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Zerreißt der Vertrauensbruch die Koalition?

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Gabriels Angriff auf Merkel: Wie die Kanzlerin mit dem BND-Skandal umgeht

Sie hat den Angriff von Sigmar Gabriel sofort durchschaut und die Parole ausgegeben: Abtropfen lassen. Im Aussitzen hat Angela Merkel eine gewisse Übung. Doch in ihrer Partei wissen sie: Dieser Sprengsatz zur BND-Affäre ist noch lange nicht entschärft.

Von Robert Birnbaum

Ob das die Leute interessiert? Der Mann, der Angela Merkel ziemlich gut kennt, stellt die Frage und gibt sich die Antwort gleich selbst: „Das interessiert die Leute doch nicht!“ Klar, das politische Berlin hat im Moment kein anderes Thema als diese Geheimdienstgeschichte rund um BND und NSA und „Selektoren“. Dieses politische Berlin ist eine leicht von sich selbst erregbare Masse, außerdem, sagt der Mann, ist ja sonst politisch gerade nicht so viel los. Aber auf dieses politische Berlin, bei allem Respekt, kommt es nicht an. Es kommt auf die Leute an, die da draußen, die normalen Leute. Mit denen hat Angela Merkel, Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, ein Bündnis. Solange dieses Bündnis hält, kann ihr nicht viel passieren.

Hält es? Immerhin, der Mann stellt die Frage, und er ist nicht der Einzige. Wer sich dieser Tage umhört zwischen Kanzleramt, CDU-Präsidium und Unionsfraktion, könnte geradezu an eine abgestimmte Aktion glauben, so oft fällt diese Satzkombination: „Interessiert das die Leute? Das interessiert die Leute doch nicht!“ Es ist aber nicht abgestimmt, sondern bloß eine kollektive Selbstvergewisserung.

Die geht ungefähr so: Die Leute haben vor zwei Jahren mit den Schultern gezuckt, als es hieß, die Amerikaner hätten sie massenhaft ausgespäht. Sie haben mit einer Mischung aus Schadenfreude und Mit-ihr-Mitärgern registriert, dass Merkels Handy auch auf der Lauschliste stand. Anschließend haben sie Merkel wiedergewählt. Warum soll das diesmal anders sein? Bloß, weil diesmal die SPD als Koalitionspartner Krawall macht?

Die Kabinettssitzung danach? Routine

Mittwoch früh tritt das Bundeskabinett zusammen, wie es das oft tut, und wie jedes Mal darf eine kleine Fotografengruppe vorher Bilder schießen. Die Bilder zeigen die Kanzlerin und den Vizekanzler aufgeräumt nebeneinander sitzen. Routine eben. Wenn Merkel sauer sein sollte darüber, dass Sigmar Gabriel neuerdings aus vertraulichen Gesprächen mit ihr berichtet, dann ist davon jedenfalls nichts zu sehen.

Ob die beiden sich draußen vor dem Kabinettssaal über den Vorgang unterhalten haben? Haben sie nicht. Werden sie auch nicht. Der Fall ist schließlich klar.

Der SPD-Vorsitzende hat die Leute wissen lassen, dass ihm die Kanzlerin in der Koalitionsrunde gleich zwei Mal versichert hat, nein, Wirtschaftsspionage habe es nicht gegeben. Das ist auch der aktuelle Sachstand im Kanzleramt. Trotzdem ist Gabriels öffentliche Bekanntmachung eine Falle. Wenn sich irgendwann erweisen sollte, dass der Bundesnachrichtendienst den amerikanischen Freunden von der NSA doch dabei geholfen hat, deutsche Firmen auszuforschen – egal, ob wissentlich oder aus Versehen –, könnte man Merkel wahlweise als ahnungslos oder als Vertuscherin hinstellen, aber in jedem Fall in ein schlechtes Licht rücken.

Merkels Parole lautet: Abtropfen lassen

Zerreißt der Vertrauensbruch die Koalition?
Zerreißt der Vertrauensbruch die Koalition?

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Merkel hat das sofort erkannt. Gewundert hat es sie nicht. Dass ihr mutmaßlicher Herausforderer bei der nächsten Bundestagswahl sich eine Chance nicht entgehen lässt, ihr am Zeug zu flicken – geschenkt. So ist Politik im Allgemeinen und Sigmar Gabriel im Speziellen. Dass das so weitergeht und die SPD die Koalition blockiert, mag sie nicht glauben.

Also hat Merkel die Parole ausgegeben: Abtropfen lassen. So was fällt ihr selbst relativ leicht. Wer sich von Wladimir Putin nicht provozieren lässt und von Alexis Tsipras nicht reizen, hat ja auch gewisse Übung im Runterschlucken. Anderen in ihrer Partei fällt es schwerer. Als die Abgeordnete Erika Steinbach in der Unionsfraktion Gabriels Vorgehen „unanständig“ nannte, erntete sie tosenden Beifall. Aber im Kern halten sich alle an die Linie. Die amtliche Reaktion lief auf eine Verniedlichung der Attacke hinaus: Was Gabriel tue, zeige bloß die Nervosität des SPD-Chefs angesichts der betonierten Umfragewerte seiner Partei.

Es dürfte den Beteiligten allerdings klar sein, dass dieses gönnerhaft-giftige Schulterpatschen nach dem Motto „Dem armen Siggi sind halt mal die Nerven durchgegangen“ die Falle nicht wirklich entschärft. Das hängt mit dem Charakter dieser Affäre zusammen, aber auch mit dem Charakter des politischen Berlin.

Was die Affäre angeht, ist bisher nur klar, dass die NSA versucht hat, den Freunden vom BND in der gemeinsam betriebenen Abhörstation Bad Aibling Suchbegriffe unterzuschieben, die mit der deutschen Lesart der Grenzen dieser Lauscharbeit nicht vereinbar waren. Dem BND fiel das spätestens 2005 auf. Das Ergebnis war eine heute 40 000 Einträge starke Datenbank mit verbotenen „Selektoren“, nach denen ausdrücklich nicht gesucht wird. Insoweit scheint sich der Dienst korrekt verhalten zu haben.

Unklar ist, wie weit der BND das Kanzleramt informierte

Nicht richtig klar ist, wie weit er seine Dienstherren im Kanzleramt unterrichtet hat. Klar ist erst wieder, dass man in Bad Aibling nach den Enthüllungen von Edward Snowden 2013 noch einmal genauer hinschaute und feststellte, dass die Amerikaner schon wieder gemogelt – oder, wahlweise, die BND-Verantwortlichen nicht aufgepasst hatten. In den Millionen Suchbegriffen fanden sich weitere mit Bezug zu insgesamt 2000 Personen oder Institutionen, die dort nichts zu suchen hatten. Von diesem brisanten Fund erfuhr, so hat es Kanzleramtschef Peter Altmaier dem Parlamentarischen Kontrollgremium erläutert, weder die BND- Spitze noch die Aufsicht im Kanzleramt.

So weit, so schlecht. Doch an dieser Stelle kommt verschärfend der Charakter des politischen Berlin ins Spiel. Dort regieren, sobald es nach Affäre riecht, der Verdacht und der Konjunktiv. Vertuschung! Vernebelung! Das müssen Angela Merkels Kanzleramtschefs doch gewusst haben oder hätten wissen wollen müssen! Und, klar: Wirtschaftsspionage!

Was den letzteren Punkt angeht, hat BND-Chef Gerhard Schindler dem geheimen Kontrollgremium des Parlaments versichert, auf der 2013 erstellten Liste unzulässiger Suchkriterien stünden zwar europäische Behörden und Politiker, nicht aber Unternehmen. Also keine Wirtschaftsspionage? Fall erledigt? Wenn es so einfach wäre.

Wie der Angriff auf Gabriel zurückfallen könnte

Zerreißt der Vertrauensbruch die Koalition?
Zerreißt der Vertrauensbruch die Koalition?

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Am Mittwoch steht die vereinte Opposition im Bundestag und fordert von Angela Merkel die Liste. Die 2000er-Liste, die 40 000er-Liste, überhaupt alle Listen. Zur Opposition im weiteren Sinne zählt diesmal die SPD, auch wenn deren Obmann im NSA-Ausschuss, Christian Flisek, wenigstens ein „so bald wie möglich“ einfügt. Die anderen wollen die Listen sofort. Die Kanzlerin hat aber wissen lassen, dass sie da erst mal die amerikanischen Freunde fragen müsse. Die Opposition im engeren Sinne empört sich und nennt das „mauern“. Die SPD sagt keine bösen Worte, will die Listen aber auch; notfalls, sagt Flisek, gebe es ja „geeignete Verfahren“ der geheimen Einsichtnahme.

Einerseits ist das eine völlig berechtigte Forderung. Der NSA-Ausschuss soll aufklären, das Parlament hat ein Recht darauf. Sie hat aber zwei Haken. Erstens glaubt kein Mensch, dass diese Liste geheim bleibt. Dafür eignet sie sich viel zu gut dazu, weiteren Verdacht zu schüren. Jede Person, jede Institution, die dort als abgelehnter Suchbegriff auftaucht, löst die Frage aus, ob nicht die BND-Lauscher vor der Sperre danach geforscht haben. Und das Gegenteil zu beweisen dürfte sehr, sehr schwer sein.

Zweitens aber bringt die Forderung die Regierung in eine politisch-juristisch heikle Lage. Es gehört zu den sogar vertraglich fixierten Grundregeln der Zusammenarbeit zwischen Alliierten, dass nicht der eine die Geheimnisse des anderen offenlegt, ohne vorher zu fragen. Schließlich, sagt einer, der mit den Vorgängen vertraut ist, „sind die Amerikaner immer noch unsere wichtigsten Verbündeten, auch wenn manche das anders sehen“. Einfach offenzulegen, wonach die NSA so alles sucht, wäre ein übles Foul.

Das transatlantische Verhältnis ist angespannt

Ohnehin ist das Verhältnis angespannt. Kanzleramtschef Peter Altmaier hat an die NSA die Forderung gerichtet, ihre „Selektoren“ künftig einzeln zu begründen. Das gehe so schnell nicht, lautete die Auskunft. Seither ist diese Zusammenarbeit vorläufig eingefroren. Seit Wochenanfang verzichtet die NSA auf die meisten Daten aus Bad Aibling. Was die Listenfrage angeht, hat Altmaier dem Kontrollgremium versichert, er erwarte die Antwort aus Washington in den nächsten Tagen.

Dass sie positiv ausfällt, ist freilich schwer vorstellbar. Und dann? Trotzdem die Listen an den Ausschuss geben? Oder in Kauf nehmen, als Büttel der NSA hingestellt zu werden? Eine schwierige Entscheidung, auch wegen der Sache mit den Leuten. Die Leute sind keine Transatlantiker. Sie finden Ausspähen unter Freunden genau so unmöglich, wie Merkel es einst gesagt hat. Das Bündnis mit den Leuten funktioniert vor allem deshalb, weil die Leute die Frau im Kanzleramt irgendwie für eine der ihren halten, eine ehrliche Maklerin ohne Ideologie und mit bodenständigen Vorlieben für Kartoffelsuppe und Wanderurlaub.

Sie wird sich entscheiden müssen. Das kann folgenreich werden. Allerdings nicht nur für sie. Der Ex-Kanzleramtschef Thomas de Maizière hat am Mittwoch auf dem Weg ins Kontrollgremium dazu eine kleine Nebenbemerkung gemacht. Diese Entscheidung, hielt der heutige Innenminister fest, werde die Regierung „im Ganzen“ treffen. Es müsste mithin die Regierung im Ganzen für negative Folgen geradestehen. Also, nur mal so als Beispiel, auch der Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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