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Hermann Noack Senior auf der Galerie in der Werkstatt seiner Gießerei.

© Thilo Rückeis

Familien in Berlin: Die Kunstgießer Noack prägen die Stadt seit Generationen

Sie haben die Quadriga gefertigt, die Viktoria auf der Siegessäule – und 600 Berlinale-Bären. Kaum eine Firma hat das Stadtbild so geprägt wie die Kunstgießerei der Familie Noack, mittlerweile schon in der vierten Generation. Teil vier unserer Sommerserie.

Natürlich. Die Sache mit den vier Hermännern fehlt nie, wenn über die Bildgießerei Noack geschrieben wird. Schließlich ist das eine echte, wahre und auch stolze Berliner Dynastie. Eine künstlerische Institution. Ein Betrieb, von dem immer dann gesprochen wird, wenn irgendwo auf der Welt Denkmäler enthüllt oder nach der Restaurierung wieder aufgestellt werden.

Erst gab der Ur-Kunstgießer Hermann Noack (1867–1941), schon eine künftige Familientradition im Sinn, seinem Sohn seinen eigenen Vornamen (Hermann II. 1895–1958), dann folgte 1931 Hermann III. und 1966 Hermann IV., beide leiten jetzt die Firma. Allesamt Künstler und Gießer, Fachmänner, Handwerker und Geschäftsleute zugleich. Jeder Hermann gab stets, wenn es so weit war, dem nächsten, jüngeren, den Tresorschlüssel in die Hand. Aktuell haben wir es mit Hermann IV. zu tun, einem 48-jährigen Gießereimechanikermeister, der sich nur widerstrebend von Vater Hermann III. für die Gießkunst begeistern ließ, aber längst mit gegenseitiger freundlicher Wertschätzung seine Leute per Handschlag begrüßt, wenn er, der Künstler, Handwerker und Manager, durch die hohen lichten Hallen des Betriebes geht.

Ein Krachen und Zischen

Der steht nach dem Umzug aus Friedenau auf einem weitläufigen Gelände nahe der Caprivibrücke in einer ruhigen Ecke Am Spreebord. Drei Schlote des Charlottenburger Heizkraftwerks überragen die Werkhallen, ein Bronzepferd wartet reglos im Garten, von der stillen Straße führen Steinstufen hinab zu einem Uferweg mit Bänken und Kletterrosen, daneben fließt träge die Spree, ein Touristenführer erklärt auf dem voll besetzten Ausflugsschiff die Gegend. Gegenüber, zum Greifen nah, steht der wuchtige Turm vom Charlottenburger Rathaus, nicht weit glänzt das Schloss. „Und bis zum Ku’damm oder zur Mitte der Stadt braucht man nur 15 Minuten“, sagt Hermann Noack IV. und schließt das Rollgittertor in der langen roten Ziegelmauer auf. „Man muss vielleicht zuerst den Betrieb sehen, um die ganze Gießerei besser zu verstehen“, sagt der Juniorchef und erklärt seine Firma.

Hermann Noack Junior in der Gießerei. Er leitet die Firma gemeinsam mit seinem Vater.
Hermann Noack Junior in der Gießerei. Er leitet die Firma gemeinsam mit seinem Vater.

© Thilo Rückeis

Von Saal zu Saal wird das Staunen größer. Hermann Noacks Erläuterungen gehen, je weiter wir kommen, im Krachen und Zischen, im Pfeifen und Orgeln beim langwierigen Produktionsprozess unter. Gießen ist keine stille Kunst. Hier und da hält sich der Gast die Ohren zu und denkt an Friedrich Schillers „Glocke“ von 1799, die wohl beste Reportage, die je übers Gießen geschrieben wurde:

Wohl! Nun kann der Guß beginnen,

schön gezacket ist der Bruch.

Doch bevor wirs lassen rinnen

betet einen frommen Spruch!

Stoßt den Zapfen aus!

Gott bewahr das Haus! Rauschend in

des Henkels Bogen

schießt’s mit feuerbraunen Wogen.

Die Idee des Schöpfers

Hier arbeiten 40 Spezialisten aus sechs Berufsgruppen: Sandformer, Wachsformer, Ziseleure, Gießer, Patinierer, Modellbauer. Jeder hat seinen Anteil, jeder seinen Stolz. Es ist wie beim Fußball. Gießen als Mannschaftssport, wo sich jeder auf den anderen verlassen muss. Wenn ein Kunstwerk nach Wochen, Monaten oder Jahren die Werkstatt verlässt, ist es nicht, als ob ein Auto made in Germany vom Band in die Freiheit rollt – hier werden Kunstwerke in die Welt exportiert, Unikate oft, sie leben von der Idee des Schöpfers wie von der Qualität der Gießerei. Noacks haben sich über Jahrzehnte einen Namen gemacht.

Beim Rundgang fällt ein ungewöhnliches Foto auf, das an einer Glasscheibe klebt (hier ist alles so schön durchsichtig-hell-modern): Das Bild zeigt Old Hermann Noack als jungen Werkmeister der Firma Gladenbeck inmitten seiner Kollegen auf dem Kaiser-Wilhelm-National-Denkmal von Reinhold Begas. Das war 1897. Die eiserne Huldigung gegenüber dem Stadtschloss kostete damals vier Millionen Mark. Seit 1950 sind das Fundament und der Platz leer geräumt, schon die DDR wusste mit dem Areal zwischen Außenministerium und Republikpalast nichts anzufangen. Demnächst soll hier ein riesiges Wippen-„Denkmal“ das neue einheitliche deutsche Nationalgefühl symbolisieren.

Ein Denkmalsboom setzte ein

Zurück zu Noack ins vorvorige Jahrhundert: Nach dem Kaiserguss steigt Werkmeister Noack, der aus der Oberlausitz kam und in Lauchhammer gelernt hatte, aus der Firma aus und macht sich 1899 in Friedenau selbstständig. Hier haben renommierte Künstler mit ihren Modellen der Bildgießerei Noack von Anfang an einen internationalen Ruf verliehen. Noack sen. zählt sie alle auf: Georg Kolbe, Käthe Kollwitz, Bernhard Heiliger, Henry Moore, Anselm Kiefer, Joseph Beuys, Jonathan Meese und viele andere. Darunter Georg Baselitz und seine riesenhaften, wuchtigen Figuren, die in der Werkstatt liegen und später nicht auf dem Kopf, sondern auf den Füßen stehen, und Rainer Fetting, der die Willy-Brandt-Statue als Visionär für die SPD-Zentrale an der Wilhelmstraße gestaltet hat, 3,40 Meter hoch und 500 Kilo schwer. Keine andere Gießerei in Berlin – jetzt gibt es ungefähr sechs, Noack ist die größte – hat das Stadtbild so geprägt wie die Friedenauer-Charlottenburger Firma. Ob Henry Moores „Big Butterfly“ vor dem Haus der Kulturen der Welt im Tiergarten, die „Goldelse“ auf der Siegessäule oder Käthe Kollwitz’ trauernde Mutter in der Neuen Wache – Noacks Handwerkskunst hat das Berlin-Bild bereichert, auch mit der Restaurierung vom „Großen Kurfürsten“ am Charlottenburger Schloss, mit den bisher 600 Berlinale-Bären von René Sintenis oder der Schadow’schen Quadriga auf dem Brandenburger Tor.

Das Wahrzeichen - ein sensibler Punkt

Mit dem Berliner Wahrzeichen treffen wir bei Hermann Noack sen. einen sensiblen Punkt. 1958 ist er 27 Jahre alt, hat Kunstformer gelernt, wird Meister und ist an der Restaurierung der Quadriga beteiligt. Hinter der Schadow’schen Rosselenkerin steht noch keine Mauer, aber wohl schon in den Köpfen wild gewordener ideologischer Heißsporne im (Ost-)Magistrat.

„Wir haben die Quadriga auf der Ostseite abgestellt, um sie am nächsten Tag auf das Tor zu hieven“, erklärt Hermann Noack sen. „Die Steinarbeiten erledigten Kollegen aus Ost-Berlin, wir hatten die Quadriga zu erneuern, weil der Gipsabdruck in einem Kohlenbunker in Dahlem entdeckt worden war. Am 3. August 1958, frühmorgens, klingelt es bei uns zuHause Sturm, Werkmeister Schenk steht vor der Tür, kreidebleich, und sagt: ,Chef, die Quadriga ist weg!‘“ Der Osten hatte sie heimlich abtransportiert, der Regierende Bürgermeister wusste von nichts, hinter den Kulissen ging die politische Kabbelei hin und her.

„Ich machte mich auf die Suche nach ,unserer‘ Viktoria und ihren Streitwagen“, sagt Hermann Noack sen. „Das hat mir einfach keine Ruhe gelassen. Die kann doch nicht einfach so verschwinden!“ Ist sie in Moskau oder was? Als Noack auf den Hof des Marstalls am damaligen Marx-Engels-Platz kommt, siehe, da steht sie, die Wagenlenkerin, „und als ich die Plane zur Seite schiebe, kommt’s raus: Der Adler vom Ehrenkranz, den die Siegesgöttin trägt, ist verschwunden, und ebenso haben die da drüben das Eiserne Kreuz geklaut.“ Seither trug die Göttin eine Art DDR-Monokel vor sich her, denn „Embleme des preußisch-deutschen Militarismus“ durften nicht mehr aufgestellt werden, sagten die Ost-Berliner Genossen. „Erst nach der Wende wurde wieder alles wie einst im Mai bei Johann Gottfried Schadow.“

Zeit der "Hitlerköppe"

Ach ja, einst im Mai. 1945. Die Zeit der „Hitlerköppe“ und der Medaillen fürs Nazireich war endgültig vorbei, plötzlich durfte Noack, dessen Firma von der sowjetischen Besatzungsmacht unter Sonderbewachung gestellt worden war, aus einem Internierungslager zurück: Gospodin Noack, du gehen damoi, musst machen patriotisches Denkmal für siegreiche Sowjetarmee. So kam der Entwurf für den acht Meter hohen Sowjetsoldaten an der heutigen Straße des 17. Juni in Noacks Werkstatt, und, dawai dawai, schon am 11. November 1945 wurde die Gedenkstätte über den Gräbern von 2500 Rotarmisten mit einer Militärparade der Alliierten eingeweiht.

Offenbar waren alle Beteiligten derart begeistert, dass bei Noacks in Friedenau ein regelrechter Denkmalsboom einsetzte: Die Russen hielten die Belegschaft mit Lebensmitteln, mit Butter und Brot bei Laune, sie zahlten pünktlich, bis zur Währungsreform 1948. Dann rückte Stalin keinen Rubel mehr raus, aber Noack hatte bis dahin gut geliefert: unzählige Buchstaben für heroische Inschriften, Büsten, Denkmale und Siegertrophäen. „Dabei wollten uns die Engländer nach Hamburg locken. Die Güterwagen waren schon bestellt. Doch die Auftragslage war so gut, dass wir blieben – und wir haben es nie bereut“, sagt Hermann Noack, der 83-Jährige mit dem wallenden weißen Haar über dem verschmitzten Lächeln und den blauen Augen.

Ein Platz ohne Plastiken. Das ist armselig, sagt Noack

Hat er, der immer noch unermüdlich durch die Firma läuft und nach dem Rechten sieht, ein Lebensmotto, irgendetwas Sprichwörtliches zum Vererben und Nachahmen? „Nee“, sagt er, mit so was soll man ihm nicht kommen. Lieber mit Geschichten, die ihn bis heute irgendwie stolz machen. Zum Beispiel, dass sein Sohn als einziger Berliner dem Kreml aufs Dach gestiegen ist – als er den „Heiligen Georg“ montierte.

Mit welchem Künstler war die Harmonie am größten? „Mit vielen hatten wir eine innige Verbindung, manche wohnten auch bei uns zu Hause, die unterschiedlichsten Charaktere“, über die der Meister besser schweigt, Motto: über Kunden nur Gutes. Vor allem über Henry Moore, den mit der dicken, goldpolierten „Butterfly“, die als Modell aus Marmor in der Werkstatt stand und dessen Guss Herrn Moore so gefiel, dass er nur noch diesem Berliner Mr. Noack seine unzähligen Entwürfe anvertraute. Auch Moore wollte Noack zum Umzug bewegen, der Transport seiner Riesenskulpturen durch die DDR war stets ein Drama. Aber Noack sagte, „ich bin ein Berliner“, und der hält seiner Stadt die Stange.

Das Können der Gießereimitarbeiter

Eine andere Geschichte in diesem reichen Gießerleben spielt auf dem Wasser: Noack schlüpft zu seiner Erholung in eine andere Haut, fernab aller Gießtöpfe oder brodelnden Kupfersuppen, und fährt als Hochseesegler über Berge und Täler von Wellen. „Ich habe 1983 als erster Berliner den Admirals-Cup gewonnen“, sagt er stolz.

Zurück zum Gießhaus. In einem der Säle steht ein zehn Meter hoher Baum, die Skulptur „Licht-Strahl-Eiche“ von Vera Röhm, täuschend echt dem Original aus dem Wald – das ist ebenso Kunst wie ein Brunnen für den Domberg von Limburg, für dessen Guss Ex-Bischof Tebartz-van Elst sich sehr interessierte und dabei das Können der Gießereimitarbeiter in den höchsten Tönen lobte. Lob kam auch aus der Red-Bull-Zentrale bei Salzburg. Gut zwei Millionen Euro waren den Brausebossen die 15 Stiere im Eingangsbereich zu ihrem Konzern wert, 20 Tonnen wogen die Bullen, als sie auf die Reise gingen. Das sind Dimensionen!

Die Zukunft? Weiblich

Dagegen bringt die Frage nach der Kunst im Berliner öffentlichen Raum die Noacks in Wallung: „Nach der Wiedervereinigung haben wir keinen einzigen Auftrag für unser Berlin bekommen. Kunst am Bau wurde gestrichen. Wie armselig sind manch neue Plätze, ohne Beete, Brunnen, Bänke, ohne Plastiken – wo wir doch so viele Künstler in der Stadt haben.“

Eine davon betritt lächelnd den Raum, die Sonne geht auf, Anna Bogouchevskaja, Bildhauerin: Vor Jahren haben sich die 1966 in Moskau geborene Künstlerin und der Juniorchef Hermann Noack im Mauermuseum von Rainer Hildebrandt kennengelernt. Dann begann nicht nur eine enge Zusammenarbeit beim Gestalten und Gießen lustiger und skurriler Plastiken – eine Kuh beim Seilspringen steht im Zimmer der Chefs –, sondern auch beim Nachdenken über die fernere Zukunft der Firma. Hermann V. ist derzeit nicht in Sicht, dafür toben Sofia und Jelisaweta, elf und zehn Jahre alt, durch die Halle. Opa Noack ist begeistert: Sie malen, spielen Schach, Tennis, Klavier, Fußball, eines Tages könnten sie die Sache übernehmen. Und wenn Hermann jun. Anna heiratet, könnte aus den Mädchen noch eine Noack werden. Sofia oder Lisa. Auf jeden Fall weiblich.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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