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Blaumann. Eine seiner Ausflüchte ist zum geflügelten Wort geworden. Angesprochen auf einen von ihm gezeigten Kühnen-Gruß antwortete Heinz-Christian Strache: „Ich wollte drei Bier bestellen.“

© Hans Punz/APA/AFP

Heinz-Christian Strache: Wie aus dem FPÖ-Chef der gefragteste Politiker Österreichs wurde

Seine Vergangenheit in der Neonazi-Szene? „Ich war naiv und dumm.“ Wie aus dem Rabauken HC der seriöse Heinz-Christian wurde – ein Portrait.

So ein Triumphmarsch kann dauern. Unter einer Traube aus blauen Luftballons bahnt sich Heinz-Christian Strache den Weg zur Bühne, verteilt Luftküsschen, lacht in die Kameras. Die Menschen stehen auf den Holzbänken und schwenken rot-weiß-rote Schals mit blauem „HC Strache“-Aufdruck.

Längst landet das Bier nicht mehr nur in ihren Kehlen. Es riecht nach Oktoberfestzelt an diesem Wahlsonntagabend in der Marx-Halle in Wien. Die Hofband setzt zur Parteihymne an, zum zweiten Mal. „Immer wieder Österreich“ – bis endlich Strache die Bühne betritt, energisch, fast im Laufschritt, Hand in Hand mit seiner Frau Philippa. „Liebe Freunde“, sagt er, „wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“

Man könnte das auch anders formulieren. Etwa: Die Mitte der Gesellschaft ist bei seiner FPÖ angekommen. Weswegen er, der einstige Haudrauf mit Vergangenheit in der Neonazi-Szene, nun Vizekanzler werden könnte.

Die tektonische Verschiebung nach rechts in Österreich dauert seit Jahrzehnten an, bei der Wahl am vergangenen Sonntag hat sie sich mit einem Beben bemerkbar gemacht: 31,5 Prozent der Wähler stimmten für die ÖVP von Außenminister Sebastian Kurz, 26 Prozent für die Rechtspopulisten.

In Europa hat man sich an die Rechten gewöhnt

„Es ist doch schön, wenn 60 Prozent das freiheitliche Programm wählen“, sagt Strache in der Marx-Halle mit breitem Grinsen. Ein Seitenhieb auf ÖVP-Chef Sebastian Kurz, der die traditionellen Themen der Rechten kaperte – vor allem Migration. Und doch ließ dessen Erfolg noch genug Platz an der rechten Flanke für das stärkste Ergebnis, seit Strache die FPÖ 2005 von Jörg Haider als Trümmerhaufen übernahm.

Der hatte seine Partei 1999 auf 27 Prozent und in die schwarz-blaue Koalition mit der ÖVP geführt, die als Tabubruch in die Geschichte Österreichs einging. In Wien protestierten wöchentlich bis zu 20 000 Menschen gegen die Regierung, 14 EU-Staaten verhängten Sanktionen. Beides ist heute schwer vorstellbar. In Europa hat man sich an die Rechten gewöhnt. Viktor Orbán, den Strache einmal lobte als „einzigen europäischen Regierungschef, der bei Verstand geblieben ist“, bildet im Europäischen Parlament in Straßburg eine Fraktion mit ÖVP, Union und anderen Konservativen.

In Österreich schwächeln die progressiven Kräfte, die SPÖ wurde mit 26,9 Prozent nur zweitstärkste Partei, die Grünen flogen aus dem Parlament, eine Linkspartei existiert nicht. Genauso wenig wie ernsthafte Vorbehalte gegen Heinz-Christian Strache bei ÖVP und SPÖ.

Weil die Großparteien nicht mehr miteinander können, brauchen sie ihn. Die Rolle des Königsmachers wird er sich teuer bezahlen lassen. Das Innenministerium soll es wohl sein, am vorläufigen Ende seines Weges vom rechten Rand zum Staatsmann.

Vor seinem Auftritt küsst er seine Frau Philippa

Der Imagewandel vom Rabauken HC zum seriösen Heinz-Christian lässt sich ungefähr datieren: Auf die langen Monate des Bundespräsidentschaftswahlkampfs 2016, als FPÖ-Kandidat Norbert Hofer mit sanfter Stimme und harten Positionen nur knapp am Einzug in die Hofburg scheiterte. Ein Durchbruch in vorher unerreichte Wählerschichten und der Beweis: Die Österreicher sind nicht nur bereit, die Rechten zu wählen, sie wären auch bereit, einen Rechten zu wählen. Aber HC Strache?

Im Oktober 2016, zwei Tage vor dem Nationalfeiertag, hält FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Palais Epstein an der Wiener Ringstraße eine „Rede zur Lage der Nation aus freiheitlicher Sicht“. Vor seinem Auftritt küsst er seine Frau Philippa, die er wenige Tage zuvor geheiratet hat. Vorbei die Tage, als er mit wechselnden blonden Frauen durch die Wiener Diskotheken zog.

Das hier ist ein anderer Strache: Er hat zugelegt, ein Doppelkinn zeichnet sich ab. Er trägt einen eleganten grauen Anzug, ein rot-weiß-rotes Band am Revers und eine randlose Brille. Normalerweise schwingt er beim Reden gern die Hände, und sein ganzer Körper schwingt mit. Er sieht dann aus wie ein dozierender Wackeldackel. Dieses Mal lässt er die Hände auf dem Pult ruhen. Nur die Worte sind die alten: Merkels Entscheidung, die Grenzen zu öffnen, sei kriminell gewesen. Die deutsche Kanzlerin sei die gefährlichste Frau Europas. Mittelfristig führe die Zuwanderung zu Bürgerkrieg.

Gegen Haider gingen die Menschen noch auf die Straße

Es sind Vokabeln, an die sich Österreich gewöhnt hat. 1993, als Jörg Haider das Ausländervolksbegehren antrieb, herrschte noch Aufruhr. 300.000 Menschen zogen mit Lichtern in der Hand durch Wien, das berühmte „Lichtermeer“ vereinte Kritiker von Grünen bis in die ÖVP. Der liberale Flügel der FPÖ sagte sich los von Haider, das Volksbegehren scheiterte. Heute sind dessen 13 Punkte unter dem Titel „Österreich zuerst!“ teils umgesetzt, teils in die Wahlprogramme von SPÖ und ÖVP eingeflossen: der ständige Grenzschutz, eigene Schulklassen für Ausländer, mehr Polizei gegen ausländische Straftäter. „Wir hatten damals Recht“, sagt Strache heute.

Unter Europas Rechtspopulisten darf sich die FPÖ wie eine Art Familienvater fühlen. Den Einzug der AfD in den Bundestag feierte Heinz-Christian Strache auf Facebook mit einer „Herzlichen Gratulation aus Wien!“ Angesprochen auf Alexander Gaulands Spruch, er wolle „Merkel jagen“, sagt er: „Das wäre nicht meine Diktion.“ Er wählt lieber einen Satz, der dem Jäger Gauland auch gefallen könnte: „Wir treiben die Regierung vor uns her.“ Es ist ein sehr feiner Unterschied zwischen HC und Heinz-Christian. Vielleicht gibt es auch gar keinen.

Ein paar Tage vor der Wahl grub die „Süddeutsche Zeitung“ noch einmal die alten Bilder aus. Strache in olivgrüner Uniform und ausgebeulter Camouflage-Hose, eine schwarze Sturmhaube verdeckt das Gesicht, ein Paintball-Gewehr in den Händen. Strache als Pöbler bei der Uraufführung von Thomas Bernhards „Heldenplatz“ im Wiener Burgtheater. Strache mit Burschenschafter-Kappe, drei Finger in die Höhe gestreckt - wie beim Kühnen-Gruß der Neonazis. Strache bestreitet bis heute, Teil der Szene gewesen zu sein. „Ich war deppert, naiv und dumm“, sagte er mal über diese Zeit. „Aber ich war kein Neonazi.“

Strache sagt, er habe immer wieder eine Vaterfigur gesucht

Lieber bezeichnet er sich als „gelungenes Integrationsbeispiel“. Die Familie wurde nach dem Krieg aus Liberec in Nordböhmen vertrieben, Strache kam 1969 in Wien zur Welt. Seine Mutter zog ihn allein groß, und weil ihr neben der Arbeit die Zeit fehlte, schickte sie den Sohn mit sechs Jahren in ein Internat. Der Vater legte keinen Wert auf Kontakt. Im Wahlkampf erzählt Strache im ORF-Radio, er habe immer wieder eine Vaterfigur gesucht. Er fand sie in Norbert Burger, Vater seiner Jugendliebe Gudrun und Gründer der Nationaldemokratischen Partei, die 1988 verboten wurde.

Schon mit 15 Jahren war Strache Mitglied der schlagenden Schülerverbindung Vandalia. Ihr Motto: Deutsch, einig, treu, ohne Scheu. Im Elternhaus Burger begegnete er auch einer zentralen Figur der österreichischen Neonazi-Szene, Gottfried Küssel. Der heute inhaftierte Holocaustleugner organisierte als Kopf der „Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition“ Wehrsportübungen, die Neonazis gern als Räuber-und-Gendarm- Spiel verharmlosen. Wie in Gerichtsprozessen in den 90ern deutlich wurde, ballerten die Teilnehmer aber nicht nur im Wald herum, sie lernten auch, Feinde schnell und geräuschlos hinzurichten. Strache will nur einmal zu einer Übung gereist sein, wo es zum Sinneswandel kam: „Im Zuge des ganzen Treibens war mir klar, das sind Leute, das ist ein Wahnsinn. Da kann ich nicht mitziehen.“

SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer erteilte die Absolution

In Österreich ist die „Akte Strache“ längst in der Ablage gelandet, eingeordnet unter: Jugendsünde. Das Foto vom Kühnen-Gruß gelangte 2007 in die Medien. Strache, damals schon FPÖ-Chef und Parlamentsabgeordneter, versuchte es mit einigen Ausflüchten, eine hat es in Österreich zum geflügelten Wort gebracht: „Ich wollte drei Bier bestellen.“ Als Kronzeugen wider Willen berief er Joschka Fischer, zeigte Fotos des deutschen Ex-Außenministers in Straßenkämpfermontur. SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer erteilte die endgültige Absolution: „Ich werde niemandem aus seinen Jugendtorheiten einen Strick drehen.“

Fest steht jedoch: die Partei liegt in der Hand von Burschenschaftlern. Fünf von sechs FPÖ-Vorständen sind Mitglied einer Verbindung, dieses Verhältnis setzt sich in den unteren Parteigremien fort. Strache pflegt die Traditionen. 2010 besuchte er in Israel die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem - mit einer „Biertonne“ auf dem Kopf, der typischen Mütze der Burschenschafter. Offiziell hält er sich aber an den Kurs aller Rechtspopulisten in Europa: Solidarität mit Israel als Teil des Kampfes gegen den politischen Islam. Dieser antimuslimische Kurs machte Strache auch bekannt. 2005, nach mehr als zehn Jahren in der Wiener Landes-FPÖ, führte er die Partei als Spitzenkandidat in den Wahlkampf, mit Parolen wie „Daham statt Islam“.

Heinz-Christian Strache genießt den Moment sichtlich

Wer verstehen will, wie sich die Kräfteverhältnisse in Österreich seitdem verschoben haben, findet im ehemaligen Arbeiterbezirk Wien-Favoriten gute Anhaltspunkte: 2005 holten die Freiheitlichen hier 20 Prozent bei den Wiener Wahlen, die SPÖ 58. Fünf Jahre später lautete das Kräfteverhältnis 33 zu 48, weitere fünf Jahre später nur noch 39 zu 41. Die Arbeiterpartei, das ist jetzt die FPÖ.

Wie Haider sei auch Strache auf dem Weg vom Paria zum akzeptierten Koalitionspartner, sagt der Politikwissenschaftler Anton Pelinka. „Man kritisiert ihn ein bisschen wegen seiner Fremdenfeindlichkeit, aber eigentlich heißt es: Reden wir nicht drüber.“

Die SPÖ scheint sogar bereit, für ein Bündnis mit der FPÖ eine der Grundfesten ihrer Partei zu schleifen. Die 30 Jahre alte Vranitzky-Doktrin, die ein Bündnis mit den Rechtspopulisten verbietet. Die ÖVP hat im Wahlkampf mehr oder weniger das Programm der Freiheitlichen kopiert, inhaltlich steht einer Zusammenarbeit nichts im Wege. Alles läuft auf die FPÖ zu. Und Heinz-Christian Strache genießt das sichtlich.

Am Mittwochmorgen sitzt er in den Räumen der FPÖ-Fraktion, vis a vis des Parlaments. An der Wand hängen gerahmte Bilder von Strache, eines zeigt ihn im Stil des berühmten Che-Guevara-Portraits von Alberto Korda, seine blauen Augen in die Ferne gerichtet. Strache hält sich nicht lange mit einer Analyse der Wahl auf, er diktiert Bedingungen an die ÖVP, die er für den logischen Koalitionspartner hält: Das Innenministerium muss sein, direkte Demokratie auch. Den Rest will er unter vier Augen besprechen. Aber melden muss sich Sebastian Kurz. „Es wäre vernünftig von ihm, an uns heranzutreten.“

Später wird er zur Hofburg gehen, zu Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Der Grüne hatte einmal erklärt, er werde eine Regierung Strache nicht vereidigen. Strache hat das nicht vergessen. „Ich möchte vom Bundespräsidenten hören, dass er alle demokratischen Parteien anerkennt.“ Er möchte Abbitte.

Christian Bartlau

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