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Erleichterung. Er wolle jetzt seinen Sohn von der Kita abholen, sagt Alt-Bundespräsident Christian Wulff nach der Verkündung des Urteils. Und dass er das jetzt mit anderen Gefühlen tue.

© AFP

Freispruch für Christian Wulff: Es war nur ein Verdacht

„Ist es vorstellbar, dass man ihn auf derartig dilettantische Weise korrumpieren kann?“, fragt der Richter. Und seine Antwort darauf lautet: Freispruch für Christian Wulff. Die Vorwürfe an den Ex-Bundespräsidenten seien lebensfremd gewesen, sagt er, letztlich sogar absurd.

Wulff kommt in den Saal, wie er immer kam in diesem Verfahren. Bedächtig. Leise, mit fast zeitlupenhaften Bewegungen, den Eindruck von Beladenheit erweckend. Dass an diesem Donnerstag etwas anders ist, merkt man nur an der Art, wie er den Justizwachtmeistern die Hände schüttelt. Etwas länger als sonst, ein paar mehr Worte werden gewechselt als in den Verhandlungstagen davor. Als auch die Protokollführerin hinter ihrer Panzerglaswand im großen Schwurgerichtsaal des Landgerichts Hannover einen Händedruck bekommt, ist klar: Wulff verabschiedet sich heute. Ein Abschied auf Nimmerwiedersehen.

Er muss dann noch einmal kurz bangen. Überraschend tritt Richter Frank Rosenow wieder in die Beweisaufnahme ein, lehnt letzte Anträge der Staatsanwaltschaft ab. Noch einmal der Aufruf zu Plädoyers, zum letzten Wort des Angeklagten, doch zu sagen hat niemand mehr etwas. Alle erheben sich, Wulff steht kerzengerade im milden Gardinenlicht der Februarsonne. Dann ist er erlöst.

„Der Angeklagte wird vom Vorwurf der Vorteilsannahme freigesprochen. Er ist für die erlittenen Durchsuchungen zu entschädigen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Landeskasse.“

Der Verdacht ist aus der Welt, ein Freispruch, wie Wulff ihn sich gewünscht haben muss. Auch einer, wie er von Richter Rosenow zu erwarten war. Der Vorsitzende sagt, er habe lange überlegt, ob er etwas zu den besonderen Umständen des Verfahrens sagen sollte, dazu, wie die Justiz in der öffentlichen Kritik steht, wie er nach 25 Dienstjahren die „Premiere“ habe erleben dürfen, dass ein Staatsanwalt in seinem Plädoyer auf einen konkreten Antrag verzichtet. Er habe sich dagegen entschieden. „Die Angeklagten stehen im Mittelpunkt“, sagt er, es soll ein Urteil geben und seine Begründung. Und ein kleiner Dank an alle, die geholfen haben: Wachtmeisterei, Haustechnik, Polizei und Pressestelle. „Habe ich jemanden vergessen?“ Rosenow richtet nach menschlichem Maß. Und sortiert danach auch, welche Worte ihm im Moment der größten Aufmerksamkeit für den Prozess wirklich wichtig sind.

Groenewold „nutzte“ die Freundschaft in seinem geschäftlichen Sinne

Vorteilsannahme hatte man Wulff vorgeworfen, seinem Freund, dem Berliner Filmproduzenten David Groenewold, Vorteilsgewährung. Ein Urteil wegen Bestechlichkeit und Bestechung wollte die Staatsanwaltschaft. Ein letztes Mal geht der Richter in die Details. 209 Euro für ein Abendessen im Restaurant des Hotels Bayerischer Hof in München, 3209 Euro für einen Oktoberfestabend im Käferfestzelt auf der Wiesn mit weiteren Gästen, 110 Euro Babysitterkosten für den damals wenige Monate alten Sohn Linus, 400 Euro Übernahme von Hotelkosten. Das sollte der strafbare „Vorteil“ gewesen sein, den Groenewold seinem prominenten Freund zugewandt haben soll, damit sich dieser bei Siemens für die Unterstützung seines Films „John Rabe“ stark machte.

Tatsächlich schickte Wulff im Dezember einen Brief an den damaligen Konzernvorstand Peter Löscher. Und da war diese Nähe, die den Verdacht nährte. Wulff, der sich mit Filmförderung politisch profilieren, Groenewold, der von ihr profitieren wollte. Erst war Interesse da, dann Freundschaft. Rosenow sagt sogar, Groenewold „nutzte“ die Freundschaft in seinem geschäftlichen Sinne, es wurde für seine Firma auch eine Landesbürgschaft bereitgestellt. Doch zwischen 2007 und 2009 habe es „keine direkte wirtschaftliche Beziehung“ zwischen beiden gegeben. Die Ausnahme: der Brief an Löscher. Rechtfertigt er den Verdacht, die Annahme von Schuld?

Nein, sagt Rosenow deutlich, die „enge private Freundschaft“ der beiden habe im Vordergrund gestanden. Groenewold, der Mann, der Wulff ein Handy stellte, damit dieser zu Beginn seiner Liebschaft mit der späteren Gattin Bettina „gefahrlos telefonieren konnte“. Jener, der nach der Geburt von Linus einen Besuch am Wochenbett abstatten durfte, der Hochzeitsredenhalter und Geburtstagsgast. Sie seien einander „wertvolle Ratgeber“ gewesen, sagt Rosenow.

„Großmannssucht“ und „Gedankenlosigkeit“ - aber nichts, was strafbar sein könnte

Privat sei auch die Initiative für den Oktoberfestausflug gewesen, ein Abendessen mit der TV-Schauspielerin Maria Furtwängler. Groenewold habe sich angeboten, die Sache zu organisieren. Er, der immer organisiert, einlädt, zahlt. Mit dem man sich einen Wettlauf zur Kasse liefern musste, wollte man die Rechnung übernehmen, wie Wulffs Ex-Sprecher Olaf Glaeseker als Zeuge erzählte. Der sogar die Logis für Wulffs Personenschützer bezahlte, obwohl das Landessache war. Von „Großmannssucht“, spricht der Richter, auch von „Gedankenlosigkeit“. Aber von nichts, was strafbar sein könnte.

Er drückt allen die Hand, den Justizbeamten, der Gerichtsschreiberin, länger als sonst. Christian Wulff (Mitte) verabschiedet sich.
Er drückt allen die Hand, den Justizbeamten, der Gerichtsschreiberin, länger als sonst. Christian Wulff (Mitte) verabschiedet sich.

© AFP

Wulff und Gattin bezogen eine Suite im Bayerischen Hof, die eigentlich 1370 Euro kostet. Das Hotel berechnete den Doppelzimmerpreis von 430 Euro pro Nacht, wovon Groenewold wiederum heimlich knapp die Hälfte übernahm. Er sagt, es sei ihm peinlich gewesen, dass es so teuer war. Angesichts der kleinen Rechnung „musste der Angeklagte nicht stutzig werden“, ist das Gericht überzeugt. Wulff war Upgrades zu Niedrigpreisen gewohnt. Zum Filmball im Jahr darauf zahlte er für die Suite auch nur 260 Euro.

Die auf Groenewolds Hotelrechnung gesetzten Babysitterkosten will Wulff dem Freund umgehend erstattet haben. Plausibel, sagt der Richter, der Angeklagte sei notorischer Barzahler gewesen.

Dann der Wiesnabend, mit Furtwängler und ihrem Verlegergatten Hubert Burda. Kleine Speisen, für Bettina ein Glas Champagner, für Wulff, den Safttrinker, ein Dummy-Bier zum Anstoßen. Am Ende zückte der übliche Spendierhosenträger die Kreditkarte. „Dies ist das übliche Prozedere“, betont der Richter. „Wer beim Oktoberfest einen Tisch reserviert, der bezahlt ihn auch.“

Sein Widersacher forderte „eine chausseemäßige Behandlung“.

Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer hört sich das mit der Ruhe an, die er an fast allen Verhandlungstagen behielt. Im Gesicht eine ausdruckslose Freundlichkeit. Er muss sich vorgeführt erscheinen. Was hatte er sich bloß gedacht bei seinem Verdacht? Strafverfolger folgen vor allem den Buchstaben des Gesetzes, pflegt ihre Antwort zu lauten. Sie folgen der Klippschule der Strafbarkeit, vom Tatbestand zur Rechtswidrigkeit eines Handelns, von der Rechtswidrigkeit zur Schuld. Ein Schema, dass im Ergebnis zum Vorwurf führt. Oder eben nicht. Trifft das die Sache? Schon die Wortwahl im Gesetz lässt Befremden darüber aufkommen, dass es bei dieser Klärung nur richtig oder falsch, ja oder nein geben soll. Es beginnt beim Verdacht. Was dem einen zwingend vorkommt, kann dem anderen fernliegend erscheinen. Ein Einfallstor für Willkür. Um sie auszuschalten, gehorchen Staatsanwaltschaften klassischer Behördenhierarchie, einen System aus Formalismus und Kontrolle. Die Anklage wird eine Gemeinschaftsproduktion. Der Staatsanwalt „vertritt“ sie nur. Vielleicht steht seine Unterschrift darunter, vielleicht die eines anderen. Trotzdem, am Anfang steht der Verdacht. Ohne ihn rühren die Ermittler keinen Finger. Aber er ist eine Konstruktion, der Verdacht. Er kommt keinem von selbst. Man muss ihn entstehen lassen.

Im Fall Wulff hatten sich die Ermittler nachweislich dagegen lange gewehrt. Sie sammelten Presseberichte, schauten fern, wühlten sich durchs Internet in den aufgeregten ersten Wochen der Affäre. Doch sie unternahmen nichts. Unausgesprochen hatte sich die Affäre auf das Handeln der Hannoveraner Behörde zugespitzt. Bekäme die Materialsammlung aus der Presse ein Aktenzeichen, wäre das Ermittlungsverfahren zu eröffnen, müsste die Aufhebung der Immunität des amtierenden Bundespräsidenten Wulff beantragt werden. Das Kommando zum Rücktritt. Wer will diese Verantwortung tragen? Nach welchen Maßstäben soll er handeln?

Keine Extra-Würste für Christian Wulff

Glaubt man den Worten des Celler Generalstaatsanwalts Frank Lüttig, war es das Auftauchen von Groenewold in einem Sylter Hotel Anfang 2012, wo dieser mit Wulff in Urlaub war. In der Presse stand zu lesen, er habe dort Beweismittel wegschaffen wollen. Das soll der Moment gewesen sein, in dem das Vor-Urteil fiel: Der Verdacht war in der Welt.

Was folgte, ist bekannt. Die Frage ist nur, ob auch alles bekannt ist. Staatsanwälte haben ihren Vorgesetzten zu berichten, in wichtigen Fällen dem Generalstaatsanwalt, in noch wichtigeren dem Justizminister. Das war damals Bernd Busemann, seit jeher ein innerparteilicher Wulff-Gegner. Der soll laut Medienberichten damals gesagt haben: „Ich verlange ein chausseemäßige Behandlung.“ Also keine Extrawürste, so will es Lüttig interpretiert haben, der damals noch im Ministerium war.

Schon bald konzentrierten sich die Ermittlungen auf das Verhältnis zwischen Wulff und Groenewold. Und Oberstaatsanwalt Eimterbäumer will in Mails, Vermerken und Briefen den Stoff gefunden haben, der aus einem Verdacht Gewissheit werden lässt. Freundschaft schließt Korruption nicht aus, meint er und glaubt auch Belege für das zu haben, was Juristen in diesen Fällen als „Unrechtsvereinbarung“ bezeichnen: die oft unausgesprochene Übereinkunft, dass einer als Amtsträger seinen Dienst zugunsten von jemandem versieht, der ihn dafür gekauft hat.

Rosenow glaubt an nichts. Und er kann auch nichts mit der für eine Verurteilung ausreichenden Sicherheit feststellen, wie er sagt. Nicht, dass Wulff und Frau am ersten Abend Gäste im Hotelrestaurant waren. Nicht, dass Groenewold mit Wulffs Wissen die Logiskosten übernahm. Nicht, dass Wulff die Betreuungskosten nicht in bar zurückzahlte. Nicht, dass es eine Unrechtsvereinbarung gegeben hat. Eimterbäumer zielt vor allem auf Letzteres. Hier wollte er den Schwerpunkt des Prozesses setzen. Er hält das Interesse für auffällig, das Groenewold an Siemens-Hilfen gehabt haben soll, die Koinzidenz mit Wulff-Vermerken in der Staatskanzlei, die sich dem Thema widmen, den zeitlichen Ablauf, die Löschung der Wulff-Namen aus Bewirtungsbelegen.

Schuldig oder unschuldig, nichts dazwischen

„Die Indizien in ihrer Zusammenballung verfehlen ihre Wirkung nicht“, bekennt Richter Rosenow. Um dann aber umso deutlicher zu werden, warum er die Vermutungen der Ankläger für lebensfremd, letztlich absurd hält. „Ist es wirklich vorstellbar, dass sich ein Ministerpräsident für Peanuts kaufen lässt? Ist es vorstellbar, dass man ihn auf derartig dilettantische Weise korrumpieren kann?“ Es hätte hier schon „sehr handfester Indizien“ bedurft, fährt Rosenow fort. „Aber die haben wir nicht.“

Dann wendet er sich an die Presse im Saal. „Bitte klassifizieren Sie den Freispruch nicht. Nehmen Sie die Unschuldsvermutung ernst.“ Es gebe nur schuldig oder unschuldig, nichts dazwischen.

Etwas später wird Wulff ermattet ein letztes Mal vor Gericht in Fernsehkameras schauen. Er redet vom Rechtsstaat, von seiner Erleichterung, dankt für Beistand. Und dass er seinen Sohn von der Kita abholen will, jetzt mit anderen Gefühlen als bisher. Dann geht er.

Erschienen auf der Dritten Seite. Weitere Reportagen finden Sie hier.

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