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Waffen wie diese Panzerfaust sollen die Kurden bekommen

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Deutsche Waffen an die Kurden: Die Welt in Flammen

Die Sommerpause des Parlaments ist vorbei. Gleich am ersten Tag müssen die Abgeordneten über Waffenlieferungen in den Irak reden. Angela Merkel muss sie einem Volk von Kriegsgegnern erklären.

Von Hans Monath

Acht Wochen sind manchmal eine lange Zeit. Als Bundestagsvizepräsidentin Edelgard Bulmahn am Freitag, 4. Juli, kurz nach drei die Abgeordneten in die Sommerpause verabschiedete, fiel das Land gerade ins Fußballfieber.

„Heute Abend werden wir sicherlich viel Spaß haben und alle gemeinsam der deutschen Mannschaft ganz kräftig die Daumen drücken“, sagte die Vizepräsidentin damals, bevor sie die Sitzung schloss. Das ganze Haus klatschte. Am Abend gewann Deutschland gegen Frankreich, ein Tor von Mats Hummels genügte.

Auch deutsche Politiker durften die Ukrainekrise kurz vergessen. Von einer Terrormiliz namens Isis hatten Anfang des Sommers ohnehin nur wenige Experten gehört.

Am Montag kommen die Abgeordneten nach zwei Monaten Parlamentspause in eine andere Welt zurück. Die Krisen in der Ukraine, im Gazastreifen, in Syrien und im Nordirak hielten nicht nur die Regierenden, sondern auch die Außen- und Sicherheitspolitiker des Parlaments im Griff. Nur drei Tage Urlaub, so berichtet Unions-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff, hat die dramatische Entwicklung ihm gegönnt. „Man steht teilweise fassungslos vor der Entwicklung der Konflikte“, sagt Grünen-Politikerin Renate Künast kurz vor der Beginn der Sitzung: „Es stimmt schon, wir starten gleich in ein sehr hartes Geschäft.“

"Ein Zeichen der Trauer um die Opfer"

Wenige Minuten später erhebt sich Künast gemeinsam mit den anderen Parlamentariern zu einer Schweigeminute von ihrem Sitz. Ein „Zeichen der Trauer um die Opfer und ein Zeichen des Mitgefühls“ nennt Bundestagspräsident Norbert Lammert die Geste in seiner kurzen Begrüßungsrede, in der er eine Linie vom Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs zu den aktuellen Krisen zieht.

„Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation Isis“ heißt der einzige Tagesordnungspunkt der Sondersitzung des Parlaments. Tatsächlich sollen die Abgeordneten der Regierungsfraktionen dem Beschluss der Regierung politische Rückendeckung geben, die Peschmerga mit deutschen Waffen auszurüsten. Schon tobt eine Art Kampf in der Regierung darum, was der Schritt bedeutet: Verteidigungsministern Ursula von der Leyen (CDU) forderte in der Debatte über die Hilfe für die bedrohten Minderheiten im Nordirak dazu auf, Tabus der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zu brechen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der früher als die Kollegin aus dem Bendlerblock für Waffenlieferungen plädierte und gleichzeitig seine skeptischen Sozialdemokraten beruhigen muss, will davon nichts wissen und betont die Kontinuität der Außenpolitik.

In der Sondersitzung des Bundestags geht es ohnehin um mehr als die Lage im Nordirak: Der drohende offene Krieg an der Westgrenze Russlands nur zwei Flugstunden von Berlin entfernt ist in jeder Rede präsent. Längst fragen nicht nur Ökonomen, ob der Mechanismus von Sanktionen und Gegensanktionen die deutsche Konjunktur abwürgen könnte. Aber auch schlimmere Szenarien sind denkbar. Wenige Stunden bevor Kanzlerin Angela Merkel ans Pult tritt, um ihre Regierungserklärung abzugeben, meldet die Regierung in Kiew, dass die eigenen Truppen nun im Kampf mit einem russischen Panzerbataillon stehen.

Die Kanzlerin hält den Schritt für historisch

Der Bundestag am Antikriegstag bei der Sondersitzung
Der Bundestag am Antikriegstag bei der Sondersitzung

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Wie Lammert zieht auch Merkel eine naheliegende historische Linie: „Heute vor 75 Jahren begann der Zweite Weltkrieg“, sagt sie und kommt dann auf die Ermordung der Juden und anderer Opfer der Nazis zu sprechen: „Das werden wir Deutsche niemals vergessen. Das ist deutsche Verantwortung.“ Ein paar Sätze lang scheint es, als wolle die Regierungschefin gedanklich groß ausholen, sogar auch an die Gefühle der Zuhörer appellieren.

In kleinem Kreis kann Merkel so angeregt über Außenpolitik reden, dass sie ihre Zuhörer begeistert. Mit leuchtenden Augen berichtete vergangene Woche ein sehr erfahrener deutscher Diplomat, wie die Kanzlerin vor deutschen Botschaftern aus aller Welt brillierte, als sie die internationalen Konfliktfelder und die deutsche Rolle darin analysierte. Sein Eindruck: Da hatte eine Politikerin eine große Aufgabe gefunden, war ganz bei sich.

Im Bundestag ist an diesem Montag davon wenig zu spüren. Die pathetischen Begriffe aus ihrer Rede, in der es um nicht weniger als ein Menschheitsdrama und die deutsche Reaktion darauf geht, spricht sie leidenschaftslos aus. Selbst an zentralen Stellen hebt sie kaum die Stimme. Davon, dass die Welt in Flammen steht, spricht sie zwar. Aber zu spüren ist davon wenig in den 25 Minuten, die sie am Pult steht. Die Koalitionsfraktionen sparen trotzdem nicht mit Beifall.

Folgt man Merkel, geht es bei ihrer Entscheidung sowohl um humanitäre Pflichten wie um deutsche Interessen. „Wir haben jetzt die Chance, das Leben von Menschen zu retten und weitere Massenmorde zu verhindern“, sagt sie: „Diese Chance müssen wir nutzen.“ Den Gedanken, dass deutsche Waffen womöglich in falsche Hände fallen, schiebt sie nicht beiseite, erklärt ihn aber nicht für ausschlaggebend: „Das, was jetzt ist, wiegt in diesem Falle schwerer als das, was sein könnte.“ Mit anderen Worten: Es ist ein Fakt, dass gemordet wird, aber nur eine Möglichkeit, dass schlimmere Entwicklungen drohen.

Gysi: Waffen sind die falsche Botschaft

Das macht es Gregor Gysi leicht, die Gegenposition zu übernehmen. „Es ist Ihre Verantwortung, dass endlich weltweit eine friedenschaffende Ordnung entsteht“, ruft er. Deutsche Waffen für die Welt – und das ausgerechnet am Weltfriedenstag – seien die grundfalsche Botschaft. Die Grünen tun sich etwas schwerer, wie bei der Rede ihres Fraktionschefs deutlich wird: Vielen Argumenten der Regierung zollt Anton Hofreiter ausdrücklich Respekt, aber Panzerfäuste und Maschinengewehre in einer Krisenregion sind ihm doch zu gefährlich.

Die Kanzlerin selbst, so macht sie in einer Nebenbemerkung deutlich, hält das Bekenntnis ihrer eigenen Regierung zu Waffenlieferungen an die Peschmerga für ähnlich historisch wie die Beteiligung der rot-grünen Regierung am Kosovo-Krieg und am Afghanistan-Einsatz. Es ist eine Art deutscher Normalisierung in der Außen- und Sicherheitspolitik, die sie andeutet. Seit den 90er Jahren habe Deutschland „zahlreiche, weitreichende Entscheidungen getroffen“, sagt sie.

Merkel hat sich auch der grundsätzlichen Debatte um eine aktivere deutsche Außen- und Sicherheitspolitik still entzogen, die Außenminister Steinmeier, Bundespräsident Joachim Gauck und Verteidigungsministerin von der Leyen seit mehr als einem halben Jahr vorantreiben. Die CDU-Chefin legt sich programmatisch nicht gerne fest und müsste zudem ihre eigenen Entscheidungen zur internationalen Politik während der schwarz-gelben Koalition wie etwa die deutsche Enthaltung zur Libyen-Resolution schlechtreden, wenn sie in einer neuen Regierung nun den Aufbruch begrüßen würde.

Die Entscheidung für deutsche Waffen für die Kurden sei „sicherlich ein bemerkenswerter Schritt“, sagte sie vor mehr als einer Woche in der ARD – das klang ein bisschen, als ob sie eine Beobachterin wäre und nicht die politisch Hauptverantwortliche dafür, dass Peschmerga-Kämpfer demnächst mit deutschen Panzerabwehrraketen des Typs Milan auf die Humvees der Isis feuern werden. Begriffe wie Sturmgewehre, Panzerfäuste oder Handgranaten nimmt Merkel im Bundestag aber natürlich nicht in den Mund.

Die Kanzlerin hält nichts davon, die Deutschen mit aufrüttelnden Reden auf die Gefährlichkeit der Welt da draußen vorzubereiten. Was die allergische Reaktion der von ihr Regierten auf alles Militärische angeht, zeigt sich Merkel ziemlich fatalistisch. Auf absehbare Zeit, so erklärte ihr Außenpolitik-Berater Christoph Heusgen vor der Sommerpause auf einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung, werde es in Deutschland keine Zustimmung für Auslandseinsätze der Bundeswehr mehr geben.

Die Erwartungen der Partner an Deutschland werden wachsen

Kanzlerin Angela Merkel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Montag im Bundestag
Kanzlerin Angela Merkel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Montag im Bundestag

© AFP

Von Anstrengungen, die Bürger womöglich von der Notwendigkeit solcher Einsätze zu überzeugen, war keine Rede – die ablehnende Haltung der Deutschen zu Auslandsmissionen gilt im Kanzleramt offenbar als Naturgesetz, nicht als Überzeugungsaufgabe. Vielleicht auch deshalb kann die frühere Bischöfin Margot Käßmann so viel öffentliches Gehör und so viel Einfluss gewinnen, die inzwischen das kleine Costa Rica als Beispiel für das 80-Millionen-Volk der Deutschen in der Mitte Europas empfiehlt und die Bundeswehr komplett abschaffen will.

Merkel will die Deutschen nicht erziehen, sie verfolgt nun eine Strategie der „Ertüchtigung“ anderer Staaten, die ohne Bundeswehr-Hilfe nun selbst für Sicherheit in ihrer Region sorgen sollen – wie etwa im afrikanischen Krisenland Mali. Die Waffenhilfe für die Kurden passt perfekt in dieses Konzept, das den Namen „enable and enhance“ (befähigen und verbessern) hat. Das versteht ohnehin kein Normalbürger.

Was allerdings partout nicht zueinanderpasst, ist Sigmar Gabriels Versprechen, Rüstungsexporte radikal zu beschneiden, und Merkels Ankündigung aus der vergangenen Legislaturperiode, regionale Sicherheit woanders auch durch deutsche Waffenexporte zu ermöglichen. Doch bislang ist noch kein kritisches Wort der Kanzlerin gegen den restriktiven Kurs ihres Vizekanzlers beim Rüstungsexport bekannt geworden. In diesem Konflikt wäre die Mehrheit ganz sicher nicht auf ihrer Seite.

Dass die westlichen Verbündeten den Abschied der Berliner Außen- und Sicherheitspolitik von einer deutschen Sonderrolle begrüßen, die vor militärischen Entscheidungen stets mehr Vorbehalte geltend macht als andere Nationen, hatte vergangene Woche Javier Solana deutlich gemacht. Vor der Botschafterkonferenz des Auswärtigen Amtes nannte der frühere Nato-Generalsekretär und EU-„Außenminister“ das deutsche Ja zu Waffenlieferungen „bold and fundamental“ (kühn und grundsätzlich).

Gerade die Grundsätzlichkeit der Rüstungshilfe für die Kurden aber bestreiten die sozialdemokratischen Minister, die sie mitgetroffen haben. Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann verwendet im Bundestag viel Mühe darauf, die Waffenhilfe zum absoluten Ausnahmefall zu erklären.

Dabei weiß auch die SPD genau, dass die Partner nun erwarten, dass Deutschland nicht in alte Muster zurückfällt. Der Umgang mit Putins Angriff auf Europa, der die Diplomatie nahe an ihr Ende gebracht hat, könnte dafür die erste Bewährungsprobe sein. Schon auf dem Nato-Gipfel stehen schwierige Entscheidungen an: Haben Verhandlungen mit den Emissären des Kreml überhaupt noch eine Chance, oder gewinnt das russische Militär dadurch nur Zeit? Wie hart soll die Reaktion des Bündnisses auf Putins offenen Krieg gegen den ukrainischen Nachbarn ausfallen? Sollen auch deutsche Soldaten dauerhaft in Polen und im Baltikum stationiert sein? Womöglich wird Angela Merkel den Deutschen bald harte Entscheidungen der Außen- und Sicherheitspolitik doch noch weit ausführlicher erklären müssen, als sie das bislang jemals getan hat.

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