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In Kuba wurde Monika Krause vom vielen verehrt.

© Verena Friederike Hasel

Das kubanische Tabu: Wie eine Deutsche zur Aufklärerin der Nation wurde

Sie hatten eine politische Revolution gemacht – aber die sexuelle hatten sie in Kuba verpasst. Darum bekam Monika Krause einen Sonderauftrag. Eine Deutsche wurde Aufklärerin der Nation. Sie wurde eine Berühmtheit, ihr neuer Name hieß: La reina del condon, die Königin des Kondoms.

Wenn Monika Krause sich durch ihre Wohnung bewegt, ist sie nie allein. Hunderte von Augen sehen ihr zu, wie sie in der Küche am Herd steht oder im Wohnzimmer liest, sie schauen von Fensterbrettern, Kommoden und Regalen und gehören zu Wesen aus Stein. Manche Steine stehen für sich, so wie das Gesicht auf dem Bücherbrett – seine abgeschliffene runde Form, das Rot seines Mundes kommen aus dem Meer, Krause hat nur noch die zwei schwarzen Augen dazugemalt. Andere wie der Hund, der hinter dem Sofa sitzt, sind aus mehreren Steinen zusammengeleimt. Vielen hat Krause einen Namen gegeben, es gibt „Konrad Adenauer“ und das „Phantom der Oper“, alle hat sie an den Stränden der Ostsee gefunden. „Steine“, sagt Krause, „sind etwas, das nie vergeht.“

Im Leben von Monika Krause, 72, ist viel vergangen – eine ganze Ära, die 30 Jahre lang währte und ihr Berühmtheit brachte, ist darin verschwunden. Die zierliche Frau, die in manchen Momenten zerbrechlich und in anderen drahtig wirkt und sich zu jeder Zeit so gerade hält, dass man sich selbst gleich strafft, war Kubas Lieblingsdeutsche und wurde zur Aufklärerin einer Nation, die sich die politische Revolution auf die Fahnen geschrieben und die sexuelle verpasst hatte. Reina del condon, Königin des Kondoms, war Krauses Spitzname auf der Insel. Als sie 1990 nach Deutschland zurückkehrte, blieb ihr nur der Gang zum Arbeitsamt.

Am Anfang war die Liebe. Monika Krause, Lateinamerikanistik-Studentin in Rostock, hatte gerade vier Wochen in der Bibliothek gesessen und eine Semesterarbeit über Kuba geschrieben, dann ging sie abends aus und hatte das Land mit einem Mal leibhaftig vor sich stehen. Jesus Jiménez, Kubaner und mit 23 Jahren jüngster Kapitän der Welt, wartete in der ostdeutschen Provinz darauf, dass die Sierra Maestra fertig wurde. Sie sollte das erste Schiff der kubanischen Handelsflotte sein, und Jiménez sollte sie auf die Insel überführen. Der Bau dauerte lang, das Verlieben ging schnell, und am 26. April 1962 stieg Krause frisch vermählt mit an Bord, in ihrem Koffer einen Schiller-Band gegen Heimweh. In Hamburg hielt das Schiff mit einem Mal, „ich gratuliere“, sagte ein Hafenpolizist zu Krause, und sie fragte sich, ob man ihr das Glück ansehe. „Sie werden erwartet“, sagte der Polizist dann, und Krause sah die West-Verwandtschaft winken. Ihr Vater hatte die Cousinen per Telegramm über die Hochzeit und Ausreise nach Kuba informiert, und weil sie glaubten, dass es bei Nachrichten aus der DDR immer etwas zu dechiffrieren gab, hatten sie die Hafenpolizei verständigt und beglückwünschten Krause nun zur gelungenen Flucht. In Hamburg-Uhlenhorst stand schon das Festmahl bereit, nur mussten die Cousinen noch einen Stuhl dazustellen, Krause nahm ihren Kapitän nämlich mit. Begeistert aßen sie Brote mit allerlei Käse- und Wurstsorten. Als sie drei Wochen später planmäßig in Havanna landeten, gab es zur Begrüßung nur Reis mit schwarzen Bohnen.

Ihre Erwartungen knüpften sich an zwei Männer

An diesem Frühlingstag in Glücksburg an der Ostsee, mit Blick aufs Meer, schwimmt in Krauses Suppe alles, was sie auf Kuba vermisst hat, Karotten und Kartoffeln, Broccoli und Fleisch. „Iss“, sagt Harry Fuchs, der heute ihr Ehemann ist, „iss“, und Monika Krause, mit „Konrad Adenauer“ im Rücken, hebt den Löffel zum Mund, lässt ihn aber wieder sinken und erzählt mit langsam sich vorantastenden Worten, bis das Essen kalt ist. 30 Jahre lassen sich nicht einfach in einer Suppe versenken.

Auf Kuba knüpften sich Krauses Erwartungen zunächst an zwei Männer. Vom einen erwartete sie besseren Sozialismus, vom anderen ewige Liebe, und beide enttäuschten sie. Jesus Jiménez war bald wieder wochenlang auf Reisen, Krause dolmetschte für die DDR-Handelsvertretung und kümmerte sich allein um die zwei kleinen Söhne. Als sie am 26. Juli wenigstens einmal Fidel Castro sehen wollte, ließ er die Menschenmenge auf dem Platz der Revolution erst zwei Stunden warten und redete dann sechs. „Und das bei sengender Hitze. Wie kann man so mit Menschen umgehen?“ Krause begann sich auf die Frauenfragen zu konzentrieren: Eines Tages, als Vilma Espin, Ehefrau Raúl Castros, Mitglied im Staatsrats und Präsidentin der kubanischen Frauenföderation, Krause zu sich rief und sagte, sie habe eine Aufgabe für sie, sagte Krause sofort Ja.

1971 wurden auf Kuba die Internatsschulen eingeführt. Dort sollten alle Kinder, die älter als zwölf waren, fernab der Eltern zu sozialistischen Persönlichkeiten erzogen werden und nebenher auf Plantagen arbeiten. Die Wochenenden durften sie zu Hause verbringen, aber oft fehlte den Bussen, die für den Transport vorgesehen waren, der Treibstoff, und so blieben die Jugendlichen mitunter wochenlang unter sich. Die Folge: In den 1970ern waren 30 Prozent aller Schwangerschaften auf Kuba Teenagerschwangerschaften. Vilma Espin fragte Monika Krause, ob sie die Sexualerziehung im Land übernehmen könne. „Einer Kubanerin hätte sie das nicht abverlangen können“, sagt Krause. Damals habe Machismo geherrscht. „Männer hatten sexuelle Bedürfnisse und Frauen hatten sie zu erfüllen, nur darüber reden wollte keiner.“

„Das Tabu war riesig, und der katholische Einfluss deutlich spürbar“

Krause sitzt inzwischen auf dem Sofa, schräg gegenüber hängt ein Frauenakt Modiglianis, auf dem Fensterbrett hinter ihr stehen steinerne Wesen mit starrem Blick, manchmal kommt Harry Fuchs herein. „Habt ihr mich gerufen?“, fragt er, „nein“, sagt Krause, „ach so“, sagt er und nimmt sich einen Keks, bevor er wieder geht.

Auch sonst gab es für Vilma Espin handfeste Gründe, Krause um Hilfe zu bitten. In Sachen Sexualerziehung war der sozialistische Bruderstaat, aus dem Krause stammte, Kuba weit voraus. Im ganzen Land gab es Eheschulen, und Wissenschaftler wie Siegfried Schnabl und Heinrich Brückner hatten Aufklärungsbücher geschrieben. 1977 reiste Krause in ihre Heimat, um die beiden zu treffen. Brückner, heute 83, sagt, er erinnere sich gut, wie Krause ihn nach Kuba eingeladen habe. Er habe dort Vorträge für Ärzte gehalten, „das Tabu war riesig, und der katholische Einfluss deutlich spürbar“.

Brückners Buch hat Krause damals selbst übersetzt, für die Bebilderung schickte ihr das Kulturministerium einen Illustrator. Erzählt wird die Geschichte von zwei Kindern, Junge und Mädchen, die von ihrer schwangeren Tante gebadet und dabei aufgeklärt werden. Ein Exemplar steht heute in Krauses Regal, der Einband wirkt harmlos, fast folkloristisch, zu sehen ist ein Mädchen mit gelber Blume im Haar. Um die anderen Bilder wurde wochenlang gerungen, schließlich setzte Krause ihre Vorstellungen durch: Kinder unbedingt nackt, Bauch der Tante schön groß, Nabel deutlich sichtbar.

Monika mit „k“ gab es nicht mehr, Mónica hingegen kannte jeder

In den kommenden Jahren wurde Krause Professorin und eine nationale Berühmtheit. Monika mit „k“ gab es nicht mehr, Mónica mit „c“ und Akzent auf dem „o“ kannte jeder. In den Internaten, die sie besuchte, streckten ihr hunderte Kinder Zettel mit Fragen entgegen: Stimmt es, dass man vom Masturbieren Pickel bekommt? Was sind die Ursachen der Homosexualität im Sozialismus? An manchen Tagen wurde sie auf der Straße von Frauen angesprochen, die abtreiben wollten, an anderen erhielt sie Morddrohungen. Ihre Sendung auf Radio Rebelde, in der sie jeden Donnerstag zwei Stunden lang Fragen beantwortete, hörten Tausende, irgendwann meldete sich ein 70-jähriger Mann und sagte unter Tränen: „Kuba dankt Ihnen. Sie haben uns beigebracht, über Sex zu reden.“ Da wusste Krause: Sie hatte die Steine weich geklopft.

An diesem Tag in Glücksburg ist Krauses Stimme immer lauter geworden, ihre Hände, die anfangs im Schoß lagen, haben Kinder, Fragezettel und Telefone, Verzweiflung und Freude in die Luft gezeichnet, und Harry Fuchs, der inzwischen im Wohnzimmer sitzt, hat die Zeitung sinken lassen. Stolz sieht er sie an, diese Frau mit dem strengen Rücken, die so gestikulieren kann, deren Doktortitel am Klingelschild ihm, dem Doktor der Tiermedizin, damals in Hamburg gleich aufgefallen war, weil sie trotzdem so bescheiden auftrat. Er sprach sie an, sie begann von Kuba zu erzählen, „und dann“, sagt Fuchs beglückt, „hört sie ja so schnell nicht wieder auf“.

Kaum Mittel zur Verhütung

Heute stehen ihrer beiden Doktortitel zusammen auf einem Türschild, doch bevor es so weit kam, musste auf Kuba noch einiges schiefgehen. Da predigte Krause den Kubanern jeden Donnerstag, dass sie verhüten sollten, doch gab es kaum die Mittel dazu. Der Bau der Fabrik zur Herstellung der Antibabypille kam kaum voran. Das Fischereiministerium stellte Angelschnur aus Nylon zur Verfügung, das die Krankenschwestern im ganzen Land zu Pessaren verarbeiteten, doch die verursachten Infektionen. Das Ministerium für Leichtindustrie bestellte zusammen mit einer Lieferung von Gummihandschuhen gleich noch Kondome aus China, doch sie wurden in der Hitze klebrig. Eines Tages schaffte es Krause, Millionen von Kondomen aus London zu bekommen. Begeistert ging sie mit ihnen in die Klinik nebenan und füllte vor den Augen der Ärzte Wasser in eins hinein. Es hielt. Innerhalb von wenigen Monaten waren alle aufgebraucht.

Fragt man Krause, wie es um ihre politische Gesinnung stand, hat man den Eindruck, dass sie von solchen Beschaffungsmaßnahmen derart beansprucht wurde, dass sie zu grundsätzlicheren Gedanken nicht kam. Dabei war sie dicht dran am Geschehen. Mehrmals dolmetschte sie für die Castro-Brüder, war dabei, wenn Erich Honecker Fidel und DDR-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann Raúl traf. Aber worüber gesprochen wurde, daran, sagt sie, könne sie sich nicht erinnern. Sie sei einfach „Papagei und Automat“ gewesen, der nachplapperte, wie die Politiker Programme und Losungen, die auf dem Papier bestanden, als Realität ausgaben. Krauses Ehe scheiterte, zu groß waren die Schwierigkeiten des Kapitäns mit einer promovierten Frau. Dass Krause trotzdem blieb, lag auch an der Frau in ihrem Leben, Vilma Espin. Vielleicht kann es kein richtiges Leben im falschen geben, aber für Krause gab es dank Espin zumindest den richtigen Beruf im falschen System. „Und einmal hat Vilma mir von einer Reise sogar einen großen roten Apfel mitgebracht“, sagt Krause, und man kann ihrem Gesicht ansehen, wie glücklich die Königin des Kondoms über ein Stück Obst war.

Sie gab ihr letztes Autogramm - und flog zurück

1990, als sich 8000 Kilometer entfernt die Menschen über Bananen und Freiheit freuten, ging Monika Krause mit klopfendem Herzen in die DDR-Botschaft. Ihr älterer Sohn war bereits im Ausland, nun bat Krause den Konsul um Pässe für sich und den jüngeren Sohn. Eigentlich hätte der Konsul nachfragen müssen, aber vielleicht war er selbst schon zu sehr in Auflösung begriffen: Zehn Minuten später hatte Krause die Dokumente. Am Flughafen wäre sie fast noch aufgehalten worden, ihr Koffer hatte 30 statt 20 Kilo, die Aufklärungsbücher wogen so schwer, doch der Beamte erkannte Krause, sie gab ihr letztes Autogramm und stieg in den Flieger.

In Deutschland angekommen schrieb sie Vilma Espin einen Brief. Ich habe es nicht ausgehalten, ich wollte endlich weg, stand nicht darin. Stattdessen, sagt Krause, habe sie sich an Che Guevaras Abschiedsbrief an Fidel Castro orientiert, „30 Jahre habe ich Kuba gewidmet, nun braucht mich das Land nicht mehr und andere Aufgaben erwarten mich“, zwei handschriftliche Seiten, unterschrieben mit Mónica mit „c“ und Akzent auf dem „o“ , zum letzten Mal.

In ihrem alten Leben war Monika Krause Professorin, Leiterin des Zentrums für Sexualaufklärung und Ehrenmitglied der polnischen Akademie für Sexualwissenschaft. In ihrem neuen Leben war sie arbeitslos. Gern wäre sie Frauenbeauftragte in Hamburg geworden, ihr großes Thema war die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, doch sie bekam nur einen Job bei einem Schiffsausrüster. Acht Jahre lang bestellte sie Schiffsschrauben und sah dabei zu, wie die Frauen reihenweise aus der Firma schieden, kaum waren sie Mütter geworden. Ein paar Mal versuchte Krause noch, Kondome nach Kuba zu schicken, ein paar Mal rief Vilma Espin noch an und bat um Hilfe, zuletzt einmal um drei Uhr morgens. „Du musst etwas für mich tun, Mónica!“, sagte sie, „ich kann nicht“, antwortete Monika mit „k“, danach hörte sie nie wieder etwas von ihr. In Krauses Träumen schaut Vilma Espin immer sehr traurig.

Es ist spät geworden, Monika Krause und ihr Mann schließen die Tür hinter den hundert Augen, steigen ins Auto und fahren los. Krause trägt eine Schirmmütze, als müsse sie sich gegen die Sonne schützen. Später werden sie noch die Nachrichten sehen, Krause sieht sie am Tag mindestens zweimal, weil sie sich seit Kuba schlecht konzentrieren kann, sobald eine offizielle Stimme ertönt. Im Auto erzählt sie, wie sie auf einem Kongress kurz vor ihrer Ausreise nur mit dem Vornamen vorgestellt wurde und trotzdem jeder wusste, wer sie war, wie sie Fidel dann aber erboste, weil sie nicht über die Revolution, sondern über Teenagerschwangerschaften sprach. Während sie redet, fährt draußen der Bus 21 vorbei. An der Ecke ist eine Apotheke, dort gibt es Kondome im Achterpack für sechs Euro 60.

Am Strand angekommen parkt Harry Fuchs das Auto. Auf Kuba war der Golf von Mexiko Krauses Fluchtpunkt – hoch auf die Haifischschutzmauer, reinspringen und rausschwimmen, dorthin, wo keiner mehr sieht, was man tut, und hört, was man sagt.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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