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Rekordspieler: Mehr als 100 Mal kickte Lukas Podolski schon für Deutschland – demnächst wieder bei der WM in Brasilien.

© Ottmar Winter

Lukas Podolski im Porträt: Ein Leben mit der Prinzenrolle

Kindskopf, Sprücheklopfer, Ausnahmetalent: All das ist Lukas Podolski. Doch wer in ihm nur den Clown sieht, verkennt ihn. Seit genau zehn Jahren spielt er für Deutschland. Am Mittwoch wird er 29 Jahre alt.

Es gibt auch traurige Geschichten im Leben von Lukas Podolski, wenngleich sie kaum jemand kennt. Wie die von seinem Opa Josef, der eines Tages verschwand mit seinem Fahrrad, nach einer Grillparty in Bergheim bei Köln. Immer war er da gewesen für seinen Enkel Lukas, hatte nach dem Kindergarten auf ihn aufgepasst, mit ihm gespielt. Gemütlich, entspannt, nie streng – so erinnert sich Lukas Podolski an ihn. Doch dann war er plötzlich weg, der Opa, einfach nicht mehr da. Erst Tage später entdeckte ihn eine Suchmannschaft, er lag tot in der Erft.

Die Geschichte mit Oma Helene ist dagegen berühmt geworden, sie ist ja auch lustig, typisch Poldi. Wie denn seine Großmutter heißt, wollte ein Reporter von dem jungen, deutschen Nationalspieler polnischer Herkunft wissen. Der überlegt kurz, ist ja auch eine komische Frage, und sagt dann, in fröhlich-rheinischen Singsang: Isch sach immer Omma!

Schon vor der WM 2006 haben ihn alle geliebt

Damals, noch vor der Weltmeisterschaft 2006, haben ihn fast alle geliebt, wegen seiner frischen Unbekümmertheit, mit der er die Bälle ins Tor drosch, und für seinen unfreiwillig wirkenden Witz, der das sonst so quälende Nachspiel vor den Kameras zur freudigen Verlängerung machte. Der Kontrast war aber auch einfach zu krass. Marcel Koller, damals Trainer des 1. FC Köln, hatte ihn direkt aus der A-Jugend in die absteigende, schlecht gelaunte Bundesligamannschaft geholt, mit achtzehn Jahren. Sein Debüt in Liga eins im November 2003 ging gleich verloren, 0:2 gegen den HSV, aber die Leute feierten ihn und sangen: Außer Poldi könnt ihr alle gehen! Schon bald darauf jubelten die Fans ihren Hoffnungsträger auch dem Bundestrainer unter, und so landete Podolski als Verheißung auf bessere Zeiten in der rumpelfüßigen Scheißdreckkäsemist-Mannschaft von Rudi Völler, die bei der Europameisterschaft in Portugal 2004 nicht einmal die Vorrunde überstand.

Prinz Poldis Sommermärchen

Bereit für den World Cup. Schon als kleiner Junge war Lukas Podolski auf dem Bolzplatz zu Hause.
Bereit für den World Cup. Schon als kleiner Junge war Lukas Podolski auf dem Bolzplatz zu Hause.

© Gabriel Verlag

Da ist er bis heute geblieben, in der Nationalmannschaft, wenngleich alles etwas anders kam als damals gedacht und auch Podolski ein etwas anderer ist, als die Leute glauben. Aber wenn Joachim Löw an diesem Montag seine Mannschaft für die Weltmeisterschaft in Brasilien benennt, wird er wieder dabei sein, zum sechsten Mal bei einem großen Turnier: Lukas Podolski, geboren in Gliwice, 46 Tore für Deutschland, 17 Assists, mit 112 Einsätzen auf Platz drei der Rekordnationalspielerliste, nur Lothar Matthäus und Miroslav Klose spielten öfter. Dabei ist Podolski noch immer nicht dreißig – am Mittwoch feiert er seinen 29. Geburtstag. Und noch ein Ereignis steht für ihn an in der kommenden Woche: Am Freitag ist sein erster Länderspieleinsatz genau zehn Jahre her. Es lief die 76. Minute in einem Testspiel gegen Ungarn, damals trainiert von Lothar Matthäus, als Fredi Bobic für den Debütanten Platz machen musste, beim Spielstand von 0:2, und dabei blieb es dann auch. Spieler wie Wörns, Nowotny und Hamann standen da noch auf dem Platz, eine Fußballewigkeit ist das schon her. Aber auch Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger waren damals dabei. Etwas Neues, ganz anderes bahnte sich an. Zwei Jahre später war es so weit: Das Sommermärchen konnte beginnen, und Poldi spielte den Prinzen.

München, Köln, Arsenal

Seine zwei Tore wie im Rausch gegen Schweden, dann ganz cool beim Elfmeter gegen Argentinien, Lattenpech gegen Italien, zum Schluss nur noch Party in Berlin mit den Sportfreunden Stiller. Doch schon bald zeigt sich, wie schwer der Weg wird, auch für einen Prinzen, vielleicht gerade für ihn. Podolski wechselt nach München, geht zurück nach Köln, dann nach London, zu Arsenal. Und in jedem Jahr wird er hart kritisiert. Schon im Oktober 2006 fängt es an, Michael Ballack sagt: Er muss mehr arbeiten. 2007 ätzt Karl-Heinz Rummenigge: Wir haben mehr erwartet. 2008 Uli Hoeneß: Er muss aufhören, in der Ecke zu jammern. 2009 der Eklat. Wieder stichelt Ballack: Der muss noch viel lernen. Da schlägt Podolski zu, mitten im Spiel in Cardiff gegen Wales, eine Ohrfeige für den Kapitän. 2010 sagt Torwarttrainer Uli Stein, Podolski ist der faulste aller Spieler, und selbst der ihm treue Joachim Löw fordert ihn auf, mehr zu tun. Die Experten sind sich einige: Podolskis Defensivverhalten ist eine Katastrophe. 2011 Jürgen Klopp: Zu unkonstant, ruft sein Können nicht ab, zu teuer. 2012 das schlimme Spiel gegen Italien in Warschau, Podolski irrt im Niemandsland auf dem Spielfeld herum. In England gilt er nach der Ligapokalpleite von Arsenal gegen den Viertligisten Bradford als Fehlkauf, sein Trainer Arsène Wenger zeigt sich enttäuscht. 2013 konstatiert Oliver Bierhoff einen Stillstand in der Entwicklung. In fremden Stadien pfeifen die Leute jetzt oft, wenn er spielt. Anfang 2014 ist in London zu hören, Podolski sei zu verkaufen. Doch am Ende der Saison gewinnt Arsenal mit ihm den FA-Cup, den ersten Titel nach neun Jahren.

Mehr als vier Millionen Facebook-Freunde hat er

Und Podolski zeigt der Welt, wie er sich freut über diesen Pokal, ausgelassen, kindisch. 800 000 Follower hat er bei Instagram, 1,3 Millionen bei Twitter, 4,4 Millionen Fans bei Facebook. Er postet Selfies vom Sieg und der Parade durch Islington auf allen Kanälen. Am Ende, als alle erschöpft sind vom Feiern und Trinken, fotografiert er noch seine Kollegen, wie sie im Mannschaftsbus schlafen, und stellt sie bei Instagram bloß. Ein echter Poldi. Aber eben doch nicht der ganze.

Spaßvogel und Seelsorger

Lukas Podolski ist bekannt für seine Späße: vertauschte Schlüsselkarten, lustige Filme, immer breit grinsend, Daumen hoch, gerne auch mal auf eigene Kosten. Sein Sprüche werden gesammelt: Es geht nicht um System-Fußball oder einen anderen Scheißdreck. Jetzt müssen wir die Köpfe hochkrempeln, und die Ärmel natürlich auch. So ist Fußball, manchmal gewinnt der Bessere. Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel. Fußball ist einfach: Rein das Ding und ab nach Hause.

Es hat nicht lange gedauert, da lachte auch England mit. Grandios der Sprachunterricht, die Arsenal-Legende Ray Parlour bringt ihm nicht etwa Englisch bei, sondern Cockney, den Arbeiterslang – mit Erfolg. Großes Hallo auch, als Fans ihn im 268er Doppeldeckerbus auf der Fahrt zum Pizza-Laden entdecken – es gab dort keinen Parkplatz für seinen Wagen. Poldis Sprachmarotte, ständig „aha“ zu grunzen, wird auf der Insel zum Youtube-Hit und als Hashtag zum Twitter-Renner, die „Sun“ regte die Umbenennung des Vereins in Aharsenal an.

Er ist einer der wenigen, die den Bundestrainer duzen dürfen

Aber wer in Podolski nur den Spaßvogel sieht, erkennt nicht den Menschen dahinter – sagt Joachim Löw. Podolski ist einer der wenigen, die den Bundestrainer duzen dürfen, und der zeigt sich als „großer Fan des Menschen Lukas Podolski“. So schreibt es Löw im Vorwort für Podolskis Buch „Dranbleiben!“, das eine Mischung ist aus Biografie und Projektpräsentation. Podolski, so Löw, ist viel mehr als nur der Spaßvogel, der für gute Laune sorgt. Er ist Botschafter des Kinder- und Jugendhilfswerks Arche, dem auch die Einnahmen aus seinem Buch zufließen. Er hat eine Stiftung für Sport und Bildung gegründet. Er packt schon mal, wenn der Seelsorger aus einem Hospiz anruft, Spielzeug in den Kofferraum und verbringt ein paar Stunden mit todkranken Kindern. Er besucht mit seinem Sohn Louis Kinder aus sozial schwachen Familien und kauft ihnen bei Bedarf ein Bett. Er kümmert sich um Vereine in Warschau, Gliwice und Bergheim. Er versteigert Trikots und Schuhe bei United Charity. Mit Per Mertesacker hat er im vergangenen Jahr Freunde wie Michael Schumacher, Felix Sturm, Nazan Eckes, Eva Padberg, Oliver Pocher und Elton zu einem Benefizspiel für Kinder im Stadion von Viktoria in Köln zusammengerufen, achttausend Zuschauer wollten das sehen.

Alle Wege führen nach Köln

Lukas Podolski war zwei Jahre alt, als seine Eltern mit ihm Gliwice verließen und nach Deutschland zogen, zu Opa Josef und Oma Helene. Auch die waren in Gliwice geboren, das damals noch Gleiwitz hieß. Nach dem Krieg mussten sie Polnisch lernen, ihr Sohn Waldemar, Vater von Lukas, schaffte es bis in die erste polnische Liga. Jetzt war die Familie wieder beisammen, in Bergheim bei Köln. Podolski erinnert sich an beschützte Stunden mit Opa und Oma und harte Zeiten auf der Straße. In der Schule tut er sich schwer, zu Hause wird polnisch gesprochen, aber auf dem Bolzplatz setzt Lukas sich durch, auch gegen Ältere, Marokkaner, Albaner, Tunesier und Türken zumeist. Hier lernt er Nassim Touihri kennen, bis heute sein bester Freund, Trauzeuge, Taufpate von Louis und seit einiger Zeit auch sein Berater. Touihri war, wie Podolski, ein begabter Spieler, Bayer Leverkusen wollte ihn in die Jugendabteilung holen. Doch Touihris Eltern lehnten ab, sie konnten ihren Sohn nicht immer zum Training fahren. Waldemar Podolski dagegen nahm die Fußballvätertortur auf sich, als ehemaliger Spieler erkannte er das Potenzial seines Sohnes – und diesen einfach unglaublich starken linken Fuß.

Mit zehn Jahren werden er uns sein linker Fuß entdeckt

1994, Lukas ist zehn Jahre alt, entdeckt diesen linken Fuß dann auch Ralf Krutwig, Talentscout beim 1. FC Köln, später bei Bayern München. Auch andere Vereine sind an ihm dran, die Ajax-Schule lockt. Doch der FC-Fan Podolski will nur zum FC. Drei Jungs mit dem Namen Lukas gibt es in der D-Jugend in Köln, so nennen sie den kleinen Polen aus Bergheim einfach den Poldi, und dabei bleibt es, bis heute, für alle.

Der FC war Podolskis Traum und ist es geblieben. Bis heute sagt er „mein Verein“, wenn vom FC die Rede ist, „mein Stadion“, wenn es um Müngersdorf geht. Zum Einstand bei Arsenal sang er „Viva Colonia“, das Stadtwappen hat er sich auf den Arm tätowiert. Seine Frau Monika ist mit dem Sohn hiergeblieben, und irgendwann will auch Podolski nach Köln zurück. Die Leute hier lieben ihn, sie haben ihm seinen Wechsel nach München nicht übel genommen und auch nicht den nach London. Nicht einmal, dass er nie Alkohol trinkt, nicht einmal Kölsch, auch nicht im Karneval, kann die Begeisterung bremsen. Er ist mittendrin. Aber nur ein paar Menschen kommen wirklich nah an ihn heran. Willi Breuer zum Beispiel, sein C-Jugend-Trainer, heute im Vorstand der Lukas-Podolski-Stiftung; lange auch sein früherer Berater Kon Schramm, der an Podolski schätzte, dass der zu Beginn seiner Karriere nicht als Erstes Autogrammkarten verlangte, nicht gleich einen dicken Sportwagen fuhr und nicht am liebsten mit dem Hubschrauber zum Training geflogen wäre nach durchzechter Nacht mit zwei blonden Mädchen im Arm, wie so manch anderer junge Profi. Podolski kaufte vom ersten Gehalt ein Auto für seinen Vater, ein Audi, blau, gebraucht. Sein Sohn findet Dortmund gut, also sammelt er Trikots vom BVB. Mit Monika, auch sie stammt aus Polen, ist er seit Jugendtagen zusammen. Ehrlich, geradlinig, bodenständig, treu, so wirkt eigentlich alles, was er macht. Als er hört, dass die C-Jugend des FC ihren Aufstieg bei McDonald’s feiert, fährt er hin und spendiert ein paar Burger. Lukas Podolski gehört zu den Menschen, die man gerne unterstützt, sagt Joachim Löw.

Was aus ihm noch mal wird? Für einen Stürmer kommt er langsam ins kritische Alter, zudem herrscht vorne links im Nationalteam inzwischen reichlich Gedrängel. Anderes ist ihm zu theoretisch. Atletico Madrid hatte ihn haben wollen, auch Juventus Turin, sein Marktwert wird auf 23 Millionen geschätzt. Für eine Rückkehr nach Köln ist es noch zu früh.

Der Text erschien auf der Dritten Seite.

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