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Amtlich. Auf ihrem Impfausweis heißt sie Bonny von Beelitz. Lange Jahre hieß sie aber Lulu.

© Sebastian Leber

Prozess um Dackel: Nach jahrelangem Streit kehrt Bonny zurück

Bring back my Bonny to me: Sie gehört uns, sagt Ehepaar Kühl. Nein, zu mir, sagt die Gegnerin. Es geht vor Gericht, wie um eine Tochter. Jetzt ist das Drama um den Dackel Bonny endlich vorbei.

Der Tag, an dem sie Bonny das letzte Mal sehen, ist der 29. April 2012. Ein Sonntag. Förster Manfred Kühl nimmt sie mit in den Wald, sie üben für die Jagdgebrauchsprüfung. Dann fahren sie rüber zum Spargelhof Klaistow. Kühl will nur kurz mit der Besitzerin sprechen, die beiden kennen sich lange. Seinen grünen Bully stellt er auf dem Schotterparkplatz ab, Bonny wartet im Wagen auf dem Beifahrersitz, dort liegt ihre Wolldecke. Der Spargelhof feiert an diesem Tag Saisoneröffnung, Hunderte sind gekommen. Eine Musikkapelle spielt.

Als Manfred Kühl zum Wagen zurückkehrt und die Fahrertür öffnet, springt Bonny aus dem Auto und verschwindet in der Menschenmenge. Manfred Kühl unterbricht die Band auf der Bühne, nimmt sich das Mikrofon und sagt, sein Rauhaardackel sei entlaufen. Ganz braun sei der, ob ihn wer gesehen habe? Manfred Kühl ruft Ehefrau Jutta an, sie bringt die Hundepfeife, deren Klang Bonny kennt. Mit Angestellten und Gästen des Spargelhofs suchen sie die Gegend ab. Schon am nächsten Tag klebt Enkel Florian, 19, Suchplakate. Jutta Kühl telefoniert Tierheime und Hundepensionen ab. Tierärzte, Förster, Jäger. Natürlich die Polizei. Alles erfolglos.

Bonny lebt da schon längst in Bayern. Und heißt jetzt Lulu.

Ein jahrelanger Streit - und bisher einmalig

Für Jutta und Manfred Kühl ist es der Beginn eines jahrelangen Leidens. Es ist aber auch Auftakt eines bizarren Streits, wohl einmalig in der deutschen Rechtsgeschichte. An diesem Sonnabend hat er ein Ende gefunden.

Dass Bonny noch lebt, erfahren die Kühls zwei Jahre nach dem Verschwinden, im Mai 2014. Der Züchter, von dem sie den Dackel gekauft haben, informiert sie, es habe sich eine Frau namens Kerstin Mersch* gemeldet. Sie will den Hund an jenem 29. April 2012 gefunden und mitgenommen haben. Er sei an einer Autobahn herumgeirrt, wäre sonst sicher überfahren worden.

Jetzt sitzt Jutta Kühl auf der Veranda ihres Hauses am Schwielowsee, Ortsteil Ferch, unterm Sonnenschirm. Von hier kann sie auf den abschüssigen Rasen blicken, der am Seeufer endet. Auf dem Tisch liegt ein spiralgebundenes Fotoalbum mit Bildern von Bonny, als Welpe beim Züchter und später im Alter von neun Monaten, kurz vor ihrem Verschwinden. „So riesige Pfoten für einen Dackel“, sagt Jutta Kühl. „Bonny ist sehr besonders.“

Die Deutschen und ihre Hunde. Eine intensive Beziehung. Waren 2010 bundesweit 5,4 Millionen Hunde registriert, sind es 2015 schon 7,9 Millionen. Gaben die Deutschen 2010 für Hundefutter 840 Millionen Euro aus, waren es 2015 schon 1,3 Milliarden – doppelt so viel wie für Babynahrung.

"Sie gehört zu unserer Familie wie einst zu Ihrer"

Auf dem Tisch hat Kühl Unterlagen ausgebreitet, die das Drama minutiös dokumentieren. Etwa die E-Mail vom Mai 2014, die Jutta Kühl an Kerstin Mersch schreibt, nachdem der Züchter ihr die frohe Nachricht überbracht hat. „Wir geben der Hoffnung Ausdruck, dass Bonny baldmöglichst zu uns zurückkehrt“, steht darin. Und: „Wir erwarten sie sehnlichst. Bitte melden Sie sich bald, damit wir die Einzelheiten regeln können.“

Die Antwort kommt einen Tag später. Kerstin Mersch schreibt, sie sei damals am fraglichen Tag in der Gegend gewesen, weil ihre Mutter in Brandenburg lebe. Den Dackel, der kein Halsband trug, habe sie aus Mitleid mitgenommen. Außerdem sei eine Polizeistreife am Fundort gewesen. Die Beamten hätten ihr gesagt, sie hätten keine Zeit, sich um den Hund zu kümmern. Dann schreibt Kerstin Mersch noch, sie könne sich nicht vorstellen, Lulu wieder herzugeben. „Sie gehört zu unserer Familie, wie sie einst zu Ihrer gehörte.“

Strafprozess, Zivilprozess, Revision

Geld oder Liebe. Jutta und Manfred Kühl mussten für ihren Hund nun zahlen.
Geld oder Liebe. Jutta und Manfred Kühl mussten für ihren Hund nun zahlen.

© Sebastian Leber

Jutta Kühl geht zur Polizei. Der Beamte, der die Strafanzeige aufnimmt, sagt: klarer Fall von Unterschlagung.

Enkel Florian findet Kerstin Mersch auf Facebook. In den Monaten bis zum Prozessbeginn klickt Jutta Kühl immer wieder auf Merschs Profil. Die Frau aus Bayern veröffentlicht regelmäßig Bilder von Lulu, „also von meiner Bonny“, wie Kühl sagt. Auf denen sieht man, wie der Hund unter einer Wolldecke hervorlugt, auf der Couch döst, sich im Garten sonnt, um den Ammersee läuft. Manfred Kühl sagt: „Jutta, lass es doch bleiben. Du weißt doch, wie schlecht es dir danach immer geht.“ Wenn Jutta Kühl heute davon erzählt, bricht ihre Stimme.

Beide Seiten beteuern, es gehe ihnen ausschließlich um das Tierwohl. Kerstin Mersch sagt, der Dackel habe insgesamt mehr Zeit seines Lebens in Bayern verbracht als am Schwielowsee. Ja schon, sagt Jutta Kühl. Aber bei ihr habe Bonny die Prägephase durchlebt. Das sei viel entscheidender.

Bonny trug sogar einen nummerierten Chip im Nacken

Warum es so lange dauerte, bis die Kühls und Kerstin Mersch in Kontakt kamen, ist umstritten. Beide Seiten überziehen sich mit Vorwürfen. Kerstin Mersch möchte nicht mit der Presse sprechen, aber ihr Anwalt gibt eine Erklärung ab. Unstrittig ist, dass Mersch ihren Fund korrekterweise beim Ordnungsamt hätte melden müssen. Sie behauptet, das habe sie nicht gewusst. Unstrittig ist auch, dass Bonny einen Chip im Nacken trug und dass der Tierarzt, den Kerstin Mersch mit Bonny am Tag nach dem Fund aufsuchte, die darin gespeicherte Chipnummer mit seinem Lesegerät herausfand: 276094180071113. Bloß kam Mersch nicht auf die Idee, damit in der Datenbank der deutschen Dackelzüchter zu suchen. Stattdessen sah sie im Internetportal tasso.net nach, wo Haustierhalter ihre entlaufenen Hunde und Katzen melden können. Dort war die Nummer nicht hinterlegt.

Im Strafprozess wird Kerstin Mersch freigesprochen. Das Gericht sagt, der Angeklagten sei kein Vorsatz nachzuweisen. Was mit Bonny geschieht, soll nun ein Zivilprozess klären. Manfred Kühl bekommt einen Schlaganfall, muss zur Reha. Er glaubt, das Drama um Bonny habe ihm zugesetzt.

Die Kühls haben Bonnys Habseligkeiten aufbewahrt. Die Decke, das Spielzeug. „Moment, ich hole sie.“ Jutta Kühl geht ins Haus und bringt auch den Plastikkorb, in dem der Hund schlief. An den Rändern sind Kerben zu sehen. Das war Bonny mit ihren Zähnen, sagt Jutta Kühl. Sie zeigt auch das grüne Halsband mit Telefonnummer drauf, das Bonny ausgerechnet am Tag ihres Verschwindens nicht trug. Warum eigentlich nicht?

Sie hätten doch im Wald geübt, sagt Manfred Kühl. Wenn Jagdhunde noch so jung seien, könnten sie sich mit dem Band im Gestrüpp verhaken. Es sei also das Beste für Bonny gewesen.

Erst meldet sich der Anwalt krank, dann verstreicht der Termin

Der erste Termin für den Zivilprozess wird auf Antrag der Gegenseite um einen Monat verlegt. Am Tag selbst meldet sich der gegnerische Anwalt krank. Wieder fünf Monate warten.

Je mehr Zeit vergeht, desto mehr erinnert der Dackelstreit an Bertolt Brechts kaukasischen Kreidekreis. An jene zwei Frauen, die denselben Jungen als ihren Sohn beanspruchen. Bis der Dorfschreiber entscheidet, beide sollten so lange an ihm ziehen, bis eine gewinnt. Die wahre Mutter lässt natürlich los. Sie möchte nicht, dass der Junge leidet. Im Fall des Dackels zieht keine Seite in Betracht, irgendetwas loszulassen.

Vor Gericht sagt eine Züchterin als Gutachterin aus, versucht, die Psyche des Hundes zu ergründen. Der Richter schlägt daraufhin eine gütliche Einigung vor: Ob es nicht am besten sei, dass Bonny in Bayern bleibe und die Kühls als Entschädigung 1500 Euro erhielten? Sie lehnen ab. Das Gericht entscheidet nun zugunsten der Kühls. Juristisch müsse der Dackel als Sache behandelt werden, die den Kühls gehöre.

Den Übergabetermin lässt Kerstin Mersch verstreichen. Also beantragen die Kühls Zwangsvollstreckung. Enkel Florian fährt das Ehepaar schon am Vortag nach Oberbayern, sie übernachten in einem Hotel in der Nähe, damit sie am nächsten Tag garantiert pünktlich sind. Diesmal darf wirklich nichts schiefgehen!

Als sie um 13 Uhr mit dem Gerichtsvollzieher vor Kerstin Merschs Reihenhaus stehen und klingeln, macht niemand auf. Nur der Hund bellt. Jutta Kühl erkennt Bonnys Stimme. Wir müssen einen zweiten Termin machen, sagt der Gerichtsvollzieher. Diesmal mit Schlüsseldienst und Polizei. Dazu kommt es nicht, denn Kerstin Mersch hat inzwischen einen neuen Anwalt, der Berufung gegen das erste Urteil eingelegt hat. Die Wut auf beiden Seiten wächst.

Gibt man sich bei der Übergabe eigentlich die Hand?

Jutta Kühl fragt einen Polizisten, was passiere, falls sie Mersch bei einem Spaziergang auflauere und Bonny an sich nehme. „Das dürfen Sie nicht“, habe der Beamte gesagt, „das wäre ja Selbstjustiz.“

Jutta Kühl ist ein höflicher Mensch. Sie formuliert diplomatisch. Und doch gibt sie sich wenig Mühe zu verbergen, wie tief die Verbitterung sitzt.

Jutta Kühl sagt: „Ich denke, die Frau hat nichts Böses gewollt.“ Kurze Pause, und dann: „Es war wohl mehr so ein Ausgleich. Sie hat ja keine Kinder.“

Oder: „Ich denke, dass es Bonny gut dort gegangen ist.“ Kurze Pause, und dann: „Bei den ganzen Rechnungen, die diese Frau eingereicht hat.“

Oder: „Sie ist ja sehr tierlieb. Sie hatte noch einen anderen Hund.“ Kurze Pause, und dann: „Der ist aber überfahren worden, da hat sie wohl nicht aufgepasst. Hat sie sich eben einen neuen geholt.“

Schade, dass man nicht den Dackel selbst fragen kann

Über Umwege erfährt das Brandenburger Ehepaar, dass Bonny in Bayern inzwischen die Begleithundeprüfung abgelegt hat. Das ist ein Test, der beweist, dass Hunde unproblematisch sind, zum Beispiel nicht in Angst geraten, wenn sie Radfahrern oder Joggern begegnen. Bonny hat, unter dem Namen Lulu, mit „sehr gut“ bestanden. War klar, sagt Jutta Kühl, schon als Welpe sei der Dackel höchst umgänglich gewesen. Konnte früh „Sitz“, „Platz“ und „Down“, ist an der Leine gelaufen, hat nie die Nachbarn angebellt. Sie ist ja auch ein Rassehund, deshalb heißt sie mit vollem Namen „Bonny von Beelitz“.

Jutta Kühl holt die Ahnentafel heraus, zertifiziert vom Deutschen Teckelklub e. V., Vater: Neptun vom Odinsee, Mutter: Ilka von Fürstenwalde. Zu den vielen Vorwürfen, mit denen sich beide Parteien gegenseitig überziehen, gehört auch der, Kerstin Mersch habe sich 2014 nur deshalb bei Bonnys Züchter gemeldet, weil sie Unterlagen brauchte, um selbst mit Bonny zu züchten. Mersch hat das vehement bestritten. Und sie bedauert, dass man nicht den Dackel fragen kann, welche Zukunft er selbst gern hätte.

Haben Sie, Herr Kühl, jemals daran gedacht aufzugeben? Wo der Hund doch schon so lange weg ist? „In keiner Sekunde. Bei uns hat er es besser.“

Schon beginnt ein neuer Streit: Wo wird Bonny übergeben?

Im Juli tagt das Landgericht. Wie ein Sorgerechtsprozess war das, sagt Jutta Kühl. „Es ging nur noch ums Geld, nicht mehr um Bonny.“ Kerstin Mersch legt Rechnungen vor, von Futter, Körben, Arztrechnungen und Aufenthalten in der Tierpension. Der Richter entscheidet: Familie Kühl bekommt Bonny, die Gegenseite 3271,16 Euro für entstandene Kosten. Das Geld sollen die Kühls im Moment der Übergabe bezahlen. Zug um Zug, heißt das juristisch.

Schon beginnt ein neuer Streit: Wo soll Bonny übergeben werden? Natürlich am Fundort, sagen die Kühls. Nein, sagt der Anwalt der Gegenseite. Er schlägt den Münchner Flughafen vor.

Diesen Sonnabend war es so weit. Die Parteien haben sich geeinigt. Die Kühls fuhren noch einmal runter nach Bayern. Die dpa meldet: "Das Paar aus Bayern, das die Dackeldame 2012 in Brandenburg auf der Straße aufgelesen und sie fortan 'Lulu' genannt hatte, übergab das Tier am Samstag am Münchner Flughafen an seine rechtmäßigen Eigentümer. "

Wie das wohl ist, sich am Ende des Dramas, nach vier Jahren, gegenüberzustehen? Gibt man sich da die Hand? „Von wegen“, sagte Jutta Kühl zuvor. Sie werde nur nach der Leine greifen und mit der anderen Hand den Umschlag mit dem Geld entgegenstrecken.

Und wie werden Sie den Hund rufen, sobald er in Ihrem Auto sitzt?

„Sie wird wieder Bonny heißen.“

*Name von der Redaktion geändert.

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