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Schlag auf Schlag. Es war Robert the Bruce, stolzer König der Schotten, der die englische Armee im Juni 1314 besiegte. Bei den Jubiläumsfeiern werden die Kämpfe nachgespielt, live kommentiert.

© Andrew Milligan/pa

Schottlands Unabhängigkeitsbestrebung: Sie sind so frei

Wenn der Geist der schottischen Unabhängigkeit irgendwo wohnt, dann in Bannockburn: Dort wurden vor 700 Jahren die Engländer besiegt. Jetzt fragen die Schotten: Wer wollen wir sein?

Als Alan Waldron vor Jahren durch die Straßen von Stirling fuhr, gab sein Auto ausgerechnet vor diesem Geschäft den Geist auf. Das musste ein Zeichen sein.

Alan Waldron glaubt an Schicksal, und er glaubt daran, dass man es selbst in die Hand nehmen kann. Er stieg aus und mietete den Laden. In diesem Sommer feiert sein Dudelsackgeschäft fünfjähriges Bestehen.

Es läuft bestens, er verschifft Instrumente bis nach Peru, aus allen möglichen Teilen des Landes senden ihm Sammler Fundstücke zur Restaurierung zu. Gerade eben hat er eine Kiste bekommen mit einem uralten Dudelsack, der Sack aus Schafsleder verschimmelt und hart wie ein Brett, die Pfeifen aber aus feinstem Ebenholz. Waldron schiebt sich die schulterlangen braunen Haare hinter die Ohren und klappt feierlich den Instrumentenkasten auf. Fast alles darin muss überprüft, verbessert, erneuert werden – großartig!

Alan Waldron spricht mit Begeisterung von seiner Arbeit und beinahe zärtlich von den Hölzern, die zum Dudelsackbau verwendet werden, dem eleganten Ebenholz, dem hellen Mopane, dem Grenadill, das kühl und glatt in der Hand liegt. Ein Jahr lang lagert er dieses Holz in seiner Werkstatt, rund gedrechselt und mit einem Loch in der Mitte. „Qualitätskontrolle“, sagt er und zwinkert. Wenn das Holz reißt, dann tut es das, bevor er es verbaut. Manche Dinge brauchen Zeit. Was die Unabhängigkeit Schottlands angeht, glaubt Waldron, wäre es jetzt langsam so weit.

Am 18. September soll die Entscheidung fallen

Am 18. September wollen die Schotten mit einem Referendum entscheiden, ob ihr Land unabhängig oder Teil des United Kingdom bleiben soll. Die Dudelsackspieler, die in Waldrons Laden kommen, eher Patrioten, reden von fast nichts anderem mehr: Wie wirst du wählen? „90 Prozent“, schätzt Waldron, „sagen dann: ja. Fünf Prozent wissen es noch nicht so genau und die anderen fünf sagen: nein.“

In offiziellen Umfragen sieht das anders aus. Nur 36 Prozent der Schotten würden sich derzeit für die Unabhängigkeit entscheiden, 53 Prozent dagegen. Der Rest ist sich noch nicht sicher.

Alan Waldron, 42 Jahre alt, ist in Schottland geboren und aufgewachsen, er könnte stundenlang über das Land reden und die Leute, warum er sie so mag. Weil Geld hier oben nicht so wichtig ist (wie in London), weil die Gemeinschaft zählt, weil sie hier einen, der plötzlich reich und eingebildet wird, schnell wieder auf den Boden holen. „I kent yer faither“, sagen sie dann, ich kannte deinen Vater, ich weiß, wer du wirklich bist.

Waldron hat sich mit den politischen Forderungen der Kampagne auseinandergesetzt, die für ein „Ja“ der Schotten wirbt. Keine britischen Atom-U-Boote mehr vor der schottischen Küste, Nutzung erneuerbarer Energien, gerechtere Verteilung des Wohlstandes, ein Anrecht – vor allem – auf die Einnahmen aus der Ölförderung in der Nordsee, er kann das alles unterschreiben.

Schottischsein, das ist für ihn keine Frage der Herkunft, sondern eine der Einstellung. Als wäre die Idee der Abspaltung vom Rest der Insel keine nationalistische, sondern eine emotionale, eine Frage der Fairness. Nicht aus Westminster regiert werden von einer Partei, die in Schottland von keiner Mehrheit gewählt wurde, das wäre schon mal ein Anfang.

Wie die Schotten unter englische Herrschaft kamen

Die Kleinstadt Stirling liegt etwa in der Mitte Schottlands, am Fuß der Highlands, die sich grün und grüner am Horizont aufwölben. Wenn der Geist der schottischen Unabhängigkeit irgendwo wohnt, dann hier, zwischen Hochnebeln und warmem Nieselregen. Wo den Menschen dieser eine Name so schön über die Zunge rollt wie nirgendwo sonst im Land: Rrrrobert the Brrruce.

Es war Robert the Bruce, stolzer König der Schotten, der am 23. und 24. Juni 1314 die englische Armee unter König Edward II. bei Stirling vernichtend geschlagen hat. Im Krieg um Schottlands Unabhängigkeit ein entscheidender Sieg, beeindruckender noch, weil Bruces Armee nur etwa 6000 Mann zählte, Edwards rund 18 000.

Viele Jahre kriegerischer Auseinandersetzung lagen bereits hinter England und Schottland, als Robert the Bruce 1306 König wurde und seinerseits den Kampf aufnahm. Zahlreiche Burgen hatte er von den Engländern schon zurückerobert, bevor es zum Kampf um Stirling Castle bei Bannockburn kam. Die Schlacht war ein Meilenstein und ein ziemliches Massaker, sie ist ein Mythos und Robert the Bruce ein nationaler Held. Clever soll er gewesen sein, kräftig und stark, unerschrocken und gewinnend. Und vernichtend brutal, vor 700 Jahren vielleicht auch das ein Kompliment.

Anerkannt wurde Schottland erst 1328

Ganz vorbei war es mit der Schlacht von Bannockburn noch immer nicht, als unabhängig anerkannt wurde Schottland erst 1328. So blieb es bis 1707. Mit der Treaty of Union verbanden sich Schottland und England zu einem vereinten Staat, der nun, so wollen es manche, wieder getrennt werden soll.

Das Jubiläum der Schlacht wird in diesen Tagen in Stirling groß gefeiert. Die Kämpfe werden nachgespielt, live kommentiert. Historiker werden Vorträge halten und konferieren. In Alan Waldrons Schaufenster wirbt ein Plakat für ein Dudelsackkonzert zu Bruces Ehren.

Manche Kritiker sagen, Alex Salmond, der schottische Ministerpräsident und Chef der Schottischen Nationalpartei SNP, habe das Datum für das Referendum nicht von ungefähr in diesen Spätsommer gelegt. Kaum ein historisches Ereignis ist so sehr mit den Fragen „Was können wir und wer wollen wir sein?“ verbunden wie die Schlacht von Bannockburn.

Wargames. Im Besucherzentrum von Bannockburn können Kinder im 3D-Fantasialand historische Schlachten  nachspielen.
Wargames. Im Besucherzentrum von Bannockburn können Kinder im 3D-Fantasialand historische Schlachten nachspielen.

© Katja Reimann

Wer den Gedenkort auf dem Schlachtfeld besuchen will, der fährt mit dem Bus aus der Innenstadt von Stirling ein paar Minuten in Richtung Süden. Von der Haltestelle an der Glasgow Road führt ein Fußweg auf einen Hügel, zum Denkmal.

In sanften Wellen erstreckt sich das Schlachtfeld, teils ist es bebaut, teils aufgeteilt in Weideland. Ein leichter Wind geht, die Vögel zwitschern. Von einem steinernen Sockel blickt mit milder Güte ein bronzener Robert the Bruce auf die Autobahn in der Nähe.

Es heißt, als der englische Ritter Henry de Bohun am ersten Tag der Schlacht den schottischen König erspähte, sah er seine große Chance gekommen. Er ritt in vollem Galopp auf ihn zu. Er richtete die Lanze auf Bruce, bereit, ihn vom Pferd zu stoßen und zu töten. Der Schotte aber wartete bis zum letzten Augenblick, wich aus – und zertrümmerte dem Engländer Helm und Schädel mit einer Axt.

Hier liegt ein Stück Nationalstolz. Nur wo?

Hier also liegt es irgendwo, dieses große Stück Nationalstolz der Schotten. Nur wo? Als Projektionsfläche der Erinnerung taugt die Wiese bedingt. Wie erinnert man sich an etwas, von dem ganz und gar nichts mehr zu sehen ist?

Man investiert neun Millionen Pfund in ein Besucherzentrum und lässt die Geister der Vergangenheit auferstehen. Pünktlich zum Jubiläumsjahr hat der National Trust for Scotland nahe dem Denkmal ein 3-D-Fantasialand gebaut. Hier wird die Geschichte der beiden Könige Edward II. und Robert the Bruce erzählt. In einem 3-D-Panorama kämpfen lebensgroße Figuren, Pfeile zischen durch die Luft, voll gerüstete Pferde galoppieren durch den Raum, tödlich verwundete Männer brechen zusammen. Wer die „Schlachterfahrung“ mitgebucht hat, kann sich in einem Strategiespiel rund um einen großen Tisch daran versuchen, die gegnerischen Truppen zurückzudrängen, Edwards oder Bruces.

Oder man sucht und gräbt, bis man etwas findet.

Alan Waldron betreibt ein Dudelsackgeschäft in Stirling. Fast alle seiner Kunden wollen im September für die Unabhängigkeit Schottlands stimmen.
Alan Waldron betreibt ein Dudelsackgeschäft in Stirling. Fast alle seiner Kunden wollen im September für die Unabhängigkeit Schottlands stimmen.

© Katja Reimann

Zwei Jahre lang hat der Schlachtfeldarchäologe Tony Pollard sich mit Bannockburn beschäftigt. Für eine Dokumentation der BBC versuchte er gemeinsam mit seinem Kollegen Neil Oliver genau zu bestimmen, wo und wie die Schlacht geschlagen wurde. Ein halbes Dutzend Orte waren im Gespräch, entsprechende Theorien dazu, doch wirkliche Beweise waren zuvor kaum gefunden worden. Dann kamen Tony und Neil.

Tony Pollard, 49 Jahre alt, bärtig und sehr müde, sitzt in einem seiner zwei Büros an der Universität in Glasgow, rund eine Stunde Zugfahrt von Stirling entfernt. Pollard ist der Direktor des Zentrums für Schlachtfeldarchäologie an der Uni und in diesem Jahr mit all seinen kriegerischen Jubiläen überall in Europa unterwegs.

„Wie passt die Archäologie zusammen mit den Erinnerungen der Menschen?“, das sei eine der Fragen, die sich ihm stellten, sagt Pollard. Wo überschneiden sich Fakten und Legenden? Und welche Schlüsse ziehen wir daraus? Auch deswegen liegt sein Interesse im Grunde viel mehr im 20. Jahrhundert als im Mittelalter. Vom Zweiten Weltkrieg ist einiges zu finden, von noch lebenden Zeitzeugen ganz abgesehen. In Bannockburn gibt es diese Wiese.

Eine Karte der Gegend gab es nicht

Weil es keine Karten der Gegend gab und historische Erwähnungen der Schlacht meist Loblieder auf Robert the Bruce waren und keine geografischen Abhandlungen, druckte Pollard über Google Earth einen Haufen Satellitenbilder aus und pappte sie mit Klebestreifen zusammen. „Wie Feldherren saßen wir rund um die Karte“, erzählt er und legt das mitgenommene Stück auf den Boden seines Büros. „Hier, da ungefähr fand die entscheidende Schlacht statt“, sagt er und drückt den Zeigefinger seiner rechten Hand auf die Karte. In der Ebene, dort, wo die Engländer nach dem ersten Tag des Kampfes ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten.

„Landschaften kann man lesen wie ein Buch“, sagt Pollard und nichts ist nachvollziehbarer als das, wenn er nur bitte gleichzeitig mit dem Finger über die grünen Zettel vor ihm fährt. Hier das Camp der Engländer, dort die Schotten, die Route des Angriffs, der Fluchtweg. Tony Pollard wollte schon als Kind Archäologe werden, weil ihm die Suche nach der fassbaren Geschichte vorkam wie die Reise mit einer Zeitmaschine.

Im vergangenen Sommer ließ Pollard Flugblätter drucken: Freiwillige gesucht, wer hilft graben? Etwa 1000 Leute meldeten sich, darunter ganze Schulklassen. Manche zogen mit Metalldetektoren los, andere ohne. Farmer stellten ihre Äcker zur Verfügung, Familien ihre Gärten. „Am Ende haben wir 3500 Objekte gefunden“, sagt Pollard und grinst. Ein Speer, eine Silbermünze, Teil eines Steigbügels, Keramik. „Vier oder fünf davon stammen aus der Schlacht.“ Zum Schluss dann, kurz vor Ende der Dreharbeiten, buddelten sie endlich einen wirklichen Beweis aus. Ein metallenes Kreuz von der Rüstung eines englischen Pferdes, abgefallen – möglicherweise – auf der Flucht. In beklagenswertem Zustand, aber immerhin.

Should I stay or should I go? Bleiben oder gehen?

Am Morgen des 24. Juni 1314 begrüßten die Schotten die Engländer kampfbereit. Umgeben vom Lauf des Flüsschens Bannockburn, von Wald und Sumpfland, war der Bewegungsradius der englischen Armee gering. Panik brach aus. Um König Edwards übermächtiger Kavallerie die Stirn bieten zu können, hatten die Schotten außerdem schon lange zuvor Fallen gegraben: tiefe Löcher, gespickt mit hölzernen Pfählen. Ein böser, guter Plan. Auf der Flucht vor den Schotten ertranken viele Engländer im Fluss. Es heißt, am Ende lagen so viele tote Männer und Pferde im Wasser, dass man trockenen Fußes von der einen zur anderen Seite gelangen konnte. Wo all die Leichen liegen, ist eine Frage, die bleibt. Eine von vielen.

Tony Pollard, Archäologe und Konfliktforscher, sagt: „Die Macher der Yes-Kampagne sollten vorsichtig sein, inwiefern sie Geschichte benutzen.“ Er weiß: Man muss nicht tief graben, um zu sehen, dass blinder Nationalismus noch selten zu etwas Gutem führte.

Tony Pollard, gebürtiger Engländer, aufgewachsen in Schottland, sagt: „Ich bin von Herzen dafür, die Union fortzusetzen.“ Und er schaut auf den Tisch vor ihm: „Aber alle hier sind desillusioniert.“ Die Politik aus London empfinden sie nicht als schützende Hand – sondern als eine, die ihnen die Luft abdreht. Wirtschaftlich vor allem.

Seit 17 Jahren baut er Dudelsäcke

Alan Waldrons kleines gemütliches Dudelsackgeschäft liegt genau unterhalb der Burg von Stirling, etwa da, wo sich die Straße zwischen den mittelalterlichen grauen Häusern in eine letzte Kurve legt. Ein ziemlich perfekter Platz, ständig kommen Touristen vorbei, denen er gerne erklärt, wie ein Dudelsack funktioniert. Viermal kräftig den Sack aufpumpen, puff puff puff puff, und schon – „hält man ein kleines Orchester im Arm“. Seit 17 Jahren baut er mittlerweile Dudelsäcke, die Lehrjahre eingeschlossen. Er kann sich nichts Schöneres vorstellen.

Sein Vater erklärte ihm Drechslerei, da war er 14. Später arbeitete er an Bewässerungssystemen für die Landwirtschaft, was ihm wenig Erfüllung brachte, nur eine Erfrierung am linken Ohr. So ging er zu Verwandten nach Australien, er putzte die Fenster der Hochhäuser in Adelaide und dachte nach: Wo komme ich her, wo will ich hin? Dann blies er das erste Mal einen Dudelsack.

Alan Waldron macht nicht den Eindruck, als sei er jemand, der unüberlegt entscheidet. Er setzt sich auseinander, auch mit denen, die sagen, United Kingdom sollte lieber united bleiben. Wie Schottland allein denn automatisch Teil der Europäischen Union sein wolle, ob auf das Land nicht enorme steuerliche Mehrbelastungen zukämen? Und überhaupt.

Er sagt: „Man darf nicht immer nur über die Schwierigkeiten nachdenken, sondern sollte die Chancen sehen.“

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite des Tagesspiegels.

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