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Dem offenen Zweikampf ist Markus Söder stets aus dem Weg gegangen.

© Peter Kneffel/dpa

Machtkampf in der CSU: Die Stunde des Markus Söder

Markus Söder singt ein Lied von Gemeinsamkeit und Geschlossenheit, Horst Seehofer hatte es auch schon angestimmt. Auf den wartet nach einem einzigartigen Machtkampf eine Entziehungskur.

Von Robert Birnbaum

Am 25. November genau um 11.37 Uhr war Markus Söder schlagartig verstummt. Der letzte Eintrag auf seinem Facebook-Konto zeigte zwei Fotos mit ernsten Herrschaften an Resopaltischen: „Klausurtagung unseres Bezirksvorstands“. Sein Twitter-Konto fror schon einen Tag früher ein. Zehn Tage und Nächte lang hat er die zappeligen Finger von der Tastatur gelassen. Selbst von dem gewichtigen Umstand, dass ihr Finanz- und Heimatminister zum „Ehren- Filser“ des geheimnisvollen Herrenclubs der Filser Buam ernannt worden ist und nunmehr einen schwarzen Hut mit einer großen weißen Feder tragen darf – selbst von dieser raren Auszeichnung erfuhr seine Gefolgschaft nur aus der Zeitung.

In diesem Moment, da die gewohnte Bilderflut ausblieb – kein guter Christenmensch Söder mehr als Kanzelprediger, kein Finanzminister bei der Übergabe von 144 Millionen Euro an strukturschwache Kommunen – da also wussten sie, dass es jetzt ernst wird in der CSU.

Am Montag um 10.37 Uhr läuft der Mitteilungskanal wieder an. Söder setzt einen Link zu einem Video der CSU-Landtagsfraktion, kommentarlos, aber das Video erklärt sich von selbst. An diesem Morgen hat Horst Seehofer den CSU-Abgeordneten im Münchner Maximilianeum mitgeteilt, dass er im nächsten Jahr nicht noch einmal als ihr Spitzenkandidat in die Landtagswahl ziehen will. „Die Fraktion ist aufgestanden und hat ihm stehend applaudiert", berichtet Fraktionschef Thomas Kreuzer, wobei an dieser Stelle offen bleiben muss, ob aus Respekt oder nicht doch mehr aus Erleichterung. Danach hat der Innenminister Joachim Herrmann mitgeteilt, dass er sich nicht um den Job bewerben will. Und dann hat Söder gesagt: „Ich bin bereit.“

So schlicht endet ein Machtkampf, der selbst für bayerisch-christsoziale Verhältnisse einzigartig war. Jahrelang hat Söder auf den richtigen Moment für diese drei Worte gewartet. Es gehört ja zu den Kuriositäten dieses Schattenduells, dass der 50-jährige Nürnberger seinen Anspruch bis dahin niemals offen angemeldet hatte.

Wer sich stellt, kann verlieren

Jeder wusste, dass er wollte. Es fehlte auch nie an anspielungsreichen Bildern, zuletzt das Gruppenfoto mit Jungunionisten, die Schilder mit dem Aufdruck „MP Söder“ reckten. Aber Söder ist dem offenen Zweikampf aus dem Weg gegangen. Wer sich stellt, kann verlieren.

Dabei hat Seehofer einiges unternommen, um den Verfolger aus der Deckung zu locken. Man denke nur an die legendäre Weihnachtsfeier der Landtagspresse im Jahr 2012. Normalerweise bleibt bei solchen Gelegenheiten vertraulich, was gesprochen wurde, aber Seehofer hatte seine Worte ausdrücklich frei gegeben, und so stand anderntags in allen Blättern, wie er über den Minister hergezogen war. „Vom Ehrgeiz zerfressen“ sei Söder, „charakterliche Schwächen“ habe der Mann, „zu viele Schmutzeleien“ verbreite er.

Zarter besaitete Charaktere hätten auf so etwas zornig reagiert oder enttäuscht. Söder hat die Lippen zusammengepresst und gewartet, bis kam, was kommen musste in einer Partei, die so viel von ihrer Geschlossenheit hermacht. Er bekam eine Einladung in die Staatskanzlei. Hinterher teilte Seehofers Regierungszentrale diplomatisch gewunden mit, dass „alle aufgeworfenen Fragen“ in einem „intensiven Gespräch“ ausgeräumt worden seien. Was man eben so sagt im Zuge von Waffenstillstandsverhandlungen.

Die Episode erzählt viel über beide Charaktere – über Seehofer, der persönliche Demütigungen nie vergibt und Söder immer hinter der Enthüllung vermutete, dass der CSU-Chef ein uneheliches Kind hat – wie über Söders Fähigkeiten im Zähnezusammenbeißen. Der Jüngere, das gestehen ihm selbst Gegner zu, ist zäh bis hin zur Selbstironie. Zum Karneval in Veitshöchheim geht Seehofer immer im Anzug und Joachim Herrmann immer als Sheriff. Söder flätzt sich schon mal als grüner Comicfilm-Oger Shrek auf seinen Stuhl. Zuletzt kam er mit seiner Frau als Homer und Marge Simpson.

Am Sonntagabend lächelt Horst Seehofer den Machtkampf zum letzten Mal weg. „Einmal müssen Sie noch schlafen, einmal!“ tröstet er die frierenden Journalisten vor dem Franz-Josef-Strauß-Haus. In der Parteizentrale im Norden Münchens trifft sich die engste CSU-Führung. Seehofer hat in dem Neubau ein schönes großes Parteichefzimmer direkt unter dem Dach und mit Aufzug. Das will er noch eine Weile behalten. Beim Parteitag in Nürnberg in zwei Wochen sollen sie ihn noch einmal wiederwählen. Aber der Preis dafür ist, dass er das andere Zimmer in der Staatskanzlei räumt.

Geschwätz von Gestern

Die Zeit der Winkelzüge ist vorbei. Kein halbes Jahr ist das her, dass er seine jahrealte Ankündigung, 2018 als Ministerpräsident aufzuhören, mit einem nonchalanten „das war ein Fehler“ widerspruchslos einkassieren konnte. Dann kam der 24. September. 38,8 Prozent bei einer Bundestagswahl sind für die absolute Staatspartei CSU eine Beleidigung. Seehofer hat noch kurz versucht, die Schuld in Berlin abzuladen, aber die Umfragen seither gehen weiter runter. Und es ist längst nicht mehr nur der alte Haudegen Peter Gauweiler, der sagt: Nicht trotz, sondern wegen Seehofer und seiner Doppelstrategie, die Flüchtlingskanzlerin zu verdammen und die Kanzlerkandidatin Angela Merkel zu lobpreisen.

Söder hat übrigens fast die gleiche Steilkurve genommen. Ohnehin gibt es nicht wenige in der CSU, die zwischen Seehofer und seinem designierten Nachfolger keinen nennenswerten Unterschied ausmachen wollen außer dem, dass der Söder noch wetterwendischer ist. Aber darauf kommt es jetzt nicht an. In der Politik ist das Geschwätz von Gestern dem Gesicht von Morgen schnell verziehen.

Am Montag also steht das Gesicht von Morgen vor der Stellwand der Fraktion und singt das Lied weiter, das Seehofer am Vorabend schon angestimmt hatte, das von der „legendären Gemeinsamkeit und Geschlossenheit“. Deshalb dankt Söder erst mal höchst ministerpräsidential jedem, der in Frage kommt, von Seehofer bis Kreuzer, der Fraktion sowieso für das einstimmig ihm ausgesprochene Vertrauen, außerdem Herrmann und Ilse Aigner, vor deren Entscheidungen er „großen Respekt“ habe.

Was Aigner angeht, gilt der Respekt der Entscheidung, sich ihm nicht in den Weg zu stellen. Seehofer hatte die Oberbayern-Chefin einst als Gegengewicht zum drängelnden Söder aus Berlin nach München zurückgeholt. Sie versichert später in jedes Mikrofon in Reichweite hinein, dass „erstens“ sie noch da sei und man zweitens jetzt „Gräben zuschütten“ müsse. Aigner zählt aber klar zu den Verlierern – nur mal versuchen anzutreten mit Ideen wie einer Basisbefragung ist in der unerbittlichen Machtpartei CSU schlimmer als gar nicht anzutreten.

Joachim Herrmann ist ebenfalls nicht angetreten. Dabei habe der wuchtige Minister sehr ernsthaft eine Kampfkandidatur erwogen, sagt einer aus dem engeren Parteizirkel, wenngleich er sie, anders als behauptet, auch in internen Runden nie erklärt habe. Doch weil der 61-Jährige das Gemüt eines Dampfschiffs hat – läuft langsam an, stampft dann jedoch durch alle Wellen –, hat er länger gebraucht.

Nach einem Gespräch mit Söder von Franke zu Franke verzichtet er und bietet an, als Innenminister in München zu bleiben. „Wer mich kennt, weiß, politisches Engagement bedeutet nicht persönliches Karrierestreben“, sagt Herrmann. Er gehört damit nicht zu den Verlierern. Dass einer im Interesse des inneren Friedens ins Glied zurücktritt, obwohl er eine solide Außenseiterchance gehabt hätte, ist in der sentimentalen Machtpartei CSU keine Schande.

Metamorphose zum Ministerpräsidenten

Ach, das Sentiment, das Gefühlige – man soll nicht unterschätzen, welche Rolle das spielt in der langen Erfolgsgeschichte der Christlich-Sozialen Union. Die Partei verdankte ihre Sonderstellung jahrzehntelang nicht nur dem Funktionsprinzip einer selbsterfüllenden Prophezeiung: Wer in Bayern politisch etwas bewegen wollte, musste in die CSU, weshalb die CSU die einzige blieb, die etwas bewegen konnte, weshalb jeder, der etwas bewegen ... und so weiter. Nein, sie ähnelt auch einem Fußballklub, dessen Fans nicht nur Drama und Tore erwarten, sondern Identifikation.

Drama war jetzt reichlich. Identifikation – schon weniger. Die Gleichung „CSU = Bayern“ geht nicht mehr ohne Rest auf. Die AfD zum Beispiel steht besser da als in jedem anderen westlichen Bundesland. Wenn die aktuelle Bayern-Umfrage zum Wahlergebnis würde, könnte der Ministerpräsident Söder mal noch grade so mit der FDP zusammen regieren; ein halber Punkt weniger, und in München drohen Jamaika-Verhältnisse. „Absolute Mehrheit“ klingt wie ein Lied aus uralten Tagen.

Vor diesem Hintergrund bekommt der lange, ernste, doppelte Händedruck der neuen Doppelspitze Seehofer-Söder zu Beginn der Parteivorstandssitzung schon wieder etwas Berechnendes. Nur die Umarmung, mit der Landtagspräsidentin Barbara Stamm den Horst so innig begrüßt, dass ihre Brille Schaden nimmt, kommt wohl aus tiefem Herzen. Stamm sollte zusammen mit den Ehrenvorsitzenden Edmund Stoiber und Theo Waigel zur Geburtshelferin der neuen Eintracht werden. Aber Seehofers „Ältestenrat“ kam gar nicht mehr zum Einsatz. Es reichte die Erkenntnis, die der Parteichef später vor der Presse auf den Satz bringt: „Sie gewinnen mit Vergangenheit keine Wahl.“ Oder auch die andere Erkenntnis, die Söder am Morgen in einem halb fertigen Satzgebilde von unfreiwilliger Komik stehen ließ: „Das Paradoxe ist ja: Bayern ist ein super Land.“

Das Paradox soll er auflösen, zu seinen Gunsten und denen seiner Partei. „Er muss eine Metamorphose zum Ministerpräsidenten versuchen“, sagt ein Vorstandsmitglied. Darin klingt leise Skepsis durch. Sicher, Söder hat lange und ernsthaft an seiner Basis im Land gearbeitet. Aber der Twitter-Hallodri mit dem hinterhältigen Spaß an der Provokation ist er schon auch. Ein Solist obendrein, so wie Seehofer auch. Dass Söder den Mannschaftsgeist beschwört und mahnt, dass man in der CSU jetzt „wieder miteinander statt übereinander reden“ müsse, geht ja zunächst mal an die eigene Adresse und die seiner Satrapen.

Alte Konflikte sollen ruhen

Seehofer verspricht ebenfalls, alte Konflikte ruhen zu lassen. Auf ihn und seine Gefolgsleute wartet ebenfalls eine Entziehungskur: Schluss mit bissigen Seitenhieben auf den ungeliebten Nachfolger. Ihm sei ebenso wie Söder klar, dass Worte nicht reichten, versichert Seehofer: Die neue Gemeinsamkeit der Doppelspitze müsse „im Alltag gelebt werden“.

Im nächsten Frühjahr schon soll Söder das Ministerpräsidentenamt übernehmen, um sich bis zur Wahl warmzulaufen. Im Parteivorstand hat Seehofer ausdrücklich darum geben, weder über das genaue Datum Debatten zu führen noch über die Frage, ob er selbst als Minister in eine nächste Bundesregierung gehen würde. Über die Formulierung hinaus, dass er sich nun auf Berlin konzentrieren werde, hat er offenbar auch intern nichts weiter durchblicken lassen.

Ob er ein Amt in Berlin anstrebe, fragt ihn hinterher natürlich trotzdem pflichtgemäß ein Journalist bei der Pressekonferenz. „Nein“, sagt Seehofer. Ob und was und wie sich ergebe, werde man sehen. „Ich bin jetzt nicht in der Karriereplanung für mich, wirklich nicht.“

Ist ja auch wirklich schwierig mit der Planung im Moment. In einer Jamaika-Regierung wäre er gern Arbeitsminister geworden. Angela Merkel hatte es ihm angeboten, ein kluger Zug und ein sentimentaler zugleich. Unter Norbert Blüm hatte der Parlamentarische Staatssekretär Seehofer in dem Haus seine Karriere begonnen. Die Rückkehr als Chef nach drei Jahrzehnten hätte den Kreis geschlossen.

Aber in einer Neuauflage der großen Koalition stünde das Sozialministerium auf der Wunschliste der SPD weit oben. Was bleibt für einen CSU-Chef? „Das Finanzministerium“, sagt einer aus der Parteispitze. Hm. Komische Idee. Seehofer hasst das Fliegen, kennt Brüssel nur flüchtig und spricht nichts außer Bayerisch. Aber man kann ja auch mit 68 Jahren dazulernen. Und außerdem – könnte man diese Personalie nicht quasi als Verjüngung im Kabinett betrachten?

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