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Das neue Asylbewerberheim in Hoyerswerda

© picture alliance / dpa

Neues Asylbewerberheim: Zweite Chance für Hoyerswerda

Jagd auf Ausländer: Das war vor gut 22 Jahren. Nun hat Hoyerswerda ein neues Asylbewerberheim. Aber diesmal ist alles anders: Die Bürger der Stadt zeigen, welche Lehren sie gezogen haben.

Gegen drei am Nachmittag werden in Hoyerswerda die Pinguine beklaut. Es ist Fütterungszeit im Zoo, es gibt toten Fisch, und die Zoo-Reiher – die im Nachbargehege wohnen, aber fliegen können – sind herübergekommen und bedienen sich.

Am Marktplatz brüllt ein Taxifahrer einen ortsfremden Fiat vom Taxiparkplatz herunter. Der ausgestopfte Wolf im Treppenhaus des Stadtmuseums zeigt seine Zähne und schaut so böse, dass eine Kindergruppe erschrocken zurückweicht. Und draußen im Naherholungsgebiet am Knappensee müssen Dauercamper und Bungalowbesitzer nach monatelangem Protest nun endgültig zur Kenntnis nehmen, dass ihre Tage dort gezählt sind. Eine Landesbehörde, die das Ufer zum Sperrgebiet machen will, war stärker als sie.

Die Nazis haben verloren - gegen das Wetter

Das Leben ist ein Kampf in Hoyerswerda. Er wird ausgetragen um Futtertröge und Gebietsansprüche, jeden Tag erneut, wie überall auf der Welt. Aber weil Hoyerswerda nicht nur ein Ort wie überall, sondern auch eine Chiffre ist, für ein Hoheitsgebiet von Menschenfeinden nämlich, muss noch eine Auseinandersetzung dieses Tages vermeldet werden: Die stadtbekannten Netto-Nazis haben ihr Revier geräumt. Der Kühle wegen, und windig ist es auch. Sie haben ihren Stammplatz vorm Netto-Supermarkt in der Albert-Schweitzer-Straße vorübergehend an das Wetter verloren.

Jörg Michel ist Mitbegründer der Bürgerinitiative "Zivilcourage"
Jörg Michel ist Mitbegründer der Bürgerinitiative "Zivilcourage"

© Torsten Hampel

Das Wetter. Der Wind. Er fängt womöglich an, sich zu drehen in Hoyerswerda. Und jetzt kommt auch noch Jörg Michel angeradelt.

Jörg Michel ist Pfarrer einer der hiesigen Kirchgemeinden, er hat zwei Aufkleber in der Jackentasche. Es sind zwei eigenhändig entfernte Reviermarkierungen anderer, eben abgepult von einem Lampenmast. Auf Kopfhöhe hatten sie dort geklebt, weiter unten hatten Hunde drangepisst. „Antifa – ihr könnt uns mal!“, steht auf den Aufklebern. Verantwortlich dafür, auch das ist darauf zu lesen, ist ein NPD-Mann.

Aufkleber dieser Art von Hoyerswerdaer Laternenmasten zu entfernen, das bedeutete noch vor einem guten Jahr, anschließend von rechtsextremen Kriminellen zu Hause aufgesucht, in Todesangst versetzt und aus der Stadt vertrieben zu werden. Genauso, wie man vor gut 22 Jahren in Hoyerswerda in Todesangst versetzt und aus der Stadt vertrieben wurde, wenn man in einem Ausländerwohnheim lebte.

Damals waren tagelang Häuser mit einstigen DDR-Vertragsarbeitern und Flüchtlingen von Neonazis angegriffen worden. Anwohner applaudierten dazu. Etwas Vergleichbares hatte es in der Bundesrepublik bis dahin nicht gegeben. Damals hat Hoyerswerda sein Etikett bekommen, auf dem Fremdenfeindlichkeit und Gewalt steht.

Ein Ausländer wurde geschlagen: 60 Menschen zeigten Solidarität

Zu diesem Etikett passte auch, dass im vorvergangenen Herbst eine Gruppe Rechtsextremer stundenlang die Wohnung eines Paares belagerte, das zuvor Nazi-Aufkleber entfernend in Erscheinung getreten war. Die Polizei war nicht in der Lage, ihm zu helfen, und brachte es schließlich aus der Stadt heraus. Es hat bis heute nicht gewagt, zurückzukommen.

Jörg Michel stellt sein Fahrrad ab. Er schließt sein Kirchengemeindehaus auf, geht ins Büro, holt die Aufkleber aus der Tasche, legt sie auf den Schreibtisch. „Ist mittlerweile gar nicht mehr so einfach, welche zu finden“, sagt er. Die Geldnot der NPD, zum einen. Zum anderen und vor allem aber die Tatsache, dass Michel dies nicht alleine tut. Viele Menschen in Hoyerswerda machen das mittlerweile, auch die Ordnungsamtsmitarbeiter sind dabei. Das ist ein großer Schritt für die kleine Stadt in Nordostsachsen, in der gerade noch viel Größeres geschieht: Hoyerswerda hat wieder ein Asylbewerberheim bekommen.

Es soll alles anders werden als 1991

Mehr als zwei Jahrzehnte nach den Ausschreitungen von 1991 sind wieder Fremde in der Stadt untergebracht. Die ersten 36 sind seit drei Wochen da, 21 weitere kamen kürzlich. Und mit ihnen – so sieht es Michel, so sieht es sein Bürgermeister und so sehen es auch viele andere hier – hat Hoyerswerda eine zweite Chance bekommen. Es soll alles anders werden als damals.

Michel, Jahrgang 1964, war 1991 noch nicht hier. Er kam zwei Jahre später nach Hoyerswerda, als Pfarrer der evangelischen Gemeinde in der Neustadt. Er tat seine Arbeit. Bis im Jahr 2006, nach 15 Jahren relativer Ruhe, eine Nazi-Demonstration in der Stadt veranstaltet wurde. „Das war ein Schock“, sagt Michel, „man stand dem einigermaßen hilflos gegenüber.“ Also arbeitete er noch mehr. Er begründete die Bürgerinitiative „Zivilcourage“ mit, versuchte, die Blicke der Stadt auf die zumindest gefühlte Allgegenwart der Rechtsextremen zu lenken. Auf deren immer wieder neu ausgebrachte Saat.

Die Bürgerinitiative nervte, schrieb Briefe, verteilte Flugblätter, sprach mit Passanten, bis schließlich der Thor-Steinar-Laden aus dem Einkaufszentrum Lausitz-Center auszog. Sie besuchte Zeitungskioske, schaute, welcher davon das NPD-Blatt verkaufte, welcher die Zeitung der DVU. Sprach wieder, die meisten Händler seien dankbar dafür gewesen, sagt Michel, bis auf zwei.

Michel hatte damals schon eine immer wiederkehrende Erfahrung gemacht. Immer wieder, wenn er irgendwo auswärts war und sagte, wo er herkam, habe er einen Rechtfertigungsdruck gespürt, sagt er. „Was, du kommst aus Hoyerswerda? Da soll es doch so schlimm sein.“ So oft und so ausdauernd, dass er gar nicht anders konnte, als sich seinen Reim darauf zu machen.

Der Reim bestand darin, „dass es dann nicht dabei bleiben kann, zu sagen: Aber hier wachsen auch Blumen, hier lachen auch Kinder“. Man müsse die Ausschreitungen von 1991 und die Reaktionen von auswärts darauf annehmen, „als Teil der Geschichte der Stadt. Das gehört zur Stadt wie der Fluss, der hier durchfließt“. Und das Annehmen gehe nur, wenn man aktiv mit dieser Geschichte umgehe. Wenn man zeige, welche Lehren man daraus gezogen hat.

Jeden Tag rufen Dutzende im Heim an - sie wollen helfen

Praktisch sieht das Ganze dann zum Beispiel so aus: Das Telefon klingelt, eine Anlaufstelle für Opfer von Nazi-Gewalt aus Dresden ist dran. „Ja, Michel“, sagt Michel. „Ja, von dem Fakt wissen wir. Wir hatten am Tag danach auch eine kleine Kundgebung gehabt.“

Der Fakt: Zwei Tage nach der Ankunft der ersten Asylbewerber ist einer von ihnen auf dem Hoyerswerdaer Marktplatz geschlagen worden. Am nächsten Tag standen 60 Menschen vor dem Asylbewerberheim. Wir schützen euch, war ihre Botschaft. Es war, wenn man so will, die Umkehrung der Ereignisse von 1991.

"Die rechte Szene lebt von der Angst"

Michel berichtet, die Dresdner hören zu, sie bieten ihre Hilfe an. Aber wie es scheint, ist Hilfe von auswärts in Hoyerswerda erst einmal nicht mehr nötig. Einer hat einen Marokkaner geschlagen, 60 haben sich dagegengestellt. „Es ist eine innere Geschichte“, sagt Michel später, „wie weit ich über der Angst stehe. Ich merke, die rechte Szene lebt von dieser Angst.“ Sie kommt ihr allmählich abhanden.

Draußen im Foyer des Gemeindezentrums stapeln sich Kisten mit Kleiderspenden für die Heimbewohner darin. Schüler entwarfen für die Flüchtlinge einen Stadtplan mit Behördenadressen. Die Stadtverwaltung selbst – als klar war, dass der Landkreis Bautzen ein Asylbewerberheim in Hoyerswerda einrichten will – veranstaltete Bürgerforen. Als das Heim fertig eingerichtet war, gab es einen Tag der offenen Tür.

Deutschlehrer geben Deutschkurse. Kinderfreunde spielen mit den Kindern. Einer will mit ihnen in den Zoo gehen. Im Stadtmuseum waren sie schon. Ein Sportverein lädt zum Training ein. Jemand baut den Asylbewerbern einen Computer zusammen. Jemand anderes strickt Mützen.

Der Schock von 1991 ist noch zu spüren

Es gibt ein gewaltiges Interesse an den Neuen, und damit dies alles in geordneten Bahnen abläuft, gibt es Grit Maroske. Sie hat ein Bürgerbündnis gegründet, es heißt „Hoyerswerda hilft mit Herz“. Das Bündnis ist eine Art Dachorganisation. Michels „Zivilcourage“ ist dabei, Land- und Bundestagsabgeordnete von der CDU und von der Linken, der FC Lausitz, die Kulturfabrik, ein Gymnasium, das Jugendklubhaus Ossi, Vereins- und Firmenvertreter und 120 Privatleute. Maroske staunt selbst immer noch darüber, sie sagt: „Es ist schon ein bisschen so, als wären hier Außerirdische gelandet. First contact.“

Sie sitzt an einem Wirtshaustisch ihrem Bürgerbündnis-Kollegen René Köhlert gegenüber. Die beiden streiten gerade über die richtige Interpretation der Ausschreitungen von 1991.

„Die Menschenmenge“, sagt Maroske, „wie eine Horde Büffel.“

Jeder hier hat seine ganz eigene Motivation, beim Bürgerbündnis mitzumachen

Köhlert sagt: „Es gab auch Leute, die bloß was gerufen haben, und die wussten vielleicht gar nicht, was das bedeutet.“

Maroske: „Nee, nee, René, das war schon Absicht. Ich konnte plötzlich verstehen, wie eine Nation kollektiv zu Menschenfressern werden kann.“

Köhlert: „Die Wende war gerade um.“

Es geht noch eine Weile so weiter. Maroske bleibt bei ihrer Sicht der Dinge, die die härtestmögliche ist. Köhlert versucht sich an Erklärungen, die in Maroskes Ohren wie Relativierungen klingen. Schließlich einigen sie sich darauf, dass „jeder da seine eigene Geschichte“ habe, „und jede ist ein bisschen anders“.

Jeder hat folglich auch seine eigene Motivation, beim Bürgerbündnis mitzumachen. Köhlert geht es um Hoyerswerdas Ansehen und auch darum, dass er es leid ist, sich dafür rechtfertigen zu müssen, hier zu leben. „Es kann nicht sein, dass eine Stadt wegen eines Vorfalls so stigmatisiert wird“, sagt er. Maroske sagt: „Wer anderen hilft, hilft sich ja auch ein bisschen, da heilt bei einem selber auch etwas.“

„Nächstenliebe“, sagen andere aus dem Bündnis, „um die Stadt zu retten“, „um das System zu ändern“. Gestritten und diskutiert wurde von Anfang an. Bei den ersten Treffen im Herbst gab es Debatten darüber, wie man die Neuankömmlinge denn eigentlich nennen solle. „Mitbürger?“ – „Geht nicht, die haben ja nicht alle bürgerlichen Rechte.“ – „Flüchtlinge?“ – „Gäste?“ Maroske zuckte immer zusammen, wenn sie das Wort „Asylant“ hörte. Das mittlerweile meistgebrauchte Wort beim Bürgerbündnis ist „Heimbewohner“. Ein Wort, so neutral und selbstverständlich wie möglich.

Im Baum hängen bunte Stricksocken

Maroske hat dem so unterschiedlich besetzten Bündnis eine Struktur gegeben. Es gibt drei Arbeitsgruppen, regelmäßige Treffen der Arbeitsgruppenleiter, Telefonketten. Es gab schon vor Wochen Lob von der Heimbetreiberfirma, eine so professionell arbeitende Bürgerinitiative sei ihr noch nie begegnet. Mittlerweile wird Maroske jeden Tag dutzendfach von Menschen angerufen, die fragen, wann, wo und wie sie helfen können.

Draußen, vor dem Gaststättenfenster, leuchtet ein Blitzlicht auf. Maroske und Köhlert schauen in die Dunkelheit, was war das? Einer jener Aufkleber-Ankleber, sein Werk – wie manchmal üblich – fotografierend? Auch wenn die längst in der Minderheit sind, es war der erste Gedanke der beiden. Also nachschauen, nachher.

Nach dem Bezahlen wird sich dann Folgendes herausstellen: In einem der Straßenbäume hängen etliche bunte Stricksocken. Sie sind das Fotomotiv gewesen. Ein ganz normales Fotomotiv in einer Stadt, die auf gutem Wege ist, genauso zu werden: ganz normal.

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