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Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender informieren sich darüber, wie man Erdwärme nutzen kann.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Klimaschutz in Island: Der gewandelte Frank-Walter Steinmeier

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lässt sich in Island zeigen, wie man das Klima schützen kann. Zu lernen gibt es viel. Eine Reportage.

Es ist ein ungewöhnlich schöner Sommer, in dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Island kommt: Drei Wochen am Stück hat die Sonne geschienen, als er zum Staatsbesuch in Reykjavik landet. Bei elf Grad im Schatten sitzt eine kleine Familie mit Baby auf dem Rasen vor dem Hotel, wo die deutsche Delegation untergebracht ist. Drinnen läuft im Fernsehen eine Übertragung aus dem britischen Parlament: Das Vereinigte Königreich soll bis 2050 klimaneutral werden. Und als erste Industrienation wollen die Briten das auch in ein Gesetz gießen. In diesen Tagen sieht es so aus, als sei der Klimawandel überall.

Auch Steinmeier spricht das Thema gleich bei seiner ersten Rede im Sitz des isländischen Präsidenten Gudni Johannesson an: „Wir sind hochinteressiert an dem, was wir hier über Klimaschutz lernen können“, sagt er. Vorbildlich sei, wie schnell sich Island auf Wasserkraft und erneuerbare Energien umgestellt habe. Und die Notwendigkeit, schnell zu handeln, sei ja völlig unbestritten.

Er hat seine Haltung geändert

Vor zehn Jahren, als Kanzlerkandidat, hatte Steinmeier bei einer Rede auf dem SPD-Parteitag das Wort Klimaschutz nicht einmal erwähnt. „Wir wollen erneuerbare Energien“, sagte er damals. Aber auch: „Wir wollen, wo wir sie brauchen, hocheffiziente fossile Kraftwerke. Das schafft neue Arbeitsplätze.“ Die Umweltorganisation WWF reagierte damals enttäuscht und forderte ein Klimaschutzgesetz. Heute hat Deutschland immer noch keins. Es soll aber dieses Jahr kommen, verspricht die Regierungskoalition.

Steinmeier hat seine Haltung geändert. Er hat ein Thema entdeckt, das große Teile der Wählerschaft – junge vor allem – für ein dringliches halten. Er ist damit einen Weg gegangen, den auch Island eingeschlagen hat – nur viel früher als der Präsident, und mit Taten.

Aber was genau kann der Präsident des Landes, das vor Jahren einen Energiewende genannten Kurswechsel vornahm, von Island lernen? Eines Landes, dessen CO2-Bilanz sich dennoch nur langsam ändert, das seine Atomkraftwerke abschaltet und einst seine Fotovoltaikindustrie pleite gehen oder nach China ziehen ließ? Es kann lernen, dass sich die Energiewende nicht nur auf die Stromerzeugung beschränken kann.

Unter den Füßen brodelt Lava

An vielen Orten in Island ist die Erdwärme leicht anzuzapfen, unter den Füßen der Isländer brodelt die Lava. Deshalb wird Geothermie schon seit rund 100 Jahren zum Heizen genutzt. Doch inzwischen erzeugen die Isländer auch Strom damit. Bei einer Stippvisite im Hellisheidi-Kraftwerk des Energieversorgers On Power nahe Reykjavik kann die Delegation des Bundespräsidenten einen Blick auf die Technologie werfen.

Die Anlage läuft profitabel, 70.000 Haushalte versorgt sie mit Strom und halb Reykjavik mit Wärme. Doch die Isländer denken weiter. On-Power-Entwicklungschefin Hildigunnur Thorsteinsson leitet ein Projekt, mit dem Kohlendioxid in die Poren der tiefen Basaltschichten unter der Insel gepresst wird. „Eigentlich dachte man immer, es würde tausende Jahre dauern, bis es dort zu Kalk wird. Aber es waren nur zwei.“

Die Isländer sehen ihre Forschung nicht nur als Beitrag zum Klimaschutz, sondern denken auch, die Technologie später exportieren und damit Geld verdienen zu können. Zum Abschied bekommt Steinmeier als Geschenk eine Scheibe aus einem Bohrkern, in dem die weißen Kalkablagerungen zu sehen sind. „Im Basaltgestein weltweit ist genug Platz für sämtliche CO2-Emissionen“, sagt Thorsteinsson zuversichtlich.

Bis 2040 will Island komplett klimaneutral sein

Ein anderer Besuch an diesem Tag gilt dem Seewasser-Heizkraftwerk von HS Veitur HF. Es liegt auf den Westmännerinseln vor der Küste Islands, wo die Wikinger im 9. Jahrhundert als erste siedelten. Es nutzt die Wärme des Golfstroms, um sie über einen Wärmetauscher an einen Ammoniak-Kreislauf abzugeben. Mehr als 1000 Kubikmeter Seewasser wälzen die Pumpen Stunde für Stunde um, der Betriebsraum mit den silbrig schimmernden Rohren ist von einem lauten Summen erfüllt. „Wenn man den Ammoniak dann noch verdichtet, erhöht sich die Temperatur auf 100 Grad“, erklärt Betriebsdirektor Gulmundur Gislasson. Alle 4000 Bewohner der Insel heizen damit ihre Wohnungen.

Trotz solcher Projekte bleibt in Island noch viel zu tun, sagt der Abgeordnete Ari Trausti Gudmundsson von der Links-Grünen-Bewegung. Sie stellt die Ministerpräsidentin. Auch der Verkehr – in Island wird viel Auto gefahren – und die Fischfangflotte müssten dekarbonisiert werden, sagt Gudmundsson. Bis 2040 will Island komplett klimaneutral sein. Ob es so eine Art nordische Mentalität gibt, die für Klimaschutz sorgt? Schweden, Finnland und Dänemark gehen ja ähnliche Wege. „Nein. Wir wissen, dass der Meeresspiegel steigt und kennen die Folgen der Erderwärmung. Da müssen wir ja handeln“, sagt Gudmundsson.

Der Gletscher schrumpft: 118 Meter in einem Jahr

Neben dem Anstieg des Meeresspiegels, der die Hauptstadt Reykjavik treffen würde, bereitet auch eine Abschwächung des Golfstroms den Isländern Sorge. Er macht das Klima auf der Insel relativ mild. Doch das Schmelzen des grönländischen Eisschildes und dessen Süßwassermassen könnten den Golfstrom verlangsamen. Die Isländer haben also auch ein großes Eigeninteresse, zum Klimaschutz beizutragen.

Der Ausbau der Wasserkraft seit 2006 hatte dagegen in erster Linie industriepolitische Gründe. Im Hochland wurde ein großes Talbecken in unberührter Natur geflutet, um einen Stausee zu schaffen und letztlich Aluminiumwerke ins Land zu holen. Sie bekommen den Strom hier so günstig und in solchen Mengen, dass es sich lohnt, den Rohstoff Bauxit aus Australien nach Island zu verschiffen, um ihn zu Aluminium zu schmelzen. Besser, es in Island mit grünem Strom zu machen, als anderswo mit Kohle, sagen Befürworter. Gegner kritisieren die Naturzerstörung.

Der alte Steinmeier hätte die Aluminiumhütten und die Stauseen vielleicht angeschaut, weil sie Arbeitsplätze sichern. Der zeitgenössische fährt mit seiner Kolonne an der Südküste entlang, vorbei an Wasserfällen und violett blühenden Alaska-Lupinen. Es geht zum Lava Center, einem Informationszentrum, in dem die geologische Entstehungsgeschichte der Insel gezeigt wird. Dort trifft der Bundespräsident Schüler der örtlichen Volksschule, deren jeweils siebte Klassen seit Jahren den nahegelegenen Solheima-Gletscher vermessen. Allein im vergangenen Jahr hat er sich 118 Meter zurückgezogen.

„Es erzeugt ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, wenn man das sieht“, sagt die 16-jährige Vala Saskia Einarsdottir. Das Projekt hat ihr Bewusstsein geweckt: „Es ist doch unsere Zukunft“, sagt sie, als sie später mit Steinmeier und ihren Klassenkameraden zum Gletscher wandert. „Die Politiker tun einfach nicht genug.“

Präsident, aber Sozialdemokrat genug

Zum Aufwachen wurde die Politik letztlich wohl erst durch junge Menschen wie sie und die „Fridays for Future“-Bewegung – und deren Erfolg – gebracht. Der Bundespräsident spricht das bei seinem Statement am Gletscher an: „Wir sind aufgerufen, insbesondere natürlich Politik und Regierungen in der EU, mehr zu tun, als wir in der Vergangenheit im Kampf gegen den Klimawandel getan haben“, sagt er. Auch Deutschland dürfe da nicht zurückstehen.

Die mitreisende Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polarforschung, Antje Boetius, sagt, sie freue sich, dass sie in Steinmeier einen Bundespräsidenten gefunden hat, der nahbar ist für das Thema Klimaschutz. Im Gespräch habe sie ihn gebeten, „dass er doch bitte hilft zu erklären, wenn er mit Politikern und Bürgern spricht, dass Klimaschutz überlebensnotwendig ist“. Wobei die Bürger jetzt auch erwarten würden, dass sich die Politik „aufrafft“.

Steinmeiers Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei ruht während seiner Amtszeit. Aber Steinmeier ist doch Sozialdemokrat genug, um zu betonen, dass man Klimaschutz und Arbeitsplätze nicht gegeneinander ausspielen dürfe. „Da gilt es, die richtige Balance zu finden und keine sozialen Verwerfungen entstehen zu lassen“, hatte er zu Beginn der Reise im Sitz des Präsidenten gesagt. Die Worte „Kohle“ oder „fossile Energien“ kommen in seinen Reden aber nicht mehr vor.

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