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Tunnelblick. Claus Weselsky war selbst Lokführer, heute vertritt er 16 000. Der Sachse gilt als harter Verhandlungspartner und Freund der Wiener Klassik.

© Michael Koerner

GDL-Chef Claus Weselsky im Porträt: Bahn brechend

Millionen blieben auf der Strecke, weil GDL-Chef Claus Weselsky es so wollte. Zum vierten Mal seit Juni streiken die Lokführer. Aber dieser Arbeitskampf ist anders. Denn um mehr Lohn geht es nur am Rande.

Dieser Dialekt. Das ist das Markanteste, das an Claus Weselsky, 55, auffällt, abgesehen von seinem akkurat gestutzten Schnäuzer. Er sächselt. Und redet von „glaren Bodschafden an den Arbeidgeber“, die „Eisenbohn“, über „Dariefverdräge“, unzureichende „Angebode“ und, aus seiner Sicht unvermeidbar, den „Arbeidsgampf“.

Jeder Mensch spricht so, wie er spricht, aber bei Weselsky, geboren in Dresden, hat die Sprache eine eigene Bedeutung. Sächsisch ist laut einer Umfrage der unbeliebteste Dialekt im Land. 30 Prozent finden das Idiom „besonders unsympathisch“. Dass ihm das egal ist, dass er redet wie sonst keiner der wichtigen Arbeitnehmer-Vertreter, sagt einiges über sein Selbstverständnis.

Weselsky fällt aus dem Rahmen. Keiner ist so radikal wie er. Weselsky führt die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und hat dafür gesorgt, dass fünfeinhalb Millionen Bahn-Kunden in ganz Deutschland am Mittwoch mit ihrem Zug nicht pünktlich angekommen sind, manche gar nicht.

Eine Ende des Arbeitskampfes ist nicht in Sicht

Seit Anfang Juni halten Weselsky und seine 16 000 Lokführer das Land auf Trab. Schon vier Mal haben sie seitdem ihre Züge stehen lassen, und ein Ende des Arbeitskampfes ist nicht in Sicht. Konflikte bei der Bahn haben immer etwas Eigenes, weil sie meist auch die Kunden treffen. Dieser Tarifstreit ist anders als die meisten in der Geschichte der Bundesrepublik. Nicht nur, weil es um mehr geht als um höhere Löhne oder kürzere Arbeitszeiten. Es ist vor allem die Art, wie der GDL-Chef den Konflikt austrägt. Als eine One-Man-Show, einer gegen alle. „Ich bin keiner, der ständig im Team arbeiten muss“, hat Weselsky einmal gesagt.

Das passt zu einem, sich für den Beruf des Lokführers entschieden hat. Als Elite der Eisenbahn sehen sich diese Leute, als das wichtigste Glied in der Kette. Sie allein tragen die Verantwortung für hunderte Reisende oder hunderte Tonnen Fracht. Dabei würde kein Zug fahren ohne die Leute im Stellwerk, die Wagenmeister auf den Rangiergleisen, die Schweißer in den Ausbesserungswerken. Doch wer stundenlang auf der Lok sitzt, den Blick immer starr nach vorne, der muss ein Einzelgänger sein.

So einer ist Weselsky. Er weiß um seine Macht, das prägt diesen Arbeitskampf. Die vornehm-verstaubten Rituale, die Tarifpartner in anderen Branchen seit Jahrzehnten pflegen, interessieren ihn nicht. Eine „perfide Art“ und „Scheinheiligkeit“ wirft er dem Bahn-Vorstand vor, und dass dieser das Unternehmen „bewusst schädigt“. Das irritiert Manager, die einen anderen Umgang gewohnt sind. „Durchstreiken bis zum Ende“ will Weselsky nun jedenfalls, sonst könne sich die GDL ja gleich auflösen.

Mit harter Hand. Wie Weselsky die GDL führt

Tunnelblick. Claus Weselsky war selbst Lokführer, heute vertritt er 16 000. Der Sachse gilt als harter Verhandlungspartner und Freund der Wiener Klassik.
Tunnelblick. Claus Weselsky war selbst Lokführer, heute vertritt er 16 000. Der Sachse gilt als harter Verhandlungspartner und Freund der Wiener Klassik.

© Michael Koerner

Schon sein Vorgänger Manfred Schell kämpfte mit harten Bandagen, schimpfte seinen Widerpart Hartmut Mehdorn im Tarifstreit 2007 ein „Rumpelstilzchen“ und einen „Außerirdischen“. Doch Schell war anders, umgänglicher, humorbegabt. In einer Verhandlungspause lief Mehdorn einmal um ihn herum, fasste sich an die Nase, um zu zeigen: Der führt mich am Ring durch die Manege. Ein solcher Scherz mit Weselsky – kaum vorstellbar.

Der ist ein Mensch mit klaren Zielen. Spätestens seit der Wende. 1975 bei der Reichsbahn als Schienenfahrzeug-Schlosser angefangen, hatte er mit dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund in der DDR nichts am Hut. Erst 1990 kam seine Stunde: In Scharen strömten die Lokführer im Osten zur GDL, 95 Prozent von ihnen sind heute in der Gewerkschaft. Weselsky übernahm den Vorsitz der Ortsgruppe Pirna, 2002 wurde er hauptamtlicher Mitarbeiter. Bekannt wurde er erstmals 2007, als sich die GDL einen eigenen Tarifvertrag erstritt. Damals war er noch Strippenzieher und Stellvertreter des Chefs Schell, als der sich mitten in der heißen Phase zur Kur verabschiedete – und kurz nach der Einigung in die Rente.

Er führt kompromisslos, mit eiserner Härte

Seitdem führt Weselsky die GDL, als erster Ostdeutscher an der Spitze einer wichtigen Gewerkschaft. Und zwar so, wie auch den Arbeitskampf – kompromisslos, mit eiserner Härte. Alle Entscheidungen fällt am Ende er. Als „Choleriker“ beschreibt ihn einer, der ihm ansonsten wohlgesonnen ist.

Wie strikt die GDL auf den Chef ausgerichtet ist, lässt sich bei ihren Versammlungen beobachten. Wenn Weselsky redet, ist es mäuschenstill, die Lokführer blicken ehrfurchtstvoll zum Podium. Obwohl er nicht eben ein gewinnender Redner ist, Weselsky presst eher seine Parolen in den Saal. Doch die Mitglieder mögen das und zeigen es mit donnerndem Applaus.

„Der duldet keinen Widerspruch“, sagt einer, der lange mit ihm in der GDL-Zentrale in Frankfurt am Main zusammengearbeitet hat. Die Leiter der sieben Gewerkschafts-Bezirke hat Weselsky persönlich ausgesucht. Die Organisation ist so schlagkräftig wie kaum eine andere, mit nur minimalem Aufwand kann sie das Land lahmlegen.

Nur nicht so werden wie die anderen Gewerkschaften, denen über Jahre scharenweise die Mitglieder davongelaufen sind – das treibt Weselsky an. Ein „Offenbarungseid“ sei der Organisationsgrad der Beschäftigten von durchschnittlich nur noch 18 Prozent hierzulande. „Ich möchte dafür sorgen, dass das anders wird.“

Seine Stellvertreter ließ er hinauswerfen

Wer den Kurs der Spitze in Frage stellt, muss mit unangenehmen Folgen rechnen. Wie seine beiden Stellvertreter, die er vergangenes Jahr hinauswerfen ließ, weil sie nicht auf Linie waren. Von einer „Säuberungsaktion“ sprechen die innergewerkschaftlichen Gegner seitdem. Selbst Ex-Chef Manfred Schell, einst ein Förderer, hat sich von ihm abgewandt und staunt über Weselskys Eifer: „Der tut so, als würde er in den Heiligen Krieg ziehen.“ Deshalb hat sich Schell den Weselsky-Gegnern angeschlossen. „Initiative für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in der GDL“ nennen sie sich – ein Name, der für sich spricht. Sie befürchten schwere Schäden für ihre 1867 gegründete Gewerkschaft, die älteste im Land. Und wollen Weselskys Rücktritt.

Worum es in diesem Arbeitskampf eigentlich geht

Tunnelblick. Claus Weselsky war selbst Lokführer, heute vertritt er 16 000. Der Sachse gilt als harter Verhandlungspartner und Freund der Wiener Klassik.
Tunnelblick. Claus Weselsky war selbst Lokführer, heute vertritt er 16 000. Der Sachse gilt als harter Verhandlungspartner und Freund der Wiener Klassik.

© Michael Koerner

Auch die Medien teilt der Mann ein in Freund und Feind. Zwar redet er mit jedem, spricht geduldig immer wieder seine Forderungen in Kameras und Mikrofone. Doch Journalisten, die sich seiner Ansicht nach von der Bahn beatmen lassen, will Weselsky in seinen Hintergrund-Runden nicht sehen.

Dass Weselsky mit seiner Art aneckt, weiß er spätestens seit einem Auftritt in Fulda Ende August. Es ging darum, die Basis zu mobilisieren. Weselsky dröhnte von zwei Kranken, die sich miteinander ins Bett legen und „etwas Behindertes“ zeugen – und meinte die aus seiner Sicht unglückliche Fusion der Konkurrenzgewerkschaften Transnet und GDBA zur EVG. Zwar entschuldigte sich Weselsky, doch nicht jeder nahm ihm das ab. Ansonsten schweigt Weselsky zu politischen Fragen jenseits des Gewerkschafts-Geschäfts. Offiziell hat er ein CDU-Parteibuch.

Angesichts des Gegenwindes könnte Weselsky einen Imageberater engagieren, um besser rüberzukommen in den Medien, menschlicher, sympathischer. Das tun viele, die die Öffentlichkeit für ihre Zwecke brauchen. Doch er denkt nicht daran. Über sein Privatleben ist nicht viel bekannt. Er hat einen erwachsenen Sohn, ist geschieden, taucht gerne, fährt Motorrad, entspannt sich bei Wiener Klassik. Das ist es dann auch schon.

Im Kern geht es nicht um Geld, sondern Macht

Doch vielleicht braucht es einen harten Hund wie Weselsky für einen Arbeitskampf wie diesen. Die Lokführer haben es mit gleich zwei mächtigen Gegnern zu tun. Nicht nur mit der Deutschen Bahn, mehr als 300 000 Beschäftigte weltweit, gut 40 Milliarden Euro Umsatz. Sondern auch mit der viel größeren Gewerkschaft EVG. Denn im Kern geht es bei diesem Konflikt nicht um Geld, wie sonst bei Auseinandersetzungen zwischen Arbeit und Kapital, nicht um die fünf Prozent mehr Geld und die kürzere Wochenarbeitszeit, die die Lokführer fordern. Das ist Kosmetik. Es geht um viel mehr – um Macht.

Weselsky will nicht nur für die insgesamt 20 000 Lokführer die Arbeitsbedingungen aushandeln. Sondern auch für die 17 000 Zugbegleiter, Bistro-Kräfte, Disponenten, Trainer und Lokrangierführer. Also für alle, die am und im Zug arbeiten. Das Problem: Viele davon sind bislang Mitglied bei der EVG. Die pocht ihrerseits darauf, für ihre Lokführer Tarifverträge abschließen zu dürfen, und will das nicht mehr der GDL überlassen. Eine verzwickte Situation, auch für die Deutsche Bahn. Die fürchtet um Frieden in ihren Betrieben, wenn für eine Berufsgruppe zwei unterschiedliche Tarifverträge gelten.

Provoziert die Bahn den Streik?

Zu Verhandlungen sei man gleichwohl bereit – das beteuern beide Seiten, die Bahn wie die GDL. Trotzdem wird gestreikt. Warum? Die Bahn provoziere eine solche Aktion, wirft ihr Weselsky vor. Womöglich hat er recht.

Ein Arbeitskampf mit viel Brimborium kommt der Bundesregierung gerade recht. Sie arbeitet derzeit an einem Gesetz, das regeln soll, dass in einem Betrieb nur noch die stärkste Gewerkschaft Tarifangelegenheiten regeln darf. Beide Regierungsparteien wollen etwas für ihre Klientel tun: Die Union, weil die Unternehmer fürchten, dass künftig immer wieder Streiks kleiner Arbeitnehmergruppen ihre Fabriken lahm legen. Die SPD, weil sie um die Solidarität in den Betrieben fürchtet, wenn jeder, der kann, eine eigene Gewerkschaft aufmacht. Die IG Metall und Verdi hätten dann ein Problem mehr.

Die Taktik der staatseigenen Bahn lässt vermuten, dass ihr ein Streik nicht ungelegen kommt. „Ein paar ordentliche Prozent, und schon wäre der Streik vorbei“, sagt selbst ein GDL-Stratege.

Es geht also am Ende darum, ob die GDL überhaupt überlebt. Deshalb kämpft Weselsky so erbittert. Tarifpolitisch hat er seit der Amtsübernahme ohnehin nicht immer nur gewonnen. Nun zählt es. Ob seine Leute mitziehen? Ob sie sich beschimpfen lassen von Kollegen und Kunden, nur um mehr Macht für ihren Boss zu erstreiten? Weselskys Gegner hoffen darauf, dass es an der Basis zu bröckeln beginnt. Bislang gibt es dafür keine Anzeichen.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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