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Nach der Entführung eines Bankers im Oktober 2012 durchkämmten 400 Polizisten den Wald in Storkow

© Nestor Bachmann/dpa

Prozessauftakt in Frankfurt an der Oder: Mutmaßlicher "Maskenmann" vor Gericht: "Ich bin der Falsche"

Mario K. soll der Maskenmann sein, ein brutaler Erpresser. Am ersten Prozesstag gibt er sich unnahbar und lacht über die Indizienbeweise der Anklage.

Der Mann mit dem Vollbart blickt geradeaus. Er redet nicht. Kein Wort. Stumm beobachtet er die Polizisten, den Richter, jeden einzelnen Zuhörer im Verhandlungssaal des Landgerichts Frankfurt (Oder). Ihm gegenüber sitzt eine junge Frau mit blonden Haaren, einem Tuch um den Hals und mit ernstem Gesicht. Sie ist fest überzeugt, dass sie den Angeklagten vor anderthalb Jahren schon einmal getroffen hat – und die Begegnung beinahe nicht überlebt hätte. Jetzt schaut sie ihrem mutmaßlichen Peiniger ins Gesicht. Mario K., dem die Staatsanwaltschaft vorwirft der „Maskenmann aus Storkow“, ein Kidnapper und brutaler Erpresser zu sein, blickt reglos zurück.

„Versuchter Mord, versuchter Totschlag und schwere Körperverletzung“, lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft. Mario K. soll verantwortlich sein für mehrere brutale Überfälle auf zwei Berliner Millionärsfamilien in Bad Saarow und Storkow in den Jahren 2011 und 2012. Am Scharmützelsee soll Mario K. zweimal die Berliner Unternehmerfamilie P. attackiert haben. Beim ersten Mal soll er mit einem Knüppel auf die Ehefrau eingeschlagen haben, beim zweiten Mal hatte er eine Pistole dabei. Die Tochter Luisa P. überlebte den Anschlag nur, weil ein von der Familie engagierter Wachmann auf die junge Frau stürzte, um sie vor den Schüssen zu schützen. Eine Kugel traf den Wachmann ins Rückenmark. Nur eine Notoperation rettete ihm das Leben, er sitzt im Rollstuhl.

Nach einer Stunde nickt er zufrieden

Nach einer Stunde zuckt ein Lächeln über das Gesicht des Angeklagten. Er nickt zufrieden seinem Verteidiger zu. „Es ist immer von DNA-Spuren meines Mandanten auf einer Decke die Rede, die beim Entführungsopfer gefunden wurde. Ich kann Ihnen sagen, diesen Beweis gibt es gar nicht“, hat der Anwalt gerade dem Gericht verkündet. Triumphierend lehnt Mario K. seinen durchtrainierten Oberkörper zurück und ruckelt seine Brille auf der Nase zurecht.

Die Strategie der Verteidigung ist klar. „Ich bin der Falsche. Ich habe mit der Anklageerhebung nichts zu tun“, hatte Mario K. seinen Anwalt, Axel Weimann, gleich zu Prozessbeginn sagen lassen. Weimann ist ein bekannter Strafverteidiger, der zuletzt beim Berliner Prozess gegen die brutalen Angreifer gegen Jonny K. auf dem Alexanderplatz aufgetreten war. Nun stellt er die Arbeit der Brandenburger Polizei in Frage, bemängelt das Fehlen bestimmter Akten, das fehlende „Personal“ beim Gericht und bei der Staatsanwaltschaft.

Wie sich das Opfer an die Tat erinnert

Die Gelassenheit des mutmaßlichen Maskenmannes scheint auf einen Schlag verschwunden, als Petra P., die 61-jährige Mutter von Luisa, ihre Zeugenaussage macht. Fahrig sucht Mario K. erst nach einem Stift, blickt auf die Wanduhr, notiert sich den exakten Zeitpunkt. Petra P. spricht klar, langsam und deutlich, streicht sich beim Reden immer wieder eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Ihre äußerlichen Wunden sind inzwischen verheilt, aber sie scheint sich an jedes Detail des 22. August 2011 zu erinnern: Das Garagentor des Hauses in Bad Saarow war an diesem Tag kaputt und musste repariert werden. Am Abend versorgte die Hausfrau draußen die Pferde und Hühner, dann schloss sie die Stalltüren. Aus Angst vor den Mücken hatte die Hausfrau sämtliche Lampen vor und am Haus ausgeschaltet. Lediglich die Küchenlampe warf einen kleinen Schein in den Garten. Die drei Hunde der Familie bemerkten den Eindringling offenbar zuerst. „Sie liefen aufgeregt durchs Haus und dann wie wild durch den Garten“, sagt Petra P. „Ich glaubte zuerst an die Wildschweine, die uns hier schon lange zu schaffen gemacht hatten. Doch dann stand plötzlich diese vermummte Gestalt vor mir.“

Der Unbekannte schlug wie wild auf sie ein

Der Unbekannte war aus dem Gebüsch gesprungen und schlug nun wie wild auf sie ein. Auffallend sei seine Maske gewesen, sagt die Zeugin. „Das war eine professionelle Tarnung, keine von Oma gestrickte. Die Öffnungen für die Augen und den Mund hatten eine extra weiße Umrandung.“ Die Überfallene schrie aus Leibeskräften, so dass ihre Nachbarin herbeigeeilt kam. Das muss den Angreifer verunsichert haben, zumal die Hunde unentwegt bellten. Er ließ von ihr ab und verschwand wieder in der Dunkelheit. Mit letzter Kraft schleppte sich die Frau ins Haus, wo die Nachbarin Polizei und Rettungswagen verständigte. Mindestens 20 Mal hatte der Mann auf den Kopf der 61-Jährigen geschlagen. Sieben Platzwunden, Blutungen und Schädelverletzungen stellte der Notarzt fest.

Wieder schaut Mario K. auf die Wanduhr, macht sich eine Notiz. Keine zehn Meter trennen ihn von der Zeugin. Jedes Mal, wenn er meint, einen entscheidenden Satz vernommen zu haben, blickt er seine beiden Anwälte an und vertieft sich dann wieder in seinen Hefter, mit dem er sein Gesicht beim Eintreffen vor Gericht vor den Fotografen und Kameramännern verborgen hatte.

Weil die Unternehmerfamilie P. in Berlin bekannt ist, befürchtete sie nach dem ersten Überfall, dass es der Unbekannte auf ihr Geld abgesehen habe und es noch einmal versuchen könnte. Deshalb wurde in Bad Saarow ein Wachdienst engagiert. Dieser schickte nun regelmäßig einen Mitarbeiter aufs Grundstück, um aufzupassen.

Keine anderthalb Monate später schlug der Täter erneut zu.

Diesmal nutzte er das Überraschungsmoment eines Sonntagmorgens, um die erwachsene Tochter Luisa der Familie P. anzugreifen. Als der Eindringling zwei Schüsse abfeuerte, warf sich ein Wachmann dazwischen. Eine Kugel zerfetzte sein Rückenmark. Nach diesem Überfall verpasste die Polizei dem unbekannten Täter den Namen „Maskenmann“.

Wie die Polizei dem Maskenmann auf die Spur kam

In einer Verhandlungspause erklärt der Anwalt, warum der Angeklagte die beiden Sätze über seine angebliche Unschuld nicht selbst sagen wollte. „Warum sollte er?“, fragt Weimann. „Er hat mit dem Fall nichts zu tun. Also sieht er keinen Anlass, sich in dem Prozess zu äußern.“ Dann spricht er von der „großen Herausforderung“, die die Auftritte vor Gericht für Mario K. bedeuten. Es fallen die Worte „offensiv“ und immer wieder „unschuldig“.

Sollte Mario K. tatsächlich der Maskenmann sein, muss er die Überfälle akribisch vorbereitet haben. Der gelernte Dachdecker hatte in den vergangenen Jahren keine feste Arbeit, doch er war mehrfach der Polizei aufgefallen. Durch seine kriminelle Karriere geriet er schließlich auch ins Visier der Ermittler. Sie hatten nach den Überfällen rund 40 Verdächtige überprüft.

Mario K. hatte bereits 1997 mit einer Pistole Ceska in einem Berliner Schnellrestaurant in Hellersdorf um sich geschossen. Drei Jahre und neun Monate kam er dafür hinter Gitter. Wieder in Freiheit machte er die südöstlichen Berliner Stadtteile und Umgebung unsicher. Er brach in Hausboote und Yachten ein, stahl Lebensmittel oder Wertsachen und zündete die Boote meistens anschließend an. Als ihn ein Förster 2004 auf einer Sumpfinsel im Seddinsee entdeckte, alarmierte dieser die Polizei. Den erschreckten Beamten sprang Mario K. mit schwarzem Taucheranzug und geschwärztem Gesicht entgegen. Wegen Diebstahls und Brandstiftung wurde er zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.

Eine Million Euro hat er gefordert

Mit dieser Vorgeschichte passte Mario K. ins Fahndungsraster der Sonderkommission „Imker“, die nach dem Überfall auf eine wohlhabende Familie im Storkower Ortsteil Hubertushöhe am Großen Storkower See gegründet worden war. Eine Million Euro hatte der Maskenmann gefordert, nachdem er im am 5. Oktober 2012 den Berliner Investmentbanker T. entführt hatte – keine 15 Kilometer Luftlinie vom Haus der Familie P. entfernt.

Der mutmaßliche Maskenmann Mario K. im Prozess
Der Angeklagte Mario K.

© dpa

Am Abend war der Kidnapper in die Wochenendvilla am See eingedrungen, hatte zur Einschüchterung in die Decke geschossen und die Ehefrau gezwungen, ihren Mann mit Klebeband zu fesseln. „Wenn sie die Polizei verständigen, schieße ich ihren Sohn zum Krüppel“, hatte er gedroht. Der Entführte musste sich an einem Kajak festhalten, mit dem ihn der Täter auf eine versteckt gelegene Schilfinsel schleppte. Nach zwei Tagen konnte sich der Banker selbst befreien. Die Familie T. wird erst in den kommenden Wochen vor Gericht aussagen.

Es war die Pistole, die den Schluss nahelegte, dass die beiden Familien von dem selben Täter überfallen worden waren. Die Projektile stammten aus der selben Waffe. Nach der geglückten Flucht des Unternehmers startete die Polizei rund um Storkow und Bad Saarow eine groß angelegte Suchaktion. Etwa 400 Beamte durchkämmten die Region, Hubschrauber und Hundestaffeln waren im Einsatz – vergebens. Der Täter war spurlos verschwunden, daran konnte auch die ausgesetzte Belohnung von 50 000 Euro nichts ändern.

Wie Mario K. sich vor der Polizei versteckte

Erst Wochen später begannen die Ermittler, Mario K. als Hauptverdächtigen zu observieren. Er zwang den Polizisten zwischen Januar und September 2013 sportliche Höchstleistungen ab. 130 Kilometern legte er zuweilen auf dem Rennrad zurück, schlief zwischen Köpenick, Vogelsdorf, Woltersdorf und Erkner unter freiem Himmel. Er bog von den Straßen unwillkürlich ab, jagte über holprige Trampelpfade, durch Waldstücke, über Wurzeln und Baumstümpfe oder durch sumpfiges Terrain – und verschwand plötzlich im Dickicht. Mal war er glattrasiert, dann trug er Bart. Er sprach Frauen an und fand auch bei ihnen eine Unterkunft. Auf dem extra montierten Gepäckträger transportierte er oft einen größeren Koffer. „Da waren offensichtlich seine Habseligkeiten drin“, hieß es bei der Polizei.

In der Sonderkommission war es zu Streit gekommen

Dass es innerhalb der Sonderkommission zu Streit gekommen war, will die Verteidigung jetzt für ihre Zwecke nutzen. Offenbar hatte sich ein Ermittler im Laufe des Verfahrens selbst wegen „möglicher Strafvereitelung im Amt“ angezeigt. Das wurde erst beim gestrigen Prozessauftakt bekannt. In der Anzeige kritisiert der Beamte die Ermittlungen der Sonderkommission und beklagt erhebliche Widersprüche bei den Zeugenaussagen. Ferner habe sich das Entführungsopfer einer ausführlichen Vernehmung entzogen und sei stattdessen mit seiner Familie in den Urlaub ins Ausland gefahren. „Andere Meinungen wurden in der Ermittlungsgruppe nicht akzeptiert“, gab der Beamte zu Protokoll.

Polizei und die Staatsanwaltschaft aber sind sicher, dass sie den richtigen Täter geschnappt haben – auch wenn sie bislang keine stichfesten Beweise vorlegen konnten. Erst im Oktober soll das Urteil gesprochen werden – nach der Anhörung von mehr als 200 Zeugen. Indizien scheint es viele zu geben. Wie beispielsweise die Decke, die auf der Insel gefunden wurde, nachdem dem Entführungsopfer die Flucht gelungen war. Diese Decke wurde nachweislich neben einem Gewerbegebiet in Marzahn verkauft. In dessen Nähe wurde auch der Maskenmann gesehen. Mario K. macht im Gerichtssaal keinen Hehl daraus, was er von solchen Indizien hält. Er grinst.

Der Text erschien auf der Dritten Seite.

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