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Was ist passiert? Das Graffito an einer Grenzmauer im Westjordanland stellt die Frage, die auch die USA nicht zur Ruhe kommen lässt.

© AFP/Thomas Coex

Donald Trump: Das russische Band

Er prahlt, sie hadert. Immer noch. Der 8. November und die Affäre mit Moskau haben Clinton und Trump auf ewig aneinandergekettet. Auch wenn der Präsident gewonnen hat, sein Triumph ist längst vergiftet.

Donald Trump sitzt auf einem Hocker und tut das, was er am liebsten tut: mit seinem Wahlsieg prahlen. Live aus einem fahnengeschmückten Armee-Hangar in Harrisburg in Pennsylvania erzählt der Präsident seinem bevorzugten Sender Fox News am 10. Oktober wieder einmal davon, wie er vor einem Jahr die Wahl gewann. „Sie saßen rum und sagten: Wow, wir sehen ganz schön alt aus!“, berichtet er von den unterlegenen Demokraten um Hillary Clinton. Die Verlierer seien dann später darauf gekommen, die Niederlage auf Russland zu schieben. „Es lag aber nicht an Russland“, sagt Trump mit einem Lächeln. „Es lag an der schlechten Kandidatin.“

Drei Wochen später erzählt Hillary Clinton im Buchladen „Book Stall“ in der Kleinstadt Winnetka in Illinois ihre Version der Geschehnisse rund um jenen schicksalhaften Abend, an dem sie die Präsidentschaft verlor und Trump triumphierte. Die 70-Jährige hat vor einer Bücherwand Platz genommen, um vor den Fernsehkameras ihr neues Buch zu präsentieren. Es trägt den Titel „What Happened“, was man mit „Was geschah“ übersetzen kann. Oder auch mit „Was ist geschehen?“ Clinton hält ein Exemplar hoch. „Ihr könnt rausfinden, was passiert ist und was immer noch passiert“, ruft sie. Dann nimmt sie das Buch fest in beide Hände, klopft damit auf den Tisch und sagt: „Ich habe ein sehr gutes Kapitel über Russland hier drin.“

Clinton, Trump, die Wahl, Russland. Ein Jahr ist seit Trumps Überraschungssieg vom 8. November 2016 vergangen, die Vereinigten Staaten von Amerika aber kommen über diesen nicht Tag hinweg. Trump und Clinton, so spinnefeind sie sich sein mögen, sind auf ewig durch den Wahltag aneinandergekettet. Und durch die Russland-Affäre durchlebt das ganze Land ein Jahr später den Wahlkampf mitsamt aller Intrigen und Skandale erneut.

Inzwischen ist unbestritten, dass Moskau von Russland aus die US-Wahl zugunsten von Trump beeinflussen wollte. Zum Beispiel mit der Veröffentlichung von E-Mails, die bei Clintons Demokraten abgefangen wurden und einer Kampagne bei Facebook, Twitter und YouTube, die mehr als 120 Millionen Amerikaner erreichte. Seit Mai geht Sonderermittler Robert Mueller dem Verdacht nach, dass Trumps Wahlkampfhelfer die Manipulationsversuche mit Russland koordinierten. Der Präsident weist alles zurück, doch immer neue Verbindungen zwischen seinem Team und Moskau kommen ans Licht, der Druck wächst. Die entscheidende Frage ist: Was wusste Trump selbst?

Die permanenten Enthüllungen machen es für Amerikaner beider politischen Lager unmöglich, nach vorne zu schauen. Bei vielen Hillary-Fans im „Book Stall“ in Winnetka herrscht immer noch Unglauben darüber, dass Trump im Weißen Haus sitzt. „Sie sollte unsere Präsidentin sein“, sagt Clinton-Anhängerin Dee Darling der Lokalpresse. Vor dem Buchgeschäft steht ein Clinton-Gegner, der auf einem Schild die alte Forderung aus dem Trump-Wahlkampf aufleben lässt: „Sperrt sie ein!“

Wahlnachtaktiv. Freudenbezeugung auf dem New Yorker Times Square nach der Stimmenauszählung vor einem Jahr.
Wahlnachtaktiv. Freudenbezeugung auf dem New Yorker Times Square nach der Stimmenauszählung vor einem Jahr.

© Mark Kauzlarich/Reuters

Im November 2017 ist Amerika so gespalten wie am Tag der Wahl ein Jahr zuvor. Zumal der neue Präsident sein Bestes tut, um die Wunden von damals offen zu halten: Für seine Anhänger funktioniert Clinton immer noch als Feindbild. Zumindest in diesem Sinne will Trump seine Rivalin von damals also überhaupt nicht loswerden. Im Hangar von Harrisburg spottet er: „Bitte, Hillary, tritt noch mal an.“ Seine Anhänger, die als Zuschauer zum Fox-Interview eingeladen worden sind, johlen und klatschen.

Eine erneute Kandidatur hat Clinton ausgeschlossen, aber der Gedanke ans Oval Office lässt sie nicht los. Als sie in einem Interview am Halloween-Tag vorige Woche gefragt wird, wie sie sich zum Hexenfest verkleiden wolle, antwortet sie: „Ich gehe vielleicht als Präsidentin.“ Das ist nur halb im Scherz gemeint. Clinton spielt wieder und wieder die Frage des „Was wäre gewesen wenn?“ durch. Zehn Tage vor der Wahl, als sie in den Umfragen deutlich vor Trump lag, teilte die Bundespolizei FBI mit, dass Ermittlungen in Zusammenhang mit Clintons Nutzung eines privaten E-Mail-Servers während ihrer Zeit als Außenministerin neu aufgenommen würden. Ihr Vorsprung schrumpfte. „Wenn die Wahl am 27. Oktober stattgefunden hätte, wäre ich heute Präsidentin“, sagt sie Ende Oktober in einem Fernsehinterview. Es klingt wehmütig.

Doch auch für Trump ist der Triumph längst zu einem vergifteten Sieg geworden, fast täglich schlägt er sich mit dem Thema Russland herum. Zuletzt tauchte Anfang der Woche in den „Paradise Papers“ der Name von Handelsminister Wilbur Ross auf. Ein Unternehmen des 79-Jährigen soll Kontakte zu Mitgliedern der russischen Elite pflegen, darunter zum Schwiegersohn von Wladimir Putin.

Mit jeder Enthüllung wird Trumps Haltung, alle Vorwürfe pauschal abzustreiten, unhaltbarer. Der Präsident muss Rückzugsgefechte schlagen, weil Sonderermittler Mueller immer mehr Hinweise auf Verbindungen zwischen Trumps Wahlkampfteam und russischen Regierungsstellen zutage fördert. Trumps ehemaliger Wahlkampfmanager Paul Manafort soll auf Betreiben Muellers vor Gericht gestellt werden. Der Sonderermittler will bald Berater aus Trumps unmittelbaren Umfeld befragen, mehrere Ausschüsse im Kongress drängen ebenfalls wegen der Russland-Saga auf Antworten.

Auch Hillary Clinton versucht, ihren alten Rivalen weiter zu attackieren. In einer Talkshow erklärt sie Anfang November, die russischen Machenschaften seien „eine der gefährlichsten Bedrohungen, denen wir ausgesetzt sind“. Wenn sie im Weißen Haus säße, würde sie eine unabhängige Untersuchungskommission zu den Manipulationsversuchen Moskaus einsetzen. Wieder dieses „wenn“.

Allerdings ist auch Clinton in Sachen Russland nicht über jeden Verdacht erhaben. Ihr Wahlkampfteam gab im vergangenen Jahr der Schnüffler-Firma GPS den Auftrag, belastendes Material über Trump zu beschaffen. GPS bestellte bei dem ehemaligen britischen Geheimagenten Christopher Steele ein Dossier, in dem von einer jahrelangen Zusammenarbeit zwischen Trump und Moskau die Rede ist. Moskau besitze kompromittierendes Material, mit dem Trump erpresst werden könne, schreibt Steele darin. So habe Trump in Moskau ein Hotelzimmer gemietet und russische Prostituierte auf das Bett urinieren lassen.

Nun wird auch Clinton wieder mit diesen unappetitlichen Niederungen des amerikanischen Wahlkampfs konfrontiert. In der Talkshow betont Clinton, es gebe „natürlich“ einen Unterschied zwischen den völlig legalen Recherchen ihres eigenen Wahlkampfteams und der mutmaßlichen Zusammenarbeit zwischen Team Trump und den Russen. „Ich denke, die meisten ernst zu nehmenden Leute verstehen das auch.“ Der Satz impliziert, dass es für Clinton auch Menschen gibt, die man nicht ernst zu nehmen braucht. Ein Beispiel dafür, warum die als arrogant geltende Clinton bei vielen ihrer Landsleute weiterhin so unbeliebt ist. Die damalige Vorsitzende der US-Demokraten, Donna Brazile, hat auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes offenbar „ernsthaft“ erwogen, den damaligen Vizepräsident Joe Biden gegen die Spitzenkandidatin auszuwechseln. In ihrem gerade erschienenen Buch beschreibt sie einen „anämischen“ Wahlkampf, der den „Geruch des Versagens“ angenommen hatte.

Der 8. November 2016 könnte Amerikas Politik auf Jahre hinaus prägen, vor allem im Negativen. Anstatt sich neu aufzustellen und Trump wirksam zu attackieren, diskutieren die oppositionellen Demokraten immer noch, ob sie am Wahltag in Wahrheit nicht von Trump geschlagen wurden, sondern von Moskau. Aufseiten der Regierung ist die Legitimität der gesamten Administration immer größeren Zweifeln ausgesetzt. Die Umfragewerte des Präsidenten bleiben unverändert miserabel. Und die hartnäckigen Fragen in der Russland-Affäre sorgen in der republikanischen Mehrheitsfraktion im Kongress für große Unruhe.

All das scheint Trump kaum zu stören. Im Universum des Präsidenten spielt der Sieg vom 8. November 2016 die entscheidende Rolle. Und so schlägt Trump die Schlachten des vergangenen Jahres weiter. So ruft er beispielsweise das Justizministerium und das FBI zu strafrechtlichen Ermittlungen gegen Clinton auf, die sich im Vorwahlkampf der Demokraten unrechtmäßig Vorteile gegenüber Mitbewerber Bernie Sanders verschafft haben soll. Bereits einen Tag oder eine Woche nach der Wahl hätte eine derartiges Nachtreten gegen die unterlegene Kandidatin wohl unsouverän gewirkt. Ein Jahr nach dem Wahltag erscheint es fast manisch.

Wie Trump kommt auch Hillary Clinton nicht von dem Tag los, der ihr Leben veränderte und ihren größten Traum zerstörte. „Seit dem 8. November 2016 ringe ich fast jeden Tag mit einer einzigen Frage“, schreibt Clinton in ihrem Buch: „Warum habe ich verloren?“

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