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Der „American Way of Life“ ist vielleicht nirgendwo so offensichtlich wie im Sattel einer Harley-Davidson, hinter dem oft eine US-Flagge steckt.

© James Kresser/ unsplash

Motorradmarke in Bedrängnis: Donald Trump wird für Harley-Davidson zum Problem

Eisenhintern, Glatzen, Sonnenbrillen: Neun Männer reiten ihre Harley-Davidsons durch die USA. Leben den Mythos. Der ist jetzt bedroht – ausgerechnet durch Donald Trumps „America first“-Politik.

Die schwere schwarze Maschine legt sich nach rechts in die steile Kurve, immer tiefer und tiefer, schon schrammt die Fußraste den heißen Asphalt, der Motor blubbert. Weiter hinauf auf der schmalen Straße in den Bergen West-Virginias, bis zur nächsten Kurve. Nur das Blau des Himmels markiert die Grenze. Das muss es sein, das Harley-Gefühl. Freiheit!

Paul Heine führt die neunköpfige Gruppe der Harley-Davidson-Fahrer an diesem Tag an, ein Mann mit Erfahrung, der 62-Jährige hat zigtausende Meilen hinter sich, allein 67 000 mit seiner jetzigen Maschine, einer Ultra Limited aus dem Jahr 2013. 28500 Dollar hat er für das Touring-Bike bezahlt, dazu kamen nochmal gut 10 000 Dollar für Extras: ein Motor-Tuning und die vielen Teile aus strahlendem Chrom.

Paul, der seine Glatze mit einer verwegen-flachen, schwarzen Lederkappe vor der Sonne schützt, wenn er keinen Helm trägt, streichelt zärtlich den Seitenspiegel und über das Leder der Sitze. Nach jeder Fahrt wird das „Bike“, Paul hat ihm anders als die meisten keinen Namen gegeben, von Staub und Dreck gereinigt und so lange poliert, bis es wieder blitzblank dasteht. Bereit zur nächsten Fahrt. Paul erzählt gerne von seinen Touren, vor allem auf die extrem langen ist er stolz. Die Kinder sind aus dem Haus, da hat er mehr Zeit als früher. Und seine Frau bleibt lieber zu Hause, erzählt er, sie hat Angst vorm Motorradfahren. Paul dagegen liebt die Geschwindigkeit und das Risiko, er, der Mathematik und Physik studiert hat, ist 24 Jahre lang bei der Navy Hubschrauber geflogen.

Das Unternehmen verlagert Jobs ins Ausland

Unerschrocken, kraftvoll, ein bisschen rebellisch: Dafür steht Harley-Davidson. Raue Typen – bisweilen auch deren Karikatur –, die einfach in die unendliche Weite des Landes hinausbrettern, den Horizont als Ziel, den Elementen ausgesetzt – ein amerikanischer Traum. Ein Mythos, den das Unternehmen über Jahrzehnte gepflegt hat. Und der jetzt infrage gestellt wird, ausgerechnet durch den angeblichen Harley-Fan Donald Trump, der im Wahlkampf von den „Bikers for Trump“ unterstützt wurde und kurz nach seinem Sieg Manager des Unternehmens im Weißen Haus empfangen hat. Genau hier nämlich stößt die „America first“-Politik des US-Präsidenten an ihre Grenzen: Seine Handelspolitik, die mit immer weiteren „Schutzzöllen“ auf Importe die heimische Wirtschaft retten will, führt dazu, dass das uramerikanische Unternehmen Harley-Davidson im Inland Jobs abbaut und im Ausland neue schafft.

Das Unternehmen hat im Juni angekündigt, eine heimische Produktionsstätte zu schließen und ein neues Werk in Thailand aufzubauen. Dem könnte irgendwann eine Fabrik in Europa folgen, Berlin hat Harley-Davidson bereits ein Angebot gemacht, reagiert hat der Konzern bisher nicht. Angesichts der Strafzölle auf amerikanische Produkte wie Jeans, Whiskey und eben Harleys, die Brüssel im Gegenzug für Trumps Zölle auf Stahl und Aluminium verhängt hat, muss der Konzern handeln. Viel teurer dürfen die Maschinen nicht mehr werden. Würde Harley seine Bikes in Einzelteilen exportieren und in Europa zusammenbauen, würden die Strafzölle nicht wirksam, sie werden nur für fertige Produkte verlangt.

Diese Entwicklung ist genau das Gegenteil von dem, was Trump eigentlich will. Aber die Handelspolitik folgt eigenen Regeln, sie ist kompliziert.

Die Fahrer sind oft Patrioten

„Made in America isn’t just a slogan. It’s a way of life.“ Made in America ist nicht nur ein Satz. Es ist eine Art zu leben, sagt Trump, der es zu seinem Motto erhoben hat, Amerika wieder groß zu machen, dem Land seinen Stolz zurückzugeben. Und der American Way of Life ist vielleicht nirgends so offensichtlich wie im Sattel einer Harley-Davidson, hinter dem oft auch eine US-Flagge steckt. Harley-Davidson ist Amerikas Motorrad, die Fahrer sind Patrioten – das Harley-Geschäft in Fairfax heißt „Patriot“.

Der Mythos dieses amerikanischen Flaggschiffs ist 115 Jahre alt, er wurde begründet von vier jungen Männern in einem Schuppen in Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin. William S. Harley und die drei Brüder Arthur, William und Walter Davidson hießen die Pioniere, deren Vision Enkel Willi G. Davidson einmal so beschrieben hat: Sie wollten schauen, was passiert, wenn sie einen Motor in einen Fahrradrahmen einbauen.

Es passierte etwas Großes: Fahrrad plus Motor gleich Erfolg. Das erste Serienmodell geht 1905 in den Verkauf, 15 Jahre später ist Harley-Davidson der führende Motorradproduzent der Welt. Soldaten, Polizisten, Briefträger, alle nutzen das amerikanische Motorrad. Vor allem durch den Zweiten Weltkrieg wird es zum patriotischen Gefährt: Das Verteidigungsministerium bestellt knapp 90 000 Harleys für den Kriegseinsatz. Bis heute sind viele Harley-Fahrer Veteranen.

Wie Paul. Auf seiner Harley durchquert er das Land, für das er einst gekämpft hat. Und er zählt jede einzelne Meile, die er zurücklegt. Denn Meilen sind die Währung der Harley-Fahrer, sie lieben es, sich zu vergleichen, ihre aufgebügelten Wimpel und angehefteten Blech-Anstecker erzählen davon. Pauls schwarze Lederweste ist eine Landkarte seiner Touren – und ein bisschen auch seines Lebens. Vorne unten die „Iron Butt Association“, in die nur aufgenommen wird, wer nachweislich 1000 Meilen in 24 Stunden gefahren ist – und damit seinen „eisernen Hintern“ bewiesen hat. Oben diverse Pins von Touren und Rallyes, bei denen er dabei war. Auf den Schultern links ein rundes Abzeichen von 1987: „United States Navy – Retired“, rechts das Abzeichen seines wohl wichtigsten Einsatzes: „Gulf War Veteran“. Aber groß auf dem Rücken prangt das Erkennungszeichen: Harley Owners Group Fairfax, Virginia.

Glatzen, Sonnenbrillen, Tätowierungen

Eine HOG, eine Harley-Eigentümer-Gruppe, wie es sie überall dort im Land gibt, wo Motorräder verkauft werden, ist wie eine Familie. Zusammen macht man Ausflüge, in immer wechselnder Formation. Mal sind es Tagestrips wie an diesem Tag zu den Seneca Rocks nach West Virginia, die auch mal 14 Stunden dauern können, mal sind es längere Touren, nach Alaska zum Beispiel. Man fährt zum Spaß, zum Gedenken wie in der Hauptstadt Washington am Memorial Day im Mai und auch gerne für wohltätige Zwecke. Hauptsache, man fährt.

Für die Mitglieder der Harley Owners Group aus Fairfax, Virginia, ist das Motorradfahren mehr als ein Hobby.
Für die Mitglieder der Harley Owners Group aus Fairfax, Virginia, ist das Motorradfahren mehr als ein Hobby.

© promo

Das perfekte Leben der Harley-Fahrer liegt auf der Straße. „Warum wir fahren? Ist doch offensichtlich: Wir sehen was von unserem schönen Land und sind mit Gleichgesinnten unterwegs, die auch nichts anderes wollen als zu fahren“, sagt Paul. Seine Begleiter an diesem Tag heißen Herb, Jim, Brian oder Anthony, keiner ist unter 40. Manche sind glatzköpfig wie Paul, andere tragen Kinnbart, Schnauzer – und alle dunkle Sonnenbrillen. Viele der kräftigen Oberarme sind tätowiert, was die Männer bedrohlicher aussehen lässt, als sie es in Wahrheit sind. Sie wollen nur fahren.

Und nun das. „Eine Harley-Davidson sollte niemals in einem anderen Land gebaut werden – niemals“, schimpft Trump. Die grundsätzliche Entscheidung, mehr außerhalb der USA zu produzieren, ist schon vor der Einführung von Trumps Schutzzöllen getroffen worden: Im indischen Haryana und im brasilianischen Manaus gibt es bereits Werke, die die Bikes für deren Märkte zusammenschrauben. Auch hier werden so die Einfuhrzölle vermieden, eine Praxis, die es im globalisierten Automobilbau schon lange gibt, und die eigentlich nicht mehr zum Aufreger taugt. Eigentlich.

„Wäre sie woanders gebaut, müsste ich zweimal nachdenken“

Auf und davon. Einfach fahren, in die grenzenlose Freiheit. Darum geht es.
Auf und davon. Einfach fahren, in die grenzenlose Freiheit. Darum geht es.

© katy_89 - stock.adobe.com

Aber die Aufregung ist da, Trump befeuert sie. Und auch Jim, der eigentlich in Washington wohnt, aber immer zu den Treffen raus nach Fairfax fährt, sagt, dass er sich nicht sicher ist, ob er eine in einem anderen Land gebaute Harley fahren würde. „Ich versuche eigentlich immer, amerikanische Produkte zu kaufen.“ Jim versteht sich als aufrechter Patriot, auch wenn er eigentlich nicht über Politik reden will. „Eine Harley ist mehr als nur ein Motorrad. Sie ist zutiefst amerikanisch, war es immer. Würde sie woanders gebaut, müsste ich zweimal nachdenken“, sagt er. Dass eine in Thailand gebaute Maschinen nie in den USA verkauft werden würde, hat er sich so vorher nicht überlegt. Und Trump offenbar auch nicht, wenn er mit ausländischen Motorradbauern droht, die er ins Land holen will, um der fahnenflüchtigen Firma Konkurrenz zu machen.

In York, Pennsylvania, knapp zwei Autostunden vom Weißen Haus entfernt, wird die Harley gebaut und der Mythos gepflegt. Die von außen unspektakuläre Fabrikhalle ist eine von zwei Endfertigungsstätten im Land, die andere steht in Kansas City im Bundesstaat Missouri. Das heißt, sie steht da noch, Ende des Jahres wird die Produktion in York zusammengeführt, ein Teil der 800 Angestellten zieht vielleicht die 1500 Kilometer nach Pennsylvania um, die anderen verlieren ihren Job. In York sollen dann rund 1400 Menschen arbeiten, bisher sind es 930.

An fünf Tagen die Woche bauen sie in zwei Acht-Stunden-Schichten jeweils 450 Maschinen zusammen, es sind die Touring-, CVO- (Custom Vehicles Operations) und Trike-Modelle, aus Kansas kommen bis Ende des Jahres die Softail-, Sportster- und Street-Baureihen. Jede Maschine besteht aus mehr als 1300 Teilen. Über aufgeklebte Barcodes wird sichergestellt, dass der Kunde genau seine bestellte Ausführung bekommt, seine Außenspiegel, seinen Lack, seinen Sattel.

Tausende zahlen für eine Werksführung

Das alles lernt, wer sich in eine der täglichen Führungen einreiht, die Harley-Davidson durch das Werk anbietet. Montags bis freitags von 9 bis 14 Uhr, alle 45 Minuten dürfen Fans der Marke einen Blick ins Allerheiligste werfen, dürfen „Zeuge werden, wie Leidenschaft in Stahl gepresst wird“, wie es auf der Homepage heißt. Das Werk ist eingestellt auf die zehntausenden Besucher, die jedes Jahr aus dem ganzen Land anreisen, nicht wenige von ihnen auf einer Harley.

Neben der kostenlosen „Classic Factory Tour“ bietet das Werk auch eine zweistündige „Steel Toe Tour“ an, bei der man live dabei ist, wenn die Maschinen zusammengebaut werden, und zur Erinnerung gibt es ein Gruppenfoto mit einem Harley-Teil. Die Extra-Betreuung kostet 38 Dollar. Die Fairfax Owners Group war schon mehrmals hier. Allerdings gibt es die „Steel Toe Tour“ erst wieder Ende August. Derzeit wird das Werk auf die Baureihe 2019 umgerüstet, und die darf noch keiner sehen.

Nach einem zehnminütigen Einführungs-Imagefilm, in dem viel von der „Legende aus Milwaukee“, Rebellion, der „Freiheit zu fahren“ und der „Freiheit zu leben“ die Rede ist , werden die Schaulustigen durch die Fabrikhalle geführt. Sie sehen, wie das Fahrgestell zusammengeschraubt, Benzintanks geschweißt und am Ende alle Teile makellos lackiert werden. Manchmal dürfen sie auch ein Bauteil anfassen, meistens aber nicht.

Immer wieder unterbricht der Werksführer seinen Vortrag und fragt die Harley-Fans, ob sie das alles nicht auch so großartig und faszinierend finden wie er. Und die Jünger nicken, sie wiederholen andächtig: „awesome“ und „fascinating“. Eine Frau Ende Vierzig erzählt, dass sie immer noch Gänsehaut bekommt, wenn sie an ihren Besuch im Harley-Museum in Milwaukee zurückdenkt, wo die ganze Geschichte des Unternehmens erzählt wird und alle Maschinen seit dem ersten Modell ausgestellt sind.

„Exporting freedom every day“

Von York aus werden die Motorräder in 85 Länder verkauft, mit im Paket: eine gehörige Menge amerikanischer Nationalstolz, die Illusion eines handgearbeiteten, bis ins letzte Detail perfekten Produkts, das so nur von wahren Patrioten in den USA hergestellt werden kann. In den Fabrikgängen hängen riesigen Sternenbanner von der Decke, auf einem Plakat steht das Motto geschrieben: „Exporting freedom every day“. Viele der Arbeiter sehen genauso aus, wie man sich die Harley-Fahrer vorstellt: Glatzen, Bärte, Tattoos. Allerdings tragen sie hier keine Lederkluft, wobei: Auch die Harley-Gruppe von Fairfax fährt lieber in Jeans und T-Shirt. Vor allem im Sommer.

Lässigkeit, auch das gehört zum Mythos. Die Motorradhelme haben die Fairfax-Männer nur auf dem Kopf, weil das Gesetz in Virginia das vorschreibt. Bei 80 Meilen die Stunde auf dem Highway, das sind knapp 130 Stundenkilometer, würden sie im Ernstfall wohl wenig nutzen. Man grüßt sich, wenn man unterwegs anderen Harley-Fahrern begegnet, die linke Hand wird mit ausgestreckten Fingern nach unten ausgestreckt.

Überhaupt, die Handzeichen: Paul dirigiert die Gruppe mit einer genau einstudierten Choreografie, reckt er zum Beispiel die linke Faust, heißt das, gleich wird nach rechts abgebogen. Macht er eine ausholende schwungvolle Bewegung mit dem linken Arm, biegt der Schwarm ab, einer nach dem anderen, es sieht wunderschön aus im Rückspiegel, wenn es perfekt klappt. Mal fahren sie in einer Linie, mal zwei neben einander. Der Langsamste bestimmt das Tempo, auch wenn Paul sein Bike immer mal wieder laufen lässt. Es macht einfach zu viel Spaß.

Die Jungen reizen schwere Maschinen nicht mehr

Harley-Davidson-Preise starten bei 7000 und enden bei mehr als 42 000 Dollar, je nach Modell und Ausstattung. Für viele Jüngere ist das zu viel, ohnehin haben die schweren Maschinen für die mobile, städtische Zielgruppe an Reiz verloren – ein Grund, warum die Absatzzahlen in den USA zurückgehen. Dem Bedeutungsverlust will die Firma ab dem nächsten Jahr ein erstes Elektromotorradmodell entgegensetzen, dem in den darauffolgenden drei Jahren weitere folgen sollen. Gerade vorgestellte Entwürfe zeigen Modelle, die für Harley-Davidson-Verhältnisse geradezu grazil wirken.

Weltweit sank der Absatz von Harley-Davidson-Motorrädern im Jahr 2017 um 6,7 Prozent auf 242 788 Stück. 2008 konnte Harley-Davidson noch 303 479 Maschinen verkaufen. Und auch im ersten Quartal 2018 wurden zehn Prozent weniger Maschinen verkauft als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Dass die Stammkundschaft altert, ist nicht Trumps Schuld. Aber sein Handelsstreit verschärft die Probleme der Kultmarke. Und er selbst stellt ihr Image infrage – das Image als amerikanische Ikone.

Wenn Paul nicht Harley fährt, transportiert er Kinder in die Schule, in einem typisch gelben Schulbus. „Die Leute fragen mich, warum ich so was mache, mit meinem beruflichen Hintergrund. Ich antworte dann: Wo sonst habe ich im Sommer neun Wochen frei, an Weihnachten zwei und an Ostern nochmal eine?“ Finanzielle Sorgen hat der Veteran keine mehr, auch das macht ihn frei.

Paul weiß genau, was er mit dieser Freiheit anfängt.

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