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Oft unterschätzt. Als Innenminister hatte Dietmar Woidke eine Härte demonstriert, die ihm viele vorher gar nicht zugetraut hatten.

© p-a/dpa

Landtagswahl in Brandenburg: Einfach geradeaus - Dietmar Woidke im Porträt

Er wollte den Posten nicht. Zuerst. Doch jetzt möchte Woidke weitermachen als Ministerpräsident von Brandenburg. Am Sonntag stellt er sich zur Wahl – und erst dann wird sich zeigen, wer er wirklich ist, was er wirklich kann.

Die Brandenburger Sozis wissen, wie man Wahlkampf macht. Möglichst so, dass es nicht allzu sehr danach aussieht. Vor ein paar Tagen saß Ministerpräsident Dietmar Woidke im Babelsberger Studio von BB-Radio und moderierte die Morgenshow mit. Eine Stunde. Live.

Vordergründig ging es ums Thema Ehrenamt. Woidke hatte hörbar Spaß, als er den Chef einer Rettungshundestaffel aus dem Havelland interviewte: „Könnte Oskar, mein Rauhaardackel, auch bei euch mitmachen?“ Aufgelegt wurde seine Wunschmusik, Coldplay, die Stones, „Haus am See“, ein Lieblingssong. „Ich habe den Tag auf meiner Seite. Ich hab Rückenwind“, sang Peter Fox, und Woidke wiegte dazu seinen Kopf mit dem gelichteten Haar vergnügt hin und her.

"Das ist nicht Berlin. Das ist Brandenburg". So wirbt man hier

Rückenwind spürt Dietmar Woidke, 52 Jahre, aus Forst in der Lausitz, dem märkischen Südpol, der schon fast in Sachsen liegt, in der Tat. Auch nach der Wahl am Sonntag wird er wohl Ministerpräsident Brandenburgs bleiben. Dass es anders kommt, gilt als ausgeschlossen. Nicht in der Mark, wo die Linken Wahlplakate wie diese aufstellen: „Das ist nicht Berlin. Das ist Brandenburg.“

Die Sozialdemokraten liegen in den Umfragen mal wieder weit vorn. Sie regieren in der Mark seit 1990 ununterbrochen. Jede Krise scheint an der Brandenburger SPD abzuperlen. Während die Genossen in Berlin für das Flughafendebakel abgestraft werden und sich die Bewerber um Wowereits Nachfolge rangeln, scheinen die Brandenburger von der SPD offenbar nicht genug zu bekommen. Was bei dieser Wahl dann doch eher an ein mittleres Wunder grenzt. Nach dieser „Extremlegislatur“, wie einer aus der Staatskanzlei sagt. Am Ende war aus dem 2009 gestarteten Kabinett nach Affären und Rücktritten fast jeder zweite Minister abgetreten. Selbst der gesundheitlich angeschlagene Chef gab im vergangenen Jahr auf. Matthias Platzeck. Ausgerechnet. Der, der die Siege garantierte.

In der Hauptstadt gilt er als Langweiler aus der Provinz

Jetzt also Woidke. „Dietmar wer?“, fragt mancher außerhalb Brandenburgs, wo ihn kaum einer kennt. In der Berliner Politik halten ihn viele für ein Landei, für einen Langweiler aus der Provinz. Doch Woidke, in der Brandenburger SPD lange ein Außenseiter, hat sich schon fast dran gewöhnt, unterschätzt zu werden. Gerade einmal zwölf Monate ist es her, dass er den für seinen Charme und sein Charisma bekannten Platzeck beerbte. Dass der Wechsel zu dem eher spröden Nachfolger so glattgehen würde, glaubte damals kaum einer.

Startschwierigkeiten: Warum Woidke erst nicht Ministerpräsident werden wollte

Oft unterschätzt. Als Innenminister hatte Dietmar Woidke eine Härte demonstriert, die ihm viele vorher gar nicht zugetraut hatten.
Oft unterschätzt. Als Innenminister hatte Dietmar Woidke eine Härte demonstriert, die ihm viele vorher gar nicht zugetraut hatten.

© p-a/dpa

Woidke selbst hat gelitten, als er plötzlich Ministerpräsident werden musste, nicht mehr Innenminister sein durfte, ein Amt, in dem er zuvor drei Jahre lang aufgegangen war. Unvergessen sein Auftritt im vergangenen Sommer, noch im alten Landtag auf dem Brauhausberg, Fraktionssaal 324. Wie er da mit Grabesmiene neben dem von einem Schlaganfall geschwächten Platzeck saß, bis der ihm fröhlich zugluckste: „Hey, ich lebe noch.“

Es hat tatsächlich eine Weile gedauert, drei, vier Monate, bis er das Gefühl hatte, im neuen Amt angekommen zu sein. „Bis ich mich nicht mehr nach Matthias Platzeck umgedreht habe, wenn der Ministerpräsident angekündigt wurde“, wie er selbst sagte, nur halb im Scherz. Langsam fand er aber erkennbar Spaß daran, dieses Land zu regieren. Was offenbar gar nicht so schwierig ist.

Woidke jedenfalls hat Platzecks Politik erst mal einfach nur fortgesetzt, im Kabinett tauschte er keinen einzigen Minister aus. Von der Pannenbaustelle, die mal ein Flughafen werden soll, hielt er sich fern. Erst recht, nachdem ihm Klaus Wowereit beim Nachtflugverbot eine Abfuhr erteilt hatte. Unerwartet kam das nicht, überrascht war Woidke von der Härte. Es war seine erste Niederlage im neuen Amt und für ihn eine Lektion, dass man von Berliner Politik kein Verständnis für Brandenburger Nöte erwarten kann. Eine Erfahrung, die nachwirken wird.

Die Monate, die folgten, waren ziemlich ungemütlich für die SPD

Es folgten Monate, die für die SPD und damit für ihn ziemlich ungemütlich wurden. Die CDU siegte bei der Bundestagswahl im Oktober 2013, holte in Brandenburg neun von zehn Wahlkreisen. Für die Genossen ein Schock. Noch im Mai 2014, nicht einmal vier Monate ist es her, gewannen die Christdemokraten die Kommunalwahl. Aber es fiel auf, dass Woidke, fleißig und präsent, wie er ist, immer beliebter wurde. Seinem Kontrahenten Michael Schierack von der CDU, dem netten Arzt vom Lande, in Forst geboren wie er, begann er in den Umfragen zu enteilen. Schon da war zu spüren, dass die Brandenburger, wie immer schon, auf Sicheres, Vertrautes setzen. Und dass es deshalb gar kein Widerspruch ist, dass sie erst Angela Merkel wählen und dann Dietmar Woidke.

Den Sommer über zog er bei „Strohballenfesten“ von Dorf zu Dorf. Tausende kamen. Und er wunderte sich, wo Schierack blieb, warum ihn der Herausforderer nicht herausforderte, ihm das Feld allein überließ. Dem Mann, den kurz vor der Wahl aber immer noch kaum einer kennt.

Peter Fox singt, und Woidke nickt zufrieden

Man hat es Woidke nicht zugetraut, doch wer ihn an diesem Morgen im Tonstudio beobachtet, ahnt, dass sich der ewig Unterschätzte einiges vorgenommen hat. „Doch die Welt vor mir ist für mich gemacht. Ich weiß sie wartet und ich hol sie ab“, singt Peter Fox im Radio, und Woidke nickt zufrieden.

Denn es ist auch vieles liegen geblieben unter dem beliebten Platzeck, der in den letzten Jahren schon wie ein Präsident regierte, „sehr auf Symbolik, auf Effekte, kurzfristige Erfolgsmeldungen und Stimmungen achtete“, wie einer aus der Koalition sagt. Woidke führe die Regierung anders, verbindlicher, systematischer, lege Wert auf Details, wolle viel wissen. Die Strategieabsprachen finden jetzt nicht mehr abends bei Rotwein statt, sondern mittags im Büro.

Ohne Sentimentalitäten: Regieren nach dem Leistungsprinzip

Oft unterschätzt. Als Innenminister hatte Dietmar Woidke eine Härte demonstriert, die ihm viele vorher gar nicht zugetraut hatten.
Oft unterschätzt. Als Innenminister hatte Dietmar Woidke eine Härte demonstriert, die ihm viele vorher gar nicht zugetraut hatten.

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Neulich war Woidke in Perleberg, trat auf einer der traditionellen SPD-Wahlversammlungen auf, die an den Unterricht in einer Volkshochschule erinnern. Vorn Lehrer Woidke. Als die Stunde im Hotel „Deutscher Kaiser“ vorbei war, drängelte sich ein junger Mann zu ihm durch, erkundigte sich besorgt, ob womöglich eine Kreisreform komme und seine Verwaltung dann nach Neuruppin verlegt werde. Woidke hätte ausweichen können. Populär ist das Thema nicht. Doch er antwortete ehrlich: „Verwaltung ist nicht für sich da, sondern für die Leute. Der Status, ob einer Oberbürgermeister oder Unterbürgermeister ist, ist da völlig egal.“

Vorher hatte Woidke Cremer Oleo besucht, eine Chemiefabrik gleich neben dem neuen Elbhafen in Wittenberge. Aus Pflanzenölen werden hier Reinststoffe für die Kosmetik- und Pharmaindustrie hergestellt. Interessiert ließ er sich durch die Hallen führen, immerhin hatte er ja früher selbst einmal geforscht in einer bayerischen Futtermittelfirma. „Ich mixe Ihnen ein Legehennenfutter, so dass die Hühner drei Eier legen“, juxte er.

Später auf dem Dach, Blick über die Elbauen, wurde er ernst, erkundigte sich nach den Strompreisen, sein Thema. „Geht gerade noch so.“ Und er bekam wieder einmal zu hören, wie schwer es sei, „Azubis zu finden und zu halten“. Fachkräfte sind rar in Brandenburg, aber von ihnen hängt ab, ob das Land seinen bescheidenen Aufschwung fortsetzen kann.

In die SPD trat er wegen Helmut Schmidt ein

Woidke, der Helmut Schmidt für seine Macherart bewundert und wegen dem er überhaupt erst in die SPD eingetreten ist, wird bald seine erste eigene Regierung aufstellen, Minister ernennen. Er hat nicht vergessen, wie chaotisch es war, als das letzte Kabinett gebildet wurde, nach der Wahl 2009, den Spott, die Ernüchterung. Und zwar nicht nur wegen des Aufruhrs, weil Platzeck mit den Linken koalierte. Die Personalentscheidungen, die unglücklichen Zuschnitte der Ministerien, Umwelt und Gesundheit, Landwirtschaft und Bauen, verstand kein Mensch, nicht einmal in der eigenen Partei. Für Woidke kam erst mal ein Karriereknick. Er verlor seinen Posten als Agrarminister und gehörte zwei Jahre nicht zur Regierung. Proporzgründe, angeblich. Seine nächste Chance kam 2011 mit dem Rücktritt von Rainer Speer. Den beerbte er als Innenminister.

Dass er es jetzt besser machen will, dass er weiß, was nötig ist, hat er vor kurzem bereits signalisiert. Auf seine Art. „Ich kann mich an kein Kabinett erinnern, das nach einer Landtagswahl dasselbe gewesen ist wie vorher.“ So denkt Woidke. Und deutet man die Signale aus seinem Umfeld richtig, werden sich einige warm anziehen müssen. Der alte, neue Regierungschef will mehr Wert legen aufs Leistungsprinzip, bei ihm kommen Kandidaten ins Spiel, die vorher kaum eine Chance gehabt hätten, nur weil sie nicht mit den richtigen Leuten vernetzt waren. So wie er früher.

Es gibt sie noch, die Skeptiker, die sich daran erinnern, dass er einst als Agrar- und Umweltminister das Haus nicht in den Griff bekam, die Forstreform vergeigte, Genossen, die zweifeln, ob der „liebe Dietmar“ die nötige Härte hat. Die bewies er aber zumindest als Innenminister, der gegen alle Widerstände die Stasi-Überprüfung bei den Polizeibeamten durchsetzte, das Stasi-Unterlagengesetz ändern ließ, einige als frühere Spitzel enttarnte Spitzenbeamte feuerte, alles keine Selbstverständlichkeit in einer rot-roten Regierung.

Viele gehen fest davon aus, dass Dietmar Woidke nach seinem Wahlsieg mit den Linken weiterregieren wird. Weil er gesagt hat, nach den rot-roten Erfahrungen gebe es ja „keinen Grund, die Pferde zu wechseln“. Obwohl er damals gegen das Bündnis war, kann er inzwischen gut mit den meisten Linken am Kabinettstisch.

Vielleicht wird er wieder alle überraschen

Aber vielleicht wird er wieder alle überraschen. „Ich bin nicht festgelegt“, betont er in diesen Tagen, was man ihm abnehmen kann, aber nicht muss. Als Regierungschef braucht Woidke vor allem stabile Mehrheiten im Landtag. Deshalb will er erst einmal abwarten, wie Linke und Union am Wahlabend abschneiden.

Und noch etwas gibt es, das Woidke bremsen könnte. Gernot Schmidt, SPD- Landrat in Märkisch-Oderland, der früher mal mit ihm im Landtag saß, im Kreis selbst lange mit den Linken koalierte, beschreibt das so: „Es gibt ein Unbehagen, ja so etwas wie eine unterschwellige Grundstimmung in der Bevölkerung gegen eine Koalition mit den Linken.“ Vor allem im ländlichen Brandenburg, das Woidke prägte und prägt, wo die Leute am konservativsten und die Linken am schwächsten sind.

Das alles wird Dietmar Woidke abwägen, brandenburgisch-nüchtern, ohne Sentimentalitäten, wie immer. Wenn er sich dann aber festgelegt hat, so oder so, dann wird ihn niemand umstimmen können. „Ich lehne mich zurück. Und guck ins tiefe Blau“, singt Peter Fox. „Und lauf einfach geradeaus.“

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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