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Durch den abgesagten Parteitag sieht Lucke sich im Führungsstreit im Vorteil. Doch auch Frauke Petry erhebt Anspruch auf diese Position.

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Machtkampf in der AfD: Ist Frauke Petry die Alternative?

Lange schien die Arbeitsteilung klar zu sein: Bernd Lucke gibt den kundigen Professor, Frauke Petry streichelt die Gefühle der Partei. Das hat ihr viele Anhänger gebracht. Seitdem ist in der AfD ein Krieg um die Macht entbrannt. Ein Scheidungskrieg.

Frauke Petry schießt mit ihrem Van aus der Landtagstiefgarage in Dresden, biegt nach links, eine Hand am Steuer. An diesem Abend verzichtet sie auf einen Chauffeur. Sie hat gern die Kontrolle. Petry hält an und bittet einzusteigen. Erst auf den zweiten Blick sieht man, dass sie wohl wenig geschlafen hat.

Es ist der Tag, nach dem die Alternative für Deutschland (AfD) ihren Bundesparteitag in Kassel abgesagt hat. In den Zeitungen steht, dass die Absage vermutlich Bernd Lucke nutzt. Mit ihm konkurriert Petry seit Wochen um die alleinige Führung der Partei, die mal als Euro-kritisch, mal als rechtspopulistisch gilt. Die Entscheidung soll jetzt bei einem Basisparteitag im Juli in Essen fallen. In Kassel hätten Delegierte gewählt, eine Mehrheit für Petry schien dort sicher zu sein. Die Mitglieder vermutet Lucke eher auf seiner Seite zu haben. Der Machtkampf in der AfD geht in die Verlängerung.

Dass der Parteitag abgesagt wurde, kann sie nicht nachvollziehen

Petry macht den Beifahrersitz frei, stellt das Navi ein, gibt Gas. Am Steuer des großen Autos wirkt sie noch zierlicher als sonst. „Tanken müssen wir noch, ich hoffe, das stört Sie nicht.“ Sie ist viel unterwegs in diesen Tagen. Nach Freital soll es gehen, in eine Kleinstadt vor den Toren Dresdens. Petry macht dort Bürgermeisterwahlkampf für den örtlichen AfD-Kandidaten. Sie ist spät dran, den ganzen Nachmittag über hat sie telefoniert, Krisenkommunikation betrieben.

Hat Luckes Manöver ihr geschadet? Sie lächelt. „Ich habe gelernt, mich in der Politik nicht über alles aufzuregen.“ Dass der Bundesparteitag aus juristischen Gründen abgesagt wurde, das könne sie nicht nachvollziehen. Vertreter des Lucke-Lagers hatten behauptet, bei Delegiertenwahlen in NRW habe es Satzungsverstöße gegeben. Nach einem langen Abstimmungstag soll eine Handvoll Mitglieder die Delegiertenliste spätnachts unter sich ausgemacht haben. Den Parteitag hatte Petry geleitet, sie bestreitet, dass es Unregelmäßigkeiten gab, vermutet eine politische Intrige. Niedergeschlagen wirkt Frauke Petry nicht. Man müsse die Dinge eben so nehmen, wie sie kommen. Heißt auch: Co-Chef Bernd Lucke nehmen, wie er ist.

Lange war Bernd Lucke die unangefochtene Nummer eins an der Spitze der AfD.
Lange war Bernd Lucke die unangefochtene Nummer eins an der Spitze der AfD.

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Eine Stunde vor Petrys Abfahrt hatten zwei Referenten der sächsischen AfD- Fraktion noch feixend vor ihren Landtagscomputern gesessen. „Kennen Sie das schon?“, hatte einer grinsend gefragt und auf seinen Monitor gezeigt. Ein ZDF- Team hatte am Vortag im EU-Parlament in Brüssel gedreht, wo Lucke als Abgeordneter arbeitet und Petry Gespräche geführt hatte. Jetzt kursiert ein Ausschnitt im Internet. „So frostig geht es in der AfD-Spitze zu“, lautet eine Überschrift. „Das sagt doch alles über Lucke aus“, meint einer aus Petrys Team.

Der Mitarbeiter startet den kurzen Film, auf dem Bildschirm spielt sich folgende Szene ab: In einem Gang des Parlaments trifft Lucke auf Petry. Er grüßt sie nicht, sagt bloß: „Na, was machst du denn hier?“ Petry hält die Arme hinter ihrem Rücken verschränkt, ringt sich ein Lächeln ab: „Na, was ich in Brüssel immer mache: arbeiten.“ Lucke: „Ich hatte gehört, du wolltest heute Morgen abreisen.“ Petry: „Tja.“ Lucke: „Tja.“ Lucke dreht sich weg, geht weiter, die Kamera hält noch ein paar Sekunden auf Petry. Sie bleibt stumm. Ihr Blick soll wohl bedeuten: Was soll man da noch machen?

Eigentlich braucht die Partei sowohl Lucke als auch Petry

Einer aus der Parteispitze sagt, die AfD brauche eigentlich beide, Lucke wie Petry. Die Basis verstehe den Bruch nicht, wünsche sich eine Versöhnung, doch es sei so wie bei einer „Ehe im scheidungsreifen Zustand“. Offiziell führen Lucke und Petry seit zwei Jahren die Partei, in einem Dreiergespann mit Konrad Adam, einem pensionierten Zeitungsjournalisten, der als griesgrämig gilt. Zwar scheiterte die AfD knapp bei der Bundestagswahl. Bei Europa- und Landtagswahlen aber erlebte sie Erfolge, wurde zum Schreck der von der AfD so bezeichneten „Altparteien“.

Lange schien die Arbeitsteilung klar zu sein: Lucke war die unbestrittene Nummer eins, gab den empörten und fachkundigen Professor. Petry begnügte sich mit der Rolle als faktische Stellvertreterin. Doch sie hat sich verändert. Ihre Haare wurden kürzer, ihre Kleidung moderner, ihre Auftritte geschliffener. Sie streichelte die Seele der Partei, sammelte all jene hinter sich, die sich von Luckes arrogantem Umgang gedemütigt fühlten. Sie antwortet schnell, gibt sich verbindlich, ruft Journalisten zurück – was bei Professor Lucke nicht selbstverständlich ist.

Eine Partei könne man nicht führen wie einen Lehrstuhl, sagt Petry, als sie den Tank öffnet. Das sei so wie in der Kirchengemeinde ihres Mannes, der Pfarrer bei Leipzig ist. Da kämen die Menschen ja auch freiwillig und könnten zu nichts gezwungen werden.

Petry hat sich verändert seit 2013. Ihre Haare wurde kürzer, ihre Kleidung moderner, ihre Sprache geschliffener.
Petry hat sich verändert seit 2013. Ihre Haare wurde kürzer, ihre Kleidung moderner, ihre Sprache geschliffener.

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Petry eilt der Ruf voraus, dass ihr im Leben vieles gelingt. 40 ist sie gerade geworden. Abitur mit 1,1, Stipendiatin der elitären Studienstiftung des deutschen Volkes, Chemie-Studium in England, Promotion in Göttingen, vier Kinder, Bundesverdienstorden mit 37 für ihre Leistung als Unternehmerin. Allein: Mit ihrer Firma, die einen Kunststoff nach dem Patent von Petrys Mutter herstellte, musste sie zu Beginn ihrer AfD-Karriere Insolvenz anmelden. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Insolvenzverschleppung. Politisch geschadet hat ihr das nicht. In den Augen vieler AfD-Mitglieder hat das die Überfliegerin Petry eher menschlicher gemacht.

Es ist eine Wahrnehmung, die sie für sich zu nutzen weiß: Hier die lebenskluge junge Frau, die mit Menschen umzugehen weiß. In der DDR geboren, im Westen groß geworden, mit konservativen aber auch modernen Ansichten, zum Beispiel was den Ausbau von Kitas betrifft. Dort der verstockte Professor aus Hamburg, ein Zahlenmensch, der für die Gefühle anderer kein Sensorium hat. Und der auch Sarkasmus nicht versteht. Wenn Petry über Lucke spricht, dann klingt es so, als redete eine Kindergärtnerin über einen etwas verhaltensgestörten Jungen. „Ach ja, der Bernd“, sagt sie dann.

„Frauke war eine wirklich gute Schülerin“, sagt Heinrich Peuckmann, Petrys ehemaliger Lehrer aus dem nordrhein-westfälischen Bergkamen. Petry kam 1990 dorthin, aus Schwarzheide in Brandenburg. Ihr Vater hatte sich Mitte 1989 bei einem Verwandtenbesuch in den Westen abgesetzt, unklar war, wann der Rest der Familie ihn wieder sehen würde. Dann fiel die Mauer, Petry war 14, als sie plötzlich in einer komplett anderen Umgebung landete. „Sie hat sich gut integriert und war auch beliebt. Als Streberin galt sie meines Wissens nicht“, sagt Peuckmann, der auch als Schriftsteller arbeitet.

Sie wollte nicht zurück in den Osten, nun ist sie dort ein Star

Petry erinnert sich gerne an die Zeit in Bergkamen zurück. Dort habe sie allerdings die Erfahrung gemacht, dass auch der Westen längst nicht so freigeistig sei, wie sie sich das vorgestellt hatte. Ihre Distanz zu den etablierten Parteien führt sie heute darauf zurück. In NRW habe man in der SPD sein müssen, um etwas bewegen zu können. Dass Petry in der AfD gelandet sei, dafür hat Peuckmann keine Erklärung. Gut findet er es nicht. Doch grüßen solle man sie schön.

Nach einer Dreiviertelstunde ist Petry mit ihrem Van in Freital angekommen. Die vielen Einfamilienhäuser sind herausgeputzt, an DDR erinnert kaum noch etwas. In den ostdeutschen Landtagswahlkämpfen 2014 hatte die AfD bewusst Ostalgie-Gefühle bedient, Familienkredite nach DDR-Vorbild gefordert. Dabei fand Petry es zunächst schrecklich, aus dem Westen nach Ostdeutschland zurückzuziehen. Vor knapp zehn Jahren war das, als ihr Mann eine Pfarrstelle in Sachsen bekam. Bei den ostdeutschen AfD-Anhängern ist sie nun der Star.

Die AfD-Fraktion wurde zur faulsten in Sachsen gekürt

Zu Petrys Begrüßung hat die örtliche AfD-Führung sich vor dem Versammlungsort postiert, dem Seitentrakt eines hübschen Schlosses an den Hängen des Weißeritztals. Schön sei, dass „unsere Fraugge“ trotz des Streits mit Lucke Zeit gefunden habe, sagt der Bürgermeisterkandidat. Rund 80 Menschen sind gekommen. Auf der Homepage der AfD Freital wird nicht nur für Petrys Auftritt geworben. Auch ein „Asylstammtisch“ wird angekündigt, den zwei örtliche AfD-Abgeordnete veranstalten. Nein, das Asylthema sei gar nicht so dominierend bei ihren Veranstaltungen, hatte Petry noch auf der Fahrt hierher gesagt. Links und rechts rauschten da NPD-Plakate vorbei. Bei ihren letzten Terminen habe es dazu allenfalls eine Frage gegeben.

Frauke Petry ist viel unterwegs dieser Tage - als Wahlkampfhelferin.
Frauke Petry ist viel unterwegs dieser Tage - als Wahlkampfhelferin.

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Dann steht Frauke Petry da, in Jeans, AfD-blauer Bluse, dunklem Blazer und redet eine Stunde lang. Über parlamentarische Anfragen, den Doppelhaushalt und darüber, dass es sie sehr getroffen habe, als die AfD-Fraktion kürzlich zur faulsten aller Landtagsfraktionen in Sachsen gekürt wurde. Im Zweifel rufe man lieber einmal in den Ministerien an, statt die Verwaltung ständig mit schriftlichen Fragen zu nerven, sagt sie. Keine Fundamentalopposition wolle sie betreiben, sondern irgendwann mitregieren. Am Nachmittag, in den Büros der Fraktion, hatte einer von Petrys Mitarbeitern noch stolz eine solche schriftliche Anfrage präsentiert. Die Landesregierung solle endlich darlegen, wie groß der Fachkräftemangel tatsächlich sei: „Da geht es nämlich um Einwanderung“, sagte er. Kurz danach verschickte er eine Pressemitteilung, in der die AfD-Fraktion vor „Schwulunterricht“ an sächsischen Schulen warnt.

Ist Frauke Petry nur das nette Gesicht einer ressentimentgeladenen Partei? Anfang des Jahres hatte Petry in Dresden mit Vertretern von Pegida gesprochen. Sie finde das immer noch richtig, sagt sie, SPD-Chef Sigmar Gabriel habe das ja auch getan. Im Unterschied zu Gabriel allerdings sah Petry „inhaltliche Schnittmengen“ mit Pegida. Zumindest in Dresden hat Petrys Annäherungskurs der AfD nicht genützt. Eine größere Anzahl von Wählern entschied sich bei der OB-Wahl am Sonntag für das Original: Pegida-Kandidatin Tatjana Festerling, früher Mitglied der AfD in Hamburg, bekam mit 9,6 Prozent doppelt so viele Stimmen wie der Dresdner AfD-Kandidat.

Bei der Oberbürgermeisterwahl in Dresden bekam die Pegida-Kandidatin Tatjana Festerling fast doppelt so viele Stimmen wie der AfD-Kandidat.
Bei der Oberbürgermeisterwahl in Dresden bekam die Pegida-Kandidatin Tatjana Festerling fast doppelt so viele Stimmen wie der AfD-Kandidat.

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Als Petry in Freital über das „Zusammenspiel zwischen Landes- und Kommunalpolitik“ spricht, hört längst nicht jeder wirklich zu. An Fahrt gewinnt der Abend erst, als der Bürgermeisterkandidat um Fragen bittet. In der vorletzten Reihe meldet sich ein bulliger Mann um die 40 zu Wort, er sagt, er sei als Vertreter der „Bürgerinitiative Freital steht auf“ da. Er wolle wissen, wie die AfD es mit der Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern halte. Der Mann wird lauter, seine Stimme bebt. „Das muss doch ruck, zuck gehen, da können wir nicht ein, zwei Monate warten. Sofort.“ Seine Handfläche schiebt er nach vorne, über eine imaginäre Grenze hinweg. „Weg!“ Im Saal wird laut applaudiert, zum ersten Mal.

Frauke Petry verzieht das Gesicht. Sie holt Luft, umklammert ihr Mikrofon. „Ich nerve ja immer damit, dass ich sage, wir müssen da differenzieren. Aber ruck, zuck und weg, das geht eben nicht. Das sind Menschen, über die wir hier reden.“ Einer aus dem Publikum ruft dazwischen, sie rede doch wohl nur so, weil ein Journalist im Saal sei. Sie antwortet, das stimme nicht, das Recht auf Asyl sei „ ein hohes Zivilisationsgut“. Dann fordert sie ein Einwanderungsgesetz. Was genau darin stehen soll, das sagt sie nicht, nur dass es Regeln geben müsse für die Einwanderung nach Deutschland. Sie spricht von Balkan-Flüchtlingen, die sich gut in Deutschland integriert hätten. Da sei es doch gut gewesen, dass man diese nicht voreilig abgeschoben habe.

Asyl ist ein emotionales Thema in der Partei

Wieder meldet sich ein Mann zu Wort. „Integration ist ein Hasswort für mich“, sagt er. „Wir reden hier mit dem normalen Volk, da müssen wir nicht über Differenzierung reden, das ist doch alles Mist, was Sie hier sagen.“ Petry bleibt ruhig, sagt, dass sie an dem Begriff Integration nichts Falsches finden könne, dass auch die AfD einen „Bildungsauftrag“ habe und dass das „normale Volk“ aus ihrer Sicht durchaus differenzieren könne, zwischen Asylrecht und Einwanderung zum Beispiel. „Sie können ja gegen Einwanderung sein, ich bin jedenfalls dafür.“

Der Applaus am Ende fällt spärlich aus. Das gewohnte Erfolgsrezept der AfD – zumindest an diesem Abend greift Frauke Petry nicht darauf zurück: keine offene Fremdenfeindlichkeit zu zeigen, Ressentiments aber indirekt zu bedienen. Im September 2013 zum Beispiel hatte Bernd Lucke über Migranten als „eine Art sozialen Bodensatz“ gesprochen – „einen Bodensatz, der lebenslang in unseren Sozialsystemen verharrt“. Im aktuellen „Spiegel“ wirft er Petry vor, sie zeige zu wenig „Zivilcourage“ im Umgang mit rechtsextremen Mitgliedern. Deshalb sei sie als Parteichefin ungeeignet. In seinen zwei Jahren als AfD-Chef hat Lucke erfahren, welche Wucht der Vorwurf mangelnder Abgrenzung nach rechts hat. Jetzt setzt er ihn selbst als Waffe im Kampf gegen seine Konkurrentin ein.

Nach ihrem Auftritt in Freital sagt Frauke Petry, bei Veranstaltungen im Osten spiele das Thema Asyl emotional wohl doch eine größere Rolle. Fast klingt es wie eine Entschuldigung.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegel

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