zum Hauptinhalt
Hertha-Manager Michael Preetz sieht sich vielen Kritikern gegenüber, die ihm fehlende Durchsetzungsfähigkeit und schlechte Entscheidungen vorwerfen.

© dpa

Hertha BSC: Wohin führt der Weg mit Michael Preetz?

Hoffen, bangen, hoffen. Trotz des Siegs vom Samstag gegen Augsburg könnte Hertha das fragwürdige Kunststück schaffen, in sechs Jahren dreimal abzusteigen. Manche glauben, den Grund für die Misere zu kennen: Manager Michael Preetz und seine Halbherzigkeit.

Er ist der Lauteste auf der Bank, schüttelt wild mit dem Kopf, wenn ihm eine Schiedsrichterentscheidung nicht passt, springt auf, setzt sich wieder und schleudert dabei die schlaksigen Beine nach vorn, sodass er tief in seinen Sitz rutscht. Dieser nach dem Spiel so gehemmt wirkende Mann mit leiser Stimme ist in Wahrheit ein heißer, stets von unterdrückten Emotionen verstopfter Vulkan. Wenn man wie Michael Preetz unter enormem Druck steht, ist eine Reservebank kein schöner Ort – schon gar nicht, wenn man früher selbst Spieler war. Nirgendwo kann man so tief in das Seelenleben des Geschäftsführers Sport vom Fußball-Bundesligisten Hertha BSC blicken, wie auf dieser Bank, auf der Tartanbahn im Berliner Olympiastadion.

88 Minuten und ein paar Sekunden hat er auch im Heimspiel an diesem Samstag gegen den FC Augsburg versucht, seinen permanent zuckenden Körper unter Kontrolle zu bringen. Dann erzielt der Stürmer Salomon Kalou doch das 1:0, der Sieg, und Preetz, 47 Jahre und bis heute Rekordtorschütze seines Vereins, springt als Erster auf, hüpft und spreizt die Arme so weit er kann, wie er es einst auf dem Feld nach einem Tor getan hat. Eine solche Befreiung, ein so plötzlich einsetzendes Glücksgefühl, ist nur im Sport möglich. Und in diesen Sekunden, wenn man die Freude des Michael Preetz beobachtet, sieht man deutlich den Abgrund, an dem er steht. Er tanzt dort jetzt, aber noch ist Hertha, noch ist auch er nicht gerettet. Vor dem Abstieg.

Denn auch in dieser Spielzeit ist wieder etwas passiert in diesem Verein, der nun schon über 120 Jahre alt ist, was man eigentlich ausgeschlossen hatte. Die andauernde Unstetigkeit schien doch der Vergangenheit anzugehören. Aber dann musste schon wieder ein Trainer gehen, Jos Luhukay, von dem die Fans und viele andere dachten, der sei endlich einer für Hertha. Für die Zukunft. Schließlich hatte sich Michael Preetz, bis hinein in den Winter 2014, viel Mühe gegeben, das allen genau so zu verstehen zu geben. Aber dem war nicht so. Warum, darum geht es in dieser Geschichte.

Und deshalb ist die Situation nun, auch nach diesem recht glücklichen 1:0-Sieg über Augsburg, weiter ambivalent. Nach wie vor könnte dieser Michael Preetz noch das fragwürdige Kunststück schaffen, innerhalb von sechs Jahren dreimal abzusteigen. Sieben Trainer hat er seit seinem Amtsantritt 2009 beaufsichtigt, ins Amt geholt und wieder hinauskomplimentiert. Und natürlich stellt sich ganz automatisch die Frage, ob da einer seinen Job wirklich versteht. Oder ob der Fußball so ist, wie Preetz vor dem letzten Abstieg 2012 selbst einmal gesagt hatte – „nicht planbar“?

Seit Samstag, 17.18 Uhr, als das Heimspiel abgepfiffen war, weiß er, dass er wieder Luft hat, durchatmen kann, dass jetzt erst einmal keine Fragen nach seiner Zukunft kommen werden. Zeit hat er gewonnen, aber das eigentliche Spiel ist noch nicht aus. Es geht immer weiter.

Vor wenigen Wochen erst hat er den Ungarn Pal Dardai als Nachfolger des Holländers Jos Luhukay benannt. Es war eine Entscheidung, das wusste Preetz, die zumindest kurzfristig funktionieren kann. Denn Dardai ist so beliebt bei den Fans, wie es Preetz war, als er noch mit ihm kickte. Dardai ist Herthas Rekordspieler. Eine „Identifikationsfigur“, wie es so schön heißt.

Vor dem letzten Abstieg 2012 hatte ein heutiges Präsidiumsmitglied über Preetz einmal gesagt: „Leider hat er sich bei jeder Entscheidung ein Quäntchen Unglück erarbeitet.“ Ist es jetzt anders? Schicksal oder Schuld, Glück oder Können – das ist im Fußballsport immer eine sehr knifflige Frage.

Preetz’ oberstes Ziel: Es anders machen als Dieter Hoeneß

Hertha-Manager Michael Preetz sieht sich vielen Kritikern gegenüber, die ihm fehlende Durchsetzungsfähigkeit und schlechte Entscheidungen vorwerfen.
Hertha-Manager Michael Preetz sieht sich vielen Kritikern gegenüber, die ihm fehlende Durchsetzungsfähigkeit und schlechte Entscheidungen vorwerfen.

© dpa

Am Ende der Saison 2008/20009 löst Preetz, nach langen Jahren des stillen Wartens als Assistent, den ebenso legendären wie umstrittenen Manager Dieter Hoeneß ab, doch seitdem häufen sich die Schicksalswochen im Verein, und man kann wohl sagen, dass Michael Preetz in dieser Zeit im sportlichen Bereich nichts dauerhaft zum Guten wenden konnte. Vielleicht hat dieser Verein aber auch ein Talent dafür, auf vielen Ebenen zu oft die falschen Entscheidungen zu treffen. Es gibt dafür auch ein zugegebenermaßen etwas abseitiges Beispiel: In jener Zeit, als Preetz ins Amt kam, ein paar Monate früher, bewirbt sich auch ein heute ziemlich bekannter und in Fußball-Kreisen sehr begehrter Mann bei der Hertha. Er heißt Thomas Tuchel und lässt anfragen, ob er Herthas C-Jugend trainieren darf. Der Klub lehnt ab. Kein Experte konnte damals natürlich ernsthaft ahnen, dass der junge Tuchel bald darauf als eines der größten Trainertalente gelten wird. Aber es passt ins unglückliche Bild dieser alten Dame.

Fußball ist, und das gilt auch für das Unternehmen Hertha BSC, immer auch große Show, Drama, Trauerspiel, Komödie – manchmal gibt es ein Happy End zu begießen. All das steckt auch in dieser Erzählung über Hertha, einst der Arbeiterverein aus dem Wedding, der nun schon viele Jahre sehr gut abgeschottet am Rande der Großstadt auf dem alten Olympiagelände zu Hause ist. Deutscher Meister war Hertha auch zweimal – 1930 und 1931. Aber bis heute lebt der Klub mit keinem guten Image. Immer mehr Pleiten und Pannen als Aufbruch. Und seit langem mitten drin Michael Preetz, 1,92 Meter groß gewachsen, dem selbst in diesen Zeiten im Verein die Allerwenigsten, weder im Präsidium noch unter den Fans, wirklich etwas Schlechtes wünschen.

Eine Stunde nach dem Abpfiff der Partie gegen Augsburg steht er in den Katakomben des Olympiastadions und sieht nach langer Zeit mal wieder ein wenig entspannter aus. Aber man sieht ihm an, was es heißt, diesen Job in diesen Zeiten zu machen.

Er ist nicht nur schlank, sondern dürr. Das Gesicht ist in den letzten Jahren dramatisch gealtert, hat den jungenhaften Ausdruck verloren. 2012, vor dem letzten Abstieg, hatte man mit ihm noch offen über die Situation reden dürfen, auch über ihn und sein Innenleben. Das Zuhause war für Preetz kein Rückzugsort mehr, weil er keinen Abstand gewinnen konnte, sondern nachts wach lag und über Schuld und Schicksal grübelte. Heute lehnt Preetz Gesprächsanfragen kategorisch ab. Steht er in der Öffentlichkeit, schaltet er in einen Sprachmodus, der jeden Hinweis auf mögliche Fehler und jeden Ausblick auf seine Zukunft gelöscht hat. Was herauskommt, sind merkwürdig hohle Sätze, die er im immer gleichen Ton vorträgt, so, als könnte er sich selbst fernsteuern: dass er nichts bereue, nach vorn schaue, hart arbeite, sich der Verantwortung stelle.

Jetzt im Olympiastadion kann er nach dem Sieg sogar seinen derzeitigen Lieblingssatz variieren. „Wir müssen Ruhe bewahren.“ Nun sagt er: „Der Sieg kam zum optimalen Zeitpunkt, jetzt können wir Ruhe bewahren.“ Aber jedem im Klub, seinen Freunden und Kritikern, ist klar, dass er mit einer noch schlechteren Bilanz als der bisherigen wohl nicht mehr zu halten ist.

Wenn es so käme, ein dritter Abstieg, wäre er wieder dort angelangt, wo er als Fußball-Profi immer herauswollte – in der Zweitklassigkeit. Denn auch das Schicksal des Fußballspielers Michael Preetz, mäßig talentiert, war lange so unklar wie die heutige Zukunft von Hertha BSC. Immer im Fahrstuhl zwischen Liga eins und zwei, immer in der Unsicherheit, ob es für das Top-Niveau wirklich reicht. Düsseldorf, Saarbrücken, Duisburg oder Wattenscheid hießen seine Vereine. Bei Hertha gelang der Durchbruch. Da war er schon 29 Jahre alt.

Er war ein Spieler, mit dem man Geduld haben musste, erst verstolperte er die Bälle, und am Ende machte er dann doch noch einen rein. 1999, mit 31 Jahren, wurde er Torschützenkönig der Bundesliga. Und siebenfacher Nationalspieler, berufen von Sir Erich Ribbeck.

Mit dieser Vita, mit seinem Wissen darum, dass es lohnt, sich durchzubeißen, hätte auch alles gut gehen können – als er im Juni 2009 seinen Manager-Job antrat. Brachte er nicht neben seiner Fußball-Kompetenz auch die Eigenschaften mit, die man unter Dieter Hoeneß in Berlin schmerzlich vermisst hatte – mehr Menschlichkeit, mehr Bescheidenheit, mehr Bereitschaft zum Dialog und Miteinander?

Preetz’ oberstes Ziel lautete: Es anders machen. Anders als der ihm im Stillen verhasste Hoeneß. Er diente ihm zunächst als Assistent, sechs lange Jahre, in denen Hoeneß ihm zu verstehen gab, er könne es nicht. Hoeneß hielt Preetz für zu feige, für einen, der Konflikten aus dem Weg gehe. Nie wieder, schwor sich Preetz, sollte der Klub großmäulig daherkommen. Was zählt, heißt es, ist auf dem Platz. Die Wahrnehmung der Öffentlichkeit findet im Stadion oder vor dem Fernseher statt. Immer und ewig wird der Fußball für Emotionen zuständig sein, für Erregungsmomente aller Art. Hinter dieser Projektion aber ist das Fußballgeschäft so komplex geworden wie kaum ein anderes. Man braucht deshalb schon auch einen Plan.

Es sieht so aus, als liefere sich Michael Preetz gerne seinen Trainern aus

Hertha-Manager Michael Preetz sieht sich vielen Kritikern gegenüber, die ihm fehlende Durchsetzungsfähigkeit und schlechte Entscheidungen vorwerfen.
Hertha-Manager Michael Preetz sieht sich vielen Kritikern gegenüber, die ihm fehlende Durchsetzungsfähigkeit und schlechte Entscheidungen vorwerfen.

© dpa

Ein angesehener Fußball-Manager aus dem Profibereich, der Hertha BSC auch persönlich gut kennt, sagt: „Moderne Klubs fragen sich, welche Philosophie sie als Fußball-Unternehmen haben wollen, mit welcher Spielidee sie ihre Teams bis hinunter in die Jugend ausstatten wollen.“ Das Wichtigste aber sei, sagt der Mann, „ob ich einen Trainer will, der meine Ideen umsetzt, oder ob ich einen habe, der selbst eine Idee mitbringt und dem ich dann folge, auf die Gefahr hin, dass ich mich ihm ausliefere.“ Es sieht so aus, als liefere sich Michael Preetz gerne seinen Trainern aus. Bis heute, sagen seine Kritiker, sei es ihm nicht gelungen, dem Klub eine Identität zu geben, wie es vor allem in den kleineren Klubs in Deutschland längst üblich ist, weil sie finanziell nicht mithalten können.

Bevor man Luhukay holte, stand intern auch Thomas Tuchel zur Diskussion. Der junge Mann von einst, der bald aus seinem selbst gewählten Sabbatical zurückkehren will, wird heute von den Superstars der Trainerszene geachtet. Pep Guardiola, der Coach des FC Bayern, lud ihn unlängst in ein Münchner Restaurant ein und diskutierte mit ihm stundenlang über Fußball. Tuchel hat heute eine andere Meinung zu Hertha BSC, dem Klub, zu dem er mal wollte. Die Art und Weise, wie der Verein geführt werde, sagte er in einem kleinen Kreis, passe nicht zu ihm.

Das war der gleiche Grund, warum auch ein anderer, anerkannter Fußball-Akademiker, abwinkte. Ralf Rangnick führte einst Hoffenheim von der dritten Liga in die Bundesliga und ist heute Sportdirektor bei Red Bull Salzburg und RB Leipzig. Aus seinem Umfeld wird erzählt, wie Rangnick damals zum Gesprächstermin in Berlin landete und ihm ein sehr hoher Vereinsvertreter von Hertha BSC gleich eines klargemacht habe. Man wolle ihn, aber es gebe ein Tabu: den Job von Michael Preetz.

Nur einmal wäre es beinahe anders gekommen, aber auch diesen Trainer entließ Michael Preetz: Lucien Favre, der heute sehr erfolgreich Borussia Mönchengladbach trainiert, sollte in seiner Zeit bei Hertha BSC auch eine Spiel-Philosophie entwickeln – die bis hinunter in die Jugendakademie gelehrt werden sollte. Favre hatte auch schon einen passenden Leiter der Jugend-Akademie gefunden. Auch deshalb wirkt seine Entlassung bis heute wie eine Zäsur, ein Trauma, weil es danach nie mehr so wurde, wie es unter ihm war.

Ein ehemaliger hoher Hertha-Funktionär, der Preetz gut kennt, sagt: „Der Michael hat kein Talent, gute Leute um sich zu scharen, und keinen Drang, in die Tiefe zu gehen und die Strukturen wirklich zu verändern.“ Andere, die noch heute zu seinem engsten Mitarbeiterkreis gehören, finden: „Er will es wirklich gut machen, er diskutiert die Dinge auch, ist offen für Ratschläge. Aber er zögert zu oft zu lange.“ Wenn es darauf ankommt, hat Preetz offenbar ein Problem, sich durchzusetzen. Und das war auch der Grund, dass Jos Luhukay, der intern gar nicht so beliebte Holländer, viel zu spät gehen musste. Preetz’ Beziehung zu Luhukay erzählt etwas über einen Charakterzug: Halbherzigkeit.

Als der Sommer 2014 zu Ende geht und schon einige Bundesligaspiele absolviert sind, weiß Preetz längst, was die Stunde geschlagen hat. Schon die Rückrunde der vergangenen Saison unter Luhukay ist ein Desaster. Dann kommt Preetz in eine interne Sitzung, Luhukay ist nicht dabei, die Anwesenden sehen, dass er fassungslos ist. Er fragt: „Wieso spielen wir nicht mit der besten Mannschaft?“ Luhukay, sagt ein Insider, der mit Preetz arbeitet, habe alle Absprachen gebrochen und Vorgaben nicht eingehalten. „Seine Aufstellungen waren ein Schlag ins Gesicht der sportlichen Führung.“ Er meint: ins Gesicht von Michael Preetz. Nie sei eine Entlassung so gerechtfertigt gewesen wie diese. Luhukay soll Preetz offen gesagt haben, dass er bestimmte Spieler gar nicht haben wollte, obwohl „alle Verpflichtungen gemeinsam besprochen waren“. Ein Affront.

Preetz aber zögert – bis in den Winter, bis zum zweiten Spieltag nach der Rückrunde. Ein Präsidiumsmitglied, das nach wie vor zu ihm steht, sagt: „Der Michael hat sich mit seinem oft öffentlich geäußerten Versprechen nach Kontinuität selbst unter Druck gesetzt.“ Sein Zaudern ist eine Mischung aus ehrlicher Gutmütigkeit, Naivität und nackter Verzweiflung.

Jetzt ist also Pal Dardai dran. Seine beiden Söhne spielen in Herthas Jugend. Wille, Mentalität, Kampf – das waren die Worte, die er vor dem Spiel am Samstag gegen Augsburg von seiner Mannschaft einforderte. Nach dem Spiel sah er sich bestätigt, denn die Mannschaft habe „richtig gut gearbeitet und sich reingebissen“. Nur so gehe es, und dann, sagte Dardai, müssen wir den Ball „irgendwie reingrätschen“. Hertha BSC ist jetzt wieder da gelandet, wo nichts anderes mehr zählen kann. Schon gar keine Fußball-Vision.

Folgen Sie der Tagesspiegel-Sportredaktion auf Twitter:

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false