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Spezialkräfte sichern in der Silvesternacht den Münchner Hauptbahnhof ab.

© Sven Hoppe/dpa

Nach Terrorwarnung in München: Zweite allgemeine Verunsicherung

Die Angst vor Terror ist real. Ist die Gefahr es auch? Nach den Terrorwarnungen in Hannover und München sind Politiker und Polizei im Dilemma.

Das alte Jahr währt nur noch wenige Stunden, da marschieren Polizisten am Münchner Hauptbahnhof auf. Spezialkräfte, mit Kampfanzug, Helm, die Maschinenpistole im Anschlag. Bewaffnet für den Kampf gegen einen Feind, der vielleicht kommen wird, vielleicht auch nicht. Bewaffnet wie im Krieg.

Es herrscht kein Krieg in München, der Feind, auf den die Beamten warten, taucht nie auf. Die Angst vor Terror aber bleibt von dieser Silvesternacht, sie ist real. Und wer würde das leugnen nach Ende dieses Jahres 2015? Das schon damit begann, dass Islamisten die französische Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ stürmten, elf Menschen töteten. Zwei Tage später wurden in einem koscheren Supermarkt in Paris vier Juden erschossen. Im November dann der größte Anschlag, sieben Attentäter an fünf verschiedenen Orten in Paris, wo sich Menschen vergnügten. 130 sterben, 352 werden verletzt. Seitdem ist nichts mehr wie es war in Europa. Und nun also München?

Es war wohl gegen 19.40 Uhr, als Mitarbeiter des Bundeskriminalamts entschieden, dass es glaubhaft sei, dass ein Terroranschlag in München kurz bevorsteht. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann wird informiert. Das Szenario: Ein Doppelanschlag durch Anhänger der Terrormiliz „Islamischer Staat“ in der Silvesternacht auf den Hauptbahnhof sowie den Bahnhof Pasing. Die Münchner Polizei reagiert schnell, die beiden Bahnhöfe werden evakuiert und abgesichert. Viele S-Bahnen fahren nicht. Züge werden umgeleitet, 550 Polizisten werden in den Einsatz gerufen, müssen teils aus Südbayern abgezogen werden. Noch in der Nacht tritt Innenminister Herrmann vor die Kameras: „Der Hinweis bezog sich ganz konkret auf eine Tatausführung um Mitternacht.“ Man habe ihn ernst nehmen müssen, er stamme von einem befreundeten Nachrichtendienst. Offenbar hatten die Franzosen ihre Kollegen in Deutschland gewarnt.

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Die Polizei wendet sich gegen 22.40 Uhr über den Kurznachrichtendienst Twitter direkt an die Bevölkerung, bittet die Feiernden darum, wachsam zu sein, Menschenmengen zu meiden. Manche bleiben gleich zu Hause. Viele Münchner lesen von der Gefahr zuerst auf ihren Handys, Augenzeugen berichten, in der City sei die Stimmung nach der Warnung gedämpft gewesen, doch mit Böllern und Raketen wurde zum Jahreswechsel dann geknallt, als wäre nichts geschehen. Aber ist denn überhaupt etwas geschehen?

Die Bilanz am Tag danach fällt ernüchternd aus. Gefunden wurde – nichts. Gefasst wurde – niemand. Und so versuchen sich der CSU-Minister Herrmann und der Münchner Polizeipräsident Hubertus Andrä in einem Spagat: Beruhigen, ohne zu verharmlosen. Am Freitagmittag tritt Andrä vor die Mikrofone: „Die intensiven Ermittlungs- und Kontrollmaßnahmen“, sagt er nüchtern, „haben zu keinerlei Konkretisierung der Informationen geführt.“ Gerüchte gibt es derweil viele. Und die Polizei gibt nur spärlich Erkenntnisse preis. „Fünf bis sieben“ mutmaßliche Terroristen könnten in die Anschlagspläne verwickelt gewesen sein. Vielleicht, so lautet die Warnung der Geheimdienste, stammen sie aus dem Irak und aus Syrien. Die vorhandenen Angaben, erzählt Polizeipräsident Andrä, seien „so konkret, dass wir Personen identifizieren könnten“. Dabei ist offenbar noch nicht einmal klar, ob es die zu identifizierenden Personen überhaupt gibt. Und wenn es sie gibt, ob sie sich in Deutschland, gar in München aufhalten. Innenminister Herrmann macht die Verwirrung schließlich komplett: „Die Sicherheitsbehörden sind wachsam“, sagt Herrmann. „Aber wir machen uns auch nicht verrückt aufgrund solcher Hinweise.“ Allerdings könne es wegen der Aktivitäten des IS immer wieder zu konkreten Warnungen vor Anschlägen kommen. Er rechne jedoch nicht damit, dass deswegen das öffentliche Leben in Bayern zum Erliegen komme. Und dann sagt er vor aller Öffentlichkeit: „Insgesamt glaube ich, dass unsere Sicherheitsbehörden einen relativ guten Überblick über die Lage haben.“

Er „glaubt“? Dass der Überblick „relativ“ gut sei? Und in Relation zu was eigentlich? Etwa zu den Belgiern, die in Brüssel aus Angst vor Anschlägen die Silvesterfeier kurzerhand komplett absagten, die schon zuvor den Ausnahmezustand in der Stadt verhängt, tagelang Schulen geschlossen und die Metro stillgelegt hatten? Oder meint er im Verhältnis zu den Berliner Kollegen? In der Hauptstadt stieg die größte Silvesterparty des Landes mit hunderttausenden Besuchern – ein mögliches Anschlagsziel allemal. Für die Polizei in Berlin änderte sich nach der Münchner Warnung nichts.

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Am Neujahrstag bleibt vor allem eines: Verunsicherung. Und Herrmanns missglückter Versuch, die Arbeit der Sicherheitsbehörden zu loben, ist nicht so weit entfernt von dem mittlerweile legendären Statement von Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Im November hatte der CDU-Minister ein Fußballspiel der Nationalmannschaft in Hannover wegen einer Terrorwarnung kurzfristig absagen lassen. Auf einer denkwürdigen Pressekonferenz erklärte er seine Entscheidung mit den Worten: Würde er berichten, welcher Art die Hinweise auf den bevorstehenden Terrorakt gewesen und von wem diese Hinweise gekommen seien, würde er die „Sicherheit des Landes“ gefährden. Und setzte nach: „Teile der Antwort könnten die Bevölkerung verunsichern.“

Bis heute ist nicht klar, wie groß die Gefahr tatsächlich war, doch dass die Bevölkerung spätestens nach seinen Worten verunsichert war, dessen konnte sich der Innenminister nach diesen alarmierenden Andeutungen gewiss sein.

Die Politik tut sich noch schwer damit, das richtige Maß zwischen Information und Geheimhaltung zu finden. Und die Einschätzung der Gefährdung in München sei vergleichbar gewesen mit der in Hannover, hieß es. So sprang de Maizière seinem bayerischen Amtskollegen sogleich bei. In Berlin sagte er: „Die bayerischen Behörden haben mit Unterstützung der Bundespolizei umsichtig, besonnen und entschlossen gehandelt.“ Am Donnerstag beim Bund eingegangene Hinweise seien von den bayerischen Behörden und dem Bundeskriminalamt bewertet worden. „Die Lage in Europa und auch in Deutschland bleibt im neuen Jahr ernst. Die Sicherheitsbehörden gehen weiterhin von einer hohen Gefährdung durch den internationalen Terrorismus aus.“

Unterdessen ziehen Reisende schon wieder Trolleys über die Bahnsteige des Münchner Hauptbahnhofs. Die Schalter der Bahn sind geöffnet. An den Ständen gibt es frischen Kaffee in Pappbechern. Von dem Terror-Großeinsatz wenige Stunden zuvor ist am Neujahrsmorgen nichts mehr zu sehen und zu spüren.

Mancher, der an diesem Tag den Dienst an den Imbissbuden und in den Geschäften antritt, spricht von einem „mulmigen Gefühl“. „Die Wahrscheinlichkeit eines Anschlags steigt, weil Deutschland jetzt in den Krieg involviert ist“, sagt der Leiter eines Gastronomiebetriebs, der aber nicht namentlich genannt werden will. „Die Frage ist nur, wo es passiert.“ Gemeint sind die Luftangriffe der Allianz auf Ziele in Syrien, die von Deutschland seit Kurzem unterstützt werden.

Die Polizei weiß um diese Sorgen. Sie lässt etwa 100 zusätzliche Kräfte in der Innenstadt und an den Bahnhöfen Streife laufen, „um dem Sicherheitsbedürfnis der Bürger gerecht zu werden“, wie Polizeipräsident Andrä sagt.

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„Die Polizei macht einen guten Job“, sagt ein Passant. Auch auf der Facebook-Seite der Polizei zollen die Münchner den Beamten Respekt: „Bin froh dass nichts passiert ist“, heißt es da. „Ein Dank an unsere Polizei und alle anderen.“ Und die Polizei begrüßt die Münchner am Morgen auf Twitter trotz der Anspannung locker. „Guten Morgen, #München! An alle Nachtschwärmer: Danke, dass Ihr Ruhe bewahrt habt und Verständnis für unsere Maßnahmen hattet.“

In der Nacht hatten die Polizisten getwittert: „Trotz der ernsten Lage lassen wir es uns nicht nehmen: Frohes neues Jahr Euch allen! Und: Seid vorsichtig!“ Offenbar mit Erfolg. Die Münchner waren wachsamer als sonst – einige meldeten sich mit Hinweisen bei der Polizei. Es gab keine heiße Spur, sagt eine Sprecherin, aber: „Wir sind dankbar, wenn die Bürger etwas feststellten und im Zweifelsfall lieber einmal mehr die 110 wählen.“

Überhaupt scheint die direkte Ansprache über soziale Netzwerke gut funktioniert zu haben und könnte beispielgebend für künftige Ausnahmesituationen sein. „Wir wollen die Bürger informieren, erhoffen uns aber auch Verständnis für die Maßnahmen“, sagt Polizeisprecher Wolfgang Behr. Gerne auch mal etwas lockerer. „Wir sagen ,Ihr‘ und ,Euch‘“, erklärt er. Einfach, weil es der üblichen Sprache in den sozialen Medien entspreche.

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So sinnvoll soziale Medien bei Gefahrensituationen sein können, so effektiv lässt sich auf ihnen auch Hetze verbreiten. Kurz nach der Terrorwarnung meldete sich auf Twitter auch der Pegida-Initiator Lutz Bachmann zu Wort: „Alle #WelcomeKlatscher haben sich umgehend am Hauptbahnhof München einzufinden! #RefugISISnotWelcome“, schrieb er. Im Sommer waren an eben jenem Bahnhof zehntausende Flüchtlinge angekommen und von vielen Münchnern herzlich willkommen geheißen worden. In rechtspopulistischen Kreisen ist es seit Langem en vogue, zu behaupten, mit den Flüchtlingen würde auch Terroristen Tür und Tor nach Deutschland geöffnet. Die selbsternannten Retter des Abendlandes haben ein prominentes Vorbild: Bayerns Finanzminister Markus Söder. Die Anschläge von Paris hätten alles geändert, schrieb er im November. Und: „Wir dürfen keine illegale und unkontrollierte Zuwanderung zulassen.“ Dass er damit Flüchtlinge in die Nähe von Terroristen rückte, will Söder so nicht gemeint haben. Er entschuldigte sich später. Aber die Angst, die er geschürt hatte, die blieb. (mit dpa)

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