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Der Stickstoff, aus dem die Träume sind. In einem Bestattungsinstitut proben Klaus Sames (rechts) und seine Mitstreiter für den Ernstfall.

© Christina Palitzsch

Der Wunsch nach ewigem Leben: Ein Professor lässt sich einfrieren

Erst spät hat sich Professor Klaus Sames zu seinem Traum bekannt: Er will sich nach seinem Tod in Detroit einfrieren lassen und auf die Medizin der Zukunft setzen - um den Tod auszutricksen.

Von Maris Hubschmid

Wenn Klaus Sames stirbt, liegen im Idealfall schon die Eiswürfel bereit. Kommt sein Tod überraschend, greift der Notfallplan. Dann wird Daniel Streidt, Bestatter und Balsamierer, in Ulm ins Auto springen und über die B28 zu ihm nach Senden fahren – 11,8 Kilometer, 14 Minuten bei freier Fahrbahn. Er wird an einer Esso-Tankstelle halten, die 24 Stunden geöffnet und das ganze Jahr über genügend Eis vorrätig hat. 60 Kilo braucht es mindestens, damit der Körper bedeckt ist – ein Meter dreiundsiebzig, Klaus Sames ist etwas kleiner geworden mit der Zeit. Jede Minute zählt. Das Absterben der Zellen muss aufgehalten werden, bis er richtig versorgt werden kann, sagt Klaus Sames.

Frostschutzmittel wird in seinen Körper gepumpt

Versorgt werden. Das ist Sames’ Formulierung für: Jemand sägt seinen Brustkorb auf und sticht einen Plastikschlauch in seine Hauptschlagader, saugt sämtliches Blut aus dem Körper und pumpt Frostschutzmittel hinein. Am Ende wird Klaus Sames kopfüber bei minus 196 Grad Celsius in einem dreieinhalb Meter hohen, mit flüssigem Stickstoff gefüllten Fiberglastank hängen. Sofern alles so läuft, wie er es sich wünscht.

Klaus Sames, kinnlanges weißes Haar, gerade 75 geworden und kerngesund, hat einen Lebenstraum, im wahrsten Sinne des Wortes: Er will den Tod überwinden. Bis heute ist die Medizin trotz aller Technologien und Pülverchen nicht fähig, die Alterung des Menschen zu verhindern. „Aber sie macht Fortschritte“, sagt Sames. Fortschritte, die jedoch nicht groß genug sind, als dass er davon profitieren könnte, in diesem Leben. Also will er sich einfrieren lassen, nach dem Tod. So lange es eben dauert. Bis die Forschung reif genug ist, altersbedingte Schäden zu beheben, Menschen zu verjüngen – und ihn wieder zum Leben zu erwecken.

Kryonik heißt die Idee der Konservierung von Organismen und Organen in extremer Kälte, um sie zu einem späteren Zeitpunkt wiederzubeleben. Der Begriff ist eine Ableitung des altgriechischen Worts „Kryos“ für Frost. Forscher haben bereits erfolgreich die wieder aufgetaute Niere eines Kaninchens transplantiert. Warum sollte das nicht auch mit Menschen möglich sein?, fragte der Amerikaner Robert Ettinger 1962 in seinem viel verkauften Buch „The Prospect of Immortality“, die Aussicht auf Unsterblichkeit. Er ruht seit 2011 mit seinen beiden Ehefrauen in einer Kühltruhe in Detroit. Anhänger fand seine Theorie vor allem in Amerika, dort sind es rund 1500. Weltweit vielleicht 500 mehr.

Mehr als 20 000 Euro hat er bereits investiert

Klaus Sames ist einer von ihnen. Er lebt in Senden, einem 20 000-Einwohner-Ort südlich von Ulm, allein. In einer Zweizimmerwohnung, Erdgeschoss rechts, ein Wohnzimmer und ein Arbeitszimmer, in dem er auf Matratzen schläft, tagsüber klappt er sie zusammen und nutzt sie als Sofa. Sames hat kein Auto, geht selten essen. Neues schafft er nur an, wenn etwas Altes kaputtgegangen ist. Das meiste Geld steckt er in sein Vorhaben. 28 000 Dollar, umgerechnet 21 000 Euro, hat er dem 1972 von Robert Ettinger gegründeten „Cryonics Institute“ in Detroit überwiesen, damit es ihn konserviert. Weitere 14 000 Euro rechnet er für den Transport seiner Leiche. In Deutschland ist es nicht erlaubt, Tote einzufrieren. Jeder muss nach gängigen Methoden bestattet werden. Macht 35 000 Euro. Nicht viel Geld, wenn man sich dafür das ewige Leben erkauft. Nicht wenig für das eine, das man gerade führt.

Warum müssen wir sterben? Ja, warum eigentlich?

„Wenn ich von meinem Plan spreche, halten viele mich für einen Spinner“, sagt Sames. Befragt man ihn zu seiner Theorie, verengen sich seine Augen. Dann mustert er sein Gegenüber konzentriert. Will der sich lustig machen? Oder ist er ernsthaft interessiert? „Ich bin weder verrückt noch senil“, sagt Sames. Er hat als Medizinprofessor 13 Jahre lang am Hamburger Universitätsklinikum und zwei Jahre an der Freien Universität Berlin gelehrt. Die Wissenschaft bestimmt sein Dasein.

In seinem Wohnzimmer stapeln sich Bücher über Bücher. „Leben in der Urzeit“. „Rekombinierte DNA“. Auf einem Schrank steht ein ausgestopfter Kiebitz. Neben der Tür hängen eingerahmt die Gliedmaßen des Maikäfers, sorgfältig aufgeklebt vom Grundschüler Klaus Sames. Es gibt Vitrinen mit Versteinerungen, Fossilien aus dem Jura, Meteoritengestein und Schnecken, und Vitrinen mit Menschenschädeln, künstlichen und echten.

Er studierte Theologie. Aber ihm fehlte der Glaube

Warum müssen wir sterben? Diese Frage hat Klaus Sames früh beschäftigt. Als ältestes von fünf Kindern einer hessischen Pfarrersfamilie scheint sein Weg vorgezeichnet. Klaus Hermann Sames macht das Abitur, studiert Theologie. Bis er merkt: Ihm fehlt der Glaube. Was tun, wenn man zu der Überzeugung gelangt ist, dass es keinen Himmel gibt? „Alles daran setzen, möglichst lange auf der Erde zu bleiben“, sagt Sames. 21-jährig bricht er das Theologie-Studium ab, schreibt sich für Medizin ein. Er wird Altersforscher, Gerontologe.

Zu seiner wahren Faszination aber bekennt er sich erst nach seiner Pensionierung, 2004. Da gründet er die Deutsche Gesellschaft für Angewandte Biostase, um Spenden zu sammeln und die Kryonik bekannt zu machen. Es ist die einzige offizielle Gruppe von Anhängern in Deutschland. Am Anfang waren sie zu dritt. Heute zählt der Verein 65 Mitglieder. Viele Akademiker sind darunter, Ärzte. Die meisten Unterstützer arbeiten im Untergrund – sie fürchten um ihre Glaubwürdigkeit und ihre Karriere.

Letztlich dient jede Medizin der Lebensverlängerung. Unsere Definition von Tod hat sich in den zurückliegenden Jahrhunderten immer weiter verschoben. Früher galt jemand, der keinen Puls mehr hatte, als tot. Heute lässt sich so jemand wiederbeleben. Bei Hirntoten schlägt das Herz, sie atmen. „Streng genommen laufen bereits tausende Menschen herum, die schon einmal eingefroren waren – als Embryonen“, sagt Sames. Kryonik, meint er, das unbegrenzte Leben, sei nur der logische nächste Schritt.

Die meisten Mediziner sind der Auffassung, dass beim Einfrieren eines komplexen Lebewesens eine irreversible Zellschädigung erfolgt. Das größte Problem sind die Eiskristalle, die sich bilden und das Gewebe zerstören. Deshalb braucht es das Frostschutzmittel, sagt Sames. Frostschutzmittel aber ist toxisch. Es beschädigt die Organe. Um die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten, darf die Dosis des Mittels im Austausch mit dem Blut nur Schritt für Schritt erhöht werden – so ist der Körper bereits herabgekühlt und weniger verletzlich, wenn die giftige Substanz durch seine Adern fließt.

Noch weiß niemand, wie das Wiederaufwärmen funktionieren soll

Wie sich das Problem beim Wiederaufwärmen lösen lässt, sei nicht seine Sorge, sagt Klaus Sames. Die Kryonik ist ein enormer Vertrauensvorschuss: Die Erwartung, dass die Ärzte nachfolgender Generationen weit mächtiger sind als die Medizin heute.

Weltweit gibt es drei Institute, die Leichen auf diese Art präparieren. Zwei davon in den USA, in Detroit und Arizona. Jeweils mehr als 100 Menschen hängen dort bei minus 196 Grad Celsius in Tanks mit flüssigem Stickstoff. Kopfüber, weil immer geringe Mengen Stickstoff nach oben entweichen, erklärt Sames. Alle paar Wochen wird nachgefüllt. Passiert das nicht rechtzeitig, tauen die Füße auf, beginnen, zu verwesen. „Die Füße sind nicht so wichtig“, sagt Sames. „Entscheidend ist der Kopf.“

In Arizona können Menschen wahlweise auch nur ihren Kopf einfrieren lassen. Manchen reicht das, weil sie der Überzeugung sind, dass im Kopf die ganze Persönlichkeit angelegt ist, die Erinnerungen. Sie setzen darauf, dass man ihnen, wenn es so weit ist, gleich einen jungen, gesunden Körper klont, statt den alten zu reparieren. Das Angebot richtet sich auch an jene, denen es an finanziellen Mitteln fehlt. Köpfe zu lagern ist billiger als Körper. Klaus Sames aber gibt viel auf sein Bauchgefühl. Darum hat er sich einen Platz in Detroit reserviert, so dass er es auch im nächsten Leben nicht missen muss.

Auch in Russland friert man Menschen ein. Das Unternehmen in Moskau sei intransparent, kritisiert er. Zu profitorientiert. Die Institute in den USA sind gemeinnützig. Die 28 000 Dollar werden als Selbstkostenpreis für Strom und Wartung angesehen. Für einen Aufpreis von 1000 Dollar kann man auch Erinnerungsstücke einlagern lassen. Sames überlegt noch. „Es wäre schade um meine Sammlungen“, sagt er. „Ich kann mich schwer von Dingen trennen.“

150 Jahre wird er wohl warten müssen, glaubt er. 200 vielleicht.

Wie lange wird es dauern, bis er wieder die Augen aufschlägt? „150 Jahre. 200 vielleicht.“

Wie wird diese Erde dann aussehen? „Damit beschäftige ich mich nicht.“

Den Einwand, dass es eng wird, wenn alle ewig leben, nennt er spitzfindig. „Momentan sind wir Kryonik-Anhänger ein Millionstel der Weltbevölkerung. Wer weiß schon, welche Planeten wir noch besiedeln werden“, sagt er.

Woher aber nimmt er die Gewissheit, dass man ihn erst auftaut, wenn man ihm wirklich das ewige Leben schenken kann? Sames antwortet ohne zu zögern. „Ich halte die Anhänger der Kryonik für sehr verantwortungsbewusst.“ Er legt sein Schicksal in noch nicht geborene Hände.

Üben für den Ernstfall: Wie Sames seinen Tod probt

Ein Punkt beschäftigt ihn aber doch. Einsam wird das sein, das Erwachen in einer Welt, in der niemand mehr da ist, den er kannte. „Darum würde ich am liebsten alle mitnehmen.“ Seine Ex-Frau zum Beispiel. Sieben Jahre lang waren sie verheiratet. Sie ist Psychologin und lehnt die Idee der Kryonik ab. Genau wie seine Tochter. „Als Kind hat sie das fasziniert“, sagt Sames, blickt in Gedanken versunken hinaus in den Garten. Zum Geburtstag hat eine Freundin ihm eine Karte geschickt mit einem Zitat des Dadaisten Kurt Schwitters: „Die Unsterblichkeit ist nicht jedermanns Sache.“ Im Regal neben seinem kleinen alten Panasonic-Fernseher steht als einziger Kinderfilm eine DVD von Disneys „Ice Age“, die hat seine Tochter ihm geschenkt.

"Wurden nicht alle großen Ideen erst mal verspottet?", fragt er

Aber sind nicht alle großen Ideen der Menschheit einst belächelt worden?, fragt er sich, wenn die anderen spotten. Die Erde als Kugel. Der Traum vom Fliegen.

Auch seine Mutter konnte Klaus Sames nicht überzeugen, sie starb mit 94 Jahren. „Sie war zu religiös“, sagt er. Wollte lieber ihrem Mann und ihren zwei bereits gestorbenen Kindern in den Himmel folgen, statt ins ewige Eis voranzugehen.

Ihr Sohn hält die Wahrscheinlichkeit, dass es eine Seele gibt, die unabhängig von unserem Gehirn existiert, für „extrem klein“.

Eine Kritik, die er besonders häufig hört, ist, dass das doch ein ziemlich egoistisches Anliegen sei, all dieser Aufwand für die eigene Unsterblichkeit. „Natürlich ist es das“, sagt Sames. Doch man kann die Frage auch umdrehen, ethisch. Darf man die Konservierung eines Menschen als Möglichkeit ausschließen, wenn jemandem mit bekannten Mitteln nicht mehr zu helfen ist? Das Einfrieren als Chance auf eine spätere Heilung. Ein Krankentransport durch die Zeit.

Vor einiger Zeit hat Klaus Sames einen jungen Schweizer auf die Reise in die USA geschickt, er war Student der Nanotechnologie. Als die Diagnose Krebs kam, die Ärzte ihm noch sechs Monate gaben, kontaktierte er Sames. Die Angehörigen haben sich seinem letzten Wunsch nicht widersetzt. Erst, als alles für das Einfrieren geregelt war, starb er. Sames hat den Körper unmittelbar nach Feststellung des Todes mit Eiswürfeln bedeckt und transportfähig gemacht für den Flug nach Detroit. Ihn begleitet auf dem Weg, den er selber einmal gehen möchte. „Ein wehmütiges Gefühl“, sagt er. „Als wenn einer in den Krieg zieht.“

In die USA übersiedeln will er nicht

Die amerikanischen Institute raten jedem, der mit ihnen einen Vertrag hat, vorsorglich in die USA überzusiedeln, damit die Prozedur mit dem Frostschutzmittel nach dem Tod schnellstmöglich beginnen kann. Bei dem Studenten hat es zwei Tage gedauert, bis er in Detroit ankam. Erste Zellen könnten Schaden genommen haben, sagt Sames. Er war schon drüben in den USA, hat sich die Tanks und die Stadt angesehen. „Aber was soll ich als Nicht-Autofahrer in Detroit?“, fragt er. Da gebe es ein Center von General Motors, in dem man ganz gut essen könne. „Sonst nichts.“

Deshalb setzt Klaus Sames jetzt alles daran, die Methode des Blutaustauschs zu erlernen. Damit er diesen heiklen Schritt bald schon in Deutschland durchführen kann. Er hat Anfragen an Fluglinien gestellt, ob sie die Leichen auch tiefgekühlt transportieren können. Auf die Antworten wartet er noch. Über Ebay hat ein Unterstützer eine gebrauchte Herz-Lungen-Maschine erstanden. In einem Bestattungsunternehmen nahe Ulm proben sie seither den Ernstfall. Ein Kardiotechniker ist dabei und zwei Balsamierer. Vor ein paar Tagen haben sie mit einer Schweinelunge experimentiert.

Sein Bestatter glaubt nicht an die Idee

Der Bestatter, in dessen Sezierraum sie üben, sagt: Er glaube nicht, dass die Idee mit dem Einfrieren funktioniert. „Aber vielleicht erschließe ich mir so einen neuen Kundenkreis.“

In dem achtseitigem Vertrag, den Sames beim Kryonik-Institut in Detroit unterschrieben hat, steht auf Seite fünf die Frage: Wie möchten Sie bestattet werden, falls Naturkatastrophen oder Terroranschläge die Tiefkühlung unterbrechen, Stickstoff-Ressourcen erschöpft sind oder das Institut pleitegeht? Darunter die beiden klassischen Antwortmöglichkeiten: begraben oder verbrennen.

Klaus Sames hat sich für die dritte entschieden – chemische Konservierung. In Formalin, worin man auch Insekten einlegt.

Wer weiß, wozu die Medizin einst fähig ist.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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