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Das Runde muss ins Eckige. Die DFL vermarktet die Bundesliga mit Trailern, Interviews, Liveübertragungen.

© imago/Picture Point

Fußball in Deutschland: Wie die Bundesliga zum weltweiten Medienereignis wird

1300 Mitarbeiter, 19 Kameras pro Spiel: Der deutsche Profifußball überträgt sich selbst – die Bundesliga ist ein globales Produkt geworden.

Um kurz vor fünf sendet Südostasien Vollzug. Christopher Holschier, ein großer blonder Mann mit breiten Schultern, hebt erst die Hand und zeigt dann den Bildschirm seines Mobiltelefons in die Runde. Alle mal herschauen! Ein triumphierendes Lächeln umspielt sein Gesicht, dabei ist eigentlich gar nicht so viel Spektakuläres zu sehen. Zwei Männer vor einem Fernsehschirm, oben erkennt man die Signets von Schalke 04 und Borussia Dortmund, den beiden Klubs, die gerade das berühmte Revierderby ausspielen.

Das Foto kommt vom anderen Ende der Welt. Aus einer Bar in Manila, wo die Fußball-Bundesliga so selbstverständlich zu Hause ist wie überall sonst auf der Welt. „Unsere Spiele erreichen eine Milliarde Haushalte in 211 Ländern“, sagt Holschier. Nur Nordkorea bleibt bei den LiveÜbertragungen aus Deutschland außen vor, aber das lässt sich verschmerzen.

Bayern gegen Nürnberg ist auch in Melbourne populär

Christopher Holschier ist bei der Deutschen Fußball-Liga der Mann für die Öffentlichkeit, und die ist ein bisschen größer, als es sich der gemeine Fan für gewöhnlich vorstellt. Die Deutsche Fußball-Liga, kurz: DFL, ist die Interessenvertretung der deutschen Profiklubs. 36 Unternehmen, die vordergründig ein Publikum zwischen Kiel und München unterhalten und doch die ganze Welt bespielen. Woche für Woche sendet der deutsche Fußball sein Produkt rund um den Globus. FC Bayern gegen Nürnberg ist auch in Melbourne populär, Schalke gegen Dortmund zieht auch kurz vor Mitternacht in einer Bar auf den Philippinen. Ein Kollege hat das Foto auf Holschiers Telefon gesendet. „Eigentlich verbringt der dort seine Elternzeit.“

Die Welt rückt im dritten Jahrtausend zum globalen Dorf zusammen. Was den deutschen Fußball betrifft, wird die Versorgung der Welt in einem langgezogenen Backsteingebäude in Köln organisiert. Auf der rechten Rheinseite im Stadtteil Deutz residiert das CBC, das Cologne Broadcasting Center, es hat für den deutschen Fußball längst größere Bedeutung als das Dortmunder Westfalenstadion oder die Arena in München. Christopher Holschier ist aus der Frankfurter DFL-Zentrale nach Köln gereist, um sich die Fernseh-Produktion eines Samstagnachmittags vor Ort anzuschauen. „Eine Stunde und drei Minuten mit dem ICE-Sprinter, sensationell!“, schneller ist nur das Glasfasernetz in den Bundesliga-Stadien.

Im Keller wachen die Video-Schiedsrichter

In den Rheinhallen am Picassoplatz 1 malt der deutsche Fußball sein Bild für die Außenwelt. Im Keller wachen die Video-Schiedsrichter über die Einhaltung von Regeln, die nur noch in Superzeitlupe zu überwachen sind. Und im ersten Stock verkauft und versendet sich der deutsche Fußball rund um den Globus. Jede Woche und besonders intensiv am Samstag, wenn parallel fünf Spiele am frühen Nachmittag laufen und am späten auch noch eines. Großkampftag in den Stadien und im Deutzer Sendezentrum.

Anders als in der Öffentlichkeit gemeinhin vermutet, tritt in den Bundesligastadien nicht der Bezahlsender Sky als Produzent in Erscheinung. Der deutsche Profifußball überträgt sich selbst, und das jetzt schon im zwölften Jahr.

Das DFL-eigene Unternehmen Sportcast wurde 2006 allein mit dem Ziel gegründet, die Bilder in den Bundesliga-Stadien zu produzieren und an Interessenten in Deutschland und der ganzen Welt zu verkaufen. Ein zweites Unternehmen kümmert sich um die redaktionelle Aufbereitung: Die DFL Digital Sports beschäftigt Redakteure und englische Kommentatoren, sie vermarktet das Produkt Bundesliga mit Trailern, Magazinen, Interviews und fertig produzierten Liveübertragungen. Wer lieber selbst kommentiert, bekommt auf Wunsch auch das reine Bildsignal plus akustische Stadionatmosphäre geliefert. Mit nationalen und internationalen Sendelizenzen erlöst die DFL in diesem Jahr 1,2 Milliarden Euro.

Köln am Samstagnachmittag um kurz vor zwei. Die fünf Video-Schiedsrichter, einer für jedes Spiel, verabschieden sich mit einem Obstteller in den Keller. Letzte Abstimmung mit ihren Zuarbeitern, jeweils einem Assistenten und zwei Technikern, die aus der Flut an Bildern möglichst schnell die besten herausfiltern.

15.30 Uhr Spielbeginn heiß 15.30, nicht 15.29 oder 15.31

Die Übertragung beginnt eine Stunde vor Spielbeginn. Mit Interviews und Reportagen. Mit der Ankunft der Mannschaftbusse auf dem Stadion-Parkplatz. Mit kaugummikauenden und kopfhörertragenden Profis, wie sie zur Einstimmung den Rasen abschreiten. Kein Detail wird ausgespart.

Dann geht es endlich los.

Das Dispositionspapier, das in allen Stadien über gesetzgebende Kraft verfügt, verlangt vor allem eines: Pünktlichkeit. 15.30 Uhr Spielbeginn heiß 15.30, nicht 15.29 oder 15.31. Im Kölner Regieraum steigt die Spannung. Gut 30 Monitore flimmern neben- und übereinander, fixiert von Männern und Frauen, die sich mit Kopfhörern von den Ablenkungen der Außenwelt abschotten und Anweisungen in Mikrofone diktieren.

Die Bundesliga pflegt seit einem halben Jahrhundert die Tradition, bevorzugt samstags um 15.30 Uhr zu spielen. Gerade erst haben die Ultras, die leidenschaftlichsten und phantasievollsten unter den deutschen Fans, der DFL das Zugeständnis abgetrotzt, dass es künftig keine Spiele mehr am ungeliebten Montag geben wird. Wie lange aber noch werden die Ultras Gehör finden? Wie viel zählen 80 000 Zuschauer in Dortmund und 75 000 in München gegen die weltweit 16,8 Millionen Fans der DFL in den sozialen Netzwerken zwischen Kapstadt und Kuala Lumpur?

Als Schalke und Dortmund die Arbeit aufnehmen, ist es in Gelsenkirchen 15.30 Uhr. In Melbourne 1.30. In New York 9.30. In Buenos Aires 11.30. In Kairo 16.30. In Manila 22.30. „Und überall sind wir gut gebucht“, sagt Dominic Vogt von der Sportcast, er lässt sich schnell die aktuellen Daten aufs Telefon schicken. 30 Länder begehren nach dem Spiel zwischen Freiburg und Leipzig, das in Deutschland eher bescheidenes Interesse hervorruft. Der Mann von der Sportcast will auch nicht unerwähnt lassen, dass schon die drei zur Mittagszeit begonnenen Zweitligaspiele sehr gefragt waren.

Für das Premium-Produkt Bundesliga sind im Deutzer Backsteinbau vier Boxen für die Kommentatoren hergerichtet. Die fünfte Box bleibt leer. Für das Revier-Derby Schalke – Dortmund sind diesmal zwei Reporterplätze im Stadion reserviert worden. Einer für Phil Bonney, einer Koryphäe von der Insel, von dem sie alle hoffen, dass er seinem Spitznamen Nil-Nil-Phil – Bonney kommentiert häufig torlose Unentschieden – diesmal keine Ehre macht. Denn ein Null-Null verkauft sich in der Welt nicht besonders gut.

Weltweit geht nur Englisch

Neben ihm sitzt als Co-Kommentator Steffen Freund, er hat sowohl für Dortmund als auch Schalke gespielt und in England für Tottenham, womit er über die unerlässliche sprachliche Qualifikation verfügt. „Weltweit kannst du dieses Produkt nur über gutes Englisch vermarkten“, sagt der Kommunikationschef Holschier.

Die Bundesliga ist ein die Welt umspannendes Produkt geworden, auch wenn das den meisten deutschen Fans nicht auffällt. Noch ist es nicht so weit wie in den großen amerikanischen Profiligen, deren Football- oder Eishockeyteams regelmäßig Spiele nach Asien oder Europa auslagern. Die Fußball-Nationalteams von Argentinien und Brasilien laden seit Jahren zu Promotionsspielen zwischen Peking und East Rutherford. Gerade erst haben die argentinischen Klubs Boca Juniors und River Plate das Finale der Copa Libertadores in Madrid ausgespielt. Vor allem, weil die Sicherheitslage in Buenos Aires angespannt war. Aber die neuen Einnahmequellen jenseits der einheimischen Märkte waren ein schöner Nebeneffekt.

Verantwortliche der spanischen Liga denken laut über interkontinentale Gastspiele nach, auch in der Bundesliga sind die Symptome der weltweiten Expansion schwerlich zu übersehen. Bayern München und Borussia Dortmund unternehmen im Sommer und Winter regelmäßig ausgedehnte Tourneen nach Arabien oder Amerika. Dass immer mehr deutsche Klubs ihre Mannschaft mit Spielern aus Japan garnieren, ist nicht ausschließlich der hohen Fußballkunst in Asien geschuldet.

Anfang 2006, kurz nach der Pleite des damaligen Fernsehrechte-Inhabers Leo Kirch, nahm die DFL die Fernseh-Produktion in die eigenen Hände. In der Tiefe des Raumes stand die Gefahr, die Bundesliga werde von der Bildschirmfläche verschwinden. Bei der DFL schworen sie sich: Nie wieder von anderen abhängig werden! Die darauf gegründete Sportcast verfügt über Übertragungswagen mit modernster Technik. Dazu wird bei den bis zu neun parallel laufenden Bundesligaspielen technische Zulieferung von externen Dienstleistern eingekauft.

Fußball-Hochburg. Aus den Kölner Rheinhallen wird in eine Milliarde Haushalte gesendet.
Fußball-Hochburg. Aus den Kölner Rheinhallen wird in eine Milliarde Haushalte gesendet.

© B. Kienitz / Alamy / mauritius images

Hat die Macht über alle Bilder nicht zwanghaft eine Zensur zur Folge? Wenn im Publikum Pyrotechnik gezündet wird oder böse Transparente gegen die DFL gezeigt werden? Pflichtgemäß entgegnet Christopher Holschier, diesen Vorwurf müsse er entschieden zurückweisen. „Wir blenden nichts aus“, und selbstverständlich dürfe jeder Rechteinhaber zur Ergänzung auch eigene Kameras und Reporter mitbringen.

Ein paar Schritte hinterm Regieraum sind die Techniker schon dabei, das Dortmunder 1:0 in eine Halbzeitzusammenfassung einzuspeisen. Als die Bundesliga 1963 startete, mussten Motorrad-Kuriere die abgedrehten Filmrollen ins Studio fahren. 55 Jahre später ist das eine Sache von ein paar Mausklicks. Seit 2015 sind alle Stadien der Bundesliga an ein DFL-internes Glasfasernetz angeschlossen. Zur Weiterverwertung gehen die Daten über je einen europäischen, asiatischen und amerikanischen Satelliten. „Damit erreichen wir bis auf einen Zipfel der Fidschi-Inseln die ganze Welt“, sagt Christopher Holschier.

617 Spiele überträgt die Sportcast in diesem Jahr und ist damit die größte Live-Produktionsfirma der Welt. Der Sportcast-Geschäftsführer Josef Nehl hat früher selbst mal als Fußballprofi sein Geld verdient und 1993 mit Bayer Leverkusen sogar den deutschen Pokal gewonnen. Damals war Fußball ein anderes, sehr viel langsameres Spiel. Heribert Faßbender begrüßte das Fernsehpublikum in der „Sportschau“ mit „’n Abend allerseits“ und die öffentlich-rechtlichen Anstalten übernahmen mit drei Kameras pro Spiel das, was man heute mediale Aufbereitung nennt.

Die gesamte DFL beschäftigt 311 Mitarbeiter aus elf Nationen, an Spieltagen kommen bis zu 1000 freie Mitarbeiter hinzu. Bei jedem Bundesligaspiel kommen mindestens 19 Kameras zum Einsatz, beim Revierderby in Gelsenkirchen sind es 21 plus eine Drohne weit über dem Stadion. Der Aufwand lohnt sich. Kommentator Nil-Nil-Phil Bonney wird durch ein Kopfballtor des Dortmunders Thomas Delaney schnell vom Fluch seines Spitznamens erlöst und der Sportcast-Manager Dominic Vogt registriert mit einem Blick auf sein Telefon zufrieden steigende Zugriff auf der ganzen Welt.

Ewige Rätsel? Gibt es nicht mehr

Zur Halbzeitpause spielt die Regie geschätzt tausendmal das Dortmunder 1:0 ein, dazu liefert die Redaktion aufwändig gefilmte Gimmicks wie das Versagen von gleich drei Hoffenheimer Abwehrspielern bei einem Tor des VfL Wolfsburg oder das Zupfen eines Leipziger Verteidigers am Arm eines Freiburger Stürmers, das nach Intervention der Videoschiedsrichter im Kölner Keller mit Elfmeter geahndet wird. Längst hat die Ausleuchtung der Rasenfelder mit Zooms auf die letzten Grashalme an der Eckfahne dem Fußball auch das letzte Geheimnis genommen. Wo die Superzeitlupe allgegenwärtig ist, können schwerlich ewige Rätsel wie das Wembleytor wachsen.

Für den Freiburger Elfmeterpfiff interessiert sich im Kölner Regieraum keiner so recht, aber als es Mitte der zweiten Halbzeit nach visueller Nachbetrachtung einen Strafstoß für Schalke gibt, sind aus den Büros rund um den zentralen Regieraum lautstarke Reaktionen kaum zu überhören, Zuspruch und Ablehnung sind ungefähr paritätisch verteilt. So ähnlich klingt das, als wiederum ein paar Minuten später noch ein Tor fällt, diesmal für Dortmund. Der Schütze heißt Jadon Sancho, ein 18-jähriger Engländer, der bei Manchester City durch das Raster gefallen ist.

Wenn die Bundesliga auch fernab von Alpen und Nordsee ein großes Publikum ansprechen will, muss sie interessante Hauptdarsteller aufbieten. Die Bundesliga hat nicht die besten Spieler der Welt, aber vielleicht ein paar von denen, die es einmal werden können. Wie Leon Bailey von Bayer Leverkusen, den Schalker Weston McKennie oder Dortmunds Jadon Sancho. Eintracht Frankfurts Japanerr Makoto Hasebe ist gerade zu Asiens Fußballer des Jahres gewählt worden und hat der DFL in Fernost einen Popularitätsschub beschert. In den USA war eine Zeit lang Leverkusen der populärste Bundesligaklub. Weil dort der mexikanische Nationalheld Chicharito kickte, und Fußball ist in Amerika weitgehend eine Leidenschaft der Latinos.

In Gelsenkirchen stürmt Schalke verzweifelt gegen Dortmund, zwei Minuten noch in der Nachspielzeit, und Christopher Holschier hebt die Hand. Diesmal nicht wegen einer Fotobotschaft, sondern zum Abschied. In ein paar Minuten fährt sein Zug zurück nach Frankfurt, wieder einer der Eine-Stunde-drei-Minuten-Sprinter, vielleicht schafft Holschier es noch zum 18.30-Spiel des heimatlichen Unternehmens Eintracht Frankfurt bei Hertha BSC in Berlin. Im Kölner Sendezentrum passiert vorerst nichts Wesentliches mehr. Auf dem Bahnsteig auch nicht. Wegen eines Fußballspiels, das Holschier gar nicht auf dem Radar hatte.

50 Kilometer weiter in Duisburg springen ein paar Rostocker Hooligans nach einem Gastspiel beim KFC Uerdingen auf die Gleise. Dritte Liga, kein Thema für die Deutzer Sendezentrale, für die Welt der Glasfaserkabel, Satelliten und Superzeitlupen.

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