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Die Dynastie. Vater George H. W. Bush und die Brüder George W. und Jeb (von links).

© Matthew Cavanaugh/dpa

Jeb Bush in Berlin: Ein Bush kommt selten allein

Ein Bush kommt selten allein Erst der Vater, dann der Sohn und nun der Bruder. Jeb Bush will US-Präsident werden und wirbt dafür bei einem Berlin-Besuch – ganz wie Barack Obama 2008 an der Siegessäule.

Der in Kunstlicht getauchte Ballsaal des Hotels Interconti hat wenig gemein mit dem weiten sonnendurchfluteten Areal um die Siegessäule an Hochsommertagen. Mit den 200 000 zumeist jugendlich-begeisterten Fans, die dort dem Kandidaten Barack Obama im Juli 2008 huldigten, von dem sie die Erlösung von einer enttäuschenden Präsidentschaft erwarteten, lassen sich die 2000 überwiegend ergrauten Repräsentanten des Wirtschaftsflügels der CDU schon gar nicht vergleichen. Aber so eng wie damals geht es auch hier zu. Es sind weit mehr Neugierige gekommen, um den Mann zu sehen, der möglicherweise nächster US-Präsident wird, als der Raum fassen kann. Auf Tuchfühlung stehen sie in den Gängen zwischen den Sitzreihen und drücken sich an die Wände. Viele können seinen Auftritt in Berlin nur draußen über Monitore verfolgen.

20 Minuten vor Jeb Bushs Auftritt hat das Gerangel um die Plätze begonnen, versuchen die Ordner wenigstens die ersten drei Sitzreihen für die Gäste und ihre Delegationen mit Absperrungen freizuhalten – neben Bush werden der estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves, Google-Chef Eric Schmitt, Siemens-Vorstand Joe Kaeser und die Kanzlerin reden. In dem Getümmel fällt es zunächst nicht auf, als Bush den Saal betritt und sich den Weg nach vorn bahnt, obwohl er mit seinen 1,91 Meter einen halben Kopf aus der wogenden Menge herausragt. Vor ihm schiebt sich keine Bugwelle begeisterter Anhänger her. Als er dann aber spricht, brandet mehrmals stürmischer Beifall auf, wie man ihn weder von diesem gesetzten Publikum erwartet hätte noch angesichts seines Namens. Sind die Deutschen nicht durchweg schlecht zu sprechen auf den letzten Präsidenten Bush?

Wie damals Obama an der Siegessäule hat sich auch dieser Gast offenbar genau umgehört, was die Zuhörer sich erhoffen: die Überwindung der aktuellen deutsch-amerikanischen Enttäuschungen; und glaubwürdige Anknüpfungspunkte für diese Hoffnung. Als Folie für ihre Erzählungen dient beiden Berlin mit seiner wechselvollen Geschichte. Alles weitere ist Kontrastprogramm.

Obama kam 2008 als unbeschriebenes Blatt in die Stadt, als Politiker, der sich noch nicht an seinen Taten messen lassen musste, weshalb man alle möglichen Erwartungen auf ihn projizieren konnte: vor allem die, anders als George W. zu sein. Obama nahm Berlin als Beleg, dass Krieg, Spaltung und Mauern überwunden werden können. „Jetzt ist die Zeit, neue Brücken über den Globus zu bauen.“ Um mit Klimawandel, Terrorismus und Atomwaffen fertig zu werden, um die Menschenrechte durchzusetzen, um die Kriege im Irak und in Afghanistan zu beenden. Es war ein Happening mit idealistischer Predigt. Rückfragen, wie er das bewerkstelligen wolle, waren nicht vorgesehen.

Fragestunde mit Jeb Bush

Jeb Bush wird bei seinem Auftritt in Berlin zwar auch nicht an der persönlichen politischen Bilanz gemessen, obwohl er Gouverneur in Florida war, nach amerikanischen Maßstäben zudem ein beliebter und erfolgreicher. Aber auch er kann punkten, indem er sich vom aktuellen Amtsinhaber absetzt. Von Obama und seinen mitreißenden Reden sind viele Deutsche heute enttäuscht, die Kluft zwischen Hoffnung und Realität ist zu groß. Dagegen setzt Bush nüchterne Bescheidenheit. „Um zuzuhören, um dazuzulernen“, sei er nach Berlin gekommen, sagt er als Erstes. Seine Rede werde er kurz halten, um Zeit für Fragen zu lassen. Schon hat er den ersten Applaus.

Zugleich muss er die Bilanz seines älteren Bruders George W. möglichst von sich fern halten. Dazu dient ihm sein Vater George H. W. Bush, der 1988 zum Präsidenten gewählt worden war: „der großartigste Mensch, der mir je begegnet ist“. Am Freitag wird er übrigens 91, so viel Menschelnd-Persönliches soll bei aller Abgrenzung zu einem Obama, der die Gefühle im Übermaß massierte, dann doch erlaubt sein. Wie auch die Bemerkung zu seiner Mutter, einer auch in Deutschland beliebten First Lady: „Mom hat Montag ihren 90. gefeiert.“ Donnernder Beifall.

Oben der jüngste Spross der Familie bei seinem Berliner Auftritt vor dem Wirtschaftsflügel der CDU.
Oben der jüngste Spross der Familie bei seinem Berliner Auftritt vor dem Wirtschaftsflügel der CDU.

© Fabrizio Bensch/Reuters

Die Wiedervereinigung habe Deutschland Vater Bush zu verdanken, daran hat Kurt Lauk, der Gastgeber und scheidende Präsident des CDU-Wirtschaftsrats, schon bei der Begrüßung des Sohns erinnert. Ohne amerikanische Hilfe wäre es angesichts des hinhaltenden Zögerns europäischer Partner nicht dazu gekommen. Bush formuliert das anders, er will die USA ja nicht als Imperialmacht herausstellen, sondern seinen Gastgebern schmeicheln, indem er die deutsche Rolle betont, insbesondere die des Mannes, den die CDU als Helden der Einheit feiert. „Kanzler Kohl war da unermüdlich. Ich bin stolz, dass mein Vater so eng mit ihm zusammenarbeiten durfte.“

Auch Amerika muss sich erneuern

Davor gab es noch einen US-Präsidenten, der in Bushs Selbstpositionierung durch Rückgriff auf Berlins Geschichte nicht fehlen darf, Ronald Reagan mit dem berühmten Zitat „Mr. Gorbatschow, open this gate! Tear down this wall!“ Bush: „Berlin zeigt, dass man keine Mauern errichten kann, die ewig halten.“ Immer wieder flicht er Lob ein, auf eine indirekte Art, die Deutschland nebenbei zum Vorbild macht. „Freiheit hängt auch von der ökonomischen Freiheit ab.“ Endloses Schuldenmachen führe immer zu Problemen. „Deutschland ist ein Vorbild an fiskalischer Verantwortung – für mehrere Regierungen, unsere eingeschlossen.“ Das wirkt wie Balsam angesichts der sonst üblichen Kritik, Deutschland zwinge Griechenland zu unmenschlicher Austerität, die dieses Publikum natürlich als ungerecht empfindet. Bush betont noch einmal seine Lernbereitschaft. „Wir sollten nie zu bequem sein, um unser Denken zu hinterfragen.“ Auch Amerika müsse sich immer wieder erneuern.

Doch es sollte ja Zeit für Fragen bleiben. Das Publikum darf sie freilich nicht selbst stellen. Kurt Lauk sagt, er habe sie sammeln lassen. Ausgespart werden die kontroversen Themen nicht. Jeb Bush formuliert seine Antworten vorsichtig, sie sollen weder an seinen forschen älteren Bruder erinnern noch so lahm klingen, dass sie zuhause Probleme auslösen. Er braucht den Rückhalt der Republikanischen Partei, gerade jetzt. Am Montag will er in Florida seine Kandidatur für die Wahl 2016 erklären. Er gilt als Favorit im konservativen Lager. Die Umfragen weisen das noch nicht aus, da liegt er mit mehreren Konkurrenten gleichauf. Aber er hat den Rückhalt des Wirtschaftsflügels.

Ohne die USA entsteht ein Vakuum, sagt Jeb Bush

Die Dynastie. Vater George H. W. Bush und die Brüder George W. und Jeb (von links).
Die Dynastie. Vater George H. W. Bush und die Brüder George W. und Jeb (von links).

© Matthew Cavanaugh/dpa

Russland? Der Aggression muss man entschieden entgegentreten. Aber zugleich klar machen, dass sich die Ablehnung nicht gegen das russische Volk richtet, „damit wir es nicht für eine Generation von uns entfremden“, sondern „gegen seine korrupte Führung“. Der Abhörskandal und das ausufernde Datensammeln? „Oh, Sie meinen Google?“, versucht Bush es erst mit einem Scherz und deutet auf den in der ersten Reihe sitzenden Eric Schmitt. Dann wird er ernst: „Die USA betreiben keine Wirtschaftsspionage.“ Anders als China und Russland gebe es in den USA keine Staatskonzerne, an die die Geheimdienste technische Firmengeheimnisse weiterleiten können. Was die Dienste tun, diene der Sicherheit. Er empfiehlt mehr deutsch- amerikanische Kooperation und enge Absprachen über deren Ausmaß.

Beim Klimaschutz geht Bushs Rücksicht auf die vermutete Stimmungslage im Saal fast zu weit. „Wir müssen den CO-2-Ausstoß reduzieren“, beginnt er. Nur bitte nicht auf Kosten des Wirtschaftswachstums. Den Wohlstand zu senken, um das Klima zu retten: „Das können sich nur Reiche leisten.“ Da hakt Moderator Kurt Lauk ein: „Ich frage lieber nicht, wie Sie die deutsche Klimapolitik finden. Denn wenn Sie ,gut’ sagen, bekommen Sie Probleme mit dem Publikum hier“, klärt er Bush über die Haltung des Wirtschaftsrats auf.

Die USA müssen es immer richten

Und China samt den Inselkonflikten? Da wird Bush zum Anwalt amerikanischer Weltmacht. „Wir sehen, was passiert, wenn wir uns zurückziehen. Dann entsteht ein Vakuum, das andere füllen, ob im Irak oder im Chinesischen Meer.“ Amerika müsse seinen Partnern „zeigen, dass wir bleiben, um ihnen Sicherheit zu geben“. Applaus begleitet Bush auf dem Weg zurück an seinen Sitzplatz. Er bleibt tatsächlich eine gute weitere Stunde, um zuzuhören – dem estnischen Präsidenten Toomas Ilves und der Kanzlerin.

In den USA soll Jeb Bushs Auftreten in Berlin und seinen weiteren Reisestationen Polen und Estland als Beleg für seine außenpolitische Kompetenz dienen – so wie in Obamas Fall 2008 . Ergeben sich daraus Hinweise, wie ein Bush III., wenn er gewählt würde, handelt – eher wie sein Vater oder eher wie der Bruder? Was er in Berlin sagte, klingt nach Bush I. Bedeutsamer dürfte sein, wer ihn berät und Einfluss auf ihn hat. Enge Mitarbeiter von Bush Vater haben die Reise eingefädelt, ganz voran Robert Zoellick und Robert Kimmitt. Zoellick war die zentrale Figur bei den Verhandlungen zur deutschen Einheit, Kimmitt Staatssekretär im State Department und von 1991 bis 1993 US-Botschafter in Deutschland. Zoellick arbeitete zwar auch für George W. – als Handelsbeauftragter und Vizeaußenminister –, schied aber 2006 wegen Meinungsverschiedenheiten aus. Als Präsident der Weltbank musste er die Scherben beiseite räumen, die der mit George W. ideologisch enger verbundene Paul Wolfowitz hinterlassen hatte. Auch diese Hintermänner sprechen dafür, dass Bush III. sich an Bush I. orientiert.

Bush traut in Europa nur einem Land Großes zu

Nach Orientierung suchen an diesem Abend in Berlin aber nicht nur die Deutschen. Ganz ähnlich wie sie angesichts von zweierlei Bush, nämlich Vater und Sohn, und zweierlei Amerika, nämlich George W.’s und Obamas, nach Antworten suchen, auf was für ein Amerika sie sich einstellen sollen, will der estnische Präsident Toomas Ilves wissen, mit welchem der zweierlei Deutschland er und Europa es zu tun haben werden. Die Zukunft, sagt er, wird sich daran entscheiden, wie die Wirtschaftsräume mit der digitalen Revolution zurechtkommen. Heute liegen die USA da mit weitem Abstand an der Spitze. Sein Land hat Regierung und Verwaltung auf „e-goverment“ umgestellt. Aber Estland sei zu klein, um Europa mitzureißen. Nur einem Land in der EU traut er eine Aufholjagd zu, die Europa zu den USA aufschließen lässt.

Deutschland sei ökonomisch so stark, weil es in den klassischen Industrien technisch führe und diesen Vorsprung mit IT verknüpfe. „Industrie 4.0“ ist für Ilves die zentrale Hoffnung für ganz Europa, für die „Digital-Union“. Das Problem aus seiner Sicht: Es gibt zweierlei Deutsche – die Einen erkennen die Chancen der digitalen Wirtschaft, die Anderen verbinden mit ihr vor allem Gefahren. Er wünscht sich, dass die Macher und Optimisten in Deutschland die Oberhand gewinnen, nicht die Bedenkenträger.

Angela Merkel knüpft da gerne an. Sie wisse ja, wie mühsam das sei, „mit über 50 alles neu zu lernen. Dennoch, schieben Sie die digitale Umstellung in den Betrieben nicht auf“, rät sie den alten Recken im Wirtschaftsrat. Bush sagt, Amerika muss sich immer wieder erneuern. Merkel echot: Europa auch.

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