zum Hauptinhalt
Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien warten am 21.12.2017 in Barcelona (Spanien) auf die Wahlergebnisse.

© Celestino Arce Lavin/ZUMA Wire/dpa

Nach den Wahlen in Katalonien: Mariano Rajoy muss jetzt verhandeln

Die Separatisten bejubeln das Wahlergebnis in Katalonien, der große Verlierer ist Premierminister Mariano Rajoy. Vielleicht zwingt die Geschichte den Falschen, das Richtige zu tun.

In Barcelona schwenken Tausende wieder die Esteladas, die Flagge der katalanischen Nationalisten – mit ihrem weißen Stern im blauen Dreieck, die an den Kampf der Kubaner gegen Spaniens Monarchie erinnern soll. Es lebe die katalanische Republik, rufen sie, und fordern die Freilassung gefangener Separatisten. In den Dörfern der katalanischen Pyrenäen sammeln sich Männer, Frauen und Kinder auf den Plätzen: Sieg!

Stundenlang geht das so, nachdem in der Nacht zu Freitag das Endergebnis der katalanischen Regionalwahl verkündet worden war: Die Parteien der Unabhängigkeitsbefürworter haben die Mehrheit gewonnen.

Und stundenlang passiert in Madrid: fast nichts. Bis sich Mariano Rajoy dann doch noch erklärt.

Er hatte die Wahl per Notstandsdekret erzwungen. Hatte die Regionalregierung in Barcelona absetzen, Politiker der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung verhaften und den gewählten Präsidenten, Carles Puigdemont, von Bundesbeamten suchen lassen. Er, Mariano Rajoy, hatte von einer „schweigenden Mehrheit“ gesprochen, die seinen Kurs letztlich gutheißen würde. Nun, nachdem am Donnerstag in Katalonien gewählt worden ist, kommen Puigdemonts sozialliberale Separatisten der JxC-Liste, die linksnationalistische ERC und die sozialistische CUP auf 70 der 135 Parlamentsmandate in Barcelona. Eine knappe Mehrheit.

Rajoy verkündet in Madrid: „Niemand darf im Namen Kataloniens sprechen, wenn er dabei nicht ganz Katalonien berücksichtigt.“

In den Medien wird Rajoy nun zum Gespött

Das sagt vergleichsweise wenig aus über die Niederlage, die Rajoy verarbeiten muss. In Katalonien, jener Unruheprovinz an der französischen Grenze, haben die Separatisten die Wahl gewonnen – obwohl es ihnen der Zentralstaat so schwer wie möglich gemacht hat. In katalanischen und spanischen Medien wird Rajoy nun zum Gespött.

Zwar wurden mit 37 Sitzen die pro-spanischen Ciudadanos stärkste Einzelpartei. Eine Mehrheit haben die Madridtreuen aber nicht, denn vor allem Rajoys eigene Partei verlor Stimmen. Die rechtskonservative Partido Popular, die PP, schnitt schon 2015 mit elf Abgeordneten schwach ab, nun erhielt sie: drei Mandate. Zur Wahl waren 5,5 Millionen Katalanen aufgerufen – und obwohl radikalere Separatisten die Abstimmung als illegitimes Diktat boykottierten, gaben 83 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab.

Weil Rajoy in Madrid nur eine Minderheitsregierung führt, spekulieren spanische Kommentatoren, ob es nun im ganzen Land bald Neuwahlen gibt. Zerfällt Spanien? Bislang hat in seiner PP niemand den Rücktritt des Regierungschefs gefordert. Doch es war nicht seine erste Niederlage.

Mit 23 Jahren wird er Spaniens jüngster Liegenschaftsnotar

Mariano Rajoy, 62 Jahre alt und aus dem nordwestspanischen Santiago de Compostela in der Region Galicien stammend, wächst als Sohn eines Gerichtspräsidenten auf. Wohlhabend, behütet und gehorsam.

In Spanien herrscht noch Diktator Francisco Franco, die Eliten halten zu ihm – auch wenn die Rajoys selbst die Faschisten ablehnen. Anders als im fernen Katalonien begehren die Massen in Santiago de Compostela aber kaum gegen Franco auf. Mariano Rajoy studiert Jura. Ehrgeizig, mit 23 Jahren wird er Spaniens jüngster Liegenschaftsnotar.

In den 80er Jahren steigt Rajoy unter den Konservativen in Galicien auf. Er legt sich nicht mit den Faschisten an, die nach Francos Tod in der PP aktiv sind, provoziert aber auch den liberaleren Flügel selten.

Rajoy bleibt ein guter Liegenschaftsbeamter: diszipliniert, leise und unaufgeregt. Als er 2004 die PP übernimmt, gilt er schon als Hardliner im Kampf gegen die baskischen Eta-Militanten. Nun stellt sich Rajoy auch gegen die Ambitionen der Katalanen. Die PP klagt gegen das zwischen den damals in Madrid regierenden Sozialdemokraten und den Katalanen in Barcelona ausgehandelte Autonomiestatut. Spaniens Verfassungsgericht gibt Rajoy 2010 Recht: Den Katalanen werden Steuerbefugnisse entzogen, aus den Unabhängigkeitsbefürwortern wird eine Massenbewegung. Zwei Millionen Katalanen protestieren in Barcelona.

Der spanische Premierminister Mariano Rajoy am 22. Dezember in Madrid, Spanien.
Der spanische Premierminister Mariano Rajoy am 22. Dezember in Madrid, Spanien.

© REUTERS/Paul Hanna

Rajoy kümmert das kaum. Auf dem Höhepunkt der europaweiten Finanzkrise 2011 wird er zu Spaniens Ministerpräsidenten gewählt – und kämpft zunächst an wichtigeren Fronten. Die Bürokraten in Brüssel wollen Reformen durchsetzen, Spanien droht der Bankrott. Die Opposition wiederum macht Rajoy für schwarze Kassen der PP verantwortlich – als erster amtierender Regierungschef Spaniens muss er in einem Strafverfahren aussagen. Den Vorwurf, er schütze korrupte Seilschaften, wird Rajoy kaum los. Im Wahlkampf 2015 wird er ausgerechnet in Galicien von einem Jugendlichen niedergeschlagen – der Angreifer soll Linkspopulisten nahestehen. Die PP verliert die absolute Mehrheit im Congreso de los Diputados in Madrid, auch bei der Neuwahl 2016 verändert sich die Sitzverteilung kaum. Doch Rajoy ist zäh – er handelt Allianzen mit Abgeordneten anderer Fraktionen aus. Und bleibt Regierungschef.

Nicht nur politisch, auch gesundheitlich ist Rajoy ein Überlebenskünstler. Den Bart lässt er sich seit 1979 stehen: Seit einem schweren Autounfall kann er sich, so heißt es, wegen seiner Narben nicht mehr rasieren. Und 2005 überlebt Rajoy die Bruchlandung eines Hubschraubers – er verlässt den Helikopter mit einem gebrochenen Finger.

Durchhalten, hart sein, auch zu sich selbst, lange hat das funktioniert. Im Herbst dieses Jahres aber verliert Rajoy, erst unmerklich, dann immer deutlicher, die Kontrolle über die Geschehnisse. Die in Barcelona regierende Allianz aus sozialliberalen und linksradikalen Unabhängigkeitsbefürwortern bereitet sich tatsächlich darauf vor, einen neuen Staat auszurufen. Derlei Extravaganz ist Rajoy schon dem Denken nach fremd.

Als er merkt, dass die Katalanen ein Referendum über die Unabhängigkeit organisieren, entsendet er die seit Francos Herrschaft verhasste Guardia Civil nach Barcelona: Die paramilitärische Bundespolizei prügelt am 1. Oktober Wahllokale leer, beschlagnahmt die Urnen. Fast 900 Menschen werden verletzt.

Puigdemont möchte verhandeln - was tut Rajoy?

Damals fordern in Zentralspanien nur wenige den Rücktritt des Regierungschefs – zumal die Madrider Verfassungsrichter das Referendum untersagt hatten. Wenig später ruft das Parlament in Barcelona die Unabhängigkeit aus, all die Warnungen schrecken die Separatisten nicht. Doch Straßensperren, Besetzungen, Krawalle bleiben aus, Puigdemont möchte verhandeln. Rajoy lehnt ab. Und vertieft die Gräben zwischen Gegnern und Anhängern des Zentralstaats.

An der Lage hat auch die Neuwahl wenig gerändert: Die industrialisierte, politisch immer schon hochaktive Region bleibt in zwei ähnlich starke Lager gespalten, der Riss geht oft durch Familien, durch die Belegschaften von Betrieben, Schulklassen. Viele Separatisten fordern mehr Sozialstaat, mehr Frauenförderung, mehr Basisdemokratie. Doch inzwischen geht es nicht mehr nur um Politik, sondern um Gefühl.

Aus dem belgischen Exil erklärt der Chef der abgesetzten Regionalregierung und erneut bestätigter Spitzenkandidat der Sozialliberalen, Carles Puigdemont, am Freitag stolz: „Der spanische Staat ist besiegt worden.“ Die katalanische Republik habe das Diktat des Artikels 155 gebrochen. Unter Berufung auf den Verfassungsartikel, der zur Wahrung der Einheit Spaniens verpflichtet, hatte Rajoy die Bundespolizei nach Barcelona entsandt und dort die Amtsgeschäfte übernommen. Rajoy müsse nun Konsequenzen ziehen, forderte der abgesetzte Regierungschef: „Entweder ändert Rajoy sein Rezept, oder wir ändern das Land.“ Er sei bereit, sich außerhalb Spaniens mit Rajoy zu treffen, sagt der Katalane – was der Regierungschef zunächst ablehnt.

Katalanische Autonomie ja, Spaltung Spaniens nein

Doch Rajoy weiß, dass ihn die 2,5 Millionen Separatisten am Mittelmeer sein politisches Erbe kosten können. Selbst die Sprecherin der bislang so Rajoy-treuen Bundesregierung spricht in Berlin von einer nötigen „Aussöhnung der spanischen Gesellschaft“, der CDU-Europapolitiker Elmar Brok sagt im Deutschlandfunk, Rajoy neige zwar zur Sturheit, solle den Katalanen nun aber besser mehr Rechte zugestehen.

Zuletzt waren viele Separatisten von der Forderung nach einer sofortigen Abspaltung Kataloniens abgerückt. Die Erfahrungen aus Quebec in Kanada, aus Schottland in Großbritannien oder aus Flandern in Belgien zeigen: Eine begrenzte, aber garantierte Autonomie in kulturellen und fiskalischen Belangen kann einer Spaltung des Gesamtstaates vorbeugen.

Und vielleicht ist jener Liegenschaftsbeamte aus der galicischen Provinz dafür doch noch die beste Wahl. Die Basis seiner PP, das zentralspanische Kleinbürgertum und viele Beamte der Sicherheitsbehörden, wünschen sich in der Katalonienfrage grundsätzlich Härte. Rajoy, gerade weil er bislang hart geblieben ist, könnte sie für einen Kompromiss gewinnen: katalanische Autonomie ja, Spaltung des Gesamtstaates nein.

Manchmal zwingt die Geschichte die Falschen, das Richtige zu tun. Als Freund des Stierkampfes weiß Rajoy, dass das Ziel des Spektakels zwar ist, die Muskulatur der 600 Kilogramm schweren Tiere so zu verletzen, dass sie zusammensacken, damit der Matador ihnen in den Nacken stechen kann. Rajoy weiß aber auch, dass einige Stiere die Arena überleben – und zwar dann, wenn sie so entschlossen, so geschickt gekämpft haben, dass das Publikum laut ihr Weiterleben fordert. Diese mutigen Stiere haben sich in den Augen der Massen bewiesen. Und dürfen fortan in Ruhe auf sattgrünen Weiden grasen.

Am Freitagabend bot Rajoy der neuen katalanischen Regierung Gespräche an.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false