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Der Vierte Mann: Andy Ypsilon

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Die Fantastischen Vier: Andy Ypsilon: Der vierte Mann

Er ist der Soundtüftler der Fantastischen Vier - immer dabei, immer im Hintergrund. Seit 25 Jahren. Ohne Andy Ypsilon wäre Deutschlands erfolgreichste Rapband vielleicht nie so alt geworden. Heute erscheint das Album "Rekord".

Allein schon die Begrüßung. „Ich bin Andy“, sagt Andy Ypsilon, im Kellerflur zwischen zwei Stahlschränken. Dann gleich: „Du hättest wohl lieber Thomas gesprochen, oder?“ Nein, heute mal nicht.

Es ist noch dunkel in den Räumen des Studios, morgens um elf, Andy Ypsilon ist gerade erst gekommen. Er entschuldigt sich, dass es nach kaltem Zigarettenrauch rieche. Und fragt, ob es störe, wenn er sich erst mal eine drehe. In der Küche stapeln sich Kapseln für die Espressomaschine, daneben eine Armada geleerter Dosen Energydrinks. Das vermittle jetzt ein falsches Bild, sagt Andy Ypsilon. Da hätten sich schließlich auch die Bandkollegen bedient. Der Stress sei groß momentan. Das Jubiläumsalbum. Die Vorbereitungen zur Jubiläumstour. Die Lichtshow… Erste Erkenntnis: Andy Ypsilon kann erstaunlich schnell sprechen. Beziehungsweise: Er kann überhaupt sprechen.

Man kennt ihn von den Konzerten, zum Beispiel dieses Jahr bei Rock am Ring, Hauptbühne, 70 000 Zuschauer. Thomas D., Smudo und Michi Beck zappeln am Bühnenrand, rappen und hüpfen, als wären sie Abiturienten und nicht schon bald 50. Andy Ypsilon steht ein paar Meter dahinter an seinem Pult und drückt Tasten.

Man kennt ihn auch von den roten Teppichen, zum Beispiel dieses Jahr vor der Verleihung des Musikpreises „Echo“ in Berlin. Die anderen quatschen in Mikrofone, albern herum. Michi Beck fasst an den Reißverschluss seiner Jacke und deutet an, dass er sich nackig machen wolle. Andy Ypsilon steht wieder in der zweiten Reihe und grinst. Ein Fan, der es an den Securitys vorbei zu seinen Helden geschafft hat, würde kaum anders grinsen.

Man kennt ihn von den Interviews, wenn er dabei zuschaut, wie die Kollegen ein neues Album bewerben. Man kennt ihn von Videos und Fotoshootings. Andy Ypsilon ist der, der immer dabei ist.

Seit 25 Jahren jetzt. Möchte er denn nicht auch mal im Vordergrund stehen? 

„Na, auf gar keinen Fall.“

Die Fantastischen Vier sind Deutschlands bekannteste und erfolgreichste Rapgruppe, auch wenn Kritiker bestreiten, dass es sich bei diesen Männern überhaupt um Rapper handelt – dass diese Typen authentisch sind, zur Szene gehören. Viele Hits wurden hier in diesem Studio aufgenommen, es befindet sich im Untergeschoss eines fünfstöckigen Bürohauses, gegenüber vom Hallenbad Stuttgart-Heslach. Andy Ypsilon hat es eingerichtet, stückweise Geräte zugekauft. In den Ecken türmen sich Kabelberge. Das sperrige Mischpult in der Mitte des Raums benutzt Ypsilon nur noch als Ablage, das hat ausgedient, wurde durch Computer ersetzt. Um dieses Monstrum rauszuschaffen, bräuchte es sechs Männer. Keine Zeit bisher, sagt Andy Ypsilon.

Sein bürgerlicher Name ist Andreas Rieke, so wie Bandkollege Smudo ja eigentlich Michael Bernd Schmidt heißt. Mit 15 haben sie sich kennengelernt, auf eine raptechnisch höchst uncoole Weise: Ihre Mütter waren befreundet. Michael und Andreas verbrachten Nachmittage vorm Computer, begannen Spiele zu programmieren. In der Schule waren sie nicht die Beliebtesten, sagt Andy Ypsilon heute. Er hat die Kippe, die er sich vorhin gedreht hat, immer noch nicht angezündet, so viel hat er zu erzählen.

Der geplante Hit

Thomas D, Smudo, Michi Beck und Andy Ypsilon (von links).
Thomas D, Smudo, Michi Beck und Andy Ypsilon (von links).

© promo

Neben seinem Stuhl steht eine zusammengeklebte Sperrholzkiste, die ist jetzt auch schon 25 Jahre alt. Drin stecken gelötete Metallplatinen. „Meine erste Beatbox“, sagt er. Die Maschine, die den Takt vorgibt. Denn ohne Rhythmus keine Reime. Damit die Kiste Töne produzierte, hat er sie an seinen damaligen Computer, einen C64, angeschlossen. Den hat er auch noch im Studio, plus Diskettenlaufwerk, er ist stark vergilbt. „Nachher zeig ich, wie das damals abging.“ Dem selbst gebastelten Teil gab er den Namen „Bronxbox“. Klang nach amerikanischem Großstadtghetto, also nach dem Milieu, in dem der Aufstieg des Hip-Hop in den Siebzigern begann. Und nach Verhältnissen, die den Kumpels Andy und Michael sehr fremd waren.

Ihre zahlreichen Feinde verdanken die Fantastischen Vier dem Song, der sie 1992 bekannt machte. Die Geschichte zweier frisch verliebter Männer, die sich gegenseitig von ihrer neuen Flamme vorschwärmen und dabei zunächst nicht merken, dass sie sich von ein und derselben Frau ausnutzen lassen.

„Ist es die da, die da am Eingang steht? Oder die da, die dir den Kopf verdreht? Ist es die da, die mit’m dicken Pulli an, Mann? Nein, es ist die Frau, die freitags nicht kann.“

Das Lied war pure Absicht, sagt Andy Ypsilon, ein geplanter Hit. Weil deutsche Radios in den frühen Neunzigern – nach dem Zusammenbruch der Neuen Deutschen Welle – nur Englischsprachiges spielten, Rap schon mal gar nicht. Sie wollten einen Song kreieren, den kein Radiosender ablehnen konnte: einen über Liebe, aber in lustig. Einen mit simpler Handlung, eingängig, einen zum Mitpfeifen und Nachsprechen. Und einen mit Schlussgag.

„Es ist die da, die da am Eingang steht ... Was? Das ist die da, um die es sich doch bei mir dreht! Was? Die da, und wer ist dieser Mann? Ich glaub, das ist der Grund, warum sie freitags nicht kann.“

Je höher das Lied in den Charts stieg, desto größer wurden die Anfeindungen aus der Szene. Es hieß: Diese Stuttgarter verraten den Hip-Hop! Oder auch: Diese Stuttgarter waren nie Hip-Hop! Sie ließen kein Fettnäpfchen aus, rappten bei Dieter Thomas Heck in der „ZDF-Hitparade“, erlaubten, dass man ihren Song als Werbung für einen Fruchtsaft verwurstete. Und dann das peinliche Video. Die Vier in Kapuzenpulli auf der Straße rumhampelnd (genauer: drei hampeln, Andy Ypsilon steht dabei). Ja gut, sagt der heute, das Video war ein Fehler. Die Plattenfirma hatte extra einen US-Regisseur engagiert, der sollte authentisches Metropolen-Flair mit Häuserruinen und leicht bekleideten Frauen zaubern. Später stellte sich raus, der Mann hatte nur in Deutschland gedreht, in den USA kannte ihn niemand. Das Ergebnis sah aus wie die Persiflage eines Rapvideos.

Na endlich, die Zigarette brennt.

Also, wie war das nun mit der eigenen Hip-Hop-Verwurzelung? Jemals nachts um die Häuser gezogen und Graffiti gesprüht? „Smudo hat es versucht“, sagt Andy Ypsilon. Er wurde von der Polizei erwischt, musste als Wiedergutmachung Gartenarbeit für die Stadt leisten.

Vielleicht wäre Andy Ypsilon Techno-DJ geworden. Dass Smudo und er zum Rap fanden, verdanken sie den vielen GIs, die im Stuttgarter Raum stationiert waren. Die tanzten zu Hip-Hop in ihren Clubs, dem „Maddox“ in Stuttgart, dem „Peppermint“ in Böblingen, dem Club, der bloß „Club“ hieß, in Leonberg. Andy und Smudo feierten mit. „Diese Beats, sie haben mich angeknipst.“

Bald lernten sie den Friseur Thomas Dürr und den Gelegenheits-DJ Michael Beck kennen. Sie beschlossen, zusammen Rapmusik zu machen. Zunächst auf Englisch. Bis ihnen klar wurde, dass Amis lachten, sobald sich junge Deutsche mit Akzent an englischen Reimen versuchen. Daher der Entschluss: in Zukunft nur noch auf Deutsch.

Zum Start ein Reim auf Klopapier

Der Vierte Mann: Andy Ypsilon
Der da: Andy Ypsilon

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Es brauchte Zeit zu erkennen, wann ein Reim lustig und wann bloß peinlich war. Eine frühe Songzeile lautete: „Ich sag eins und zwei und drei und vier – auf dem Klo gibt’s nicht nur Wasser, ja, da gibt es auch Papier.“ Ihren ersten Auftritt als Die Fantastischen Vier hatten sie am 7. Juli 1989, in einem ehemaligen Kindergarten vor 40 Freunden, auf übereinandergestapelten Paletten. Weil die anderen schneller rappen konnten und Andy die Technik liebte, beschlossen sie die Aufgabenteilung: Drei machten Show, Andy Ypsilon wurde Soundtüftler und Produzent. Der Mann im Hintergrund. War das nicht undankbar?

„Ich wäre sehr unglücklich, wäre es anders gekommen. Sieh nur die Vorteile, auf die ich verzichten müsste.“

Ähm, welche jetzt genau? Zum Beispiel sei er der Einzige aus der Gruppe, der vom Stuttgarter Hauptbahnhof bis zum Schlossplatz spazieren könne, ohne ständig angesprochen zu werden. „Deshalb wohne ich noch hier.“ Die anderen sind längst weggezogen: Smudo nach Hamburg, Michi Beck nach Berlin, Thomas D. auf einen Bauernhof in der Eifel. Sie mailen sich regelmäßig, stimmen sich ab, die Mehrheit entscheidet. Wollen sie ein neues Album aufnehmen, schließen sie sich in einer Berghütte ein.

Zugegeben, sagt Andy Ypsilon. Zu Beginn habe auch ihn das Popstar-Leben gereizt. Die Komplimente. Die Bewunderung. Die Frauen. Letzteres sei ja sowieso ein zentrales Motiv gewesen, öffentlich Musik zu machen – wie bei vielen, wenn nicht den meisten männlichen Rockbands und DJs oder auch Comedians: reines Balzverhalten. An Frauen gelangen, die sonst außer Reichweite blieben. Funktioniert die Masche auch, wenn man nur der stille Mann im Hintergrund ist?

„Und ob das funktioniert“, sagt Andy Ypsilon. Wenn er von Groupies spricht, sagt er „Konzertbekanntschaften“. Lange her natürlich, schiebt er nach. Jetzt hat er Familie, bringt morgens die Söhne in den Kindergarten. Fährt dann ins Studio, an neuen Sounds frickeln. Die haben sich mit den Jahren genauso verändert wie das Ansehen der Band. Nach dem Rummel um „Die da?!?“ haben sich die Fantastischen Vier erst mal dem Massengeschmack verweigert. Ein künstlerisches, bisschen verkünsteltes Album aufgenommen, um sich von allen Zwängen „freizuschwimmen“, wie Andy sagt. Danach konnten sie die Musik machen, auf die sie wirklich Lust hatten. Und originelle Songs in Serie produzieren: „Sie ist weg“, „Populär“, „Mfg“, „Troy“. Sechs Millionen Alben haben sie verkauft. Heute, im Jubiläumsjahr, sagt sogar Jan Delay, die Fantastischen Vier seien „die Derbsten“. Unter Rappern gilt das als Kompliment.

Andy Ypsilons Finger sind schon wieder mit Drehbewegungen beschäftigt, der Filter liegt bereit. Riskant sei so eine Popkarriere allemal, sagt er. Sie könne einsam machen. Weil die Leute, die man so kennenlerne, einen zwangsläufig als Projektionsfläche nutzten. „Die sehen leider nicht mich, sondern das, was sie in mir sehen wollen.“ Das sei doch paradox: Man strebe ins Rampenlicht, um als Person wahrgenommen zu werden, erreiche aber das Gegenteil.

Auf „Rekord“, ihrem neunten Studioalbum, das diesen Freitag erscheint, feiern sie das eigene Durchhaltevermögen.

„Viele haben viel zu schnell die Schnauze voll. So wie John und Ringo, George und Paul. Hätten die sich noch ein bisschen Zeit genommen. Dann wären sie sicher auch so weit gekommen.“

Klingt hochnäsig, ist aber Selbstironie. Das hat diese Band in 25 Jahren perfektioniert: sich bloß nicht zu wichtig zu nehmen. Deshalb reimt sich nun „fantastisch“ auf „nicht mehr ganz frisch“ und „Silberhochzeit“ auf „immer noch breit“.

Wie die Vorgängeralben wird „Rekord“ kommende Woche auf Platz eins der Charts einsteigen. Um ganz sicherzugehen, haben Smudo und Michi Beck als Juroren der Castingshow „Voice of Germany“ angeheuert. Kein Job für Andy Ypsilon. Der sagt, er genieße es, in Interviews den anderen den Vortritt zu lassen. Und nur einzugreifen, wenn es ihm nötig erscheine. Bis dahin bleibe genug Zeit, sich eine halbwegs kluge Antwort auszudenken. „Ich glaube, ich bin der Torwart.“ Überhaupt brauche doch jede Band einen wie ihn. Der Hintergrund mache schließlich das Bild vollkommen. „Dass ich hinten stehe, ist das, was die Fantastischen Vier überhaupt erst zu einer Band formt.“ Dann schaltet er einen Monitor an. Und den C64. Und verkabelt die alte Sperrholzkiste. Seine Bronxbox. Die einzelnen Trommeln hämmern drauflos. Die Snare-Drum. Die Bass-Drum. Auch die Hi-Hat. Alles rummst. Wären die anderen jetzt da, sie könnten gleich losrappen und glänzen.

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