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Sicherheitsmann Michael Kuhr

© Michael Trippel/laif

Clans in Berlin: The Good Fellow

Viele lassen sich einschüchtern von den Clans in Berlin. Der Personenschützer Michael Kuhr bietet ihnen die Stirn. Ein Angeber? Ermittler sagen: Der Mann ist ein Segen für diese Stadt.

Neulich hat Michael Kuhr Besuch bekommen. In einem Schuhladen in der Tauentzienstraße stand plötzlich ein Mitglied der Abou-Chakers vor ihm, grüßte ganz herzlich, wollte Hände schütteln, als seien sie beste Kumpels. Das sind sie aber nicht. Genau genommen hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt, seit dem Prozess. Und jetzt diese übertriebene Freundlichkeit in aller Öffentlichkeit.

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Geste des polizeibekannten Mannes zu deuten. Die eine lautet: Schwamm drüber, lass uns Frieden schließen. Die andere lautet: Seht her, wir verstehen uns so gut … Falls dem Michael Kuhr mal etwas zustoßen sollte, muss jemand anderes daran schuld sein.

Nein, sagt Kuhr, sie haben ihn ganz sicher nicht vergessen. Und vermutlich nicht verziehen, was er damals im Gerichtssaal getan hat. Dass er sich nämlich ausnahmsweise nicht so verhalten hat, wie sich Menschen sonst verhalten, wenn sie gegen Angehörige eines berüchtigten Berliner Clans aussagen sollen: sich ohne Vorwarnung an nichts mehr erinnern. Michael Kuhr hat sich damals sehr genau erinnert, und das hat ihn später in Lebensgefahr gebracht.

Heute sitzt er in der Lobby eines Charlottenburger Hotels an einem weißen Holztisch und trägt Wollpulli. Auf die Idee käme man ja nie: dass so ein harter Hund, der sich mit einem Clan anlegt, Wollpulli trägt. Vergangenen Sonntag hat er „Tatort“ geguckt. Den über eine arabische Großfamilie, die sich vom Staat nichts bieten lässt, tief ins organisierte Verbrechen verstrickt ist. „Schon wieder Klischees“, haben viele Zuschauer gedacht. Kuhr dachte: „Endlich mal die Realität!“ Er hat etwas ganz Ähnliches erlebt, einiges davon stand schon in Zeitungen.

„Haben Sie heute noch Angst?“

„Nein.“

„Aber damals?“

„Nein, eigentlich nicht.“

Als Kuhr in den Saal gerufen wurde, blickt er jedem Zuschauern einzeln ins Gesicht

Es begann vor fast genau vier Jahren, am 6. März 2010. Im Hotel Hyatt am Potsdamer Platz fand ein großes Pokerturnier statt, bis vier Maskierte die Empfangshalle stürmten, einen Teil des Jackpots erbeuteten und flüchteten. Die Täter waren bald stadtweit als „die Pokerräuber“ bekannt, und es dauerte nicht lange, bis sich der erste der Polizei stellte. Die Männer hatten viele Spuren hinterlassen. Manche trugen nicht mal Handschuhe.

Als der Pokerraub geschah, war Michael Kuhr nicht am Tatort. Aber er war der Chef der Sicherheitsfirma, die das Turnier beschützen sollte. Der Veranstalter hatte sechs seiner Mitarbeiter geordert, auf eigenen Wunsch unbewaffnet. Einem gelang es, den Räubern noch an Ort und Stelle einen Großteil der Beute wieder abzunehmen, so dass diese bloß mit 240 000 Euro entkamen.

Bei den Ermittlungen half Michael Kuhr der Polizei, wo er nur konnte. Und er erkannte auf einem Überwachungsvideo den damals 31-jährigen Mohammed Abou-Chaker. Genau das sagte Kuhr später im Gericht aus.

Die Abou-Chakers, das ist eine jener Handvoll arabischer Großfamilien, gegen die wegen etlicher Delikte im Bereich der organisierten Kriminalität ermittelt wird. Die Clanmitglieder bestreiten, was man ihnen nachsagt. Schutzgelderpressung zum Beispiel, damit hätten sie nichts zu tun. Bundesweite Berühmtheit erlangte die Familie 2013, als der „Stern“ über die engen Verbindungen des Rappers Bushido zum Clan berichtete.

Auffällig viele Strafverfahren gegen Mitglieder dieser Clans führen nicht zu Verurteilungen, auch weil dem Staatsanwalt immer wieder Zeugen fehlen. Oder jedenfalls solche, die auch wirklich bereit sind auszusagen. Die meisten haben schlicht Angst.

„Und Sie haben echt keine Angst gehabt, Herr Kuhr?“

„Ich habe Angst im Flugzeug. Da kann ich ja nichts kontrollieren. Ich muss immer kontrollieren können, sonst bekomme ich Angst.“

Die Verhandlung fand im Herbst 2010 im Moabiter Kriminalgericht, Saal 500, statt. Die vier Räuber, die im Hyatt dilettantisch versucht hatten, das Geld an sich zu reißen, waren da schon verurteilt. Nun wurde Mohammed Abou-Chaker und einem weiteren Verdächtigen der Prozess gemacht, sie sollen die Drahtzieher gewesen sein. Die Angeklagten saßen hinter schusssicheren Fensterscheiben, auf den Zuschauerbänken am hinteren Ende des Saals Freunde und Familienmitglieder.

Als Michael Kuhr in den Saal gerufen wurde, hat er sich nicht gleich auf seinen Stuhl gesetzt. Sondern ist rüber zu den Zuschauern und hat jedem einzelnen ins Gesicht geblickt.

Wer die Tür eines Clubs besetzt, kontrolliert den Drogenhandel

Sicherheitsmann Michael Kuhr
Sicherheitsmann Michael Kuhr kooperiert mit der Polizei. Sie sei die „stärkste Gang der Stadt“.

© Michael Trippel/laif

Für einen Security-Mann ist Michael Kuhr ziemlich klein. 1,67 Meter, die meisten Türsteher sind mindestens einen Kopf größer. Deswegen nennt er sich selbst einen „sprechenden Embryo“. Kuhr macht gern Witze über sich. Am Anfang seiner Laufbahn wurde er oft unterschätzt. Aber Michael Kuhr war mal Hochleistungssportler. Er ist sechsfacher Weltmeister im Kickboxen. Geboxt hat er auch. Aufgewachsen ist Michael Kuhr in Wedding. Seestraße, Ecke Kapernaumkirche. Zuerst war er Postbote, verteilte morgens ab fünf seine Briefe. Seestraße 1 bis 60. Um danach zu trainieren. Mit 17 war er schon Vizeweltmeister.

Aus der Zeit als Kickboxer kennt er viele Unterweltgrößen. Oder besser gesagt: Sie kennen ihn, weil sie zu seinen Kämpfen kamen und ihn bejubelten. Auch mit den Abou-Chakers verstand er sich gut. Bis zu dem Moment im Gericht, als sich Kuhr entscheiden musste.

Er hat damals nicht nur ausgesagt, weil es moralisch das Richtige war, sagt Michael Kuhr heute. Sondern auch aus Eigennutz. Er musste um den Ruf seiner Firma fürchten. Jemand hatte das Gerücht gestreut, einer seiner Mitarbeiter sei in den Raub verwickelt gewesen. Hätte er der Polizei nicht bei der Aufklärung geholfen, hätte ihn das verdächtig gemacht. Außerdem ist genau das Kuhrs Politik, seit er 1982 angefangen hat in diesem Geschäft: Er kooperiert immer mit der Polizei. Er sieht sie als seine Verbündeten, sagt Sätze wie: „Die sind die stärkste Gang der Stadt.“ Das ist sehr selten in der Branche.

Mit dieser Strategie hat er sich ein Imperium aufgebaut. Seine Firma Kuhr Security beschäftigt heute 70 Mitarbeiter, stellt die Türsteher für Dutzende Clubs in der Stadt, zu den bekanntesten gehören die „Amber Suite“ und das „Adagio“. Kriminelle haben mehrfach versucht, Kuhrs Einfluss zurückzudrängen oder in seine Firma einzusteigen, denn es gilt die Regel: Wer die Tür eines Clubs besetzt, kann drinnen den Drogenhandel fördern und kontrollieren. Das bringt Geld.

Michael Kuhr hat beides stets abgewehrt, die Drogen und alle Versuche, seine Firma zu kapern. Sein Unternehmen ist auch für die Sicherheit im Soho House und im Estrel-Hotel zuständig, schützt Veranstaltungen wie die Gala „Cinema for Peace“, und wenn das Einkaufszentrum „Leipziger Platz Quartier“ steht, wird er auch dort seine Leute hinschicken, vorgestern hat er den Zuschlag bekommen, an seinem 52. Geburtstag.

Kann es so was überhaupt geben: einen ehrlichen, unbestechlichen Security-Chef?

Kann es so was überhaupt geben: einen ehrlichen, unbestechlichen Security-Chef, der allem Druck widersteht und konsequent mit der Polizei zusammenarbeitet? Ein LKA-Ermittler sagt: ja, genauso ist es. Kuhr sei eine Ausnahmeerscheinung, einer, der mit „beeindruckender Gradlinigkeit sein Ding durchzieht“. Außer Kuhrs Firma kennt der Ermittler nur einen einzigen Sicherheitsdienst in Berlin, der eine ähnlich klare Politik fahre. Dafür aber viele andere, die früher oder später eingeknickt sind vor den Banden. „Man kann sagen: Michael Kuhr ist ein Segen für diese Stadt.“

Der Richter im Pokerraub-Prozess hat Mohammed Abou-Chaker damals als Drahtzieher verurteilt. Per Handy hatte der das Startsignal für den Überfall gegeben. Strafe: sieben Jahre und drei Monate Haft. Die Aussage von Michael Kuhr war nicht der ausschlaggebende Grund für die Verurteilung, es gab zahlreiche andere Beweise. Und trotzdem hatte Kuhr einen Tabubruch begangen. Ein Mann, den sie seit Jahren kannten, hatte vor Gericht tatsächlich gegen einen Abou-Chaker ausgesagt.

Anderthalb Jahre später, im Frühjahr 2012, erhielt die Polizei einen Tipp. Michael Kuhr sollte ermordet werden. Angeblich wurde sogar bereits ein Killer beauftragt, das potenzielle Opfer seit Wochen observiert. Der Auftrag soll aus dem Umfeld des Clans gekommen sein.

„Da war ich erst mal drei Monate eins“, sagt Kuhr heute. Bedeutet Gefahrenstufe eins. Bewachung rund um die Uhr. Die Polizei lud dann zwei hochrangige Clanmitglieder zur sogenannten Gefährderansprache, auch Kuhr war im Raum. Die Ermittler warnten den Clan, es gebe Hinweise auf einen Mordplan. Sinngemäß sagten sie: Falls Michael Kuhr etwas zustößt, wissen wir, gegen wen wir ermitteln werden. Die Abou-Chakers wiesen alle Vorwürfe weit von sich. Und wer könnte überhaupt ausschließen, dass der angeblich Gefährdete alles nur inszeniert habe, um sich zu promoten?

Er sagt: "Die Lage ist aussichtslos"

Sicherheitsmann Michael Kuhr
Sicherheitsmann Michael Kuhr kooperiert mit der Polizei. Sie sei die „stärkste Gang der Stadt“.

© Michael Trippel/laif

Inzwischen ist Kuhr auf Gefahrenstufe zwei runtergesetzt. Er steht in ständigem Kontakt mit der Polizei, und überall, wo es brenzlig werden könnte, sind Beamte zur Stelle. Es gibt weitere Vorkehrungen, über die Kuhr nicht sprechen darf.

Alle Clanmitglieder haben dort, wo Michael Kuhr die Türsteher stellt, Hausverbot. Und der Security-Chef spricht von „Staatsversagen“. Davon, dass Politiker nicht die Wahrheit erzählen, verschweigen, wie mächtig die Organisierte Kriminalität tatsächlich ist: einzelne Großfamilien, aber auch Rockerklubs. „Wer jeden Abend an der Front kämpft, weiß, wie aussichtslos die Lage ist.“ Er sagt, es bräuchte viel mehr Polizisten in Berlin. Die auch mehr Präsenz auf den Straßen zeigen. „Wenn sich ein hoher Politiker hinstellt und sagt, die Situation sei gar nicht so dramatisch, muss ich lachen.“

Der LKA-Ermittler, der Kuhr lobt, sagt auch: Das System ist schuld, dass der deutsche Rechtsstaat derart wehrlos ist. Dass sich die allermeisten Zeugen unter Druck setzen lassen und plötzlich, wenn es darauf ankommt, sich an nichts mehr erinnern. Aus Angst um die eigene Gesundheit oder die ihrer Familie. Im Grunde fange es schon mit der Anzeigenaufnahme der Streifenpolizei an: „Sobald der Beamte merkt, dass er es hier mit Rockern oder einem Clan zu tun hat, dürfte er die Personalien des Zeugen eigentlich gar nicht in den Polizeicomputer eingeben.“ Sie müssten separat gesichert werden, damit sie nicht – oft inklusive Meldeadresse – in den Gerichtsakten und damit in den Händen der Verteidiger landen. „Ein anderes, zeugenfreundlicheres System wäre möglich. Aber keiner packt’s an.“

Der Rapper Kay One stieg aus - er ist jetzt einer seiner Kunden

Es gibt Geschichten, die möglichen Zeugen Angst machen. Wie die des Charlottenburger Café-Besitzers, der gegen ein Mitglied der Abou-Chakers aussagte. Im März 2013 erschien ein Unbekannter mit Kapuzenpulli in seinem Laden und stach 15 Mal mit einem Messer auf den Zeugen ein. Aktuell läuft ein Gerichtsverfahren gegen einen Mann aus dem Umfeld des Clans. 

„Ich habe Verständnis für jeden, der unter solchen Rahmenbedingungen nicht bereit ist, denselben Weg zu gehen wie ich“, sagt Michael Kuhr.

Es gibt einen weiteren Grund, warum er wohl noch länger auf der Feindesliste der Abou-Chakers stehen wird. Er hat jetzt einen prominenten Abtrünnigen des Clans als Kunden. Rapper Kay One, früher enger Freund von Bushido, der sich von seinem Mentor und dem ganzen Clan losgesagt hat. Jetzt bucht er Kuhrs Personenschützer.

In seiner Zeit im Clan hat Kay One mitbekommen, dass Kuhr nicht einknickte, dem Clan die Stirn bot. Da hat er sich gedacht: Wen könnte ich jetzt Besseres engagieren? Bushido hat Michael Kuhr daraufhin öffentlich verspottet. In einem Video, das er auf Youtube hochgeladen hat, wünscht Bushido Kay One und Kuhr viel Spaß in den "Flitterwochen“. Michael Kuhr hat mit einem öffentlichen Brief an Bushido geantwortet. In genau dem Tonfall, in dem er zu allen seinen Problemfällen spricht: diplomatisch, respektvoll, aber verbindlich. „Du bist für viele Menschen ein großes Idol. Wach endlich auf und übernimm Verantwortung.“

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