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Vor dem Landgericht Verden sagte Sebastian Edathy nur das Nötigste.

© Fabian Bimmer/Reuters

Prozess gegen Sebastian Edathy: Am Ende ist es Politik

Im Kinderpornografie-Prozess gegen Sebastian Edathy ringen Staatsanwalt und Verteidigung um ein Geständnis. Es wäre fast ein Wunder, der Angeklagte ließe sich nicht darauf ein.

Sebastian Edathy fällt weich. Es sind breite, bequeme Polsterstühle, die zur rechten Hand des Richters im großen Saal des Verdener Landgerichts stehen. Der Angeklagte rutscht, je länger die Verhandlung dauert, umso tiefer hinein, senkt das Kinn in die Faust, den Zeigefinger abgespreizt. Nachdenklich, betrachtend will er wirken, wo er sich schon weitgehend verboten hat, was er am besten kann, nämlich reden.

Es ist der erste Tag im Prozess gegen den früheren SPD-Abgeordneten, weitere sind terminiert, doch es könnte auch der letzte sein. Es hängt von ihm ab. Wie so vieles von ihm abhängt, ihm, dem einstigen Polit-Aufsteiger, der mit seinem Skandal und seiner Art, sich ihm zu entziehen, die früheren Weggefährten in die Malaise steuerte. Ein Geständnis, und die strafrechtliche Seite wäre zu Ende. Ein Geständnis – viel verlangt von einem, der einiges politisches Kapital für sich und seine Partei aus den Fehltritten anderer herausgeholt hat.

Während es ihn sonst vor Kameras und Mikrofone drängt, hat er sie diesmal gemieden. Die Justizwachleute haben eine verglaste Ausgangstür am Gerichtsflur für ihn und seinen Anwalt mit Paketpapier beklebt, für unbesichtigtes Auftauchen und Verschwinden. Es soll heute nur ein Statement geben, eines, das wie bei allen seinen letzten Auftritten, im Untersuchungsausschuss oder vor der Bundespressekonferenz, die wesentlichen Akzente setzt.

Öffentlichkeit, dafür lebte Edathy sein politisches Leben

„Ohne Beschäftigung“, sagt Edathy auf die Frage nach seinem Beruf. Alter 45 Jahre, ledig, eine Anschrift in Berlin will er nur über seinen Anwalt Christian Noll mitteilen lassen, „mit Blick auf die Öffentlichkeit“.

Die Öffentlichkeit. Sie ist mehr als nur Publikum und Presse im Verdener Gerichtssaal. Öffentlichkeit, dafür lebte Edathy sein politisches Leben, öffentlich vollzog sich sein Absturz, von dem Moment an, als eine Lokalzeitung bei den Hausdurchsuchungen in sein Wohnzimmer fotografierte.

Für Anwalt Noll ist es diese Öffentlichkeit, die nun einen fairen Prozess gegen seinen Mandanten unmöglich macht. Das will er festgestellt wissen, noch bevor die Anklage zu Wort kommt. „In diesem Verfahren ist etwas aus dem Lot geraten“, sagt er. Seit vergangenem Freitag bringt der Vorwurf noch mehr Gewicht auf die Waage. Denn da wurde bekannt, dass gegen den Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig wegen Geheimnisverrats ermittelt wird, dem Vorgesetzten jener Beamter in Hannover, die auch Edathy anklagen. Prominente Angeklagte haben sich damit abzufinden, dass Medien hinter ihnen her sind. Was aber, wenn Staatsanwälte diese Medien mit Neuigkeiten füttern, um ihre Vorwürfe substanzieller erscheinen zu lassen?

"Ich werde gerade hingerichtet."

Laut Noll wird Lüttig konkret verdächtigt, den Abschlussbericht des Landeskriminalamts zu Edathy herausgegeben zu haben, der die Grundlage für die Vorwürfe bildet. Niedersachsens Justizministerin weise nun zwar zurecht auf die Unschuldsvermutung hin. Doch „davon, dass die Unschuldsvermutung gilt, hat Sebastian Edathy innerhalb des letzten Jahres wenig gemerkt“. Lüttig sei es gewesen, der wichtige Entscheidungen im Verfahren gegen seinen Mandanten getroffen habe, der „hinter den Kulissen“ Medienberichte gesteuert haben könnte. „Auch die Frage einer Anklageerhebung wird von Lüttig beeinflusst worden sein“, betont Noll. Der Spitzenbeamte sei noch nicht einmal suspendiert. „Was ist das eigentlich für ein Verfahren, in dem ein Angeklagter nicht weiß, ob gerade derjenige, der eine Einleitung des Verfahrens angeordnet hat und über eine Anklageerhebung oder Einstellung des Verfahrens mitentscheidet, eine Straftat gegen ihn begangen hat?“ So hätten die Verantwortlichen die Vorverurteilung Edathys massiv befeuert. Er habe sein Ansehen verloren, Freunde hätten sich abgewandt. Angesichts der Stimmungslage könne er nicht mal bedenkenlos Bahn fahren oder ein Restaurant besuchen.

Seit damals ist das so, vor einem Jahr, als sich die Bilder der Razzia über die Republik verbreiteten. „Glaube, das war’s“, schreibt der Verdächtigte in einer später bekannt gewordenen SMS, tags darauf, als die Nachrichten voll sind mit dem Geschehen: „Ich werde gerade hingerichtet.“

Edathy war gewarnt. Wie, da klaffen die Versionen auseinander

Der Kinderpornografie-Vorwurf ist ein Fallbeil für Politiker, das wusste Edathy vom Fall Jörg Tauss. Wie er selbst ehemals SPD-Abgeordneter und ein Redner mit Talent und Angriffslust, der hilflos, aber nicht wortlos wurde beim Versuch, den drohenden Untergang noch abzuwenden. Der sich verteidigte damit, selbst einen Kinderpornoring sprengen, Erkenntnisse über das schmutzige Gewerbe sammeln zu wollen. Ein Jahr und drei Monate auf Bewährung, die Richter glaubten ihm kein Wort.

Anders als Tauss, auf den das Fallbeil im Bundestag überraschend niedersauste, während Ermittler seine Berliner Wohnung durchwühlten, war Edathy gewarnt. Wie, da klaffen die Versionen auseinander. Edathy erzählt, sein Fraktionskollege Michael Hartmann habe ihn am 15. November 2013 ins Vertrauen gezogen. Hartmann erzählt, Edathy, der Mann in der Lebenskrise, habe ihm nur seine Ängste gebeichtet.

Edathy wusste ohnehin, was kommen kann. Den beiden aufmerksamen Innenpolitikern war die Nachricht von der Operation „Spade“ der kanadischen Polizei nicht entgangen, die in den Tagen zuvor die Runde machte. So nannten die Ermittler ihren lange geplanten Schlag gegen die Firma „Azov Films“ und deren Betreiber Brian Way. An Abnehmer in Dutzende Länder schickte Azov seine Machwerke, etikettiert als Unterhaltungsgenuss für Nudisten. „Vladiks Spring Break“, war so eine Produktion, wie Edathy sie bestellt haben soll. Ausbeuter rekrutierten Jungen dafür, sich vor der Kamera Kissenschlachten zu liefern oder mit Sonnenöl einzureiben. Im Sortiment des Kanadiers war auch andere Ware, harte, brutale, verbotene. Ein Millionengeschäft.

Die Brisanz war allen klar

Längst hatten die Kanadier die Kundenlisten von Azov via Interpol an die zuständigen Behörden in die Länder der Abnehmer expediert. Hunderte Namen allein in Deutschland. Das Bundeskriminalamt sichtete das Material, stufte es kinderpornografisch oder noch straflos ein, ließ die Fälle mit Blick auf weitere Strafverfolgung bundesweit an die Staatsanwaltschaften verteilen. Edathys Name fiel lange niemandem auf. Mitte Oktober 2013 schaltet die örtliche Polizei, informiert den damaligen BKA-Präsidenten Jörg Ziercke.

Es war die Zeit nach der Bundestagswahl, als die Parteispitzen die künftige Koalition aushandelten, als Posten verteilt und Karrieren vorgezeichnet wurden. Die Brisanz war allen klar. Ziercke leitete die Nachricht an das Bundesinnenministerium, der damalige Ressortchef Hans-Peter Friedrich reichte sie an SPD-Chef Sigmar Gabriel in der Hoffnung, es fände sich ein Weg, die Bombe zu entschärfen. Ein Entschluss, den er später mit seinem Amt bezahlen sollte. Doch das Wohl des politischen Rivalen stand auf dem Spiel, der als Partner gebraucht wurde. Von da an kannte die stille Post kein Halten mehr. Von den SPD-Größen sickerte das verhängnisvolle Ermittlungsdetail durch alle Ebenen, während sich die zuständige Staatsanwaltschaft Hannover durch das Material arbeitete.

Zu den konkreten Vorwürfen hat Edathy sich nie geäußert

Eine Staatsanwaltschaft, die, wie Anwalt Noll es jetzt vor Gericht formuliert, „dafür bekannt ist, vorschnell einen Anfangsverdacht anzunehmen“. Der genügte zwar für die Razzien, hätte aber nie für eine Anklage gereicht. Erst im Zuge weiterer Ermittlungen gelangten die Beamten an Beweismittel, mit denen sie Edathy jetzt überführen wollen. Zu den konkreten Vorwürfen hat sich der Ex-Politiker nie geäußert. Er prangerte nur das Unrecht an, dass seine straflosen Azov-Bestellungen nie zum Anlass für Razzien hätten genommen werden dürfen. Es wurmt die Ermittler, die damit ihre Anklage verharmlost sehen.

Übrig bleibt gleichwohl wenig. Das Gericht beschließt, trotz Nolls Einwänden fortzufahren. Oberstaatsanwalt Thomas Klinge umschifft die Vorwürfe zur Causa Lüttig, sagt, es interessiere nicht, „wer was rausgegeben hat“. Übergriffige Medienberichte seien kein Grund, ein Verfahren zu beenden. Es gehe nur um diesen Prozess, und der sei fair.

Es geht jetzt ans Eingemachte

Die Anklage ist schnell verlesen. Edathy soll mit seinem Bundestagslaptop, den er später als gestohlen meldete, Anfang November die Kinderporno-Webseiten „pics.ru“ und „fastpic.ru“ aufgerufen haben, russische Angebote. Er habe Vorschaubilder angeklickt und Videodateien geladen. Beweis: die Logdateien der Bundestagsserver, Klinge zählt Daten, Uhrzeiten und Verweildauer auf. Ein Informatiker ist als Sachverständiger geladen. Dazu ein Bildband und eine CD, angeblich mit Jugendpornografie, die bei einer Razzia gesichert wurden.

Für Ermittler solcher Delikte ist das Kleinkriminalität, normalerweise abzuhandeln mit Strafbefehlen oder Verfahrenseinstellungen. Bei Edathy ist es anders gelaufen. Warum, wird deutlich, nachdem Richter Jürgen Seifert erläutert, wie das Gericht die Sache sieht. Eine Einstellung gegen Geldauflage, wie das Gesetz sie vorsieht, wäre möglich. Edathy sei nicht vorbestraft, es handele sich um wenige Taten an wenigen Tagen, er habe sein Mandat zurückgegeben, die Karriere sei erledigt. Auch die Berichterstattung belaste ihn. Das Gericht würde also mitmachen.

Wenn nur das Geständnis nicht wäre

Wenn nur das Geständnis nicht wäre. Klinge verweist auf die Strafprozessordnung, die fordere, dass eine Verfahrenseinstellungen gegen Geldauflage das „öffentliche Interesse“ an der Strafverfolgung beseitigen müsse. Ein Interesse, das einen geständigen Angeklagten erfordere. Zwingend ist diese Ansicht keineswegs, aber die Ankläger wollen sich nicht nachsagen lassen, sie hätten einem Unschuldigen nachgestellt. Edathy würde zwar nicht verurteilt, müsste aber bekennen, gegen Gesetze verstoßen zu haben.

Für einen wie ihn hieße das, ein Bild von sich selbst zu korrigieren – und es nicht nur durch andere korrigieren zu lassen. Sebastian Edathy, geboren mit dem Namen Sebastian Edathiparambil als Sohn eines indischen Vaters und einer deutschen Mutter, der nun am Ende seiner politischen Laufbahn steht, wollte noch etwas werden, hätte noch etwas werden können. Er hoffte sogar noch, als er wusste, dass alle wissen mussten, was gegen ihn läuft. Per SMS schmeichelte er dem Parteivorsitzenden und erinnerte an sich selbst, „falls Dir mal wieder Mitglieder mit sog. Migrationshintergrund einfallen, die man fördern könnte“.

Edathy war nie frei von populistischen Anwandlungen

Seit 1998 saß er im Bundestag. Vier Jahre als Vorsitzender des Innenausschusses, vier als Mitglied des Rechtsausschusses. Weithin bekannt wurde er als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zur Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund. Rassismus, Fremdenhass, das war sein politisches Thema. Er begegnete ihm mit der Einstellung, mit der er auch seinen Nachnamen verkürzte: prinzipiell und wahrhaftig, aber auch mit Nützlichkeitserwägungen, wenn es angebracht erscheint. Daher war er auch nicht frei von populistischen Anwandlungen, ließ sich als Aufklärer feiern, indem er die Mordtaten des NSU zur Folge eines Behördenversagens umdeutete. Die wahren Schuldigen saßen damit bei Polizei und Verfassungsschutz. Im Volk kam das an, die Verantwortlichen in den Sicherheitsbehörden tragen es ihm bis heute nach.

Ein klares Wort, wie Edathy es zu sprechen als Politiker immer in der Lage war, fordert deshalb nun Ankläger Klinge. „Keine Wischiwaschi-Verteidigererklärung.“ Edathy grinst. „Ja, da können Sie lachen, Herr Edathy.“ Aber es habe zu den Vorwürfen bisher „nur Gemauere“ gegeben. Bis zum 2. März wird Sebastian Edathy Zeit haben, darüber nachzudenken. Der Prozess ist bis dahin unterbrochen.

Noll windet sich, er möchte ein „Rechtsgespräch“ der Beteiligten ohne Publikum. Richter Seifert belehrt ihn: „Wir haben uns entschlossen, keine Hinterzimmergespräche zu führen.“ Noll will „Fronten aufbrechen“, weil „bilaterale Gespräche“ nur mit der Staatsanwaltschaft nicht weiterführten.

Es geht jetzt ans Eingemachte. Noll fordert ebenfalls ein klares Wort. Klinge soll zusagen, dass er auch wirklich einer Einstellung zustimmt, wenn sein Mandant gesteht. Klinge deutet sein Einverständnis an. Ein paar Worte, ein Handel, ein Ergebnis. Sebastian Edathy hätte die strafrechtliche Seite seines Skandals durchgestanden, wie Politiker Politik zu machen pflegen. Es wäre fast ein Wunder ginge er nicht darauf ein. Außer er wäre der, als der er sich fortwährend darstellt: ein Unschuldiger.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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