anfang April an den Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer (CSU) ging. Darin empfiehlt sie eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse – also ohne das Bundesamt, das nach ihrer Auffassung „an einer echten Aufklärungsarbeit kein gesteigertes Interesse“ hat, weil es fürchte, dem eigenen Ansehen zu schaden. Sie äußert den Verdacht, „dass die Zentrale selbst in die Angelegenheit verstrickt ist“ oder zumindest „Fehlverhalten zugunsten des guten Rufes nach außen“ geduldet habe.

Der dürfte nach dem Bekanntwerden ihres Berichts, der zuerst den „Nürnberger Nachrichten“ und dem ZDF-Magazin „Frontal 21“ vorlag, erst recht lädiert sein. Ist der Schutz der Beamtin Schmid, von dem das Bundesamt spricht, in Wirklichkeit Selbstschutz – vor einer, die nicht nachgibt?

Ein Ehrenamt in Bayern

Darauf gibt die Abfolge der Ereignisse zumindest Hinweise. Nach Tagesspiegel-Informationen ging Schmids Bericht bereits vor Wochen, im Februar, erst einmal an ihre Nürnberger Vorgesetzten. Im April wandte sie sich an Staatssekretär Mayer. Das Bundesinnenministerium bestätigte dies auf Anfrage des Tagesspiegels am Freitag: „Eine Mitarbeiterin der Außenstelle Bremen“ habe am 25. Februar einen Bericht über die Vorgänge in Bremen an die Nürnberger Bundesamts-Zentrale gesandt. Der sei am Tag darauf „der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt worden“, erklärte ein Sprecher des Ministeriums.

Öffentlich wurde über die hartnäckige Beamtin im Bremer Amt aber auch schon Ende April im örtlichen „Weser-Kurier“ berichtet. Da ging es um ihr Ehrenamt als Gemeindebürgermeisterin in Bayern, die gleichzeitige Berufstätigkeit in einer anstrengenden neuen Leitungstätigkeit und die mehr als 700 Kilometer zwischen Bremen und dem bayerischen Kollnburg.

„Es lässt sich nicht jede Angelegenheit über das Smartphone regeln“, zitiert das Blatt einen Kollnburger Kollegen von Schmid, den CSU-Ratsherrn Hans Reiner – sie selbst hat die CSU vor einiger Zeit Richtung FDP verlassen – und lässt durchblicken, dass das auch auf Kosten der Arbeit in Bremen gehen könne.

„Kungeleien“ und „massenhaft“ falsche Anerkennungsbescheide

Das sei Unsinn, entgegnet Schmid. Ihre Tätigkeit für die kleine Gemeinde sei ein ähnliches Ehrenamt wie das eines ehrenamtlichen Richters, das keiner Berufstätigkeit entgegenstehe. Das Bundesamt habe in all den Jahren, in denen sie für die Behörde gearbeitet habe, immer davon gewusst, und die Gemeinderatskollegen seien erst durch die Berichte über den Asylskandal darauf aufmerksam geworden, dass sie jetzt in Bremen arbeite. Vor Bremen habe auch ihre zeitweilige Tätigkeit für den Flüchtlingskoordinator und früheren Bundesamts-Chef Frank-Jürgen Weise ihren Einsatz für die Gemeinde nicht geschmälert.

Der Bremer Skandal wächst sich unterdessen aus – weit über das hinaus, was in Schmids Bericht zu lesen ist. Für ihre Vorgesetzten wird er dabei zusehends unangenehmer. Am Donnerstag wurde bekannt, dass ein leitender Beamter der Bremer Außenstelle bereits im Juni des letzten Jahres nach Nürnberg schrieb und die Zentrale dringend aufforderte zu handeln, weil es „Kungeleien“ gebe, die „massenhaft“ zu falschen Anerkennungsbescheiden geführt hätten. Am Freitag wurde nun bekannt, dass es konkrete Hinweise auf manipulierte Verfahren womöglich schon 2014 gab.

Immer wieder Kritik

Der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“ zufolge schrieb der Leiter der Außenstellen Friedland und Oldenburg mehrere E-Mails mit entsprechenden Informationen an verschiedene leitende Kolleginnen und Kollegen. Darin ging es um ein Gerichtsverfahren zweier Iraker, die gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge klagten – bis die Bremer Stelle, die für sie gar nicht zuständig war, mitteilte, die beiden würden doch anerkannt. Unterschrieben waren die Bescheide von der Leiterin Ulrike B. selbst.

Der Beschwerdebrief aus Friedland und Oldenburg ging demnach am 11. Juli 2014 nach Nürnberg, der Außenstellenleiter sprach auch – ergebnislos – mit Ulrike B. und dokumentierte danach sämtliche auffälligen Fälle für Nürnberg, ohne dass sich die Lage änderte. Ulrike B. habe sich weiter auch in die Fälle anderer Bundesamts-Stellen einmischen können.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte spätestens seit dem „Migrationssommer“ 2015 nicht nur mit einer drastisch gestiegenen Zahl von Flüchtlingen zu tun, sondern auch immer wieder mit Kritik an seiner Arbeit.

Politisches und Persönliches mischte sich

Bisher waren die Gründe allerdings stets Überlastung: Da ging es erst um den Antragsberg, der trotz massiv mehr Stellen und Amtshilfe von anderen Behörden nur langsam abgebaut werden konnte, dann um die Proteste des Personalrats, der sich über Hauruck-Einstellungen beklagte und um die die Qualität der Entscheidungen fürchtete. Dazu passende Schlagzeilen machte der Fall des rechtsextremen Bundeswehrsoldaten Franco A., der sich 2016 erfolgreich als syrischer Flüchtling ausgab und sogar Unterstützung kassierte, was dazu führte, dass 2000 Verfahren noch einmal nachgeprüft wurden.

Der Bremer Fall liegt deutlich anders. Die frühere Leiterin handelte nach allem, was bisher bekannt wurde, mit Absicht – wenn auch möglicherweise nicht mit der, sich zu bereichern. Die von ihr begünstigten Asylbewerber waren oft Kurden, die angaben, zur religiösen Minderheit der Jesiden zu gehören, die seit Jahren vor allem Opfer des Terrors des „Islamischen Staats“ waren. Ihr Schicksal hat Ulrike B. – so lässt sich ihr Twitter-Account lesen – anscheinend besonders berührt. Gut möglich auch, dass sich Politisches und Persönliches mischten: Einer der Rechtsanwälte, die in die dubiosen Verfahren von Bremen verwickelt sein sollen, ist angeblich ihr früherer Lebensgefährte.

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