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Charlotte Roche sagt: Schreiben ist wie Kiffen, Auftreten ist wie Koksen – also viel anstrengender.

© dpa

Charlotte Roche ist zurück: Die Schutzbedürftige

Da ist sie wieder, Charlotte Roche, die Performerin. Früher füllten ihre Auftritte Hallen. Jetzt ist sie mit dem neuen Roman unterwegs – und etliche Termine werden abgesagt. Mangels Nachfrage. Ihr Verlag sagt: Sie ist sehr nervös

Es ist bestimmt nicht leicht, die Mutter von Charlotte Roche sein.

Roches Mutter, eine 68erin, geht durch alle drei Bücher ihrer Tochter, das Feindbild ist sie. Millionen haben die ersten beiden Romane gelesen, deren Titel den zu erwartenden Inhalt bereits auf, sagen wir, recht unkomplizierte Weise zusammenfassten: „Feuchtgebiete“ und „Schoßgebete“. Ihr wart frei? Ich bin freier!

1,3 Millionen Mal wurden die „Feuchtgebiete“ verkauft, fast acht Monate hielten sie sich 2008 auf Platz 1 der Bestsellerlisten, zum ersten Mal überhaupt schaffte es ein deutsches Buch an die Spitze der internationalen Buchcharts von Amazon. Roches Lesungen füllten Hallen. Ihr zweites Buch blieb dem ersten dicht auf den Fersen, auch die „Schoßgebete“ schafften die Million, und nun?

Auftritte werden abgesagt - warum?

Der dritte Roman ist soeben erschienen, „Mädchen für alles“. In Wuppertal, Bonn, Würzburg und Mainz wollte die Autorin es schon vorstellen, doch die Auftritte wurden kurzfristig abgesagt. Zu wenige Karten verkauft.

Was ist passiert?

Leipzig-Connewitz, Werk 2. Diesmal, heißt es, kommt sie. Das Werk 2 ist eine alte Gasmesserfabrik, einst VEB Werkzeugprüfmaschinen Leipzig, Industriehallencharme. Oben auf der Bühne, wo sonst vor allem Bands spielen, steht vor einem einsamen Stuhl ein einsamer Tisch mit einer einsamen Lampe davor. Sehr bildungsbürgerlich.

Noch zwei Stunden bis zur Lesung. Backstage ist es kalt. Charlotte Roche betritt die kleine Küche, im dicken Wintermantel mit Folkmuster, die Arme um ihren schmalen Körper gelegt. Als sie sitzt, reicht ihr der großmaschige Schal - Aura: selbst gestrickt - bis auf den Boden, als käme sie direkt aus den Siebzigern. Nur dass sie knallrote Turnschuhe mit blauen Schnürsenkeln trägt. Ein Mädchen für alles? Nicht ganz, aber ein Mädchen wie alle. Obwohl sie inzwischen 37 ist und eine 13-jährige Tochter hat. Es ist gewissermaßen der letzte Augenblick bis zum Erwachsenwerden.

Irgendeine verborgene Logik der Worte, mit denen sich Menschen umkreisen, die sich noch nie gesehen haben, führt gleich im dritten Satz auf die „Feuchtgebiete“. Was brachte die Viva-Moderatorin Charlotte Roche, Grimme-Preis-Trägerin, von Harald Schmidt zur „Queen of German Pop Television“ promoviert, damals eigentlich dazu, ein Buch zu schreiben, und dann noch dieses?

Es war das schlechte Gewissen, sagt Charlotte Roche sehr bestimmt. Denn vor fast zehn Jahren gab der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch der Jungmoderatorin einen Vorschuss und erklärte dazu: Falls sie irgendwann Lust habe, irgendein Buch zu schreiben, über irgendetwas, dann solle sie das Manuskript doch vorbeibringen.

Sie lacht das Lachen einer Millionärin

„Es war ein kleiner Vorschuss, aber der kam mir wie ungemein viel vor“, erklärt die Begünstigte und lacht. Natürlich ist das ein Lachen aus der Perspektive der Millionärin Roche, aber es ist nicht das Lachen einer Millionärin, nichts Selbstgerechtes, keine Was-kostet-die-Welt-Attitüde ist darin. Der Vorschuss war bald alle, die Viva-Moderatorin bekam zunehmend Angst, ihren Gläubigern auf der Straße zu begegnen, als der Willensmensch Charlotte Roche zwei Jahre danach beschloss: Du setzt dich jetzt an diesen Schreibtisch, und du stehst nicht wieder auf, bevor du nicht Bleich besah der Verlag das Ergebnis, es waren etwa 50 Seiten, fast wortlos gab er es der Verfasserin zurück, fragte nicht einmal, ob sie es vielleicht, sagen wir, ein wenig überarbeiten könne. Dabei hatte sie nur gemacht, was jeder Autor tun sollte, sie hatte über etwas geschrieben, wovon sie etwas versteht.

Sie braucht das Gefühl, jemand habe mit seiner ganzen Seele, ja mit seinem Blut geschrieben}

Die abgewiesene Debütantin zahlte ihren Vorschuss zurück. Kein Mensch hatte das von ihr verlangt, nur ihr Sinn für Redlichkeit. Und sie fand Dumont. 1,3 Millionen Auflage plus Auslandsrechte. Dumm gelaufen für Kiwi.

Damals hat sie gesagt, was in „Feuchtgebiete“ stehe, sei zu 70 Prozent autobiografisch. „Das war irgendeine Antwort“, lächelt Charlotte. Aber sie stimme trotzdem. Typische Roche-Logik. Sie stimme schon wegen der Authentizität: „Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wenn ich einen Roman über Depression lese, und die Autorin sagt im Interview: ,Nö, hab ich nie gehabt, kenn ich gar nicht!“ Das sei eben nicht authentisch.

Sie ist nicht ordinär

Sie brauche das Gefühl, jemand habe mit seiner ganzen Seele, ja mit seinem Blut geschrieben. Nietzsche sah das genauso. Der atavistische, der magische Punkt von Literatur zieht wohl beide Autoren an: Literatur als Selbstopfer. Mit ihrem eigenen Blut hat Charlotte Roche auch einst Bilder gemalt, als sie noch nicht wusste, dass sie moderieren, dass sie schreiben kann. Nun könnte man einwenden, der literarische Erst- und Zweitling der Autorin sei doch wohl mit ganz anderen Säften geschrieben worden - Stichworte: „Ekel-Charlotte“, Exkrementophilie, Mukophagie, Fremdwörter können so schonend sein -, aber das hieße wohl, es sich mit diesem Menschenkind zu leicht zu machen. Sie hat nichts Grobes. Sie ist nicht einmal ordinär. Sie sieht beschützenswert aus.

Können auch Bücher Notwehr sein?

Menschen, die ihre Wut in Romanen ausrasen können, darf man wohl privilegiert nennen. Außerdem war es Zeit, das Selbstbild ihrer Eltern zu widerlegen, die 68er seien die größten Tabubrecher der Geschichte gewesen. Und natürlich musste sie Sex mit Männern gut finden, schließlich beargwöhnten die Feministinnen älteren Typs wie ihre Mutter diese Übung zutiefst. Was, die Frau liegt unten?

Je länger man mit Charlotte Roche spricht, desto mehr begreift man, dass in ihrem Fall sogar noch die Lust Protest gegen ihre Eltern ist. Natürlich ist so eine lebenslang kultivierte Antihaltung pubertär. Und wirkte sie nicht wie eine geschlechtsreife Pippi Langstrumpf?

Über all das müsste man reden, aber doch nicht, wenn die Autorin in genau einer Stunde ihren Lesern gegenübersitzt. Werden es die alten sein? Natürlich erwarten sie eine Show von ihr. Sie sei sehr nervös, ließ der Verlag wissen. Auf ein gewisses Unverständnis bei den Kritikern musste sie immer gefasst sein. „Sehr ekelig“ und „literarisch absolut wertlos“, fasste Marcel Reich-Ranicki seinen Eindruck der „Feuchtgebiete“ zusammen.

Sie lese keine Kritiken, sagt Charlotte Roche. Sie sei dafür „viel zu sensibel“, und außerdem wolle sie nicht ihr Schreiben gefährden: „Es ist ein Wunder, für mich entdeckt zu haben, dass ich schreiben kann. Auch bin ich beim Schreiben ein viel besserer Mensch“, sie lacht dieses Charlotte-Roche-Lachen zwischen Unsicherheit, Verwunderung und Übermut, „ich bin ausgeglichen, fühle mich ausgefüllt, befriedigt, weil ich etwas schaffe.“

Bei anderen dürfte man solche Sätze vielleicht überhören, nicht bei ihr. Nicht im Fall einer Frau, die sich als Nicht-mehr-Kind ihr eigenes Blut ins Gesicht wischte, um sich mit solchem Make-up wortlos unter die Erwachsenen zu mischen. Charlotte Roche, das schreckliche Mädchen, die Selbstverletzerin, hat mit dem Schreiben etwas gefunden, was sie nie besaß und nie bei sich vermutete: eine Mitte. Nach dem ersten Buch haben ihr Freunde und Feinde gesagt, dass sie nie wieder eine Zeile schreiben, dass der Wahnsinn dieses Erfolgs sie blockieren werde, und genauso empfand sie es. Umso dankbarer ist sie jetzt.

Und vielleicht ist sie mit dem neuen Buch erwachsen geworden, auch als Autorin. Es handelt von ihr, indem es absolut nicht von ihr handelt. Und unter der erzählten Geschichte wächst ganz langsam noch eine andere, sehr dunkle. Ist nicht alles, was mindestens zwei Ebenen hat, schon Literatur?

„Da ist dieser Wunsch, einfach im Bett liegen zu bleiben, um nie wieder aufzustehen. Ich kann nicht mehr, ich will auch nicht mehr Das kenne ich schon sehr, sehr lange“, sagt Charlotte Roche. Weiß sie, dass sie hier den Primärbefund der Depression ausspricht? Bestimmt weiß sie es. Sie hat sich immer zum Aufstehen gezwungen, das unterscheidet sie von Christine Schneider, genannt Chrissi, im Buch.

Das Erschütternde aber ist: Da sind sogar Grauhaarige im Publikum!

Die Performerin zeigt jetzt doch Nerven. Schreiben sei natürlich, das Auftreten künstlich. Und das Mit-Journalisten-Reden übrigens auch. Sie formuliert das so: „Es ist verstörend, ein Buch herauszubringen. Man kann abends nicht einschlafen, denkt darüber nach, ob es auch klug genug war, was man gesagt hat. Schreiben ist wie Kiffen, Auftreten ist wie Koksen. Koksen ist anstrengender.“ Sie muss das wissen, bis auf Heroin hat sie nichts ausgelassen.

20 Uhr. Die Reihen sind lose gefüllt, die hinteren noch frei, etwa 150 Frauen und Männer sind gekommen. Überraschend viele Männer. Wenn Männer sich Roches Bücher signieren lassen, betonen sie immer, dass es für ihre Freundin oder Frau sei. Dann sagt sie: „Das können Sie auch lesen!“

Das Erschütternde aber ist: Da sind sogar Grauhaarige im Publikum! Die Eben-noch-Viva-Independent-Moderatorin, die Musik spielte, die sonst niemand spielte, die Skandalfrau Charlotte Roche, liest vor den Ergrauten des Lebens.

Die Autorin sitzt am Pult - wie eine Oberlehrerin

Wie sie da hinter ihrem Schreibtisch hockt, wirkt sie fast wie eine Oberlehrerin. Und sie stellt auch solche Fragen: Wer hat das Buch schon gelesen? Ein Finger zeigt zögernd in die Höhe. Sollte sie enttäuscht sein, so lässt sie es sich nicht anmerken. Sie lese zuerst das erste Kapitel, zum einen, weil es das erste sei, zum anderen aber, weil es doch ziemlich gut gelungen sei. Man merkt der Vorleserin an, welchen Spaß sie an ihrem Text hat. Sie hatte vorhin schon gesagt, wie witzig sie ihn finde, viel lustiger als „Feuchtgebiete“ und „Schoßgebete“ zusammen. Und düsterer zugleich.

Christine Schneider also, genannt Chrissi. Der Bruder ihres Mannes feiert seine Hochzeit in ihrem Haus, sie desertiert vorzeitig in ihr Schlafzimmer, doch bleibt sie dort nicht lang allein. Zwei Hochzeitsgäste fallen auf ihr Bett, merken nicht, dass da schon jemand liegt, als Chrissi beschließt, mittels ihres großen Zehs an der Orgie teilzunehmen. Lachen im Publikum, alle glauben, bei der Charlotte zu sein, die sie kennen.

Das Wiedererkennen täuscht

Die Autorin flirtet mit dem Publikum: Das Neue im neuen Buch sei die Gewalt, und was solle sie sagen, Gewalt schreiben mache genauso viel Spaß wie Sex schreiben. Also, was wolle der Souverän, das Publikum, hören? Vielleicht liegt es an dieser Art Selbstpräsentation, mit der sie auch schon durch die Talkshows ging, dass Charlotte Roches Hauptzielgruppe, die Mittedreißigjährigen, die mit ihr erwachsen geworden sind, jetzt eher Abstand zu ihr halten. Ihre Generation, narzisstisch wie kaum eine vorher, muss jetzt andere Fragen beantworten als die nach der einzig wahren Intimrasur. Traut man ihr nicht zu, die gleichen Probleme zu haben wie sie? Gehört Charlotte Roche, exotischer Schmetterling immer auf halbem Wege zum Nachtfalter, schon zum seelischen Inventar ihrer Vergangenheit?

Aber das Wiedererkennen täuscht.

Publikum: Wie schaffen Sie es, zugleich viel Sex und einen Mann zu haben?

Christine erklärt, sie habe mal einen Beruf gehabt, um den sie viele beneideten, doch sie habe den Druck nicht ausgehalten, weshalb sie beschlossen habe, ein Kind zu bekommen: Aber, ganz ehrlich, ein Kind haben ist viel anstrengender und mit viel mehr Druck verbunden als die Arbeit, die ich vorher hatte.

Aus der vierten Reihe kommt ein heiseres, leicht hysterisch schnaubendes Lachen. Da gesteht eine ein, was nicht einzugestehen ist. Nicht, wenn man der Supermütter-Generation angehört, die alles besser machen will als ihre Eltern. Doch, es ist ein Buch für ihre Generation, die muss es nur noch entdecken.

Und dann ist sie plötzlich mitten im Fragenbeantworten. Da ist sie wieder, Charlotte Roche, die Performerin, die Fragen und Antworten in die Luft wirft wie Seifenblasen. Wann sie platzen, entscheidet sie. Welche Musik er gerade höre, hatte sie einst von Robbie Williams wissen wollen, worauf der Sänger mit selbstgerechter Ermüdung antwortete: meine eigene. Als Roche sich erkundigte, ob das nicht sei, als trinke man sein eigenes Sperma, war er wieder hellwach.

Ob auch ihr neues Buch autobiografische Züge trage, fragt jetzt ein älterer Mann. Schwer zu sagen, antwortet sie, immerhin hätte sie ihre Eltern nicht umgebracht. Aber wie ihre Tochter, ruft einer aus der dritten Reihe, eigentlich mit der spezifischen, sagen wir, Aura ihrer Mutter klarkomme, in der Schule zum Beispiel?

Roche, den Fragesteller hypnotisierend: Meine Tochter geht nicht zur Schule!

Publikum: Wie schaffen Sie es, zugleich viel Sex und einen Mann zu haben?

Ein Witz! Nur ein Witz

Roche: Mein Sexleben hat mit meinem Mann nur wenig zu tun!

Lautes Klatschen aus der letzten Reihe.

Roche: War ein Witz! Er sitzt dort vorn!

Betretenes Schweigen im Saal.

Dass sie sich nichts Größeres vorstellen könne, als mit ein und demselben Mann alt zu werden und, wenn möglich, mit ihm zusammen zu sterben, hat sie vorhin gesagt. Jetzt sagt sie es nicht. In jedem Anarchisten, jedem Weltzertrümmerer wohnt ein verborgener Romantiker.

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