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Ein letztes Mal sucht Hans Panhoff im Juni die Flüchtlinge zum Verlassen der Gerhart-Hauptmann-Schule zu überreden.

© DAVIDS

Flüchtlinge in Berlin: Hans Panhoff hat die Linke gegen sich

„Es ist total absurd, ich war doch selbst Hausbesetzer!“ Hans Panhoff versteht die Welt nicht mehr. Der urgrüne Stadtrat hat sich vehement für Flüchtlinge eingesetzt – und dann doch die Polizei geholt. Jetzt ist er im linken Kreuzberg verhasst und muss heute einen Abwahlantrag überstehen.

Als er aufwacht, der Juli hat gerade begonnen, nehmen ihn seine eigenen Gedanken sofort gefangen. Die Gedanken an das Problem, das wie ein schweres Gewicht auf ihm liegt.

An diesem 1. Juli aber steht seine Entscheidung fest, die er am Abend zuvor nur mit seiner Schwester besprochen hat: Er wird seine politische Sozialisation verraten. Und seine eigene Partei Die Grünen. Vielleicht wird er zurücktreten müssen, aber er will sich jetzt endlich auch selbst befreien, aus einer Lage, die ihm „unlösbar“ vorkommt. Mit dem Anruf beim Polizeipräsidenten.

Sieben Wochen später sitzt Hans Panhoff, 56 Jahre, im achten Stock des Kreuzberger Rathauses und schwankt zwischen Selbstzweifel und Selbstbewusstsein, manchmal lacht er schüchtern. Der Friedrichshain-Kreuzberger Stadtrat für Planen, Bauen und Umwelt streicht über sein rechtes Handgelenk, das er sich gerade beim Paddeln im Urlaub angebrochen hat. Er sagt: „Man muss auch verdrängen können.“

Aber das ist bei dieser Geschichte nicht einfach, für ihn ist es sogar unmöglich. Denn an diesem Mittwoch muss er einen Abwahlantrag der Linken und der Piraten überstehen, um überhaupt im Amt zu bleiben. Und das, weil er die Polizei wegen der verbliebenen Flüchtlinge in der Gerhart-Hauptmann-Schule zum Handeln aufgefordert hat in einer Situation, in der niemand anders sagen wollte, was richtig und was falsch war.

Dulden und Helfen

Man muss sich einmal zurücklehnen, um zu begreifen, was passiert ist. Warum ein selbst in Friedrichshain-Kreuzberg kaum bekannter Bezirkspolitiker auf einmal landesweit in den Nachrichtensendungen auftauchte. Wohl auch deshalb, weil das gesamte ungelöste europäische Flüchtlingsdrama plötzlich und für viele Monate auf den Schultern dieses Stadtrats gelandet war.

Wie konnte das sein, einer allein? Hätte nicht längst die große Politik, der Berliner Senat, handeln müssen?

Hans Panhoff hat die Zuständigkeit für die Gerhart-Hauptmann-Schule von seinem Amtsvorgänger, dem ehemaligen Bürgermeister Franz Schulz, geerbt. Er nahm die Zuständigkeit nicht als bürokratische Aufgabe wahr, er machte sie zu einer Herzensangelegenheit. Und dann verhedderte er sich in der Frage, wie viel Menschlichkeit Platz haben darf in der Politik.

Dulden und Helfen sind erklärtes Prinzip der Grünen-Politik in Friedrichshain-Kreuzberg, dazu gehört das geduldige Aushandeln von Kompromissen mit den Betroffenen, aber mit dieser Aufgabe am Oranienplatz und in der Gerhart-Hauptmann-Schule waren alle überfordert. Bis heute bestreitet niemand in der Berliner Politik, nicht im Senat, nicht im Bezirk, dass Panhoff sich über viele Monate als Einziger persönlich, mit sturer Konsequenz und „voller Empathie“, wie ein Amtsträger aus Kreuzberg sagt, um die Menschen in diesem Gebäude gekümmert hatte.

Die Stadt handelt - nicht in seinem Sinn

Seit Montag hat ihn die Geschichte überholt. Berlin handelt. Nur nicht in Panhoffs Sinn. Mehr als 100 Flüchtlinge vom Oranienplatz sollen gehen, die freiwilligen Leistungen des Senats werden eingestellt, weil die „aufenthaltsrechtliche Prüfung“ vieler Flüchtlinge, so heißt das im Amtsdeutsch, abgeschlossen sei und ergeben habe: Es gibt kein Aufenthaltsrecht. Also erneute Proteste auf dem Oranienplatz, erste Zusammenstöße mit der Polizei, am späten Montagabend eine Demo durch Kreuzberg – vertrautes Szenario.

Hans Panhoff hatte lange Monate dafür gekämpft, um die Flüchtlinge überhaupt zu überreden, in feste Unterkünfte zu ziehen und die Schule zu verlassen, so, wie es auch am Oranienplatz geschehen war. Er hatte ein faires Verfahren versprochen, obwohl er wusste, dass er nicht Herr dieses Verfahrens sein würde. Viele haben ihm vertraut. Es wird ihnen nicht helfen.

Panhoff weiß das, es treibt ihn um, er hat keine Lösung dafür. Er sagt: „Innensenator Frank Henkel ist nie sichtbar in diesem Konflikt. Er will nur das Problem loswerden, es ist ein Prinzipienthema für die CDU, das man aus Sicht Henkels nur administrieren muss.“ In dem Gespräch trinkt Panhoff sehr viel Wasser, als wolle er sich innerlich abkühlen, um seine Sätze besser abwägen zu können.

"Alles ist so verquer, total absurd"

Einmal platzt es kurz und laut aus ihm heraus, als es um den Polizeischutz geht, den er bekommen musste: „Da war ja auch was!“, ruft Panhoff, als müsste er sich auch mal rechtfertigen dürfen. Dann zählt er auf, was da neben wüsten Beschimpfungen noch so „war“: Morddrohungen, eine abgebrannte Mülltonne, ein abgefackeltes Auto und eine gefährlich anmutende Spontandemo vor seinem Haus in Kreuzberg, bei dem plötzlich auch noch alle Eingangstüren offen standen. Er war nicht da, auf Anraten der Polizei. „Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich da aus dem Fenster geschaut hätte.“

Dann wird er ganz still, schüttelt den Kopf, er kann es noch immer nicht begreifen. „Alles ist so verquer, total absurd, ich war doch selbst ein Hausbesetzer. Ich weiß doch, wie es den Leuten geht.“

Hans Panhoff hat einen weiten Weg zurückgelegt, um sich und seine Berufung zu finden. Auf diesem Weg hat er vor allem gelernt, in Gemeinschaften zu leben und miteinander zu entscheiden. An der Uni in vielen Projektgruppen, im Hausbesetzerkollektiv, im späteren Ratibor-Theater, als Quartiersmanager von Marzahn und selbst in einem Call-Center in Dublin, wo er für ein Jahr jobbte, und, wie er sagt, „ganz Europa vereint war“.

Er wächst auf in der Kleinstadt Gaggenau, Landkreis Karlsruhe, Baden-Württemberg, die Mutter stirbt, als er 15 ist. Er lebt mit den jüngeren Schwestern, betreut von der Großmutter, der Vater ist als kleiner Fuhrunternehmer fast nie da. Er interessiert sich für Politik, aber bei den Grünen wird er erst 1996 eintreten.

Mit urgrünen Überzeugungen sozialisiert

Trotzdem ist er mit urgrünen Überzeugungen sozialisiert worden. Sein politisches Ur-Erlebnis findet während eines geheimen Treffens in einer Altbauwohnung in der Kreuzberger Cuvrystraße hinter runtergelassenen Rollos statt. Er studiert Stadt- und Regionalplanung. Es ist die Zeit der großen Auseinandersetzungen zwischen den Verfechtern der Flächensanierung und des Abrisses von Altbauten sowie sanierungspolitischen Querdenkern um den legendären Architekturprofessor Hardt-Waltherr Hämer.

Das Mietshaus, in das ihn ein Kommilitone mitnimmt, weil sie eigentlich eine Wohnung suchen, wird er später mit Freunden besetzen und sanieren. Es beginnt 1979. Heute wohnt er noch immer dort, und wenn man ihn in seinem Büro fragt, was dieses Haus für ihn bedeutet, dann antwortet Hans Panhoff: „Heimat. Das Haus ist mein Heim und meine Heimat. Hier sind Nachbarn Freunde und Familie. Hier möchte ich alt werden.“

Das Karree rund um das Mietshaus in der Cuvrystraße sollte komplett abgerissen und so bebaut werden, wie es noch heute am Kottbuser Tor zu besichtigen ist. Panhoff kannte bereits andere städtebauliche Lösungen. Er durfte unter Hämer als Student am Modellprojekt „Block 118“ am Charlottenburger Klausnerplatz mitarbeiten. Die Studie war eine Zäsur in der städtebaulichen Diskussion Berlins, denn Hämer hatte nachgewiesen, dass die Sanierung der Altbauten billiger ist als Flächensanierung und Abriss. Sanierung ohne Verdrängung - das Prinzip Hämers, gemeinsam mit den Anwohnern umgesetzt, wurde mit Preisen gekrönt.

So viele Nationalitäten, so viele Schicksale

Von seinem Büro im achten Stock kann Panhoff auf Teile des „geretteten“ Kreuzberg schauen und findet nicht ohne Stolz, dass man „die sanierungspolitische Theorie in der Praxis umgesetzt hat“. Panhoff schrieb nicht nur seine Diplomarbeit über das staatliche Selbsthilfeförderprogramm, er verinnerlichte auch eine Lektion: Wenn der Staat den Bürgern Vertrauen schenkt, werden die Bürger das Vertrauen rechtfertigen. Basisdemokratische Strukturen müssen also nicht Utopie bleiben. Das Modell, sein Lebensmodell, er wollte es auch in der Flüchtlingsarbeit anwenden. Vertrauen, Hilfe, persönliches Engagement – mit diesen Prinzipien sollten die Probleme in der Schule gelöst werden.

Die persönliche Tragik des Stadtrats aus Friedrichshain-Kreuzberg besteht wohl darin, dass er wirklich daran glaubte, die Flüchtlinge seien zur Selbstorganisation in der Lage. Er guckt jetzt wieder so, als hätte er Schuld auf sich geladen, ohne Selbstbewusstsein und sagt: „Natürlich konnten sie das nicht. Wie denn auch!“

Eine Reihe von denen, deren Geschichten er persönlich kennt, waren traumatisiert. Es gab so viele Nationalitäten, so viele Interessen, so viele Schicksale. Er konnte sich auch deshalb so gut in diese Schicksale hineindenken, weil, das muss an dieser Stelle erwähnt werden, Hans Panhoff seit vielen Jahren einen kleinen, aber sehr engen Freundeskreis aus Afrika besitzt. Auch diese private Komponente hat ihn angetrieben in diesem Konflikt.

War er deshalb blind für die Gefahren?

Jedes Prinzip hat seine Grenzen

Am 25. April, als ein junger Marokkaner von einem Landsmann erstochen wird, sitzt Hans Panhoff mit einem Freund beim Frühstück in einem Kurzurlaub in Madrid. Es sind die ersten freien Tage nach vielen Monaten der Daueranspannung. Freitags ist er normalerweise immer bei den Flüchtlingen. Nur an diesem nicht. Als die Anrufe kommen, die ihn informieren, denkt er spontan: „Das kostet mich meinen Job.“ Dann ist er erstaunt darüber, dass es ihn gar nicht überrascht. Denn die Wahrheit ist, sagt er heute, „dass es schon so oft gefährliche Situationen im Haus gegeben hatte“.

In seinem Büro hängt der Entwurf zu einem Flüchtlingszentrum. „Zukunft Schule“ steht da in Deutsch, Englisch und Französisch. Das soll Kreuzbergs nachhaltiger Beitrag zum Thema sein. Denn dass immer mehr Flüchtlinge kommen werden angesichts der Krisen und Kriege in der Welt, ist allen klar. Monatelang ist er mit dem Entwurf durch das Haus gegangen und hat ihn allen gezeigt, hat erzählt, wie es werden soll und dass es dann auch eine offizielle Anlaufstelle für Flüchtlinge geben würde. Das war die Zukunft, aber nicht aus Sicht der Betroffenen. Die Flüchtlinge hörten lange zu, aber irgendwann sagten die Wortführer: „Bring uns eine Aufenthaltsgenehmigung für alle. Dann reden wir.“ Das konnte er natürlich nicht.

Ihm wird nicht gedankt

Reden und stundenlang diskutieren kann Hans Panhoff. Manche, die ihn kennen, sagen, das sei sein Problem: Er rede leider viel zu viel und handle zu selten. Er selbst erzählt, dass es seine eigenen Mitbewohner waren, in seinem geliebten Haus in Kreuzberg, die ihm eines Tages sagten: „Hör auf, immer nur über Politik zu reden. Wenn du alles besser weißt, dann mach.“ Und so hat er gemacht und ist zu den Grünen gegangen, denn bei den Grünen konnte er anwenden, was er gelernt hatte: Den Konsens erarbeiten, lange debattieren, human und moralisch handeln.

Aber alles, jedes Prinzip, und sei es noch so gut, hat seine Grenzen.

Dann kommt jene Woche Ende Juni, Anfang Juli. Er ist stolz, weil sie 230 Afrikaner und 40 Roma untergebracht haben und nur wenige der Besetzer sich verweigern. Ihm wird nicht gedankt, er wird wüst beschimpft, dann klettern Flüchtlinge aufs Dach, schütten Benzin aus, drohen mit Selbstmord. Kreuzberg schafft es wieder mal in die „Tagesthemen“.

In diesen Tagen sagt er den Flüchtlingen einen sehr deutlichen Satz: „Es kommt bald der Tag der Räumung, es wird dann kein Angebot mehr geben. Ihr werdet mit der Polizei konfrontiert werden. Und jeder, der keine Papiere hat, wird einfach fortgeschickt.“

Sie schmeißen ihn raus

Danach schmeißen sie Panhoff raus, „ihr größter Befürworter“, wie ein Grünen-Gefährte Panhoffs sagt, wird des Hauses verwiesen, sie wollen nicht mehr mit ihm verhandeln. „Das hat ihn sehr hart getroffen“, sagt der Grüne.

In jenen Tagen weiß Hans Panhoff nicht mehr, was richtig ist, was falsch. Er hat Panik, dass sich, wenn die Polizei nicht eingreift, alles wiederholt. Ein ewiger Konflikt. Er weiß: „Das halte ich nicht mehr aus.“ Es gibt einen mühsam errungenen Konsens mit allen Parteien im Bezirk: Wir räumen nicht! Aber Panhoff kennt die Menschen im Haus, wie oft haben sie ihm gesagt: „Wenn unsere Brüder oder Schwestern kommen, werden wir sie nicht fortschicken.“ Er denkt: Es wird immer so weitergehen, es werden neue Flüchtlinge kommen. Er wacht jetzt jeden Morgen auf und hat das Gefühl: „Wir schaffen das nicht. Wir können nicht allen eine Lösung versprechen.“ Musste das Menschliche in diesem Konflikt nicht zwangsläufig gegen das Administrative verlieren?

Er telefoniert täglich mit Klaus Kandt. Der Polizeipräsident stellt ihm ein Ultimatum. Dienstagfrüh. Panhoff sagt, er habe am ganzen Körper gespürt, er müsse jetzt handeln. An jenem Morgen des 1. Juli um 7 Uhr ruft er Kandt an und sagt ihm zu, das Räumungsersuchen bis Mittag zu stellen. Dann geht er in die Gremiensitzung und bricht den Konsens der Grünen. Allein. Seitdem ist er im linken Kreuzberg verhasst, auch die Grünen reden im Hintergrund nicht alle gut über ihn. Manche verachten ihn für das, was er getan hat. Aber der Tag der Abrechnung mit ihm – er wird erst noch kommen. Der Abwahlantrag morgen in der BVV hat keine Chance. Aber irgendwann werden die Grünen, ganz intern, über ihn befinden. Die Geschichte aber wird weitergehen, mit oder ohne den kleinen Stadtrat Hans Panhoff. Flüchtlinge werden bald abgeschoben, neue werden kommen. Die Flüchtlingsfrage bleibt ungelöst.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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