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Notbesetzung. Nach einem Coronavirus-Fall im Tagesspiegel arbeitet die Redaktion im Großraumbüro mit so wenig Personal wie möglich.

© Mike Wolff

Coronavirus-Fall im Tagesspiegel: Wie das Virus unseren Alltag auf die Probe stellt

Auch beim Tagesspiegel gibt es einen Infizierten. Wie gehen wir damit um? Alle versuchen ihr Bestes. Und verzweifeln an den Gesundheitsämtern.

Von Maris Hubschmid

Es ist 6.24 Uhr, als am Mittwochmorgen im Postfach sämtlicher Verlagsangestellter eine E-Mail eingeht. „Dringende Mitarbeiterinformation“, schreibt die Geschäftsführung: „Wir haben bedauerlicherweise seit gestern Abend einen bestätigten Coronavirus-Fall im Tagesspiegel-Haus. Alle Kolleginnen und Kollegen, die Kontaktpersonen ersten Grades sind, wurden darüber informiert und bleiben die nächsten zwei Wochen zu Hause. Wir bieten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an, ins Homeoffice zu wechseln (…) Ausdrücklich appellieren wir an Sie, wenn Sie Symptome aufweisen, die auf eine Infektion mit dem Coronavirus hindeuten, zu Hause zu bleiben.“

Zu diesem Zeitpunkt arbeiten im Verlagssitz am Anhalter Bahnhof in Berlin-Kreuzberg, zwischen Potsdamer Platz und Tempodrom, bereits eine Handvoll Leute: Homepagemanager und Online-Dienst, Berlin-Frühschicht und Newsletterbeauftragte.

[Unseren Liveblog zur Corona-Krise in Berlin gibt es hier.]

Elf Minuten später kündigt die Chefredaktion an, die morgendliche Planungsrunde auf ein Minimum an Teilnehmern zu reduzieren. Eine für den kommenden Tag geplante Versammlung der Gesamtredaktion wird abgesagt.

Das Sportressort meldet über den Haupt-Kommunikationskanal Slack als erstes, an diesem Tag komplett von zu Hause aus zu arbeiten. Redakteure wie Layouter, Bildbearbeiter, Vertriebsmitarbeiter tragen ihre Handynummern für alle sichtbar ins Verlagssystem ein.

Wer seine E-Mails in der Früh nicht bereits von zu Hause aus abgerufen hat, wundert sich beim Eintreffen, wie still es auf den Fluren ist. Oder stellt zuallererst fest: Die Kantine ist geschlossen.

Die Ansage des Chefredakteurs ist deutlich

Die Nachricht trifft das Zeitungshaus nicht unvorbereitet. Seit Wochen tragen Journalisten Fakten, Berichte und Servicetipps für Leser zusammen, bereiten sich Arbeitsgruppen in allen Abteilungen auf den Ernstfall vor. Zusätzliche Homeofficezugänge sind eingerichtet und Listen erstellt worden, wer von außen unter welchen Bedingungen und mit welchen Einschränkungen die Zeitungs- und Nachrichtenproduktion aufrechterhalten kann.

[Wie schütze ich mich? 66 Fragen und Antworten zum Coronavirus]

Um 9.15 Uhr sitzen sich dann immer noch 13 Redakteure im Konferenzbereich im dritten Stock gegenüber, jeder zweite Hocker am Stehtisch bleibt frei. Ein Meter Sicherheitsabstand? Lachen, Unsicherheit.

Die Ansage des Chefredakteurs Mathias Müller von Blumencron ist deutlich: „Wer nicht unbedingt für die Produktion gebraucht wird, soll von zu Hause arbeiten.“ So lange nicht geklärt ist, ob weitere Mitarbeiter das Virus haben, ist das Ziel, dass sich im Haus so wenige wie möglich begegnen.

In der Nacht bekommt ein Verlagsbeschäftigter Fieber

Fünf Tage vorher. Die Zahl der bekannten Infizierten in Berlin liegt da bei 19. In der Nacht von Freitag auf Samstag bekommt ein Verlagsbeschäftigter Fieber. „Das ging um 22 Uhr schlagartig los“, erzählt er am Telefon. Er hat an jenem Tag, da er keine Termine hatte, ohnehin von zu Hause aus gearbeitet, sich aber gut gefühlt. Nun zeigt das Thermometer an die 39 Grad. Glieder und Muskeln schmerzen.

Das Wochenende wird für den 42-Jährigen unangenehm. „Ich habe die meiste Zeit geschlafen“, schildert er. Eigentlich hatte seine Abteilung ein Abendessen geplant, ein nachgeholter Neujahrsumtrunk bei ihm. Er sagt den Kollegen ab. Zu dem Zeitpunkt aktualisiert der Wochenenddienst im Corona-Blog auf der Tagesspiegel-Webseite die Zahl der bekannten Infizierten: 24 bestätigte Fälle von Covid-19 in Berlin.

Montagmorgen, der Mitarbeiter telefoniert mit seiner Hausarztpraxis. Die Nacht war besser als die vorangegangene, er kann das Bett verlassen, hat aber immer noch Fieber – und braucht eine Krankschreibung. Die Arzthelferin bittet ihn, erst nach 11.30 Uhr zu kommen: Sie will vermeiden, dass Akutpatienten mit anderen Schulter an Schulter sitzen. „Die Ärztin hat mir in den Rachen geschaut und gesagt: Oh, der ist ja ganz rot.“ Husten, Halsschmerzen? Eigentlich nicht, antwortet er. Das irritiert die Medizinerin. „Wir machen lieber mal den Test.“

„Ich selber hätte nie getestet, weil ich nicht in einem Risikogebiet war, keinen Kontakt zu einer infizierten Person hatte“, sagt der Kollege. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das Virus habe.“

Kopfschmerzen, Übelkeit, leichte Halsschmerzen

Der Mitarbeiter leitet im Tagesspiegel eine Abteilung von fünf Leuten. Bereits am Mittwoch der Vorwoche hatte sich eine Kollegin krank gemeldet. Die Symptome: vordergründig Kopfschmerzen, ein leichtes Übelkeitsgefühl, leichte Halsschmerzen. Drei Tage bleibt sie zu Hause – einen Arzt konsultiert sie nicht. „Ich wollte mich in diesen Zeiten ungern in ein überfülltes Wartezimmer setzen.“

Übers Wochenende geht es ihr besser. Als sie erfährt, dass ihr Teamleiter ausfällt, ist für sie klar, dass sie am Montag wieder arbeiten wird. „Man will ja den Laden am Laufen halten.“ Coronasymptome zeigt sie nicht.

Die noch angeschlagene Kollegin, ihre Stimme hörbar belegt, und die übrigen drei Teammitglieder sitzen am Montag beim Mittagessen, als die Nachricht des Kollegen auf den Mobiltelefonen aufleuchtet, dass er auf Corona getestet wird.

Der Tagesspiegel meldet kurz zuvor: „48 Infizierte in Berlin“, die Gesundheitssenatorin halte die Lage für „hochdynamisch“. Der Mitarbeiter hat ein Einzelbüro, doch alle fünf Teammitglieder sitzen häufig und eng beisammen, um sich abzustimmen. Das Team geht zur Verlagsleitung. Bis das Ergebnis vorliegt, verständigt man sich, sollen alle von zu Hause aus arbeiten.

Die Hausärztin ist am Telefon: Der Test ist positiv.

Dienstagabend, kurz vor 20 Uhr. Bei dem Erkrankten klingelt das Telefon. Die Hausärztin ist dran: Der Test ist positiv. Das Gesundheitsamt sei bereits vom Labor informiert, werde sich am nächsten Morgen melden.

„Mein erster Gedanke war: Wenn es das ist, dann ist es gar nicht so schlimm“, beschreibt der Kollege seine Gefühle. Da überwiegt, bei allem Staunen, die Erleichterung, dass die Krankheit nicht dramatischer verläuft. Die Ärztin sagt: Er solle sich möglichst schnell Gedanken machen, mit wem er in Kontakt stand. Zuallererst ruft er seine Vorgesetzte an.

„Ich war im ersten Augenblick vor allem verblüfft“, sagt die. In der Vorwoche hatten sie noch zusammen beratschlagt: „Was tun wir im Fall, dass…? Ich dachte, das ist jetzt eine Herausforderung. Aber ich fühlte mich nicht bedroht.“

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Gemeinsam rechnen sie zurück. Ab wann könnte er das Virus in sich gehabt haben? Sie kommen auf den 29. Februar. Die Chefin bittet den Infizierten, eine Liste anzufertigen mit zwei Kategorien von Personen: Jenen, die in den zurückliegenden zwei Wochen mit ihm in engem Kontakt waren und solchen, denen er im Rahmen größerer Besprechungen begegnet ist. Ihr ist klar, dass ihr Name in der ersten Kategorie stehen wird. Am Ende sind ein gutes Dutzend Namen auf der Liste. Die Vorgesetzte erreicht fast alle per Handy.

Der betroffene Mitarbeiter ist verheiratet. Sein Mann zeigt bislang keine Symptome. Er wird am Mittwoch getestet. Der Tagesspiegelmitarbeiter ruft seine privaten Kontakte an. Alle reagieren „freundlich, verständnisvoll, besorgt“.

Wie bereits am Wochenende schluckt er Paracetamol zur Fiebersenkung – weiter nichts. Sein Gesamtzustand? „Nicht so schlecht. Ich bin heiser, habe keine Atemnot oder so. Anders als in den Tagen zuvor meine ich, ab und zu meine Lunge zu spüren.“ Die Ärztin schreibt ihn krank bis zum 23. März. „Wenn ich bald symptomfrei sein sollte, bleibt es dabei. Ich kann zu Hause bleiben – und muss nicht ins Krankenhaus.“

Das Gesundheitsamt telefonisch erreichen? Unmöglich

Während im Tagesspiegelhaus debattiert wird, welche Pressekonferenzen man noch besuchen soll, hat sich den gesamten Mittwochvormittag noch niemand vom Gesundheitsamt bei dem Coronakranken gemeldet. Alle, mit denen er nur kurzen Kontakt hatte, sind aus Sicherheitsgründen im Homeoffice. Er rätselt: „Ich habe gar keine Erklärung dafür, wo ich mich angesteckt habe. Ich war in keinem Club, keiner Diskothek, bei keiner Veranstaltung.“

Er fragt sich, ob er sich bei der Kollegin angesteckt haben könnte, die zuerst Erkältungssymptome hatte.

In dem Moment, in dem sie erfahren hat, dass es sich bei ihrem Kollegen tatsächlich um das Coronavirus handelt, ist bei der 32-Jährigen, wie sie sagt, „die telefonische Odyssee losgegangen“. Die Kollegin sorgt sich um ihre Eltern, beide über 80. Beide haben eine Autoimmunerkrankung. Erst zwei Tage, bevor ihre Kopfschmerzen begannen, hat sie sie besucht.

„Ab acht Uhr habe ich versucht, das Gesundheitsamt anzurufen.“ Das Bezirksamt Mitte hat eine spezielle Coronahotline eingerichtet, aber in Pankow, wo sie lebt, gibt es derlei nicht. „Mein Partner und ich haben beide nebeneinander vor unseren Telefonen gesessen und ununterbrochen versucht, die beiden Nummern, die wir im Internet gefunden haben, anzurufen. Es war immer besetzt.“ Da, endlich, ein Freizeichen – niemand geht dran.

„Die Dame schien mir unfassbar überfordert“

Parallel versucht der Rest des Teams, die jeweiligen Gesundheitsämter zu kontaktieren. Zuerst kommt eine Kollegin in Friedrichshain-Kreuzberg durch. Nach zwei Stunden. Testen würde man sie erst, wenn sie Symptome zeige, sagt die sehr freundliche Bezirksangestellte. Die Verlagsmitarbeiterin müsse aber 14 Tage in Quarantäne bleiben – ab dem Tag, an dem sie ihren Teamleiter zum letzten Mal gesehen hat. Die Anordnung und ein Merkblatt mit Handlungsanleitungen – keinen Besuch empfangen, regelmäßig lüften –, kommen wenig später per Mail. Eine Kollegin in Moabit dagegen gibt irgendwann auf. Der erkälteten Kollegin gelingt es nach zweieinhalb Stunden erstmals, jemanden zu erreichen.

Sie schildert Fall und Symptome. Die Frau rät ihr, sofort die 116 117 anzurufen, den bundesweiten Notdienst der kassenärztlichen Vereinigung. Der könne an die Haustür kommen und den Test machen. Die Kollegin fragt, was passiert, wenn sie bei dieser Nummer ebenso wenig durchkomme wie bei dieser? „Dann müssen Sie mich erneut anrufen.“

„Die Dame schien mir unfassbar überfordert. Sie sagte, dass sie selber nicht heraustelefonieren könne, weil die Leitungen im Amt zusammenbrächen – wie Handynetze an Silvester. Es wurde keine Telefonnummer oder E-Mailadresse von mir aufgenommen, ich bekam keine Bestätigung, nichts.“

[Wie schütze ich mich? 66 Fragen und Antworten zum Coronavirus]

Unter der 116 117 schaltet sich eine automatische Ansage ein. Minutenlang werden generelle Hinweise zum Umgang und zur Vorbeugung gegen das Coronavirus eingespielt: Regelmäßiges, gründliches Händewaschen, in die Ellenbeuge husten. In ein Papiertaschentuch niesen und es in einen Abfalleimer mit Deckel entsorgen. Wenn sie mit einem Callcentermitarbeiter sprechen wolle, wird die Anrufende vertröstet, „bleiben Sie in der Leitung“.

Auf Aufforderung tippt sie ihre Postleitzahl ein. Im nächsten Schritt soll sie die 1 für den Bereitschaftsdienst drücken. Die 2 für Datenschutzfragen. Egal, wofür die Kollegin sich entscheidet: Sie wird zurückgeworfen an den Anfang des Auswahlmenüs. „Ich bin dann eine Dreiviertelstunde einfach drangeblieben, weil ich dachte, vielleicht passiert noch was.“ Irgendwann beginnt eine Hintergrundmusik zu laufen. Es passiert nichts.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Um 11.46 Uhr meldet sich das Gesundheitsamt Charlottenburg-Wilmersdorf bei dem infizierten Tagesspiegelmitarbeiter. „Das war etwas skurril, die Erfahrung“, schildert er. Die Dame habe ihn dreimal gefragt, wo er arbeite und mit wie vielen Personen er in den zurückliegenden zwei Wochen Kontakt hatte. „Ich habe wiederholt: 40. Sie sagte: Was, so viele? Das schaffen wir nicht.“ Schließlich erklärt sie ihm, dass sie die Privatadressen aller Personen brauche. Die werde sie an das jeweilige Bezirksgesundheitsamt weiterleiten. Das müsse dann entscheiden, wie es weiter verfährt.

56 Anrufversuche - alle erfolglos

Die allermeisten identifizierten Kontakte ersten Grades, die sich auf Anraten des Arbeitgebers in häuslicher Quarantäne befinden, hat zu diesem Zeitpunkt noch niemand von offizieller Seite aufgeklärt, wie sie sich verhalten sollen. In einem Gruppenchat halten sie einander auf dem Laufenden. Die Mitarbeiter googeln: Häusliche Quarantäne – was bedeutet das eigentlich? Darf man noch das Paket abholen, das der Nachbar angenommen hat?

Während all dem bangt die Hausärztin des Infizierten in Charlottenburg, ob ihre Praxis zugemacht wird. Und ist froh, als das Gesundheitsamt entscheidet: Weil sie alle Vorkehrungen getroffen, den Patienten isoliert und sich Plastikanzug, Schutzbrille und -haube übergezogen hat, ehe sie die Probe nahm, darf sie weiterarbeiten. Das selbe Gesundheitsamt versucht die Vorgesetzte des Infizierten binnen 24 Stunden mehr als 50 Mal vergeblich zu erreichen.

Auch die erkältete Kollegin ruft ihre Hausärztin an. Doch sie erwischt nur den Anrufbeantworter. Weiter und weiter hängen ihr Freund und sie in Warteschleifen. Auch er zeigt nun erste, wenn auch leichte Krankheitserscheinungen.

Der Mann der Abteilungsleiterin hat Diabetes und gilt somit als besonders gefährdet. Für beide steht fest: In den nun beginnenden zwei Wochen leben sie getrennt. Da sie beruflich pendeln, haben sie zwei Wohnungen.

Da bricht die Bestellapp zusammen

Auch im Homeoffice haben alle genug zu tun. Eine für Mittwoch geplante Veranstaltung im Haus wird abgesagt. 230 Gäste waren angemeldet. In aller Schnelle wird ein Schreiben vorbereitet, werden Redner informiert. Das Foyer weiß Bescheid. „Alle handeln extrem ruhig, kooperativ, mitdenkend und fürsorglich“, stellt die Vorgesetzte fest. Kundengespräche werden ausschließlich telefonisch wahrgenommen.

Sämtliche Mitarbeiter der Abteilung stehen im Austausch, werden am Donnerstag um zehn Uhr erstmals eine Videokonferenz abhalten – und unabhängig voneinander berichten: „Wir haben uns so gefreut, einander zu sehen.“ Kollegen anderer Abteilungen stellen Laptops zur Verfügung. Im Verlagshaus am Askanischen Platz gehen zwei Leute durch die Räume und leiten die Telefone auf die Handys um.

In der Mittagspause beginnt die Vorgesetzte, Eingefrorenes aus ihrer Tiefkühltruhe aufzutauen. Der infizierte Kollege hat über den Rewe-Lieferservice eingekauft. Die erkältete Kollegin empfiehlt ein anderes Portal – kurz darauf bricht die Bestellapp zusammen. Im Corona-Blog heißt es nun: 81 Infizierte in Berlin.

Während die Kollegin in Kreuzberg gewissenhaft wie empfohlen zweimal täglich ihre Temperatur misst, haben die erkältete Kollegin und ihr Freund noch immer nichts erreicht. Im Virchowklinikum gibt es eine Art Drive-Through-Klinik, erinnert er sich. „Kommen Sie gern“, sagt der Pförtner am Telefon. „Aber Sie werden lange, sehr lange warten müssen.“ Die beiden haben kein Auto. Sollen sie sich eines leihen? Oder gar Busfahren?

Auch die Abteilungsleiterin telefoniert abermals ohne Erfolg. „Wir haben alle verantwortungsvoll gehandelt“, betont sie. „Eigentlich sollten doch aber die Behörden ein Interesse daran haben, jemanden wie mich aus dem Verkehr zu ziehen.“

Sieben Stunden in der Warteschleife

Der Infizierte bekommt die Info, dass die von ihm, dem Kranken, zusammengetragenen Personen postalisch angeschrieben werden. Eine Absurdität: Weitere Zeit verstreicht in Ahnungslosigkeit. Und da die Bewegungszone in häuslicher Quarantäne per Definition an der Wohnungstür endet, dürften die Betroffenen nicht einmal zum eigenen Briefkasten gehen.

Am späten Mittwochnachmittag dann erreicht die erkältete Kollegin endlich ihre Hausärztin. Da haben ihr Freund und sie zusammen sieben Stunden vergeblich in Warteschleifen gehangen. Die Ärztin sagt: Wir schließen gleich unsere Praxis. Kommen Sie mit Ihrem Partner vorbei.

„Ich war so dankbar, ich wäre ihr am liebsten um den Hals gefallen“, sagt die Kollegin. Selbstverständlich helfe ich Ihnen, habe die Ärztin gesagt, Schutzkleidung und Mundschutz angelegt. „Sie hat eine Riesenbürde von mir genommen.“ Die Ärztin nimmt beiden Blut ab, macht Abstriche in Nase und Rachenraum.

Die Vorgesetzte hat am Donnerstagmittag Glück: Beim 57. Versuch erreicht sie eine Mitarbeiterin – der Stadtentwicklung. Sie ist abbeordert worden und „wirklich sehr freundlich“. Jetzt werden die Daten aufgenommen. Was die Tagesspiegelkollegin da noch nicht weiß: Ein zweiter Mitarbeiter – diesmal der Sportredaktion – hat sich infiziert, das Virus aus dem Italienurlaub mitgebracht, ist seither aber nicht im Haus gewesen. Die Beamtin für Stadtentwicklung verspricht, man werde sich melden.

Am Donnerstagnachmittag bekommen sowohl die erkältete Teamkollegin und ihr Freund wie auch der Mann des Erkrankten ihre Laborergebnisse. Alle drei sind negativ getestet. Die übrigen Kontaktpersonen ersten Grades hatten keine Chance, sich testen zu lassen. Der Tagesspiegel meldet online zu diesem Zeitpunkt: 118 Infizierte in Berlin.

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