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Svenja Schulze, SPD.

© Fabian Sommer/dpa

Bundesministerin für Umwelt: Svenja Schulze sucht ihr Profil

Dass sie berufen wurde, war eine Überraschung. Eine Herausforderung. Svenja Schulze, seit diesem März Bundesministerin für Umwelt, nahm sie an.

Vor der Glasfassade eines Tagungsgebäudes in Luxemburg steht eine blonde Frau mit Brille in schwarzem Blazer zu rotem Halstuch und spricht knapp in die Mikrofone und Kameras: „Ich werde hier gleich die abgestimmte Position der Bundesregierung vertreten.“ Deutlicher könnte sie es kaum ausdrücken: nicht ihre Position. Die Frau ist Svenja Schulze, SPD-Politikerin und Bundesumweltministerin in einer Zeit, in der der Klimawandel eine immer konkretere und die vielleicht größte Bedrohung der Menschheit darstellt. In der es darauf ankommt, zu handeln, dringend, weil es fast schon zu spät ist. Gleich werden die EU-Umweltminister im Gebäude hinter ihr über die CO2-Grenzwerte für Neuwagen verhandeln, Schulze hat lange für eine Absenkung von 40 bis 50 Prozent bis 2030 gekämpft. Stattdessen wird sie sich in wenigen Minuten für die Zielmarke von Bundeskanzlerin Angela Merkel starkmachen – 30 Prozent, mehr nicht. „Das fällt mir sehr schwer“, sagt sie.

Man könnte sagen, die Öffentlichkeit ist verpasste Klimaziele gewohnt. Was es dieses Mal besonders unangenehm für Schulze macht: Erst am Vortag hat der Weltklimarat einen neuen Bericht zum Klimaschutz vorgestellt. Darin heißt es, dass eine rettende Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit nur dann zu schaffen ist, wenn jetzt alle Staaten alles richtig machen. Schulze weiß, dass der angestrebte Grenzwert der Bundesregierung bei Weitem nicht genug Kohlendioxid einspart, um das zu erfüllen.

Wie sie da steht, verkörpert Svenja Schulze die ganze Misere ihrer Partei: Die kein Thema durchgeboxt bekommt angesichts eines um sich selbst kreisenden Koalitionspartners, vorgeblich zum Wohl des großen Ganzen handelt, um schlimmeres Übel zu verhindern, dabei stetig an Profil verliert. Sechs Tage später wird Schulze sich selber mit der Feststellung trösten, dass es besser sei, eine Entscheidung erzielt zu haben als keine.

Da sitzt sie in ihrem Ministerbüro in Berlin, draußen ungewöhnliche 26 Grad im Oktober. Es ist der Tag nach der Landtagswahl in Bayern, die desaströse 9,7 Prozent für die Sozialdemokraten gebracht hat. Dennoch verteidigt Schulze ihr Handeln, ihr Einlenken. Sie sagt nicht: Einknicken. Mit einer Enthaltung Deutschlands wäre auch niemandem geholfen gewesen, erklärt sie.

Etwas mehr als sechs Monate ist Svenja Schulze im Amt. Gerade ist sie 50 geworden. Unter Hannelore Kraft hat sie bereits sieben Jahre lang das bevölkerungsreichste Bundesland als Wissenschaftsministerin mitregiert, vielen Bürgern war sie bei ihrer Berufung zur Bundesumweltministerin im März dennoch gänzlich unbekannt. Ein Name, mit dem sich nichts verband. Und jetzt?

Ein Umweltminister hat es immer schwer

In Luxemburg haben ihre Kollegen und sie sich nach 13 Stunden Verhandlung am Ende auf eine Minderung der Grenzwerte um 35 Prozent bis 2030 geeinigt. Aus Schulzes persönlicher Sicht zu wenig, aber immerhin mehr als die 30, die im Raum standen. Die Umweltverbände haben ihr diese Zahl als unzureichend um die Ohren gehauen. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU verkündete dagegen in der „Bild“-Zeitung, Schulze habe für Deutschland schlecht verhandelt. Wieder einmal hat sie es keinem recht gemacht.

Hat ein Umweltminister es nicht immer schwer, in einer Industrienation wie Deutschland? Ein Umweltminister in einer schwarz-roten Koalition auf jeden Fall, sagt ein Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion. Das war bei Barbara Hendricks, Schulzes Amtsvorgängerin und Parteikollegin, nicht anders. Doch während Hendricks den Weg ebnete, Klimaziele setzte, ist es nun an Schulze, diese Ziele auch zu erreichen.

Dabei lief ihre Karriere nicht gerade darauf hinaus, Umweltministerin zu werden. Zwar war sie von 2005 bis 2010 umweltpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion in Düsseldorf. Als Landesministerin besuchte sie Nachhaltigkeitstagungen, doch herausragende Kenntnis des Themas war ihr vor ihrer Berufung im März wohl eher nicht zu attestieren. In Berlin erzählt man sich, dass ursprünglich Matthias Miersch für das Amt vorgesehen war. Der Sprecher der parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion ist ein ausgewiesener Klimaschutzkenner wie -befürworter. Doch Miersch hat seinen Wahlkreis in Hannover, und Niedersachsen war im Bundeskabinett bereits durch Hubertus Heil, den SPD-Arbeitsminister, vertreten.

Eine Ministerin, eine aus Nordrhein-Westfalen, war aus Proporzgründen wichtig. Zudem wollte die Bundes-SPD frische Gesichter, weshalb Barbara Hendricks den Posten zähneknirschend räumen musste. Also rief Parteichefin Andrea Nahles Svenja Schulze an. Die war gerade seit einem Jahr Generalsekretärin der SPD in NRW. Nahles und Schulze kennen sich aus Juso-Zeiten, gelten als Vertraute.

Ist sie - rot verpackt - im Kern grün?

Svenja Schulze ist in Düsseldorf aufgewachsen. Als Schülerin wehrte sie sich gegen die Einheitskleidung ihrer Schule, wurde Schülersprecherin, später Landesschülersprecherin. Ursprünglich wollte sie Meeresbiologin werden, studierte dann im nahen Bochum doch Germanistik und Politik. Während des Studiums war sie im Allgemeinen Studierendenausschuss Asta aktiv. Nach der Tour durch die Niederungen der SPD kam die Juso-Vorsitzende der NRW-SPD 1997 als Nachrückerin und damals jüngste Abgeordnete in den Düsseldorfer Landtag.

Schulze ist Vegetarierin und trinkt stets Tee, niemals Kaffee. Ist sie – rot verpackt – im Kern grün? Nein, betont sie häufiger, die Haltung der Grünen könne sie nicht immer nachvollziehen. Sie sind ihr zu ideologisch, zu absolut. Wenn wegen Klimaschutz die Leute ihre Jobs verlören und die deutsche Industrie ins Ausland abwanderte, wäre nichts gewonnen, sagt sie in in der Ruhe ihres Berliner Büros. Überhaupt hält Schulze wenig von Tabus und Restriktionen. Billigflieger würde sie niemals verbieten, erklärte sie neulich. Die Leute müssten schon selbst darauf kommen, dass das schlecht für die Umwelt sei.

Dabei scheut Svenja Schulze keineswegs davor zurück, sich unbeliebt zu machen. Als Wissenschaftsministerin in NRW drückte sie eine Hochschulreform durch, mit der sie nicht nur die eingeführten Studiengebühren wieder abschaffte, sondern auch die Kompetenzen der Rektoren stark beschnitt. Es ergoss sich Empörung über die Ministerin. Sie überstand es. „Das hat uns beeindruckt“, erinnert sich einer aus der SPD-Landtagsfraktion in Düsseldorf.

Jetzt steht sie vor einer Mammutaufgabe. Im offiziellen Video zu ihrer Vorstellung, das die SPD im März 2018 bei Youtube hochgeladen hat, erklärte Schulze ein bisschen aufgeregt, was sie in den folgenden vier Jahren vorhat: „Ich werde mich um die großen Menschheitsfragen kümmern.“ Doch von der Koalition werden ihre Bemühungen andauernd untergraben. Schon im Koalitionsvertrag gab die schwarz-rote Regierung das Klimaziel 2020 ohne großes Aufheben auf. Schulzes Initiativen werden teils sogar schlicht ignoriert. So fordert sie zum Beispiel eine Steuer auf den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid in allen Teilen der Wirtschaft. Das Instrument befürworten auch viele deutsche Unternehmer, doch wenige Parteikollegen interessieren sich dafür – und der Koalitionspartner gar nicht. Beim Tag der Deutschen Industrie stellte ihre eigene Parteichefin und Vertraute Andrea Nahles jüngst Klimaschützer und Klimawandelleugner auf eine Ebene. Der bisher größte Affront gegenüber Schulze aber war der Moment, als Angela Merkel auf der Bühne vor der deutschen Industrie versprach, dass die Bundesregierung für die lascheren CO2-Grenzwerte eintreten werde. Svenja Schulze erfuhr davon erst hinterher.

„Dranbleiben“, wiederholt sie stoisch

Was macht das mit ihr? Schulzes ehemaliger Amtskollege aus Frankreich, Nicolas Hulot, schmiss seinen Posten im August nach nur einem Jahr hin, weil seine Vorhaben von den Kabinettskollegen ständig blockiert wurden. Auch Schulze dürfte zuweilen sehr frustriert sein. Die Grüne Steffi Lemke forderte Mitte September Schulzes Rücktritt. In diesem Jahrhundertsommer den Klimaschutz und -wandel nicht auf die Agenda gehoben zu haben, sei unverzeihlich. Und nicht zu verstehen.

Warum leistet sich Deutschland überhaupt einen Umweltminister, eine Umweltministerin, wenn man diese nicht ernst nimmt? Es ist schließlich so: Wenn Deutschland seine Klimaziele in den Bereichen Verkehr, Wärme und Landwirtschaft verfehlt, muss es von anderen EU-Mitgliedsstaaten Emissionszertifikate zukaufen. Bis zu 60 Milliarden Euro könnten an Ausgleichszahlungen nötig werden. Dafür interessiert sich dann wiederum nicht nur Finanzminister und Parteikollege Olaf Scholz, sondern auch die Kanzlerin.

Welche Strategien hat Svenja Schulze, damit sie nicht zerrieben wird? „Dranbleiben“, wiederholt sie stoisch. Es heißt, Schulze sei hartnäckig und stets gut vorbereitet. Wenn sie entschlossen ist, streckt sie ihr Kinn nach vorn, ganz leicht nur und doch deutlich erkennbar, spitz. So wie Anfang Oktober, als Svenja Schulze in der Gesprächsrunde bei Anne Will saß und wieder dafür warb, eine Steuer für den Ausstoß von CO2 einzuführen.

Zugleich jedoch lässt sie Chancen ungenutzt. Auf sich aufmerksam zu machen und den öffentlichen Druck zu erhöhen. In der Debatte um die Abholzung des Hambacher Forstes positionierte sie sich verhalten: Bevor ein Gericht entschied, dass im Hambacher Forst vorerst nicht gerodet werden darf, forderte Schulze ein Moratorium. Diplomatisch war das mit Blick auf den Koalitionspartner CDU nicht, wo doch die schwarz-gelbe Landesregierung in NRW mit allen Mitteln für das Anliegen des Energiekonzerns RWE stritt. Und eine Enttäuschung für die Kohlelobby, die womöglich die Hoffnung gehegt hatte, Schulze würde aufgrund ihrer Wurzeln besonders zahm mit ihr umgehen. Ist sie aber hingefahren? Nein. Kein Bild von ihr vor Baumhäusern, und Transparenten, das es in die Zeitungen hätte schaffen können.

Laut werden? Niemals

Auch Häme scheint ihr fremd. Einen Tag nach dem EU-Umweltministerratstreffen steht Schulze wieder in Berlin, im Bundestag. Anlass ist eine von den Grünen anberaumte aktuelle Stunde wegen des Berichts des Weltklimarats. Als Schulze zu ihrer Rede im Plenum ansetzt, hat sie wegen der Sitzung in Luxemburg gerade mal zwei Stunden geschlafen. „Der Sonderbericht des Weltklimarats war ein Weckruf. Ich sage aber auch ganz deutlich: Es war ein erneuter Weckruf, es gab schon einige davon“, sagt die Bundesumweltministerin ruhig. Kein Wort darüber, was Merkel ihr abverlangt hat. Sie gibt die Vermittlerin: Redet über die Chancen beim Klimaschutz für die Industrie. Sie nimmt ihre Hände zur Hilfe, hebt mal die eine, mal die andere. Oft führt sie beide Hände zusammen, das wirkt harmonisch, als ob sie Klimaschutz und Industrie versöhnen möchte. Am Rednerpult laut werden, das käme ihr nicht in den Sinn.

Stattdessen klammert sich Svenja Schulze an Paragrafen. Das Klimaschutzgesetz ist ihr schärfstes Schwert. Mit ihm sollen die Klimaziele für 2030 verbindlich werden. Ende 2019 soll es fertig sein und es muss, so sieht es der Koalitionsvertrag vor, ausreichend hart sein. Ein erster Schritt auf dem Weg dahin: Sie nimmt ihre Kabinettskollegen in die Pflicht. Derzeit sammelt das Umweltministerium Vorschläge von den anderen Ministerien ein, wie diese ihre Klimaziele überhaupt erbringen wollen.

So oft, wie Schulze in der Vergangenheit im Stich gelassen wurde, würde es dennoch nicht verwundern, wenn am Ende die Ressorts schlicht nicht liefern. „Ich werde für den Klimaschutz kämpfen“, verspricht sie am Rednerpult. In Berlin hört man solche Sätze inzwischen nur noch erstaunlich selten.

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